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I Wilsdruffer Tageblatt I W 2. Vlait Nr 221 Montag, den 21. September 1926 s Solange noch leuchtende Astern blüh'a Verklungen der schwirrenden Sensen Laut In sommermüd-sinkenden Garben. Es zogen die bunten Astern ins Land: Herbstmahnen in prangenden Farben. Was scheint der lachende Svmmertag Mit einmal so nebelverhangen? Was geistert durch sonnenslimmernden Hag So herbstlich-sröstelndes Bangen? Was raunt durch die Gärten im Spälllchticye Vom Scheiden so wehe und ^e? Welt, Und sang' sie noch lauter vom Sterben Die uralte, dunlle Weise: Vogel „och singt, Solang' der Himmel noch blau uno Die Düste d" blinkt Solang' un kr staUenen ^e.w noch leuchtende Astern blühn, Lebt der Sommer, die Liebe, das Leben! Mia Kerstin. Die Wolgadeutschen. Von Dipl. rer. oec. H. N. Fritzsche, Berlin. ... Der Verfasser hatte Gelegenheit, sich in vertrau- lichcm Gespräch mit einem vorübergehend in Deutsch land weilenden Wolgadeutschen zu unterhalten und gibt in folgendem seine dabei erhaltenen Eindrücke Meilenweit vom deutschen Mutterlande entfernt, """en "I der großen russischen Union liegt ein kleines deutsches Staatswesen, eine deutsche Republik mit eige ner Regierung und eigenem Präsidenten: die A. S. S. R., die au>onome Republik der Wolgadeutschen. Viele ^ahlzehnte erbitterten Kampfes sind über das zwischen ^2. Grad nördlicher Breite und dem 45. und 48r Grad östlicher Länge sich erstreckende fruchtbare Land dahingegangen. Es war Kamps um den erst urbar ZU machenden Boden, Kampf um die mühsam erworbene eigene Scholle und Kamps um die nationale Eigenart, der die im Jahre 1764 in das Reich der Kaiserin Katharina II. ciugewauderten deutschen Kolonisten bis in unsere Zeit in einer festen Gemeinschaft zusammenhielt. Diese durch Generationen geschmiedete Notgemeinschaft hat es den deutschen Bauern au der Wolga zweifellos er leichtert, den Aufbau ihres im Jahre 1918 begründeten eigenen Staatswesens dem allgemeinen Schema anzu passen. Die im kaiserlichen Manifest vom 22. Juli 1763 ge gebenen Versprechungen auf Selbstverwaltung und kul turelle Freiheit waren bald nur noch schöne Worte. Die deutsche Sprache und die deutsche Schule wurden ver boten. Dennoch ist es nicht möglich gewesen, den Wolga deutschen ihr Volkstum zu nehmen. Die Umgangssprache des kleinen Volkes blieb so deutsch wie seine Sitten und wich so wenig wie der im Lichterglanz strahlende Tannens bäum am Weihnachtsfest aus der holzverschlagenem Bauernhütte. Am 13. Dezember 1916 gab Zar Nikolaus, den Befehl, die deutschen Bauern von ihrer im Wolga-! gebiet geschaffenen Heimat fortzujagen. Dieser Befehl' wurde auch nach der in der Nacht des 2. März 1917 auf: dem Bahnhof in Pskow von dem Zaren unterzeichneten! Abdaukungsurluude von der provisorischen Kerenski-. Regierung aufrechterhallen; und schon setzte sich ein X Millionen Menschen umfassendes Volk, Heim und Herd verlassend, zum Zug in die sibirische Verbannung in Be-> wegung, als die zweite russische Revolution ausbrach und die Ausweisung rückgängig machte. Am 30. Juni 1918 wurde die staatliche Autonomie der Wolgadeutschen pro klamiert. Diese Willenserklärung der deutschen Kolonisten wurde am 19. Oktober desselben Jahres vom Nat der Volkskommissare anerkannt und gesetzlich bestätigt. Jetzt wurde durch besonderen Erlaß die deutsche Sprache wieder als Verhandlungs- und Amtssprache eingeführt und deutsche Schalen gegründet. . zu 67 des Wolgadeutschen Staates wird s-n-.