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Wilsdruffer Tageblatt I 2. Bl. Nr. 199 Donnerstag, 26 August 1926 8 Der Mond Hinter schwarzen Waldeswänden Kommt der stille Mond hervor. Dargereicht von Gottes Händen Steigt er feierlich empor. Silberlichte Wolkenpfühle Betten ihn in ihre Pracht. Um ihn her ist Glanz und Kühle Und der milde Trost der Nacht. Oeffne dich dem sanften Scheme Wunde Brust, von Leid bedrängt. Daß dein Herz, das Ewlg-Eme „f-nnt — und neu empfangt. Neu erkennt Enders-Dix. Tizian. Zum 350. Todestage am 27. August. In Biri Grande bei Venedig, wo er bis in seine letzten Lebenslage von allen hervorragenden Männern, die nach Italien kamen, besucht wurde, ist Tizian, der eigentlich Tiziano Vecelli hieß, am 27. August 1576 an der Pest gestorben — 99 Jahre alt, wie die einen sagen, 87 nur nach den Angaben anderer Kunstforscher. Mit ihm starb einer der größten unter den Malern, der hervor ragendste Meister der Venetianischen Malerschule. Formen- und Farbenglut hat er unlösbar verschmolzen. Er hat alle Geheimnisse der Malerei ergründet wie kein Maler vor ihm, und die Maler aller späteren Zeiten sind bei ihm in die Schule gegangen. Die Zahl der Werke Tizians ist, seinem langen Leben entsprechend, überaus groß. Zu den Meisterwerken seiner >zngendperiode gehört der berühmte „Zinsgroschen", der sich in der Dresdener Galerie befindet. In dieselbe Zeit fallen zahlreichS-Madonncn- und Altarbilder und Porträte, Bildnis der Lavinia, Tochter Tizians. die zü den größten Leistungen ihrer Gattung gehören. Etwas später entstanden neben Kompositionen religiösen Inhalts jene Gemälde, die der Verherrlichung der Frauen schönheit gewidmet sind. Eines der bekanntesten darunter ist das Bild der Lavinia, der Tochter Tizians, das sich in den Uffizien zu Florenz befindet. Die Münchener Pina kothek bewahrt das unschätzbare Bild „Dornenkrönung Christi" aus. - polMsche bunGOsu i VO«,„MÄH' Der Neichsschulgesetzentwurs. Der von dem Reichsinnenminister Dr. Külz ausge- arbettete Reichsschulgesetzentwurf ist entsprechend den Vorichrlften der Reichsverfassung ein Grundsatzgesetz. Demgemäß enthält er die Grundsätze für die Einrichtung des Schulwesens in Deutschland und gewährleistet damit die Einheitlichkeit der Bildung, überläßt es aber den Ländern, nach diesen Grundsätzen ihre Schulgesetzgebung zu normieren. Würde die Vorlage sich nicht auf das Prin zipielle beschränken, so würde sie den Vorschriften der Verfassung nicht entsprechen und es bedürfte dann zu ihrer Annahme einer Zweidrittelmehrheit, die zu er reichen bei unseren jetzigen Parteiverhältnissen so gut wie ausgeschlossen ist. Das Gesetz über Schußwaffen und Schießbedarf. Der Entwurf des neuen Gesetzes über Schußwaffen und Schießbedarf wird einige wichtige Neuerungen ent halten. Während bisher nur für die Führung von Schuß waffen auf öffentlichen Straßen ein Waffenschein erfor derlich sein solle, wird nunmehr der Besitz von Waffen überhaupt von der Erteilung einer Erlaubnis abhängig sein. Weiterhin wird in bezug auf die kleinkalibrigen Waffen ein Absatz eingeführt werden, nach dem dis bis herige landesgesetzliche Regelung über den Besitz von Waffen so abgeändert wird, daß auch kleinkalibrige Büch sen nicht ohne Waffenschein erworben werden dürfen Außerdem wird die Führung von kleinkalibrigen Waffen durch politische Vereine und Verbände sowie das Ab halten von Schießübungen in militärischen Formen ver boten werden. Der neue japanische Botschafter. Der neucrnannte japanische Botschafter für Deutsch land, Haruichi Nagavka, ist in Berlin eingetroffen. Er wurde auf dem Bahnhof von Vertretern des Auswär tigen Amtes und dem bisherigen japanischen Geschäfts träger Dr. Ito empfangen. — Nagaoka war schon im Jahre 1908 als Botschaftssekretär in Berlin tätig und hat zu dieser Zeit an dem Zustandekommen des ersten dentsch- iapanischen Handelsvertrages