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Wilsdruffer Tageblatt I 2 Blatt Nr. 266. — Sonnabend, 13 November 1926 » Die Heide. Nebel auf Ler Herbstesheide, Die im armen braunen Kleide Einsam träumt von Winternot, Langem Leid und frühem Tod. Sturmwind schlingt um «sie den Arm. Bläst hinweg den Nsbelschwarm, Nennt sie Kind und flüstert: „Braut, Lieb, zum Weib mir angetraut, Braune wilde Heide!" Fort stürmt er, wie er gekommen, Auf der Heide ist entglommen Leuchten, dunkelrot wie Blut. Und in sel'gem Sinnen ruht . . Meine Herbstesheide. Mana Krujemryer. Selbstbesinnung - Einkehr. Ev. Matth. 9, 13: Ich bin gekommen -- die Sünder zur Buße zu rufen. Gerade in diesen Tagen haben wir gleichzeitig ge lesen voui dritten Attentat auf Mussolini, vom Eisenbahn attentat bei Leiferde und anderen schlimmen Dingen. Se verschieden die Taten, in einem sind sie alle gleich: sic zeigen uns, wie die Achtung vor dem Menschenleben ge schwunden ist. Und jedes Menschenleben ist doch von Gott gewollt. Freche Zerstörung solches Lebens ist Ein griff in Gottes Wollen und fordert Buße. Aber ist die Tat nun gesühnt mit der Strafe an den Tätern? Und ist's genug, wenn wir uns entrüsten? Ich denke, solche Vorgänge sollten auch uns allen ein Anlaß zur Selbst besinnung sein, ob wir nicht auch mit Schuld tragen, wenn so etwas geschieht. Wie — wir? Ja, wir. Bepnnen wir uns: ob die armen verrohten Mörder so leicht zu ihrer Tat gegangen wären, wenn sie nicht immer wieder überall die beschimpfenden Urteile, die Aufstache lungen zur Gewalttat gehört hätten, die wir ji alle fast täglich in den letzten Jahren auch vernommen haben und durch die jede Achtung vor dem Leben der anderen be seitigt werden mußte? Und ob die Mörder von Leiferde ihre Tat getan hätten, wenn ihnen nicht immer wieder ins Herz gehämmert wäre: jeder ist sich selbst der Nächste — sieh' zu, wo du bleibst — was gehen dich die anderen an? Wer von uns hat nicht, selbst am Familientisch vor Kinderohren, solche Gedanken bewußt oder unbedacht aus gesprochen? Und wer hat nicht durch lieblose Urteile über andere Menschen Attentate auf deren Ehre, d. h. auf ihr Wesen und Leben gemacht? Was aus solchen Samen körnern in den jungen Herzen aufwächst, das wissen wir nicht. Das aber wissen wir alle: wir haben Gift gesät und darum sind wir alle schuldig. Wir stehen vor dem Buß tag, vor dem Totenfest. Beide mahnen uns zur Selbst besinnung und zur Buße. Laßt uns einen Satz mit nehmen: Heilig ist das Leben! Das Leben der anderen, dein eigenes Leben, denn alles Leben ist von Gott. Buße tun, heißt umkehren. Laßt uns umkehren: nicht Leben schädigen, sondern Leben fördern! L. H. P. Lockerung der MelszwangMirtschast. Vorn 1. Dezember ab In Preußen. Durch die nunmehr veröffentlichte, mehrfach ange kündigte Verordnung des preußischen Ministeriums wird mit Geltung vom 1. Dezember die Zwangswirtschaft für gewerblich benutzte Räume, die nicht mit einer Wohnung verbunden sind, aufge hoben. Eine Kündigung ist jedoch frühestens zum 1. April 1927 zulässig. Auch sogenannte große Wohnungen unter liegen nicht mehr dem Wohnungsmangelgesetz und kön nen nunmehr frei vermietet werden. Für Wohnhäuser besteht noch die Beschränkung, daß sie nur mit Zustim mung der Gemeinde abgebrochen oder als Fabrik-, Lager-, Werkstätten-, Dienst- oder Geschäftsräume verwendet Da^äen ist pie Genehmigung zum Tausch durch die beteiligten Gemeindebehörden nicht mehr nötig. Auf Wohnungen mit einer Jahressriedensmiete von a) 3000 Mark und mehr in Berlin, b) 2400 Mark und mehr in den übrigen Orten der Sonderklasse, v) 1800 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse K, <l) 1300 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse 8, o) 800 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse 6, k) 500 Mark und mehr in den Orten der Ortsklasse v finden dis Vorschriften des Wohnungsmangelgesetzes mit Aus ¬ nahme der Zs 2 und 8 keine