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Wilsdruffer Tageblatt : 18.08.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192608188
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19260818
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19260818
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-08
- Tag 1926-08-18
-
Monat
1926-08
-
Jahr
1926
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 18.08.1926
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nicht ganz stichfest. „Na, also, schön, ich will dem Fräulein Z. 60 Mark zahlen, aber nicht einen Pfennig mehr." Als der Vertreter der Klägerin auf 100 Mark besteht, muß sich die Kammer zur Beratung zurückziehen. Ergebnis? Bei den Parteien wird angelcgentlichst empfohlen, sich auf der Basis von 80 Mark zu vergleichen. Das geschieht — und der Feinkosthändler ist seine hustende Verkäuferin los. Worüber nicht zuletzt auch die Kundschaft einige Freude empfinden dürfte. Denn schließlich: angehustete Deli katessen zu kaufen .... Luspi. -* vermischtes » - — Ein Portier, der einmal ein großer Mann sein wollte. Einen Streich nach dem berühmten Muster des Haupt manns von Köpenick unternahm ein Portier a. D. aus Holthausen. (Lr erschien auf dem Gardetag von Benrath, geschmückt mit einem würdigen Vollbart und zahlreichen Orden, und gab sich als Vorsitzender der Düsseldorfer Ver einigung ehemaliger Angehöriger des 4. Garderegiments zu Fuß aus. In dieser Eigenschaft nahm er. an der Seite des Obersten Reinhardt die Parade der verschiedenen Ver eine ab und fas; stolz mit am Ehreutisch. Allgemein hielt mau ihn für einen Divisionspfarrer a. D. oder für einen Marineoffizier in Zivil. Leider hatte er das Pech, daß er zu später Nachtstunde noch im Festzelt durch Bekannte entlarvt wurde. Juristisches von der Luft. Auf dem soeben zu Ende gegangenen internationalen Juristenkongreß in Wien er örterte Dr. Temple Grey u. a. den Begriff der „Besitz ergreifung" im Hinblick auf den Luftraum und man be kam da recht merkwürdige Dinge zu hören. Bei Radio- fendungen kommt bekanntlich die Durchdringung des Äthers in Frage. Ein Volk, das eine genügend starke Station besitzt, hat damit eine Schicht des Äthers monopo lisiert. Die Wirksamkeit der Stationen erstreckt sich also über fremdes Staatsgebiet, in das sie durch stillfchweigen- des Übereinkommen eindringen. Da nun das Radio, na mentlich seit der Entdeckung der Radiotelephonie, eines der größten Verkehrsmittel ist, erscheint eine Regelung un abweisbar. Es spielte zum Beispiel im englischen Gene ralstreik bei der Einstellung der Zeitungen eine wichtige Rolle. Die Juristen werden also mit dem in Aussicht stehenden neuen Lustrecht noch viel zu tun bekommen. Der Laie aber steht da „machtlos vis-a-vis" und wird sein bißchen Hirn vergebens anstrengen, um herausznkriegen, wie man die Luft nach Nationen abgrenzen und ver teilen will. Laß dich nur zweimal scheiden! In Amerika heiratet man sich scheinbar nur deshalb, weil man das Vergnügen haben will, sich bald wieder scheiden zu lassen. Es muß wohl drüben ein eigener Reiz in der Scheidung liegen, denn man hat festgestellt, daß es in den Staaten Männer und Frauen gibt, die drei-, vier-, fünfmal und noch öfter den Scheidungsrichter bemühen, weil sie immer noch nicht „das Richtige" für die Ehe gefunden haben. Gegen diese Scheidungsmanie nun wendet sich Herr David Brothers, der als erfahrener Richter