mitgearbeitet. Er war vor seiner Berufung zum Direktor der Vertragsabteiluug des Außenamtes in Tokio japanischer Gesandter in der Tschechoslowakei und später in Holland. Der Wohnungsbau in Preußen. Für die Verteilung der von Preußen für zusätzlichen Wohnungsbau bestimmten neuen Mittel wird auf Grund einer Verständigung des Wohlfahrtsministeriums mit dem ihm für das Wohnungswesen zur Seite gestellten Beirat des Landtages nicht allein das Schema der Haus- zinssteuerverteilung maßgeblich sein. Außer diesem Schema werden dis Gebiete besonders berücksichtigt wer den, die von der Erwerbslosigkeit am meisten betroffen sind. Katholikentag und Sozialpolitik. Vor Abschluß des Deutschen Katholikentages rn Breslau wurde zur Sozial- und Wirtschaftspolitik noch eine Entschließung einstimmig angenommen, in der die ganze Aufmerksamkeit der Katholiken aller Berufsstände auf die wirtschaftliche Notlage, unter der noch zahlreiche Volksgenossen seufzen, gelenkt wird. Die 65. General versammlung begrüßt daher die stärkere wirtschaftliche Initiative der Reichsregierung und des Reichstages sowie der Volksvertretungen und der Regierungen der Länder, die darauf abzielt, die Zahl der Erwerbslosen zu verwindern, den Baumarkt zu beleben, die Industrie wieder stärker in Gang zu bringen und die innere Koloni- Thomas HWas CoMHW Roman von Rarl Gauche l. Ein einziger Schrei des Entsetzens tönt über den weiten Plan, da, fünf Meter über dem Boden, ein Einhalten, dann mit langsamen, befriedigten Flügelschlägen ein gemütliches Vor- 'wärtsfliegen, und vor dem Eingang der Halle sinkt der selt same Vogel mit zusammengefalteten Flügeln langsam und sanft, wie ermattet, zur Erde., Für einen Moment arbeitet der Motor, dann erlischt auch dieser Ton und Thomas Hüglin springt von seinem Sitz herab und zündet ruhig und gleich mütig seine Zigarette an. Und wieder stürmt es von allen Seiten heran, hastend laufend, erhitzt, mit erregten, glühenden Gesichtern. Die Sperrlinie ist verwhcht, die Wachmannschaften sind machtlos 'und jubelnd jauchst es über den grünen Plan: „Hoch Sturm- ! gesell! ... Hoch Züglm!' Dann drückt Laband dem Flieger bewegt die Hände, ' Tränen stolzester Freude in den Hellen Ereiscnaugen. Und hinter dem alten Kommerzienrat taucht es auf, eine ' r- wütiae Eestall im weißen Schneiderkleid, ein Gesichtchen, ^"°D-macht MM M °°» d-m M-" U ""EMmdm der seinen, und er beugt sich nieder und küßt mit inniger ! Ritterlichkeit diese kleinen, schlanken, bebenden Madchenhande fFür einen Augenblick ruht Auge in Auge, trinken zwei Mge ' Herzen selige Liebesgewißheit. Dann trennt sie die Psuchb Thomas Hüglin muß standhalten, muß mit lächelndem Gesicht und verbindlichen Verbeugungen die schmeichelhaften Glückwünsche der Regierungsvcrtreter, der Herrenflieger ent- gegennehmcn, muß Rede stehen auf die vielen Fragen der Pressevertreter; die lassen kritzelnd die Bleifedern über die .Mftblockseiten eilen. Und dann bringt er selbst den „Sturm- in die schützende Halle. leer stunde später ist der weite Platz öde und menschen- zend die Straße zieht's wieder hin, singend und scher- aeüteriin zu Rad, zu Wagen. Und die Wogen der Bc- "o aeben bock, die Wirte halten goldene Ernte. In seinem Hangar träumt wohlbewacht der „Sturm- gesell" von Ruhm und Ehre, von Fliegerglück und Erfolg. Das elegante Tourenauto Labands aber führte eine fröh liche Gesellschaft dem nahen Köln zu. Der Kommerzienrat hat im Hotel du Nord ein opulentes Festmahl bestellt, und Hüglin sowie der alte Moseler mit Käthe sind seine Gäste. Friedrich Anton Moseler gähnt. Dann neigt er sich gönnerhaft zu dem jungen Manne hinüber. „Tja! Das war ganz famos, mein lieber Hüglin, aber 'ne verflucht trockene Jejend haben Sie sich da ausgesucht!" Thomas lächelte leise, dann versinkt ihm die Welt vor den glücklich aufstrahlenden Augen seiner Käthe. 