Anwendung; jedoch ist im Falle des Z 8 die Genehmigung der beteiligten Gemeinde behörden nicht erforderlich. i polMlcb» MnaiÄsu l Veutsihes Z?eiä> Der Vsntsch schweizerische Handelsvertrag. Im Reichstagsausschuß für Handelsverträge wurvr der deutsch-schweizerische Handelsvertrag mit 14 gegen 11 Stimmen angenommen. Dagegen stimmten die Völ kischen, die Deutfchnationalsn, die Bayerische Vereini gung, die Bayerische Volkspartei und die Kommunisten, während die Sozialdemokraten mit den Regierungspar teien für die Annahme des Vertrages stimmten. Von mehreren Rednern wurde auf die schwere Schädigung der deutschen Landwirtschaft und auch der Baumwoll-, Uhren- und Schokoladenindustrie durch den Vertrag hin gewiesen. Deutsche Protestnote gegen polnische Spionage. Die in dem sogenannten Kattowitzer „Hochverrats prozeß" gegen Mitglieder des Deutschen Volksbundes in öffentlicher Hauptverhandlung gemachten Aussagen von Offizieren des polnischen Spionagedienstes, wonach sic sich mit Hilfe verführter Angestellter aus dem Archiv des deutschen Generalkonsulats monatelang za hl reiche Schriftstücke an geeignet haben, haben der deut schen Regierung Veranlassung gegeben, in einer au di« polnische Regierung gerichteten Note schärfsten Pro- test hiergegen zu erheben. Die polnischen Behörden haben dieses Versahren nicht nur geduldet, sondern offen bar gefördert, was eine gröbliche Verletzung des internationalen Brauchs darstellt. Aushebung der Immunität von zwei Abgeordneten. Der Gesetzgebungsausschnß des Thüringischen Land tages gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Auf Hebung der Immunität der Abgeordnete» Fische: Bsrnapd Shaw, der bekannte englische Schriftsteller, erhielt den jetzt erst zur Verteilung gelangenden vorjährigen Nobelpreis für Literatur. Er wurde von englischen Journalisten mit der Frage bestürmt, für welches Werk er den Nobelpreis habe. Seine Antwort war bündig: „Ich hab« 1925 gar niäns geicyrieben — dafür habe ich den Lite raturpreis für 1925 erhalten." Bernard Shaw ist seit Jahren als der würdigste Kandidat genannt worden, aber stets hieß es, daß seine Werke nicht die wesentlichen Be dingungen des Nobelschen Testaments einer „idealistischer Grundtendenz und Grundeinstellung" erfüllten. (Komm.) und Dr. Dinter (Natsoz.) statt. Die Ange klage gegen Fischer stützt sich auf Beleidigung des Reichs Präsidenten, die des Abg. Dinter auf den bekannten, am Schluß der vorigen Lantagsperiode erfolgten tätlicher Zusammenstoß mit den, sozialdemokratischen Abg. Dr. Kietz im Landtagsgebäude. Nordamerika. Coolidge über Krieg, Friede» und Abrüstung. Bei de, Einweihung eines Denkmals zur Erinnerung an die Toten im Weltkrieg hielt Präsident Coolidge in Kansas City eine Rede, in der er für den Frieden, aber auch für die Tilgung der europäischen Kriegsschulden eintrat. Das amerikanische Volk müsse den Geist der Ver söhnung pflegen und sich die bitteren Erfahrungen Euro pas zur Lehre dienen lassen. Im Falle eines neuen Krieges würde Amerika eine allgemeine Konskription nicht nur der Menschen, sondern auch der Vermögen einführen. Amerika sei bereit, zur Einschränkung des Wettrüste n s besonders auf dem Gebiet der Marine angemessene Opfer zu bringen. — Aus Zn- und Ausland Berlin. Es ist beabsichtigt, den Botschaftsrat Dr. Dieck hoff von der Botschaft in Washington sür den als Unter generalsekretär zum Völkerbund übertretenden Botschaftsrai Gesandten Dusour-Feronce nach London zu versetzen. An seme Stelle wird der bisherige Pressechef, Ministerialdirektor Dr. Kiep, treten. Berlin. Die Berliner Funkstunde hat an den Reichstag ein Gesuch gerichtet, die R c i ch s t a g s v e r h a n d l u n g e n auf die Rundfunksender zu übertragen und zu ver breiten. Das Gesuch soll wenig Aussicht aus Verwirk lichung haben. , Paris. Wie „New Uvrk Herald" aus Washington be richtet, hat das amerikanische Staatsdepartement an den Präsi denten Calles eine Note