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Wilsdruffer Tageblatt : 03.11.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192611038
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19261103
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19261103
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-11
- Tag 1926-11-03
-
Monat
1926-11
-
Jahr
1926
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 03.11.1926
- Autor
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heimischen 6ercl iK s " z UnIrrvsttungsdeNsge rum „lvUsamNer cZgeblstt" — Kmtsdistt. z v « » » » -I !! Lik AMMz. Skizze von Harry Wien. Als Dagny Gräfin Benz oder vielmehr Dagny Wilt, wie sie mit ihrem Bühnennamen hieß, in ihrem Sportkostüm durch die Hotelhalle ging, sahen ihr alle Gäste nach. Sie achtete dieser Blicke nicht und ging ruhig geradeaus. Sie war das Anstarren und das Flüstern hinter ihrem Rücken zu sehr gewohnt, um anderes als Gleichgültigkeit gegen die Sensa tion zu haben, die sie mit ihrem Erscheinen in diesem Berghotel erregt hatte. Dagny trat aus dem Haus und schloß ein wenig die Augen, denn die grelle Sonne blendete stark Tann gewöhnte sie sich an das brennende Licht und ging weiter Die Berge, denen sie zustrebte, waren in nicht zu weiter Entsernung sichtbar. Ihre Häupter schienen den Himmel zu berühren Um ihre Stirnen floß der blaue Glanz, den nur das Firmament ausstrahlt Die Schauspielerin allein und ohne Führer, obwohl sie eine höchst mittelmäßige Touristin und noch mittelmäßigere Berg steigerin war. Sie freute sich mit jedem Schritt mit dem sie den Bergen näher kam. Heute wollte sie den reinen Dust der Berge noch einatmen mit vollen Lungen, wollte das Schweigen genie ßen und die Weite und ihn über sich gespannt sehen, den unge heuren Himmel der Einsamkeit. Morgen mußte sie die Kösser packen und sich zur Bahnfahrt rüsten. Die Saison in Berlin begann. Die ersten Proben der Uraufführung, in der sie die Hauptrolle darzustellen hatte, waren angesetzt. In der nächsten Woche schon atmete sie Kulissenlust statt Alpendust, hörte um sich Mimengeschwätz statt den Atem der Stille. Mehrere Stun den war sie im Gebirge umhergestiegen, als Unerwartetes geschah. Sie glitt aus, stürzte und glaubte sich im Sturz, noch selt sam kühl und klar im schwindenden Bewußtsein, zerschmettert am Grunde liegen zu sehen. Aber es kam anders. Sie mußte im Fallen an einen tiefer gelegenen Felsvor sprung geraten sein, denn ihre Hände schlugen an Gestein. Sie hielt sich fest, sie suchte tastend einen Stützpunkt mit den Füßen, sie stand; sie fühlte Felswand im Rücken, und als sie die Augen zu öffnen wagte, sah sie, sie stand aus einem Fels- klippchen, zu schmal, als daß zwei Menschen darauf Platz gesun- den hätten. Gerettet war sie, solange sie zu stehen und sich ' rückwärts anzuklammern vermochte, schwankte sie aber nur um ein Weniges vornüber, so fiel sie dem Tod an die Brust, der drunten mit ausgebreiteten Armen auf sie lauerte. Die Nacht kam, und die Finsternis stand um sie wie eine Mauer. Kalt wehte es sie an aus der Tiefe und aus der Höhe. Das Grauen wuchs. Sie fühlte die Todeskälte der eigenen Lippen, wenn sie sie stöhnend auseinanderpreßte. Es wurde ihr schwer, den Kops zu wenden und emporzuheben; wenn es ihr mühsam gelang, sah sie in der schwarzen Unendlichkeit des Nachthimmels die Ala basterampel des weißen Mondes. Es war die erste Nacht ihre» Lebens, die sie wachend ver brachte. Sie glaubte, die Minuten wie Sand ins Stundenglas trop fen zu hören, langsam — ach, so tödlich langsam, indessen sie hier stand, ein hilfloses Etwas, ein