Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 16.08.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192608168
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19260816
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19260816
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-08
- Tag 1926-08-16
-
Monat
1926-08
-
Jahr
1926
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 16.08.1926
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
doch und wünscht, daß auch unsere Nachfahren noch an ihr sich erfreuen mögen. Vor einiger Zeit verbreitete Gerüchte, daß sie im Sterben liege, haben sich glücklicher weise nicht bestätigt. Im Gegenteil: es scheint, als ob ihr eine neue Blüte, eine „zweite Jugend" — wenn man das bei 150 Lebensjahren sagen kann — bevorstehe. Arbeit und ArZgesteltte. Halle. (Ablehnung der Lohnforderungen Des Z e ntra lv erb and e s der Landarbeiter.) Die zu ständigen Organe des Mitteldeutschen Arbeitgeberverbandes der Kreise und Gemeinden haben die Forderung des Zcntral- verbandes der Landarbeiter auf Erhöhung dn Löhne der Staats-, Provinzial- und Kreisstraßcnwärtcr Mitteldeutsch lands mit Rücksicht auf die Wirtschaftskrise abgelehnt. Oslo. (Norwegen vor einem Streik.) In den nächsten Tagen werden 13 000 Arbeiter aus der Papierindustrie in den Streik treten, nachdem ihnen die Arbeitgeber ihre Löhne um 25 gekürzt haben. London. (Starke Zunahme der Arbeitslosig keit in Petersburg.) Ncch einer Meldung ans Peters burg ist die Zahl der Arbeitslosen in Petersburg seit dem Monat Januar von 71000 auf 114 000 gestiegen. s y-rle - KsnOe! - MMGM j Amtliche Berliner Notierungen vom 14. August .. Börsenbericht. Nach schwachem Beginn setzte im weiteren Verlauf erneut eine Haussebewegung unter Führung einzelner Spezialwerte, insbesondere auch von Elektroaktien, ein. Schwach lag dagegen der Anleihemarkt, wo Kriegsanleihe aus 0,48 zu rückging. Der Geldmarkt ist wieder ziemlich flüssig, tägliches Geld 4—6 ?L, monatliches Geld 5,50—6,50 7L. Devisenbörse. Dollar 4,19—4,21; engl. Pfund 20,37—20,43,- holl. Gulden 168,31—168,73: Danz. 81,50 bis 81,70; franz. Frank 11,49—11,53; belg. 11,28—11,32; schweiz. 81,06—81,26; Italien 13,80—13,84; sch Wed. Krone 112,28—112,56; dän. 111,46—111,74; norweg.91,88 bis 92,12; tschech. 12,41—12,45; österr. Schilling 59,34 bis 59,48; poln. Zloty (nichtamtlich) 46,13—46,37. i Produktenbörse. Die Haltung des Getreidcmarktcs war im ganzen ruhiger. Amerika und England hatten eher weitere leichte Abschwächungen gemeldet und bei uns waren angesichts der hohen Forderungen des Inlandes Käufer vorsichtiger ge worden. Das bezog sich besonders auf inländischen Weizen, von dem Wohl Offerten, aber zu eher noch höheren Preisen Vorlagen, die meist nicht durchzusetzen waren. Von Roggen bleibt das Material sehr knapp und cs kam nur mäßiges Ge schäft zustande. Gerste zeigte sich zum Teil auch in besseren Sorten, für die aber Förderungen und Gebote nicht uner heblich auseinandergingen. Zum Teil war dies auch für Wintergerste der Fall. Hafer ist in gutem Wcitzhafer auf nahe Verladung mehr gefragt. Alter Hafer macht sich in brauchbarem Material knapp. Das Mehlgeschäft war, bei spärlichem Angebot in naher Ware, ruhig. Im Lieserungs-. handel waren die Prcisveränderungen sowohl sür Weizen wie Roggen nur mäßig, indessen wieder nach oben gerichtet. Getreide und Olsaaten per 1000 gramm tn Kilogramm, Mit per 100 Kilo- Reichsmark: 14. 