9. Kapitel. < Als Thomas Hüglin um die sechste Abendstunde das stille Arbeitszimmer des Kommerzienrats Laband verließ und aus dem Frieden des vornehmen Hauses in den Lärm der Straßen Bonns hinausschritt, war ihm zumute, als stabe er alle Erdenlast und Daseinsschwere ahgestreift, als sei jetzt erst die Zukunft voll leuchtender Sonne, das Kommende voll winkender Weite. Und er schritt, sinnend und der gehabten Unterredung nachhängend, durch die belebten Straßen dahin, dem Hofgarten zu. Das, was jetzt hinter ihm lag, war keine leichte Stunde für ihn gewesen, aber fest und ehrlich hatte er gemeint, auch das durchfechten zu müssen, und nun, Gott sei Dank, war auch das überstanden. Es war über ihn gekommen iw diesen letzten Tagen, die zwischen seinem Probeflug und dem Heute lagen, mit seltsamer Unruhe und verzehrender Hast. Und gerade die sich ihm so liebevoll bietende abgeklärte Freund schaft des alten Mannes, dieses stolze, ruhige Vertrauen, auch nach der menschlichen Seite hin, das ihm Laband entgegen brachte, hatte dieses neue, feinfühlige Empfinden in ihm wach gerufen. t Und hundertmal im Laufe jedes Tages wiederholte er sich: „Du bist diesem Manne Wahrheit schuldig. Rechenschaft über alles, was dich betrifft, auch über dein Vorleben, auch " und wenn auch bei diesem Gedanken die glutende Welle über sein Gesicht schlug — „auch über dis zwei Jahre deiner Schmach da drüben." Und der Tag trieb den Tag und er fand nicht, den Mut und sein Fuß nicht den Weg. Bis ihn wegen einer anderen satton zu steigern. Sie erhofft von dem günstigen Wirken dieser Maßnahmen eine Förderung der Wohlfahrt aller Volksklassen. Alle Katholiken im Lande werden aufge fordert, zur Lösung dieser Aufgaben des deutschen Volkes das ihrige nach Kräften beizutragen. Südafrika. Los von London. Auf eine Anfrage, wie er nach seinem Ministereid die Lostrennung von England befür worten könnte, antwortete Minister Beyers, daß seit 80 Jahren die hervorragendsten britischen Staatsmänner das Recht der Kolonien auf Lostrennuug anerkannt hätten. Beyers fügte jedoch hinzu, daß eine vollständige Los trennung vom Britischen Reich nicht in Frage kommen würde, bevor nicht die beiden Weißen Nationen, die eng lische und die holländische, sich geeint hätten, um aus dem Verband des Reichs auszutreten. Aus In- und Ausland. Berlin. Das preußische Landwirtschaftsministerium hat einen sofortigen Kredit von zwei Millionen Mark zur An siedlung von landwirtschaftlichen Arbeitern und Kleinbauern für Ricderschlesien bewilligt. Paris. Wie nunmehr fcststeht, wird Abd-el-Krim am 27. August von Fez aus nach Casablanca und von dort aus am 28. August nach Marseille gebracht werden. In seiner Be gleitung wird sich seine Familie sowie der mit seiner Be wachung beauftragte Offizier befinden. Am 2. September Wird Abd-el-Krim nach der Insel Röunion gebracht werden. Brüssel. Die belgische Regierung hat beschlossen, die nur aus Zeit angestellten staatlichen Beamten unter Auszahlung eines Gehaltes von drei Monaten zu entlassen. Ferner ist die Alters- und Pensionsgrenze für die Staatsarbeiter von 65 auf 62 Jahre herabgesetzt worden. Sofia. Das bulgarische Ministerium des Innern hat als Repressalie gegen die Fremden einen Erlaß herausgegeben, demzufolge in den öffentlichen Lokalen nur bulgarisch ge sprochen werden darf. Die Ministerialve?ordnung sieht für Ver gehen gegen diese Maßnahme strenge Strafen vor. Konstantinopel. Das Gericht in Angora hat den früheren Finanzminister Dschawid, den früheren Kultusminister Na sim, den Abgeordneten Hilmi und den Generalsekretär der Jungtürkischen Partei, Nail, zum Tode durch den Strang verurteilt. Newyork. Am 20. August wurden, wie bereits gemeldet, die unter dem Verdacht, ein Attentat gegen den Präsidenten Calles geplant zu haben, verhafteten Katholiken bis auf drei Frauen und acht Männer in Freiheit gesetzt. Wie „Associated Preß" aus Mexiko meldet, sind auch