schmales Felsklippchen als un sicheren Grund unter den Füßen! Gab es etwas Erbarmungs würdigeres, Elenderes auf der Welt als ein Wesen, hilflos zwischen Himmel und Erde gestellt, angefallen von den Wölfen der Nacht und der Einsamkeit? Ihre Lippen murmelten. Was waren es für Worte, die sich über ihre Lippen dräng ten? Eine Rolle? Arbeitete der exakte Mechanismus ihres Hirns, der zu ihrem Beruf nötig war, ungewollt in diesen Schauern, die jede menschliche Kreatur zum Verstummen ge bracht hätte? Ach nein — es waren keine Verse! Es waren Worte eines alten Kindergebets, vor Zeiten allabendlich unverstanden gestam melt vorm Zubettgehen, wenn die Hände der Mutter ihre Kin derhände umschlossen. Es war ein Gestammel zu Gott aus angstdurchkrampftem Herzen! Es war ihr, als durchströme sie neue Kraft, als schlösse sich hinter ihr der stützende Fels schützender um sie, da sie mit Gott sprach, da sie begann, zu ihm einen Weg zu finden, zu dem sie im Wirbel ihres Lebens nicht gesprochen. Der Tag kam. Die Morgenröte entrollte ihre Purpurfahnen, und aste Berg gipfel glülNen im rosigen Licht. Das Haupt zurückgebeugt, die Hände verkrampft an stei nigen Felszacken, wartet eine Frau den ganzen Tag auf den hygroskopische Psionzen. Von Kurt Bibi. Auf trocken« Wiesen wuchern oft in großer Menge bräun lich gefärbt schlicke Schäfte, die als Krönung eine Art Walzen bürste tragen, »ei genauer Betrachtung sind in dieser Aehre eine bed«ut"we «uzahl von Schildchen zu erkennen, an deren Unterseiten sich e sechs Staubsäckchen besinden. Der Unbewan- derie glaubt natürlich eine Blüte zu schauen, ist jedoch mit seiner Ansicht stark im Irrtum. Wir haben es hier mit dem Sporen- trager de« Ackcrichachtelhalmes zu tun. Diese Pflanze ist der letzte Sproß jener Schachtelbäume, die in Urzeiten als riesige Wälder die Erde bedeckten und dann durch gewaltige Katastro phen untergingen. Nach Verlaus von vielen Millionen Jahren sördert h-ute der Bergmann die zu Steinkohle gepreßten Baum stämme wieder zu Tage. Der Sporenträger des Schachtelhalmes gibt dem Naturfreund viel zu denken. Klopft man den Staub einer solchen Aehre in die hohle Hand aus, und haucht man daraus, so rieselt es wie eine sanfte Bewegung durch die Sporen. Den merkwürdigen Vorgang erklärt uns das Mikroskop Da entpuppt sich jedes Sporenstäubchen als grüner Miniaturball mit vier Bändern. Wirkt nun die feuchte Atemluft auf die zierlichen Gebilde ein, so rollen sich im Nu die Bänder um die Kugel, und erst nach einem Weilchen breiten sie sich wieder aus. Das inter essante Spiel läßt sich beliebig oft wiederholen und beweist uns, daß sich die Bänder der Schachtelhalmsporen unter dem Einfluß der Feuchtigkeit zusammenwickeln. Welcher Zweck mag dieser hygroskopischen Fähigkeil zugrunde liegen? Die Sporen ent stehen, wie schon erwähnt, in den winzigen Beutetn der bräun lichen Walzen. Sins sie nun an einem warmen Tage zur Reife gelangt, jo rollen sich die Bänder infolge der Trockenheit aus einander. Es entsteht in der Kammer ein ungeheurer Druck. Plötzlich platzt das Häutchen, die grünen Bälle »erden weit hinausgeschl-udert, die Bänder wirken als Flugflächen, und aus die'e Weise schweben die Sporen große Strecken durch die Luft, bi, sie irgendwo niederfallen und sich zu Vorkeimen ent wickeln. Die hygroskopische Fähigkeit der kleinen Gebilde dient also nur dem Zwecke, bei trockener Witterung eine möglichst weite Verbreitung der Sporen zu ermöglichen An Waldlichtungen leuchten in diesen Wochen die roten Sterne des Storchschnabels. Betrachtet man sich den Frucht stand der Pslanze näher, so zeigt sich eine sinnreiche