8. 13. 8. 14. 8. 13. 8. Welz., märk. 266-270 266-270 Wctzkl.s.BrI. 10.2-10,5 10,2-10,5 pommersch. — — Rogkl. f.Brl. 11 0-114 11.141.4 Rogg., märk. 192-198 19L-193 Raps 325-330 325 330 pommersch. — — Leinsaat — — westpreutz. — — ViN -Ertsien 34-38 33-37 Braugerste — kl.Speiseerbj. 27-31 27-31 Futtergcrste 158-167 158-167 Fuitererbsen 20-24 20-24 Hafer, märt. 190-198 190-198 Peluschken 27,0-28,5 27.0-28,5 pommersch. — Ackerlwhnen 23-26,0 23-26 Westpreutz. — — Wicken 32-35.0 32-35.0 Weizenmehl Lupin., blaue 15,5-17,5 15.5-17.5 p. 100 kg fr. Lupin., gelbe 20-21,5 20-21.5 Bln.br.inkl. Seradclla — —- Sack (feinst. Rapskuchen 14,4-14.6 14.4-14,6 Mrk.ü.Not. 38,5-40,0 38,5-40.0 Leinkuchen 18.9-19.2 18,9-19,2 Roggenmehl Trockcnschtzl. 10.341.1 10,8-11,1 p. 100 Kg fr. Sova-Schrot 20,2-20,3 20.2-20,3 Berlin br. Torsml.30/70 — — tnkl. Sack 27,5-29.2 27.2-29.0 Kartoffelflck. 22,7-23 2 23-23.5 Schlachtvichmarkt. Auftrieb: 2240 Rinder, darunter 573 Bullen, 593 Ochsen, 1074 Kühe und Färsen, 1230 Kälber, 7954 Schafe, 5323 Schweine, 25 Ziegen, 30 Auslandsschwcine. Ver lauf: Rinder und Kälber ruhig, ausgesuchte über Notiz, bei Schafen und Schweinen ziemlich glatt. Preise. Für ein Pfund Lebendgewicht in Pfg.: Öchsen a) vollfleischige, aus gemästete 55—59, b) vollfleischige, ausgemästete im Alter von 4—7 Jahren 50—53, c) junge fleischige, nicht ausgemästete 45—48, d) mäßig genährte jüngere und gut genährte ältere 38—43; Bullen a) 55—57, b) 50—52, c) 44—47; Kühe und Färsen a) 54—58, b) 42—50, c) 32—38, d) 26—30, c) 22—24; Fresser 37—43; Kälber a) —, b) 70—77, c) 68—75, d) 60—65, e) 53—58; Schafe a) 60—63, b) 48—55, c) 36—43; Weidcmast- schafe 65—68; Schweine a) —, b) 85--86, c) 84—85, d) 82—84, e) 78—81; Sauen 75—79; Ziegen 20—25. Butter. 1. Qualität 1,73 M., 2. Qualität 1,48 M., ab fallende Sorten 1,28 M. für ein Pfund. i Lumen, Spörl unü Spie! Z Die internattonalen Amateurradrennen in Berlin konnten auf der Rütt-Arena endlich durchgeführt werden. Die Weltmeisterschaftsrevanche brachte einen packenden Kampf zwischen Weltmeister Martinetti-Jtalien und dem deutschen Meister Oszmella-Köln. Nur nach hartem Kampfe konnte Martinetti knapp gewinnen. Im Endlauf der Zweiten siegte der Däne Willy Falck-Hansen gegen Engel- Köln. Dagegen konnten die deutschen Fahrer im Zwei- Stunden-Marmschaftsfahren in Front enden. Oszmella- Ichorn siegten mit 32 Punkten vor Frankenstein-Rausch (Köln) 22 Punkte und Galvaing-Martinetti 16 Punkte. Die Mannschaften legten in zwei Stunden 80,750 Kilo meter zurück. Nurmi wieder in Berlin. Wenn die Deutsche Sport- Lehörde die geplante Veranstaltung genehmigt, wird der finnische Wunderläufer Nurmi am 12. September doch wieder nach Berlin kommen. Gleichzeitig ist auch Wide- Ichweden, Nurmis alter Rivale, gewonnen worden. Leide laufen die 1500 Meter. Wide hat jedoch zur Be- oingung gemacht, daß er am folgenden 13. September noch mals mit Nurmi, und zwar über 3000 Meter, zusammen trifft. 