«NVLlr' «Li-Ak, ihren französischen Namen erhalten haben. In ihrem Häusern findet man noch alte französische Bibeln, die keinj Mitglied der Familie lesen kann! Sie sind völlig oer-, deutscht und mit den deutschen Kolonisten verbunden. > Die Hauptstadt der Republik ist P o k r o w s k mit rund>' 35 000 Einwohnern. Durch die Wolga, der großen natür-> lichen Verkehrsstraße nach Nischnij-Nowgorod und demi Kaspischen Meer, wird' der Handel im Lande sehr tM günstigt. Die Wolgadeutsche Republik ist ein ausgeA sprochener Agrarstaat. Über 90 000 Bauernwirtschaften! bauen Weizen, Roggen, Gerste, Mais, Olbohnen, Sonnen-,' blumen und Tabak an. Obwohl die Wirtschaft in den' ersten Werdejahren des neuen Staatswesens sehr gelitten hat, konnte den Ermittlungen des Statistischen Amtes! zufolge im Jahre 1925 schon wieder ein Ernteüberschutz! vo?. Millionen Pud Getreide erzielt werden. Das Kom-! missarmt für Landwirtschaft organisiert zurzeit 500 Musterwirtschaften, welche von einzelnen Bauern auf! Grund besonderer Verträge mit finanzieller Unterstützung! des staates nach wissenschaftlich durchgearbeiteten Plä nen geführt werden. Entsprechend den Erlassen der Zentralregierung mußte auch im Wolgagebiet das Sied-, lungswesen neu organisiert werden. Nach dem neuen' Siedlungsplan werden künftig die Dörfer nicht mehr als! 30 bis höchstens 100 Wirtschaftsbetriebe umfassen. Wie' in den meisten Teilen Rußlands, ist auch im Wolgagebiet die Industrie nur schwach entwickelt. Wirtschaftsgeräte und Kleidungsstücke sind darum noch außerordentlich teuer. Mit strohgeflochtenen oder sogenannten Wickels schuhen stapft der Wolgabauer hinter dem primitivem Pfluge einher, um den Boden nutzbar zu machen und ihm seine Schätze abringen zu können. Im Laufe dieses Jahres wird die Wolgadeutsche Republik einen besonderen Dele-! gierten bei der russischen Handelsvertretung in Berlin erhalten und damit eine gewisse Selbständigkeit auch in der Aufstellung und Durchführung ihrer Export- und Importpläne erlangen. Zur Heranbildung des Nachwuchses haben die deut schen Kolonisten nach der zweiten Revolution zahlreiche landwirtschaftliche und technische Lehranstalten neben den allgemeinen Schulen ins Leben gerufen. Besondere Er wähnung verdienen das Landwirtschaftliche Technikum in Krasny-Kut, die Textilschule in Balzer und die technischen Lehranstalten in Marxstadt und Pokrowsk. Die deutschen Siedler an der Wolga führen kein be hagliches Leben. Hart zu kämpfen halten sie von jeher und müssen es jetzt erst recht. Doch die Menschen sind deutsch geblieben. Nur die zahlreichen Kuppeln der rus sischen Kirchen, der von asiatischem Leben erfüllte Bazar, das Kamel als Zug- und Tragtier und schließlich der ge waltige, dort nahezu 7 Kilometer breite Wolgastrom er innern den Reisenden daran, daß er fern von Deutsch land im südöstlichen Rußland weilt. Die blauäugigen, blonden deutschen Kolonisten haben sich ihre nationale Eigenart in Wesen, Wort und Tracht erhalten. Die ro buste Urwüchsigkeit der Naturvölker der Steppe hat sich harmonisch mit dem Fleiß und der Zähigkeit des Deut schen verbunden und diese Verschmelzung befähigte viel leicht den Wolgasteppenbauer zu seinem jahrhunderte alten sieghaften Kampf gegen Elemente und Menschen. Einsturz der Oderbrülle bei Gartz. Vier Todesopfer. Der Einsturz der neuerbautcn Oderbrücke bei Gartz erfolgte infolge einer Senkuna des Mättclvfeilers. Die mit dem Heraufziehen der den Mittelpfeiler noch umgeben den Spundwände beschäftigten Arbeiter versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Drei wurden jedoch mit in die Tiefe gerissen und fanden den Tod in den Wellen, während ein vierter schwer verletzter Arbeiter sich an einem Balken fest halten und später gerettet werden konnte; er erlag jedoch seinen Verletzungen. In Anwesenheit des Oberstaatsanwalts von Stettin hat der Lokaltermin an der Unglücksstelle stattgefunden. Hinzugezogen wurden vier Sachverständige und serner fünf Direktoren der bauausführenden Firma zur Klä rung der Schuldfrage ist ein Taucher hinzugezogen wor den, der feststellen sollte, ob irgendwelche technischen Fehler beim Bau der Brücke vorgekommen sind. Das Rathaus der Stadt Gartz hat halbmast geflaggt. Am Sonntag wurde eine außerordentliche Stadtverordnetensitzung ein berufen, in der beschlossen wurde, das Vermögen der All gemeinen Bau A.