Einrichtung, die für die Samenverbreitung bestimmt ist. Aus dem Kelche heraus wächst eine Anzahl Grannen zu einer festen Mittelsäule zusammen. Bei der Fruchtreife rollen sich die Grannen mit einem Ruck nach oben, die am Blütengrund befindlichen Samen kapseln werden mit hochgerissen und schleudern die Körnchen meterweit hinweg. Aus ähnliche Art verbreitet sich auch der Reiherschnabel. Es besteh! bei dieser Pslanze nur der Unler- Retter. Und als wieder die Nacht kam und wieder die Ampel des Alandes zu glänzen begann, wollte entmutigt ihr Haupt niedersinken Eine Sehnsucht überkam sie, die Arme auszu- breiten, sich loszulassen und in die Tiefe zu sinken, wo der Tod aus sie lauerte. Aber von den Himmeln schien eine Stimme zu klingen — Gottes Stimme. Und Gottes Stimme wurde so vernehmbar in ihrem Herzen in der Slille der Nacht Und Goll hielt Zwiesprache mit seinem armen, duldenden Kinde, dem Tränen rannen über die erblaßten Wangen Und als es am nächsten Morgen den Rettern gelang, nach stundenlangem Bemühen die endlich Gesundens emporzuseilen, sahen sie, daß die Locken der Frau, die noch vor zwei Tagen braunrot geglänzt, grau geworden. — — — Dagny Witt erschien nicht zu den Proben im Theater. Dagny Witt, Gräfin Benz, kreierte nicht die Hauptrolle am Uraufführungsabend. Statt einer Kritik über sie ivar in den Zeitungen zu lesen, daß unbegreislicherweise diese berühmte Künstlerin aus der Höhe ihrer Bühnenlaufbahn entsagt und einem Nonnenorden beigetreten sei, um jeden Tag ihres Lebens Gott dienen zu können. schied, daß sich die Körnchen nicht von den Grannen lösen, son dern daß der Samen mit der Granne fortqcschleudert >mrm Das elastische Gebilde antwortet außerordentlich empfmdnck auf die Luftfeuchtigkeit. Wenn es regnet, dann l'm E Grannenspitze in das Erdreich, die korkzieherarilgen Mndungen verengern sich immer mehr und üben einen nar»"i ^rum aus das Samenkörnchen aus. dessen Spitze nun aumayuq ,y den ausgeweichten Boden eindringt. So sorgt der ^Gerschnabel dafür, daß sein Samen in den Schoß der Cioe versenkt wird. Man kannte die Eigenschaft der Gönnen schon lange und be nutzte sie srüher zur Herstellung von einfachen Barometern. Selbstverständlich gaben diese Westeranzeiger nicht etwa die Höhe des Lustdrucks, sondern nur in grobem Ausmaße den Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre an. Jas ösielzeug. Skizze von Edwin Huber-Rösle. Der Besuch, den ich heute zu machen habe, verlang! non mir Haltung und Würde. Er ist ein Ereignis, gilt er doch I einem mir völlig fremden Herrn von hohem Stand und mit berühmtem Namen. Da seine Anschauungen in der Vergangen heit wurzeln, habe ich nickt versäumt, auch dieser Mentalität gebührende Achtung zu schenken, und habe meine äußere Figur in die wohlgeziemliche Geheimratsgewandung gesteckt und durch meinen Zylinder das nötige Pyramidengefüh! erzeugt. Ich muß mir selbst gestehen, daß die Zelsbrität der Persön lichkeit mir eine gewisse Erwartung gegeben hat, so daß ich schon mit einem großen Nemgkeitsprickel aus sein Haus zugehe. Es ist ein schöner Bau. Es steht ihm ein herrischer Stolz im Gesichte. Das bedrückt mich etwas — die Erwartung wird in eine kleine Unruhe verwandelt, als ich die breite Treppe zu seiner Wohnung emporsteige. Der dort wohnt, den ich besuchen will, gehört einer anderen Ideenwelt an, er ist für mich ein Zeitgenosse, sonst haben wir nichts gemeinsam, weder nach Stand, Anschauungen und Erlebnissen. Wir könnten uns wohl als Feinde gegenubertreten, wenn es sein müßte. Und doch haben wir beide eine Reihe von Bedingungen des gesellschaft lichen Lebens, des