55,2 Kilometer ergab die offizielle Nachprüfung der reuen Weltrekordleistung des Kasseler Segelfliegers Kegel, womit der alte Rekord für die gerade Strecke um l0,6 Kilometer verbessert wurde. Der preußische Minister les Innern, Severing, hat dem tüchtigen Flieger ein Glückwunschtelegramm gesandt. Diener in Amerika verletzt. Aus Newyork kommt die Meldung, daß sich der deutsche Schwergewichtsmeister : Franz Diener im Training die rechte Hand gebrochen hat . und seinen ersten Kampf drüben gegen King Solomon r absagen mußte. ^m Faltboot nach Kairo. Nach schweren Gefahren ist Ernst Grünfeld als einziger Teilnehmer der kühnen Ex pedition, die am 1. Juni 1924 von Wien abging, im Falt boot in Kairo eingetroffen. An der Expedition nahmen im ganzen zwölf Personen teil. Sechs davon gaben unter- wegs auf, fünf kamen in den Stürmen ums Leben. Nur Grünfeld hat die Reise glücklich überstanden. Sie führte von Wien über Budapest nach Belgrad—Galatz—Kon stanza—Varna—Konstantinopel und durch die Darda nellen ins Ägäische Meer. Grünfeld landete in Smyrna sowie in Städten Palästinas, kam nach Port Said und schließlich nach Kairo. Die Expedition wurde vom öster reichischen Rowing Club in Wien organisiert. Welt und Wissen.' . w. Preußische Mordstatistik. Im Jahre 1924 sind nach eine, jetzt herausgcgebenen Übersicht in Preußen 861 Menschen (585 Männer und 276 Frauen) durch Mord oder Totschlag umge kommen. An dieser Ziffer ist Qberschlesien am stärksten, Schleswig-Holstein am schwächsten beteiligt. n. Die jüdische Einwanderung in Palästina im Jahre 1925. Trotz der wirtschaftlichen Krisis tn Palästina stellt das Jahr 1925, wie aus den jetzt vorliegenden Abschlußziffern ersichtlich ist, eine Rekordziffer in der Geschichte der jüdischen Einwande rung dar. Die Zahl der Einwanderer aus den verschiedenen Ländern betrug insgesamt 33 800. Davon entfallen aus Polen 16 990, aus Rußland und die Ukraine 6726, auf Rumänien 2171, auf Litauen 1748, auf die Vereinigten Staaten 594. Der Nest entfällt auf die anderen europäischen und asiatischen Länder. Nur 11 800 dieser Emigranten verfügten bei der Lan dung über Barmittel. Ein großer Teil der Ankömmlinge mußte wegen Mangels an Mitteln zurückgewiesen Werden. ; ß - » veimilckles » Das Herz der Rose. Auf dem englische» Natur- sorscherkongreß, der dieser Tage in Oxford tagte, hielt der durch feine Forschungen auf dem Gebieie der PflanHen- physiologie berühmt gewordene Indier Jagadis Chandra Bofe einen sensationellen Vortrag über das Herz und den Blutkreislauf der Pflanzen. Bose wies vor den Augen der Naturforscher mit seinen Instrumenten die Herztätigkeit einer roten Rose nach. Der wichtigste Versuchsapparat bestand aus einer feinen Wage. Eins der Schalen war mit Wasser gefüllt, die andere mit ver schiedenen giftigen Substanzen und mit Betäubungs mitteln, d. h.: nicht zugleich, sondern abwechselnd. Die Pflanze wird in eine der beiden Schalen getaucht und sine Nadel schreibt automatisch in Form einer Kurve die Bewegungen des Pflanzenherzens auf einen Papier- streifen. Zunächst wurde die Rose in das Wasser gesteckt. Die Nadel verzeichnete sofort die für die normale Herz tätigkeit charakteristische Figur auf dem Papierstreifen. Daun wurde die Blume in Schlangengift getaucht und das graphsche Bild zeigte die nervösen Zuckungen des Pflanzenherzens. Taucht man die Pflanze in ein Rausch gift, fo weist die Kurve eine steigende Linie auf, während sie eine sinkende Linie zeigt, wenn die Wagschals mit einem aufgelösten Betäubungsmittel