-G. bis zur Klärung der Schuldsrage be schlagnahmen zu lassen. Llnfattstaiistik im Bergbau. Erschreckende Zunahme der tödlichen Unglücksfälle. Aus dem soeben veröffentlichten Verwaltungsbericht der Knappschaftsberufsgenosscnschast für das Jahr 1925 ist eine geradezu erschreckende Zunahme der entschädigungspslichtigen und tödlichen Unglücksfälle gegenüber dem Jahre 1924 festzu stellen. Schon das Jahr 1924 halte eine starke Steigerung der Unglücksfälle gegenüber 1923 zu verzeichnen. Im Jahre 1925 ereigneten sich in 1605 Betrieben bei 812526 versicherten Per sonen 10 562 entschädigungspslichiige Unglücksfälle. Im Jahre 1924 belief sich die Zahl der entschädigungspslichtigen Unglücks- sälle in 1812 Betrieben bei 866 968 versicherten Personen auf 8104. Allein bei sieben Massenunsällen des Jahres 1925 mußten 219 Bergarbeiter ihr Leben lasten, während 156 dabei verletzt j wurden. An Todesopfern forderte der Bergbau im Bcrichts- j jahre 1925 insgesamt 1681 gegenüber 1690 im Jahre 1924. ! Eine Erwerbseinbuße verschiedenen Grades erlitten 8881 Ver letzte gegenüber 6614 im Jahre 1924. Die Zahl der entschädi gungspslichtigen Unglücksfälle, umgerechnet aus den Arbeits- !ag, zeigt, daß im deutschen Bergbau jeden Tag 35,2 Personen icrletzt und 5,6 Personen getötet werden. Zu diesen Ziffern .eilt der Bergarbeilerverband mit: „Die Zunahme der Un- älle ist geradezu furchtbar. Sie ist so erschreckend, daß man licht achtlos daran Vorbeigehen kann. Hier hat doch die Berg- «aubehörde die Frage zu beantworten: Wo liegt die Schuld? ' Zst alles geschehen, um die Unglücksfälle, soweit nur irgend, i möglich, herabzudrücken? Wir glauben es nickt und können I es nicht glauben." s psMMe MnSWsu i Deutsches Reich Sitzung dcS Reichskabinetts. Das Neichskabinett hat in seiner Montagsitzung den Sericht des Staatssekretärs Dr. Pünder, der sich mehrere Lage in Gens ausgehalten hat, über den Verlaus der Völkerbundtagung entgegengenommen. Beschlüsse außer- politischer Art wurden nicht gefaßt, da die Rückkehr des Reichsaußenministers Dr. Stresemann, die für Mitte oder Ende dieser Woche zu erwarten ist, abgewartet werden muß. Die Tuntenhausener Bauernversammlung. In Tuntenhausen fand die 54. Hauptversammlung des Tuntenhausener Bauernvereins unter starker Beteili gung statt. Landtagsabgeordneter Scheffer referierte über politische Fragen. Er erklärte u. a., die Bayern ständen mit Mißtrauen derWeimarer Verfassung gegenüber, sie seien aber dennoch dem Reiche treu und Würden es bleiben, über Wirtschaftsfragen sprach Land- tagsabgeordneter Steiniger. Darauf nahm, lebhaft be- grüßt, Geheimrat Dr. Heim das Wort. Er sagte u. a., ein Aufstieg sei nicht möglich, solange die Landw f r t schäft, die die Hauptträgerin der Währungsstabili sierung gewesen sei, nicht wieder auffestenFuß gestellt werde. Ministerpräsident Dr. Held und Minister des Innern Stützel haben der Versammlung Glückwünsche gesandt. Aus Zn- und Ausland. Berlin. Der Reichspräsident hat am Montag den Forscher Dr. Sven Hedin empfangen. Berlin. Zur politischen Überwachung des Rundfunks bat der Reichsminister des Innern einen Ausschuß eingesetzt, der aus dem soualdemokratiscken Landlaasabaeordneten Heil- /"amrsisnroman von von //anL^orn. >-r tt«ll» ».LS. Ä Sie konnten sich kaum losreißen von all dem Schönen dann aber gingen sie zur Ruhe und Nitas Herz war voll inniger Dankbarkeit. Sie schlief schnell ein, denn der Tag mit allen seinen Erlebnissen hatte sie rechtschaffen müde M^ten in der Nacht aber fuhr sie auf. Sie hatte ge- - - sie sei noch im Zirkus. Sie stand im Flitterklcid JUL A 1.M.M «°wn«-st» und wa„ in ihren Gliedern. Sie sah um sich- Fnedüch Mastnd und ruhig neben ihr atmend lag Ekkehard da und leise rauschten durch die