gerichtet wegen des mexikanischen Gesetzes über die Ölvorkommen. Diese Nole komme praktisch einem Ultimatum gleich und stelle die sofortige Zurücknahme der Anerkennung der mexikanischen Regierung durch Amerika in Aussicht, falls Präsident Calles nicht Schritte zur Revision der betreffenden gesetzlichen Maßnahmen unter nehme. Rom. In allen Städten Italiens wurden sämtliche antifaschistischen Parteien und Verbände aus Grun), des neuen Gesetzes zum Schutze des Staates aufgelöst. Managua. Der Kongreß von Nikaragua wählte in außer ordentlicher Sitzung Adolfo Diaz, der bereits von 1911 bis 1917 Präsident war, als Nachfolger des kürzlich zurückgetretenen Präsidenten, Generals Chamorro, zum Präsidenten. s Neues «u» sller wett 1 Tödlicher Autonnfall eines Arztes. Der Arzt Dr.i Karker aus Gützkow stieß an der Einmündung des Weges^ Gützkow—Jarmen auf feinem Motorrad mit einem Auto zusammen. Das Rad wurde zerstört und der 40 Jahre alte Arzt so schwer verletzt, daß er schon auf dem Trans port ins Greifswalder Krankenhaus starb. Verbrecherische Kindesentführung. In Hinden burg wurden zwei sechs Jahre alte Kinder aus einem Hofraum von zwei fremden Mädchen entführt und bis an die polnische Grenze bei Zaborze gebracht. Die beiden Kinder wurden ihrer Kleider, der Unterwäsche sowie der Ohrringe beraubt. Dis Täterinnen sind etwa vierzehn Jahre alt; sie konnten bis zur Stunde noch nicht gefaßt werden. Zwei Opfer eines Explosionsunglücks. In Palen- berg war abends bei Kanalisationsarbeiten ein Schweiß apparat auf der Straße stehengeblieben. Zwei 15jährige junge Leute, die in der Dunkelheit an den Apparat stießen, zündeten ein Streichholz an, wobei der Apparat sich ent zündete. Durch die entstandene Explosion wurden die beiden jungen Leute gräßlich verstümmelt und sofort getötet. Goldfunde in Karlsbad. Wie aus Karlsbad gemeldet wird, wurden in Petschau bei Karlsbad auf den Grund stücken des sogenannten Leistnerhofes Goldvorkommen ge funden. Die Erzadern sollen sehr leicht liegen. Bereits vorgenommene Analysen haben einen ungewöhnlich hohen Gold- und Silbergehalt ergeben " Eine folgenschwere Theaterdemonstration. .Anläss lich der Erstaufführung von Alban Bergs Oper „Wozzek" im tschechischen Nationaltheater in P r a g kam es zu leb haften Demonstrationen des Publikums Infolge der all- 43. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) XV. immer dringlicher wer- eim Alle möglichen Gedanken wälzten sich durch ihren Kopf, während sie für das Abendessen sorgte. Sie kochte für die alte Dame ein weiches Ei und wiegte etwas Schmken, den sie gleich auf das Butterbrot legte. „So, Tantchen, jetzt ist's höchste Zeit, daß wir essen! Wir wollen es doch auch nicht schlechter haben als der Herr Doktor!" meinte sie heiter; doch ihre Heiterkeit war nicht echt; denn die Sorge um die mütterliche Freundin fraß ihr am Herzen; deren Aussehen gefiel ihr beim Schein der Lampe nicht weniger als vorher. Nach einigen Bissen legte die Rätin die Gabel wieder hin — „ich habe keinen rechten Appetit, Elisabeth! Ob die Puffer heul' mittag nicht doch zu schwer waren?" Etwas erleichtert griff Elisabeth diesen Gedanken auf. Sicher war es das gewesen, und nun war die Folge eine Wie oft war sie schon an das Fenster geeilt, wie oft an die Vorsaaltür — und nun hatte es längst sieben geschlagen, und Werner war noch nicht gekommen! Vielleicht hatte er es doch nicht für nötig gehalten, da er die Mutter am Mittag noch so wohl und frisch gesehen. Aber es sah ihm eigentlich wenig ähnlich, einem Rufe nicht Folge zu leisten, Wonders wenn es der Mutter galt! Oder sollte er sich aus seinen Krankenbesuchen so aufgehalten haben daß er trotz der Einladung des Fürsten noch immer nicht daheim „Wäre Werner nur erst da!" Das war Elisabeths ständiger, dender Wunsch; eine unbestimmte Angst erfüllte sie, und sie wagte kaum m das Gesicht der alten Dame, die auf dem Sofa lag, zu blicken, weil es ihr