gefüllt ist. Die Austauschidee des Professors Algernoon. Es gibt nichts so Exzentrisches, worauf ein waschechter Ameri kaner nicht schließlich kommen könnte, und so wird man sich kaum noch wundern, wenn man hört, was sich jetzt der Professor Algernoon zurechtgelegt hat. Professor Alger noon erteilt den bildungsbedllrftigen Sträflingen im ame rikanischen Gefängnis Sing-Sing einigen Unterricht und es ist ihm dabei eingefallen, daß man eigentlich einmal die Studenten der Columbiauniversität gegen die Gefangenen von Sing-Sing austauschen könnte.. Algernoon sucht die Nützlichkeit eines solchen Verfahrens mit Gründen der Logik darzulegsn. Gefängnis — sagt er — ist ein? groß artige Vorbereitung zum ernsten Studium, da man in der Zelle nicht durch Vergnüguugeu aller Art von der Arbeit ssrngehalten wird. Also sollen die Studenten hinein in Sing-Sing. Andererseits sind die in der Zelle gereiften Sträflinge gefeit gegen Zerstreuungen, wie sie das Leben bietet, und durchaus für des Lebens Ernst dressiert. Also 'Knein mit ihnen in die Universität. Es ist mit einiger Sicherheit auzunehmen, daß die Sträflinge mit dieser Lö sung zufrieden sein werden — ob aber auch Vic Studenten, i as läßt sich wohl nicht so ohne weiteres behaupten. Das höchste Gebäude der Welt. Die Ford-Stadt Detroit im Staate Michigan hat den Ehrgeiz, das höchste Gebäude der Welt zu besitzen. Das von einem Deutschen entworfene Gebäude, der Book-Turm, wird 283,59 Meter hoch und somit 26 Meter höher sein als das bisher höchste Woolworth-Gebäude in Newvork. Der „Vater" siZes Nick Carter. Alle Jungen kennen den Nick Carter, alle haben unter der Schulbank mit Be geisterung seine Ruhmestaten gelesen, alle haben seinet wegen geduldet, teils mit Strafarbeiten, teils mit Arrest. Aber alle haben ihn geliebt und bewundert. Ein zweiter Sherlock Holmes — oder war er gar schon vor diesem Mcisterdetektiv da? — konnte und wußte Nick Carter ein- sach alles: die unscheinbarsten Spuren wiesen lbm sichere Wege zur Entdeckung der geheimnisvollsten Dinge und es gab keine Schwierigkeiten, die er nicht irgendwie — schwimmend, springend, autelnd, fliegend — überwunden, ' keine Situation, aus der er nicht herausgefunden hätte. Nur über eines war man sich nie ganz klar: wie er es anfing, nach seinem Tode in einem neuen Kolportageheft wieder aufzuerstehen. Aber jetzt weiß man auch das: es haben ihn viele „Dichter" bearbeitet und keiner nahm vom anderen Notiz, so daß in den Nick-Carter-Gefchichten große Verwirrung entstand. Um der Weltgeschichte willen mutz nun festgestellt werden, datz der Manu, der ihi^wirk- lich erfunden hat, der amerikanische Schriftsteller oh n R. Coryell war, und daß dieser Urvater des Nick Carter vor einigen Tagen in der Stadt Reaofield m Amerika gestorben ist. Gott verhüte, daß nun neue Poeten kommen, um den Nick Carter bis ins Endlose sortzusetzen! Thoms Hiiglins SmeM Roman von Rar! Gauchel. In die dichten Nebelschleier lommt Bewegung. Ein Wal len und Fluten, ein Beben und Zittern geht durch die Luft, mählich und mählich heben sich die Wolken von der leise atmen den Erde, steigen höher und höher, werden dünner und durch sichtiger, ein rosiger Schimmer huscht über das Bild, dann, mit einem Male, zerreißt, zerflaitert das graue Gespenst an drei, vier Enden zu