Bildungsganges und des Staatsdienstes er füllt. Die vollkommene Fremdheit der lebenden Person gegen über der Allbekanntheit ihres Namens ist es, die alle diese Ge danken in mir ausleben und wie zu wägende Ware in mir aus balancieren läßt, so daß ein selbstguälerischcs Gefühl entsteht, das seine Aufforderung, ihn zu besuchen, schließlich nur wie eine Einladung zu gefälliger Selbstkopfabnahme aussieht; Ein lächer licher Einfall — und doch muß ich ihn denken, mutz mir ein bilden, ich müßte mich meines eigenen Ichs entkleiden. Tolles Gedankengaukeln — denn natürlicherweise wird sich alles im gewöhnlichen Besuchsstil abwickeln. Meine Seele sträubt sich gegen die Bekanntschaft, das ist die Tatsache. Ich erkenne sie und kann ihr nicht Rechnung tragen: »ch wurde gerusen und bin gekommen. Eine breite und starke Türe trennt mich nur mehr von den Insassen der Wohnung. Sie sind Geschöpfe einer steif-vor nehmen, Kühlen Kultur, Züchtungen mit aller Schönheit und allen Empfindlichkeiten ihrer Welt, die ich genau kenne aus Dutzend anderen Häusern, die ich nicht liebe, und in der ich mich trotzdem schon wohl gefühlt habe. Heute aber hat mich der fast starre Glaube an die Fremdheit dieser Existenzen und die sichere Erwartung vollkommener Beziehungslosigkeit hart beklommen gemacht. Wie ich den Finger an den elektrischen Elockenknopf lege, fürchte ich schon den hellzittrigen Klang, der durch die Räume fahren und schmerzhaft die Ohren des frcmden Mannes wie meine eigenen reitzen wird und so die erste Fühlung zwischen uns beiden herstellt. Eine augenblickliche Grausamkeit läßt mich eine Sekunde länger, als sonst meine Gewohnheit ist, den Drücker beherrschen. Die Erregung schwillt zur fiebrioen Span nung. Tritte. Diese schleichenden Tritte gutaezogener Dienst boten. Immer sind es dieselben gedämpften Schnste die ich ei« Leben lang kenne und in diesem Augenblick hasse und fürchte. Denn da ich sie höre, weiß ich, daß im nächsten Augenblick die Miß 3eNon. Skizze von Emil Bergmann. Miß Dorothy Jefson fuhr in Begleitung von Missis Harrison auf der „Cleopatra" nach Bombay. Mistis Harrison, jung, gute Gestalt, angenehmer Durchschnittsmensch Aber Mib Feston, oh, Miß Jefson! Apart vom goldblonden Scheitel bis zum nied lichen Füßchen, lieblich wie eine Lotosblüte. . , , Wir halten sonst keine Passagiere erster Klasse, und so kon zentrierte sich das gesellschaftliche Leben um Miß Jefson Der alte Kapitän legte in ihrer Gegenwart seine offizielle Grandezza ab und spielte den Protektionsonkel der erste Ofsizier ritt ihr bei jeder Gelegenheit seine ganze Seemannsschneid vor, und auch die Subalternen von der Kommandobrücke hockten während der dienstfreien Zeit vor ihrem Liegestuhl. Seit zwei Tagen lag Suez hinter der Schraube, und wir schwammen im Roten Meer Eines Abends saßen wir vor dem Speisesalon, Miß Jefson hatte den Tee serviert, alles war ruhig. Am Himmel kein Mond aber der ganze prächtige Steinenstaat des Südens leuchtete uns aus den Weg und wob goldene Zauber fäden um unseren kleinen Kreis. Da erhob sich Miß Jefson, ging in den Salon zum Flügel und sang, sich selbst begleitend. Schumanns Nachilied. Das^leise Rauschen des Meeres umfaßte mit schwermutooller Monotonie die herzgreifenden Töne und schwebte über uns wie ein Hauch von Märchenland Das Lied verklang, das Mädchen trat an unseren Tisch. Da löste sich plötzlich aus dem Dunkel ein Schatten, ein Perser, der in Port Said an Bord gekommen war, sprang vor. wars sich oor dem Mädchen nieder, erfaßte den Saum ihres Kleides und schluchzte krampsoerzerrt in Wonne und Leid. Miß Iesson hob ihn aus; ihre Hand