so seltsam verändert schien. Oder lag dies nur an dem Zwielicht? SW? kleine Magenverstimmung — da war Fasten das beste Heil mittel! Doch hielt diese Beruhigung nicht lange vor; je mehr der Abend vorrückte, desto sorgenvoller wurde ihr Gemüt. Werner hätte dennoch kommen sollen — — er hätte denken können, daß sie ihn nicht aus Laune herbei rief! „Weißt du, Tantchen, es ist am besten, du gehst jetzt schlafen — es ist schon halb zehn! Du hättest längst im Bett sein können!" bestimmte sie, und gehorsam erhob sich die Rätin. , Schwerfällig machte sie einige Schritte; plötzlich wankte sie __ mir wird — mit einem Male — so schlecht —" Elisabeth sprang herzu und hielt eine Bewußtlose im A^Meiir Gott, mein Gott!" flüsterte sie vor sich hin, indem sie die alte Dame nach dem großen Ohrenstuhl neben dem Ofen schleppte. Dann lief sie schnell hinaus, um das Mäd chen zu rufen: Lina war gerade im Begriff zu Bett zu gehen. „Lina telephonieren Sie schnell an Herrn Doktor: Frau Nat ist ohnmächtig geworden " Voller Angst eilte das Mädchen nach dem Kaufmann. Eine Ewigkeit schien es Elisabeth, bis sie zurück war. es dauerte solange — der Kaufmann hatte doch schon das Haus geschlossen —! Mit der Köchin hat er dann gesprochen — das Stubenmädchen war noch im Kino die Köchin war gerade wiedergekommen — — sie sagte Herr Doktor sei doch gleich nach sechs mit der Frau Doktor nach Amersdorf im Auto gefahren, und gesagt hätten die Herrschaften weiter nichts —" Elisabeth konnte die Nichtbeachtung ihres Wunsches durch Werner nicht erklären — oder Ulla hatte doch ver gessen, ihn davon in Kenntnis zu setzen in der Aufregung und Freude über die bevorstehende Festlichkeit — — — wohl gar mit Absicht plötzlich kam ihr dieser Gedanke; es war Ullas Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht wohl zu zutrauen! Vielleicht hatte sie befürchtet, Werner könne noch in letzter Stunde in seiner Besorgnis um die Mutter dem Fest fernbleiben und sie war nicht veranlagt, aus Rücksicht auf andere einem Vergnügen zu entsagen! — Gewiß! So war es! Plötzlich stand diese Erkenntnis unverrückbar fest vor Elisabeth, sie mit tiefem Groll gegen die gewissenlose Frau erfüllend. Gebe Gott, daß der Zustand Werners Mutter sich nicht verschlimmerte — denn sonst — — beinahe schuldbewußt fühlte sie sich Werner gegenüber! Mit Hilfe des Dienstmädchens brachte sie die alte Dame, dis wieder zu sich gekommen, ins Bett. „Lina!" sagte sie dann leise, „da Herr Doktor nicht zu erreichen ist, muffen wir unbedingt einen anderen Arzt holen " Lina nickte, immer nach der Kranken blickend — „Fräu lein Schwarz, sehen Sie nur, wie schief mit einem Male das Gesicht der Frau Rat geworden ist " bemerkte sie da verwundert. Tödlich erschreckt wandte sich Elisabeth um das Herz krampfte sich ihr zusammen ein Schlaganfall! „Werner!" stammelte mühsam der verzogene Mund: Elisabeth glaubte es wenigstens so zu verstehen. Sie neigte sich über die alte Dame, deren Hand fassend, die aber ihren Druck nicht erwiderte — wie ein Stück Holz lag sic auf dem Deckbett. „Werner soll kommen — das meinst du doch?" Die Kranke nickte; mühsam suchte sie nach Worten; doch nur ein unverständliches Lallen entrang sich ihren Lip pen. Elisabeth sah, wie sie sich quälte. Lina Frau Rat hat einen Schlaganfall. Bitten Sie Herrn Oberlehrer, daß er einen Arzt holt und nach Amers dorf telephoniert; wir sind ihm heute ja auch gefällig ge wesen —" Elisabeth war außer sich; die Äugen standen ihr voller Tränen; sie bebte am ganzen Leibe. Doch sie mußte ja stark sein für das, was sie kommen sah. Welche Vorwürfe würde sich Werner machen — sich und vielleicht auch ihr — daß er in dieser Stunde nicht bei der geliebten Mutter war! Und sie war doch schuldlos! Alle möglichen Erleichterungen juchte sie der Erkrankten zu verschaffen. Sie sprach auf sie ein; sie wurde auch ver standen; aber Antwort konnte sie nicht mehr bekommen! (Fortsetzung folgt.)