gleicher Zeit: strahlend blau'lugt klarer Himmel durch die immer größer werdenden Riste, und dann flutet siegreich und königlich goldnes Sonnenlicht über die erwachende Welt, alles im weiten Umkreis in ein Meer von Farben tauchend. ""Da erwacht das Leben. Durch die gelben Weizenfelder geht ein Wispern und Raunen; an den grünen Halmen des Wegrains blitzen und glitzern die Tauperlen; die hohen Buchen und Eichen schütteln und wiegen die Wipfel und rauschen im jungen Morgenwind; ein Trillern und Singen hebt an, erst scheu und zaghaft, dann aber immer lauter, jubelnder tönt es schmetternd hinein in die Lüfte. Und sie tragen ein seltsam herbes Duften herein ins Land. Jst's der Duft naher Kartoffeläcker, ist's der frische Hauch ferner Gärten? Das rinnt und klingt zusammen, fließt ineinander über zu einem einzigen, tausendstimmigen, jubelnden Akkord. Thomas Hüglin ist aufgesprungen. Die Reisemühe über dem dunklen Eelock weit in den Nacken geschoben, die Hände in den Hosentaschen, so steht er da im Schatten des Wald randes und schaut gefesselt und bewundernd zugleich in das erwachende Leben der Natur. Seine Brust dehnt sich, mit tiefen Atemzügen trinkt er den kräftigen Hauch der frischen Morgenluft; mit einem sonderbaren, bald gerührten, halb freudigen Gefühl nickt er der blühenden Welt zu seinen Füßen zu: „Und bist doch das Beste, Schönste im Leben, du Heimatboden, du gute, alte, liebe, deutsche Erde!" . Sein Sinnen zerreißt unter einem jähen, gellenden, lang- gezogenen Pfiff, der, aus der blauen Ferne kommend, hier zwischen Bergen und Wäldern ein dumpfes Echo findet. Thomas Hüglin fährt empor. Aufmerksam lauschend schiebt der Kopf sich vor, offenen Mundes horcht er nach jener Nichtuna hin. wo der Klana ersterbend verhallte. Da hört , er ihn wieder, ein zweites Mal, noch gellender, schneidender, schriller, gezogener als zuvor. Des Mannes Augen weiten sich, die Lippen formen sich zu einem unwillkürlichen Pfiff- „Ohv! So nahe der Königin Industrie?" Und, wie von einem Men Entschluß belebt, beginnt er seine Morgentoilette. Das Tuschentuch netzt er an den tauüberrieselten Halmen und scheuert damit Gesicht und Hände. Vor dem Taschenspiegel ordnet er das wirre Eelock, den schwarzen Bart. Dem Rucksack entsteigen Kleiderbürste und Schuhputzzeug und ehe noch zehn Minuten verstrichen sind, steht er, frisch und sauber, den Rucksack mit gerollter Decke schon auf dem Rücken, am Waldrand und schaut mit einem lachenden Gesicht nach dem Fleckchen hin über, wo er die Nacht so sänftiglich geruht hat, und hat ihn doch nichts gekostet. Dann faßte die Rechte fester nm den Stockgriff und so schreitet er, fröhlich pfeifend, hinein in den lachenden Morgen, ein wanderfroher Tonrist. Mit steigender Sonne erreicht Thomas Hüglin ein Dorf. Hell blinken die kleinen Scheiben, freundlich grüßen die roten Ziegeldächer. Auf der krummen, holperig gepflasterten Dorf straße klapperten gar lustig die Holzschuhe, unter der Linde vor der alten Kirche, gegenüber dem Eemeindehause, steht der der alte Eemeindediener mit der Schelle. Und Thomas Hüglin, der gerade hinzukommt, stellt sich andächtig mit in den Kreis der aufmerksamen Zuhörer und läßt die Neuig keit, die der Alte von Amis wegen mit blecherner Stimme und eintönigem Wortfall hinausschreit, auch auf sein heimat