umfaßte leicht seinen Arm, während er mit brennendem Blick ihre Schönheit trank. Verwirrt senkte sie die Lider, doch van der Kraft seines Empfindens fasziniert, schaute sie gleich wieder zu ihm auf. Schranke fallen wird, die mich noch von der fremden Behausung trennt, die mir nichts bedeutet und sie mir nichts geben wird an wertvollem Erlebnis. Vielleicht, daß irgendeine Geschmack losigkeit oder Stilwidrigkeil in Einrichtung und Beneymen mich ärgern mag, eine Lächerlichkeit meinen inneren Spott reizt. So spazieren meine Gedanken schon hinter die Tür. Jetzt stehe ich im Gange. Eine angenehme Lichtdämpfung liegt wie Schlaf in dem Raume und wirkt friedvoll und ruhsam. Iahrhunderthauch weht mich an von kostbaren Barockschränken. Betonte Sauberkeit und strenge Vornehmheit, Raumwürde zur Stilerhabenheit gesteigert. Mein Auge freut sich, mein Herz aber bleibt unberührt und verzagt. Es kann nichts mehr hoffen, es wird von der Fremdheit verletzt werden. Da streif! mein Blick in ein Eck. Einen Moment bin ich gebannt und lächle und bin erlöst von aller Bedrückung und Qual! Dort steht zwischen einer alten Barockkommode und einer wundervollen Standuhr ein Spielzeug, ein Asse auf dem Fahr rad! Er wirkt verblüffend und grotesk in der stillen, alten Welt und doch so wohltuend. Verlassen und vergessen sitzt er dort, sein blinzelndes Auge blickt den manifestierten Iahrhun- derten ringsum wie ein Philosoph ins Angesicht. Seine welten ferne Einzelheit leuchtet wie ein Meteor in dem Raume. Ich juble und freue mich mit meiner ganzen Seele! Alle Bedrückung ist verschwunden, alle Spannung gelöst, und ich habe keine Er wartung mehr zu fürchten, denn ich bin nicht mehr fremd. Ich werde dem fremden Herrn frei gegenüber treten, und wir wer den uns sicher gut verstehen. Hier leben Kinder, ihr Geist hat mich gestreift, hat meine Seele gefunden und ihr die Pforten geöffnet zu den Bewohnern des Hauses. Während die Kleinen in ihre Stube verbannt sind, habe ich ihren Affen gesehen und ihren Triumph erlebt. Kein Mahn wort und kein Gebot vermag ihre Selbstherrlichkeit zu er schüttern! Und während ich Mantel und Hut ablege, wandert mein Blick immer wieder zu dem Assen und im Geiste zu den kleinen Westbeglückern, denen ich herzlich Dank spende für de« beseligenden Anblick. Das Mädchen, das mich bedient, ist meinem Auge gefolgt und hat das Spielzeug entdeckt. Sie empfindet es als Hohn. Sie wird verlegen. Sie wird im nächsten Augenblick sich auf den guten Affen stürzen — Ich glaube, ich könnte sie dafür erwürgen. Doch sie muß mich zur Stube des Herrn geleiten, so will sie wenigstens die Schmach entschuldigen. zAch die Kinder keine Ordnung", sagt sie nur, aber ihre Miene frißt alles — den Affen und die Kinder. Ich aber lächle und tröste. „Lassen Sie es ruhig so, der Affe ist das schönste im ganzen Gang." Dann trete ich fröhlich über die Schwelle zu dein berühmten Maune, schüttle ihm herzlich die Hand und kenne ihn wie einen guten Freund. Was ist Zöealismus? Bon Alfred Biese- Frankfurt a. M. Idealismus ist der Glaube an Ideen. Ideen sind Mächte des Gedankens, sind geistige Kräfte. Rian kann sie nicht mit Händen greifen, nicht mit Augen sehen. Es ist mit allem Gei stigen so: du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher es kommt und wohin es fährt. Das Geistige ist der Gegensatz zu dem Stofflichen, Sinn lichen, Nützlichen. Der Idealismus fragt nicht nach Schaden oder Gefahr, nach Tod noch Teufel, er will nur das eine: das. Wahre, das zugleich gut und schön ist. Der Idealismus kann nicht leben ohne Glauben an das Ewig-Dauernde, ohne Hoff nung aus die