offenen Fenster die Wellen de^ Aherns an ihre Ufer. Wie schön war dies Erwachen. Wie warm und ge borgen kam sie sich vor. Sie legte das Haupt in die Kissen und es war ihr, während der Schlummer sanft wieder über ihre Augen kam, als sänge der Rhein selbst ihr das Wiegenlied. nächsten Tage hatte Ekkehard keine Nachmittags- wrecystunde, da er an zwei Tagen der Woche nachmittags über Land zu fahren pflegte. Nita, die ihre Haupttätig keit in der Mitarbeit an dem Werke ihres Gatten sah und der Mutter einen Gefallen tat, wenn sie ihr die Oberauf sicht in der Wirtschaft überließ, sollte mit ihm fahren und sie wollten einige Besuche mit ihrer Fahrt verbinden. Sie kamen nach Ehrenbreitstein und Ekkehard stellte seine junge Frau einigen Offiziersfamilien vor, in denen er Hausarzt war. Ueberall wurden sie mit offenen Armen empfangen und überall sah sie, wie beliebt der junge Arzt war. Dann leiteten die nächsten Tage langsam in das Leben des Alltags hinüber. Auch der Abend in der Familie des Regierungs baumeisters war sehr gemütlich verlaufen. Als nächster Nachbar war er der gegebenste Verkehr und die junge Frau schien ihr auch ein recht sympathischer Mensch zu sein. „Wir wollen gute Freundinnen werden, meine liebe Frau Doktor. Ich sehne mich so danach, eine gleichaltrige Dame zum nähere» Umgang zu haben, und i h denke, wir werden uns gut verstehen. Wissen Sie, in den nächsten Tagen kommen Sie, während der strenge Gemahl Sprech stunde hat, einmal allein und dann sprechen wir uns hübsch aus. Ich erzähle von meiner Kindheit und Sie mir von der ihren, damit wir doch auch wissen, wer wir sind." Es gab Rita einen Stich. Fing es jetzt schon an, was sie fürchtete? Es war ihr fast lieb, daß sie antworten konnte, daß sie an den Nachmittagen ihrem Gatten in der Sprechstunde assistiere. „O, so sind Sie auch wohl Aerztin? Gott, wie inter essant." „Nein, Frau Regierungsbaumeister, studiert habe ich nicht, aber ich bin zur Krankenpflegerin ausgebildet und war' einige Jahre Assistenzschwester beim Geheimrat Sodenbera in Göttingen." „Nein, wie nett! Das müssen Sie mir ganz ausführ lich erzählen. Und wissen Sie was, da müssen Sie gleich in unseren Frauenverein eintreten. Das ist ja herrlich. Wir beschäftigen uns ja auch mit allen möglichen Wohl- tätigkcitsbestrebungen und haben auch so einen kleinen Kursus durchgemacht. Der Herr Sanitätsrat Ganghofer war doch so freundlich. Aber freilich, eine richtige Schwester hatten wir noch nicht. Da wollten Sie sich gewiß ganz dieser hohen Aufgabe widmen? Aber nicht wahr, ein Schwesterngelübde hatten Sie noch nicht ab gelegt? Freilich, das würde ja nichts geschadet haben. So etwas bindet ja nur bei den Katholiken und Sie sind ja evangelisch. Wollten Sie denn auch zum Roten Kreuz? Oder. vielleicht zum Mutterhaus nach Nonnenwerth? Denken Sie, liebe Frau Doktor, das hätte ich beinah auch getan, aber mein Vater, der Geheime Oberzollinspektor, war dagegen. Nun, meine Mutter hätte es vielleicht doch getan. Meine Mutter war nämlich adlig. Eine geborene von Wittingen. Alter Adel. Mein Großvater hat 1866 den Heldentod erlitten. Ja, wenn der nicht gestorben wäre! Wer weiß, was der 1870 erst geleistet hätte. Das war.die rechte Hand vom alten Moltke, wissen Sie." Rita saß ganz starr. Wie war es nur möglich, daß diese Frau, die ihre Worte mit einer wahrhaftig fabel haften Geschwindigkeit hervorsprudelte, ihr auch nur sympathisch erscheinen konnte. Das ganze Gegenteil war der Regierungsbaumeister, der ein sehr ruhiger Mann war und sie jetzt unterbrach. „Entschuldige, liebe Dora, aber du bist erst bei deinem Großvater urzd ehe du deine ganze Familie bis zum seligen Adam durchgenommen hast, sind wir verhungert. Das mußt du der Frau Doktor einmal allein erzählen. Ja, ja, gnädige Frau, geschenkt wird es Ihnen nicht. Da kennt meine Frau kein Mitleid." (Fortsetzung folgt.)