am Schsidungsgerichtshof von Chikago in hohem Ansehen steht. David Brothers erklärt, daß der Staat feinen Bürgern nur eine zweimalige Schei dung gestatten sollte: jede weitere Scheidung müßte auf der ganzen Linie verboten werden. „Wer eine dritte Scheidung begehrt," sagt David Brothers, „der beweist aufs deutlichste, daß er gar nicht fähig ist, sich einen passen den Lebensgefährten zu wählen: er hat zwei große Irr tümer hinter sich und wird ganz sicher in einen dritten ver fallen. Wenn unsere Großväter sich so oft hätten scheiden lassen, wo stünden wir heute? Und was wird, wenn das alles so weitergehen sollte, nach 25 Jahren das Ergebnis der zahllosen Ehescheidungen sein?" So spricht David Brothers als Sachverständiger in Ehescheidungsdingen. Maulkorbzwang für einen Vulkan. In Managua, das in Nicaragua zu suchen ist, ist ein hübsches Ding passiert. Es liegt dort irgendwo in der Nähe der Vulkan Masaya, an dessen Hängen sich trotz der bedrohlichen Situation, in der sie sich dauernd befindLv, beimststreue Bauern angesiedelt haben. Wenn auch der Vulkan nicht ständig speit, so entsendet er doch giftige Gase, die den, Saaten ringsum seit Jahren großen Schaden zufngen.' Da nun die Gefahr immer größer wird, kamen die Vulkan anwohner auf den originellen Einfall, der Krateröffnung sozusagen einen Maulkorb umzubinden. Geschickte Inge nieure wurden beauftragt, eine Art Drahtmaske für dem Vulkan zu konstruieren; durch diese Maske hindurch wer den dem Krater gewisse chemische Stoffe, die die Gase neutralisieren sollen, eingeflößt. Wenn dieses neuartige Mittel nicht helfen sollte, will man ein anderes versuchen und die Gase in Kanalisationsröhren einfangen, um sie vielleicht noch nützlich zu verwenden. Wie lange sich der alte Krater des ruhig mit ansehen wird, bleibt abzu warten. Das trunksüchtige Dorf. Ein waadtländischer Arzi hat eine kleine Umfrage über den Schuapsverbrauch in Dörfern seines Kantons veranstaltet. Er stellte fest, daß in gewissen Gegenden je nach dem Obstertrag in einer ein zigen Gemeinde 2000 bis 10 000 Liter Schnaps im Jahr gebrannt werden. Es gibt ein Dorf, in dem jede nor male Familie 200 bis 300 Liter Schnaps im Jahre brauchsi Sogar fchon Schulkinder zapfen die Stroh flasche an und kommen stark angeheitert in die Schule; sie brauchen sich aber nicht zu fürchte«, denn auch der Lehrer ist fidel. Zur Erntezeit und bei Besuch wird der Schnaps aus Weingläsern getrunken und gewöhnlich trinkt man auch den Kaffee mit Schnaps oder vielmehr den Schnaps mit etwas Kaffee. Für die Nachkommen schaft dieser waadtländischen Schnapsdörfer sind, wie der Arzt meint, nicht die Männer mit gelegentlichen Kanonen räuschen gefährlich, sondern die Stillen im Lands, dis in ihrer Häuslichkeit tagaus, jagein ihre Flasche Schnaps sich zu Eemüte führen und sich langsam, aber sicher ver güten. WöU und WMöN. . Amundsens Pläne. Aus Oslo wird gemeldet: Amund sen schreibt zurzeit die Geschichte seines Nordpolfluges. Das Buch soll Ende September erscheinen. Es enthält neben Amundsens Aufzeichnungen Berichte von Ellsworth und 'PPen norwegischen Teilnehmern der Expedition. Später rull Amundsen nach den Vereinigten Staaten übersiedeln und oort seine Memoiren schreiben. Er verneint aber jede Absicht, in Amerika Vortrage zu halten oder sich um eine» Lehrstuhl zu bewerben. ' ' - Lumen, Spott unü Spiel j II. Der bekannte Berliner Amateurboxer Siewert ist jetzt Berufsboxer