diese elf Personen jetzt aus der Haft entlassen worden. Aus vem GenchLssaaS. Ein Prozeß um 2000 Diebstähle. In der nächsten Zett veginm vor deni Breslauer Großen Erweiterten Schöffen gericht ein Riesenprozeß wegen Diebstahls und Hehlerei gegen den Rekorddieb Barbe, dem nicht weniger als 2000 ein fache und schwere Diebstähle in Schlesien nachgewiesen sind. Spiel und Sport. Schmehling Halbschwergewichtsmeistcr. Die Boxver anstaltung, bei der im Berliner Lunapark Diekmann- Berlin (154 Pfund) und Schmehling-Köln (157 Pfund) nm den Titel des deutschen Meisters im Halbschwergewicht kämpften, nahm einen überraschend schnellen Ausgang. Nachdem Diekmann zuerst der Angreifer war, gelang es dem technisch besseren und ruhigeren Kölner gleich, durch einen guten Linken die Angriffe Diekmanns zu stoppen. Dann war Schmehling stets tonangebend und konnte, nach dem Diekmann gleich darauf bis zu 2 zu Boden mußte, durch einen Rechten den Berliner k. o. schlagen. Berlin—Konstantinopel. Am Sonntag sindet in Berlin ein Fußballstädtewettkampf Berlin—Konstantinopel statt. Es ist das erstemal, daß eine rein türkische Mann schaft in Deutschland weilt. Die Türken werden übrigens- auck in Köln ein Gastspiel geben. Neuer Rekord in der Olympischen Staffel. In Mannheim fanden Abendwettkümpfe statt, auf denen Peltzer, Körnig und die Rennmannschaft der Berliner Teutonia eine führende Rolle spielten. Peltzer und Körnig gewannen die 800 bzw. 100 Meter glatt. Teutonia stellte in der Olympischen Staffel einen neuen deutschen Rekord mit 3:33,5 auf. Den alten Rekord hielt die Mannheimer TG. mit 3:34.6. Angelegenheit Laband nach Vonn berief. Und da»» hatt» Thomas Hüglin in dem stillen, dämmernden Gemach, das mit seinen die Wände bedeckenden Bücherborten und Schränken eher dem Studierzimmer eines Gelehrten als dem Arbeitsraum eines Großindustriellen glich, dem greisen Kaufmann gegenüber gesessen. . Der hatte in klaren, schlichten Worten seins Pläne dar- gelcgt; große, umfassende, weittragende Pläne, wie sie nur eben dem Kopfe dieses genialen Organisators, dieses in Wahr heit königlichen Kaufmanns, entspringen konnten, und dann am Ende hatte er, der so gut wußte, wo seinem Felde die Grenzen gezogen waren, in einfacher Selbstverständlichkeit dem jungen Manne die gesamte technische Oberleitung jenes neuen Werkes angeboten, dessen spiritus rector er, Laband, sein würde. Und die Summe, die er kühl und sachlich als die Jahresvergütung des jungen Direktors nannte, die betrug bald das anderthalbfache eines Ministergehalts. Da, in jenem Momente, wo das Glück wie ein unge ahnter Segen auf Thomas Hüglin herabregnete, wo die Tore des Daseins in Glanz und Fülle weit sich nuftaten vor seinen geistigen Augen, da empfand der junge Mann dennoch nichts von diesem überraschenden Wechsel, er sah nur die gütigen, forschenden Augen des alten Herrn da vor sich fragend aus sein Gesicht gerichtet, und ganz im Vanne dieser seltsam blik- kenden Augen sprang er erregt auf und stotterte, während sein Gesicht bald blaß, bald rot von Scham und Qual durch die Dämmerung leuchtete, verlegen, schmerzlich und dennoch ganz durchdrungen von dem Mute der Wahrheit: „Ich darf es nicht annehmen, Herr Kommerzienrat, ich darf nicht, denn — Herr Kommerzienrat, ich — ich — habe da drüben — in Amerika — gesessen hab' ich, Herr Kommerzien rat, jawohl, zwei Jahre Gefängnis abgebrummt und, Herr Kommerzienrat, ich will mich nicht als Lump einschleichen in ein Amt, aus dem ich jeden Tag mit Schimpf und Schande herausgestoßen werden kann." Und war erschöpft, ganz zu sammengebrochen, aus seinen Stuhl zurückgefunken. Da aber war ein feines Lächeln über das kluge Altherren gesicht gehuscht, ein seltsam Helles Leuchten in die klaren Greisenaugen getreten, und die schmale Hand hatte sich mit jener unnachahmlichen Geste erhoben, die den Grandseigneur verriet. (Fortsetzung folgt.)