trunkenes Herz einstürmen. „Es wird hiermit zur allgemeinen Kenntnis gebracht, daß im Wege des Zwangsverkauss eine dreijährige Kuh, bisher dem Landwirt Andreas Kübelmeyer gehörig, heute mittag 12 Uhr in der Wirtschaft von Heinrich Bahn hierselbst meistbietend soll versteigert werden." Wie Engelgesang so brausten diese von Schellengeklingel eingeleiteten und ebenso beschlossenen, quäkend hinausge schrienen Worte auf Thomas ein. Herrgott nochmal, das war ja doch das Land seiner Kinderjahre, das waren die lieben, alten Gepflogenheiten des Vaterlandes, das war diese ganze wohlvertraute Umwelt seiner Jugenderinnerungen, was da vor seine Seele trat. Und wie nie zuvor fühlte er den Zauber der Heimat an sein Herz greifen und fast wurden ihm im Überschwang des Empfindens die Augen naß, während er weiter den bestaubten Fuß über das spitzsteinige Pflaster schreiten ließ. WLM»MSWSS»MWW' In dem kleinen, engen Gastzimmer des Heinrich Bahn Hetz er sich ein einfaches Frühstück reichen. Dickgeschnittenes, derbes Schwarzbrot mit frischer Butter und kräftiger Haus- macherwurst, dazu ein Glas Milch. Da saß er und aß, und die Fliegen summten um den Teller, vorm offenen Fenster rauschte der alte, riesenhafte Kastanienbaum, die rohe, noch kuhwarme Milch schmeckte ausgezeichnet, die selbstgekirnte Butter roch herrlich, drüben durch die offenen Fenster der Schule klang es im Chor der Kinder im monotonen Singsang, schläfrig und schleppend: — ' „Die Kö-chin sprach zum Koch, Fang' mir das Mäus-lein doch." Ganz wohlig, ganz heimelig, wurde ihm zumute, ganz eingesponnen in seine Gedankenwelt saß er da und horchte in sich hinein und hörte die alten Stimmen laut werden; sah alte, längst schtafengegangene Gestalten wieder auferstehen und ihm zunicken. Und er nickte ihnen wieder zu und war gsr nicht verwundert ob ihrer Wiederkehr. Ein großer Brummer kam zum Fenster hereingeflogen, umkreiste surrend die kupferne Hängelampe mit dem gewaltigen Spiegelglas schirm und ließ sich dann, hin und her summend, auf dem leeren, nur noch mit einzelnen Bröseln bedeckten Teller nieder. Gedankenvoll schaute Thomas ihm zu; aber seine Gedanken waren weit hinten, in der kleinen Kreisstadt am oberen Rhein, wo auch er einst auf den engen Schulbänken gesessen und ge sungen hatte: „Die Kö-chin sprach zum 'Koch!" Aus tiefem Sinnen schreckte er auf. Die Wirtin war ge kommen und hatte sich zu ihm gesetzt, ein junges, rosiges Weib mit einem flachen, nichtssagenden Gesicht, nur, daß jetzt die heiße Neugier darinnen stand. Da ging die Rede wie ein Wasserfall und war doch nichts darin als Prahlhanserei und abfälliges Urteil über Nachbarn und Freunde, vielleicht auch der plumpe Versuch einer bäuerlichen Koketterie. Thomas Hüglin seufzte auf, zog sein schmales Eeld- beuielchen, zahlte die kleine Zeche und schulterte den Rucksack. Das Weib mit ihrem faden Geschwätz hatte ihm die Stim mung ertötet. Und wie jetzt sein Fuß sich hob und senkte, im gleich mäßigen Schreiten auf der staubigen Landstraße, die sich die Höhe" entlang zog, da blickten seine Augen wieder klar und fest auf das Kommende, das Werdende, wohin er auszog und und wanderte; ein sicheres, geruhiges Brot fürs erste, ein Dach überm Haupt und ein reinlich Bett, kurz, Arbeit. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite