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gelaunt, „dann werd« ich alles — nur kein Arzt mehr! Am Christabend wurde ich um sechs Uhr nach dem Marhof gerufen. Mit Auto gings nicht, der Schnee war zu hoch. Dferd hab« ich keines mehr. Die Schindermähre, die mir Hans abgeworsen hat, habe ich glücklich losgeschlagen. Also mutzte ich zu Futz gehen. Zu allem Glück war's dort nicht schliinm. Der Gutsrnspektor fürchtete bei seiner sechsjährigen Kleinen einen Scharlach, aber es war nur ein Nessel- ausschlag. Ms ich heimkam, zanlle die Lene, Hatz alles versotten und verbraten war. Um zwei Uhr nachts mutzte ich aus den Federn, So ein kleiner Erdenbürger hatte es sich in den Kopf gesetzt, gerade am Cbristtag zur Welt zu kommen und meinte, es sei so einfach, gleich mit beides Fützon in» Leben zu springen. Als ich ihn dann eines Besseren belehrte, dauerte es ziemlich lange, bis er mit einem Schrei seiner Entrüstung Ausdruck gab, datz auf dieser kugeligen Erde scheinbar alles nach einer Schablone gehen mutz. Ich war ehrlich müde, als ich gegen sieben Uhr yeim- kam und habe di« ganze Kirche verschlafen. Das getraue ich mir dem Herrn Pfarrer gar nicht zu sagen", lachte er. Petersen gotz ihm frischen Wein in den ffeingeschliffenen Kelch und Lona bot ihm von dem Backwerk, dass auf der Matt-Silberschale aufgeschlichtet war. Sie hegte ein Gefühl rührender Dankbarkeit für ihn, schickte ihm die schönsten Knospen des Treibhauses und wugte immer etwas Liebes zu tun, wenn er kam. Karsten mutzte, avie es uni Lona Petersen stand und wie sehnsüchtig ihr Herz dem Ver lornen nachpochte. Aber nie machte er eine Andeutung hier über. Ms er den letzten Abend vor Helbings Abreise mit diesem zusammsnsatz, sagte er so nebenbei: „Lona Peter sen weint sich die Augen blind, um dich, Hans!" Da war Helbing aufgestanden und hatte das Zimmer verlassen und war erst nach einer halben Stunde wieder gekommen. Aber das Thema hatten sie nicht wieder berührt. „Haben Sie keine Nachricht von Herrn Helbing?" fragte der Kommerzienrat. „Doch!" sagte Karsten. „Er ist in St. Moritz und es geht ihm gut. Nach Neujahr will er bei Herder L Billmann emtreten." Er sah, wie Lonas Augen an seinen Lippen hingen, nahm Helbings letzten Brief aus der Brusttasche, entfaltete ihn und reichte ihn ihr. „Lesen Sie, Fräulein! Petersen, das ist Hans, wie in einem Spiegel." Lonasichte vergeblich das Zittern ihrer Hände zu meistern. Das gelbe, grobe Leinenpapier mit den steilen, festgefügten Buchstaben, kam ihr vor wie eine Reliquie. Während der Doktor sich mit ihrem Vater über Hen Ankauf eines neuen Reitpferdes unterhielt, las sie mit brennenden Augen: „Mein treuer Akter! Du frägst, wie es mir geht und ich mutz sagen, „gut", sonst kommst Du mit dem nächsten Postzug angerückt und siehst nach, was mir fehlt. — Mei es ist grätzlich hier! Dieses Nichtstun macht mich verrückt. Ich begreife die Menschen nicht, die sich hier wohl fühlen. Sie fahren Ski und Bobsleigh, sie rodeln, sie flirten und sind so seelenzufrieden und glücklich dabei und ich möchte am liebsten davonlaufen vor Langeweile. Arbeit mutz ich ha ben. In diesem Faulenzerleben ersticke ich. Uebrigens, warum hast Du mich nicht besser zusammen- geflikt, Rolf? Mit meiner Narbe lause ich hier herum, wie mit einem Kainszeichen. Du hast gesagt, die ganze Schönheit ist dahin, aber die Frauen scheinen hätzliche Manner zu bevorzugen. Wenn ich nur erst fort wäre! Am Sylvesterabend reise ich hier ab. Den Rummel mache ich nicht mehr mit. Äb 2. Januar bin ich bei Herder L Billmann. Ich hoffe dort Nachricht von dir vorzufinden. Lache nicht, — aber ich mutz gestehen, datz ich eine ganz krankhafte Sehnsucht nach St. Wylten habe. Eben kommt von unten herauf das Lied: meine einzige Liebe, mitten im Weltengetriebe — usw. Für mich bist es du, mein Alter. Ich habe sonst keine. Immer Dein Hans." Als Lona fertig gelesen hatte, wandte sie das Blatt und fing nochmal von vorne zu lesen an. Erst, als sie merkte, datz Karsten sie beobachtete, faltete sie, während eine flam mende Röte über ihr Gesicht zog, den Bogen zusammen und reichte ihm denselben mit verlegenem Danke. Er steckte ihn wieder in seine Brufttasche und sagte ruhig: Es ist gut, datz er einen solchen Drang nach Arbeit hat, Das ist mir nur lieb. Er hat in der letzten Zeit allzu viel gegrübelt. Das ist die beste Ablenkung!" In dem grotzen Gesellschaftssaal neben dem Speisezimmer stand der mächtige Christbaum, eine Weitztanne, von seltem schönen Wuchs. Ferdl hatte sie nach eifrigem Suchen ent- deckt »md in die Billa gebracht. Behrens steckte, als ihm Lona zunickte, die Lichter in Brand. Eine blendende Hells flutete durch den Raum. „Herr Doktor, ich habe eine kleine Weihnachtssteude für Sie," sagte Lona, „wollen Sie mit mir herüber kommen?" Er erhob sich sofort, Auf der langen Tafel mit dem weitzen Damast und den grünen Tannenzweigen dazwischen, lagen noch Lonas Geschenke, dieser gegenüber stand eine gretze Staffelei mit einem Bild in kunstvoll geschnitztem, breitem Goldrahmen. Es pmr ein Oelgemälde und stellte die Bank im Walde dar, mit dem Blick auf das Tal, da? im Abend frieden lag. Es war so naturgetreu und so wundervoll in seiner Farbenmischung, datz Karsten, in wortlosem Schauen stand und alles um sich oergatz. „Wollen Sie es von mir annehmen?" frug Lona bittend. „Betrachten Sie es als einen kleinen Beweis meiner Hoch- schätzung und meines Dankes", fuhr sie fort. ,Menn ich damals ihre Worte beherzigt hätte, wäre uns allen das furchtbare Leid der letzten Monate erspart geblieben und es stünde vielleicht anders um mich!" Er umschlotz ihre Rechte mit warmem Druck. '„Es irrt jeder einmal in seinem Leben, Fräulein Lona. Aber wir Menschen sind Rätselwesen. Wenn uns jemand auf die Wange schlägt, springen wir auf und stürzen uns auf den Täter und würgen ihn an der Kehle. Wenn wir selbst aber uns die schmerzvollsten Beulen und Wunden schlagen, die oft ein ganzes Leben nicht mehr vernarben, machen wir gar keine Miene, uns zu züchtigen. Wir leben nach wie vor ganz verträglich mit unserem lieben „Ich" weiter!" „Kommen Sie, lieber Doktor," sagte Petersen, zu ihm tretend, „wir trinlen noch ein Glas Sekt zusammen!" Karsten sah ihn abbittend an. „Darf ich Sie für meine Person um ein Elas Wein bitten. Herr Kommerzienrat? Sekt mutz ich dankend ablehnen." „Trinken Sie niemals welchen?" fragte Petersen erstaunt. „Nein! Ich habe einmal als ganz junger Assistenzarzt in folge eines Seltgelages einen sehr dringenden Besuch bei einein Patienten vergessen. Der Arme wurde durch mein Nichtkommen fast an den Rand des Grabes gebracht. Es ist glücklicherweise noch alles gut abgelaufen. Damals habe ich mir vorgenommen, keinen Tropfen Sekt mehr zu trinken. Ich möchte auch heute das Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe, nicht gerne brechen." Lona fühlte, wie tiefste Beschämung ihre Wangen färbte, Wie tief stand sie unter ihm! Heute würde sie nicht mehr, wie damals den Mut finden, ihn um seine Freundschaft zu bitten. Zu Neujahr traf bei Petersen ein Glückwunsch Helbings ein. Die wenigen Zeilen waren Herzlich und enthielten auch an Lona eine'Empfehlung, — korrekt, förmlich! Der Kom- merzienrat erwiderte sie ungesäumt. Dann schlichen die Tage, die Wochen, Lona glaubte, noch nie einen so trostlosen Winter verlebt zu haben. An den Sonntagen kam Pfarrer Schmitt. Er war regelmätzig East beim Mittagstisch, aber es kam nicht selten vor, datz er Petersen und Lona, sich schweigend gegenübersatzen. Schwei gend pflegten sie ihre Siesta. Keines störte die Gedanken gänge des anderen. Das Haar des Psarrherrn war schnee- weitz geworden, die Gestalt gebeugt, wie unter einer allzu schweren Last. Nur mit Mühe meisterte er Has Zittern seiner Finger. „So viel alt werde ich auf einmal", klagte er wehmütig, „Wenn der Mensch in die Siebzig kommt, latzt er halt aus!" „Früher hab' ich mir immer gewünscht, recht alt zu werden, je älter, desto besser", sagte Lona mit einem matten Lächeln. „Und jetzt, — Tust es jetzt nicht mehr wünschen, Kind'l?" fragte Schmitt. „Nein, Herr Pfarrer!" „Weisst halt nicht, wie das Sterb'n ist!" mahnte der Greis. „So lang man's Leben in der Hand hat, jeden: Tag, ist's einem nichts Rares. Aber, wenn dann s' Stünd'l kommt, und es heitzt, jetzt ist Schlutz, glaub' mkr's, sein letztes Hemd gäb' einer her, wenn er's verlängern könnte um einen Tag!" / „Sie haben recht, Herr Pfarrer", stimmte ihm Petersen bei. „Es ist gut, datz sich keiner das Leben erkaufen kann. Was würde das an Neid und Hatz und ohnmächtiger Wut geben, wenn der eine den Kaufpreis bezahlen könnte, und der andere sterben mützte, weil er ihn nicht begleichen kann." »Ja, ja," sagte Schmitt, ,,«s hat alles sein Gutes. Ist schon recht so, wie's ist, gelt Lona!" Sie sah ihn an und ein schwerer Atemzug entrang sich ihrer Brust. Und drautzen siel der Schnee! Lautlos schmiegte sich Flocke an Flocke, Die Blautannen im Park ifenkten sich