Zukunft, ohne Liebe zu Gott, Natur, Kunst und zu einem Menschentum, das in des eigenen Volkes Vollendung, seine Gipselung finden soll. Idealismus ist Stolz und Demut zugleich. Stolz auf die Gaben und Aufgaben, die dem Volke von der Vorsehung ver liehen wurden, Stolz auf eine Geschichte geistigen und sittlichen, kriegerischen und wirtschaftlichen Heldentums. D-m»« »or der Größe oes Wallens und der Höhe der Ziele. Idealismus ist 's! Mut, ist Zuversicht, ist Gottesgewißheit. In Gotiesgewitzheit aber wurzelt alles, ivas das Menschen herz test und sicher und stark macht. Idealismus ist der Flug zn ven ewigen Sternen am Himmel eines geistgenährten und gcisigernyieten Lebens. Idealismus ist Weltüberwindung, ist Sieg im Reich des Ewigen. „Vou8 tzkes Inon visu!" flüsterte er, verbeugte sich bis an die Erde und schlich davon. Am nächsten Abend ging ich mit Miß Iesson über das Achterdeck. Der Perser satz dort aus seinem Teppichlager Ko»w hatte er uns erblickt, erhob er sich, bot uns seinen Gr-d und bat meine Begleiterin um ein Lied. Miß Iesson lächelte ihr mildes Lächeln, stellte sich an die Reeling un° fang. Ein nor mannisches Liedchen vom Schäfer und semer Schäferin, lieblich und schlickt, aber seelenvoll und ergreifend. Der Perser starrte sie an wie ein Trunkener, wahrend sein ganzer Körper wie im Fieberschauer bebte. Nachdem der Sang beendet war, dankte der Arme mit einer tiesen Verbeugung, und Miß Iesson ging. Carachee war passiert, am nächsten Tag sollte aus der Reede von Bombay der Anker fallen. Miß Iesson hatte wieder bei dem Perser gesungen und kam dann zu uns aus die Kommando brücke. Es lag wie Wehmut in der Luft, denn bald mußte man scheiden, und das faßte uns allen derb ans Herz, da wir in den Tagen der Einsamkeit einander näher gekommen und gute Freunde geworden waren. Der ansangs der Reise geübte Flirt der Offiziere war einer herzlichen Gemütlichkeit gewichen, sie umgaben das reizende Mädchen mit rührender Sorgfalt und brüderlichem Wohlwollen. Der Kapitän ließ zum Abschied Champagner servieren, und als Mitternacht gekommen war und das südliche Kreuz am Himmel flammte, sang Miß Iesson zum letztenmal Schumanns Nachilied. Dem Liede folgte feierliches Schweigen; die Heiligkeit einer geheimnistiesen Weihestunde war in unseren Herzen. Da plötzlich erscholl vom Zwischendeck her ein Ton, wie wenn ein zu Tode getroffenes Raubtier heulen würde, ein Poltern auf der Stiege, und gleich daraus stand der Perser vor uns. Einen Augenblick lang maß er Miß Iesson mit vor Leidenschaft funkelnden Blicken, dann stürzte er zu ihr, umfaßte sie wild mit den Armen und küßte sie aus die Lippen. Bevor wir noch dazwischsntreten konnten, ließ er von ihr ab, drückte ihr einen kleinen Gegenstand in die Hand und setzte mit einem Sprung über Bord. In der ossenen Hand von Miß Iesson glänzte ein großer ungeschlisicner Diamant. Der Perser war spurlos in den Wetten verschwunden, unser Auseinandergehen in Bombay stand unter dem Eindrücke des erschütternden Ereignisses. Zwei Jahre später hatte mich mein Wandertrieb nach Afrika geführt. Aus der Rückreise bestieg ich in Port Said die „Cleo patra", um mit ihr nach Brindisi zu gehen. Auf einer Deck- piomenade erblickte ich zufällig Miß Iesson in einem Liegestuhl. Ich trat zu ihr hin, sie reichte mir das abgemagerte Händchen, und Tränen traten in ihre Augen. Auf ihrem bloßen Halse funkelte, in Gold gefaßt, der Diamant des Persers. Aus ihren trockenen Lippen brannte das Todesmal seines Kusses ... Sie kehrte nach England zurück, um in der Heimat zu sterben.
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