geworden und dürfte eine wertvolle Be reicherung der deutschen Schwergewichtler bilden. Er wird schon bei einer der nächsten Berliner Veranstaltungen als Professional debütieren. kl. Der deutsche Bmateurmeister Oszmella-Köln wird am 5. September erstmalig in seiner Heimatstadt als Berufs fahrer starten. Auch fein Klubkamerad Jean Schorn ist Berufsfahrer geworden. Die beiden Fahrer werden auch das erste diesjährige Berliner Sechstagerennen im No vember bestreiten. dl. Leichtathletikländerkampf Deutschland—Frankreich- Schweiz. Für die große Veranstaltung am kommenden Sonntag in Basel hat nnnmehr auch Frankreich feine Mannschaft ausgestellt. Es werden starten: 400 Meter Degrelle und Mourlon, 200 Meter Mourlon und Cer- bonney, 400 Meter Woljung und Dupont, 800 Meter S. Martin und Blot, 1500 Meter Pele und Berger, 5000 Meter Guillemot und Ladoumegue, 110-Meter-Hürden Sempe und Allart, Hochfprung Lewden und Migault, Stabhochsprung Vautier und Vintousky, Weitsprung Pinson und Behoteguy, Diskus Paoli und Berenger, Speerwerfen Degland und Diringer, Kugelstoßen Paoli und Duhour, 4 X 100 Meter Degrelle, A. Mourlon, R. Mourlon und Cerbonney und 4 X 400 Meter Galtier, Dupont, Woljung und Pontvianne. dl. Futzball-Stndtespiel Berlin—Konstantinopel. Nach dem schönen Erfolg gegen die spielstarken Ungarn werden die Berliner Repräsentativen bereits am 29. August wie derum in Berlin ein Städtespiel bestreiten. Diesmal ist Konstantinopel der Gegner, der feine Anziehungskraft nicht verfehlen dürfte. Aus dem GerichLssaal. § Vorläufiger Strafaufschub für die Gräfin Bothmer. Gräfin Bothmer hatte sich mit einem Gesuch um Strafauf schub unmittelbar an den Preußischen Landtag gewandt und als Grund ihre derzeitige wirtschaftliche Notlage angegeben, bei der eine sofortige Inhaftierung ihr die Möglichkeit ent-, ziehen würde, weiter in ihrem neuen Berus ihren Unterhalt zu erwerben. Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf Aus setzung der Strafvollstreckung bei dem zuständigen Staatsan walt in Potsdam gestellt. Dieser hat gestern vormittag dem Anträge stattgegeben und von einem Hastbefehl gegen die Gräfin bis zur Entscheidung des Preußischen Landtages über ihr erneutes Gesuch Abstand genommen. Z Revision im Fall Flessa. In letzter Stunde legten gegen das vom Frankfurter Schwurgericht gegen die Kranken schwester Wilhelmine Flessa ergangene Urteil der Verteidiger Professor Dr. Sinzheimer, die Verteidigerin Dr. Anna Schulz und der Oberstaatsanwalt Revision ein. Während der Ver teidiger die Revision gegen das erste Urteil aus die Verletzung des formalen Rechts stützte, wird nunmehr von allen Seiten die Revision mit einer Verletzung des materiellen Rechts be gründet. § Budapester Frankfälscherprozetz. Der Sekretär des Prin zen Ludwig Windischgrätz, Desiderius Raba, der Kronzeuge, der ganzen Affäre, zog in der Verufungsvcrhandlung seine vor dem Strafgerichtshof gemachten Aussagen zurück, in denenf er den Ministerpräsidenten Grafen Stephan Bethlen, den Grafen Paul Teleky, den Feldbifchof Zadravec und den Gene raldirektor der Postsparkasse Gabriel Baros schwer belastet und! die Frankfälschungen auf eine staatlich organisierte Organi sation zurückgesührt hatte. Raba sagte u. a. wörtlich: „Von den meisten Dingen habe ich nur indirekt gehört und ich habe meine Aussagen in. gutem Glauben getan. Ich stand nur mit meinem Rechtsanwalt Dr. Delek in Verbindung und er hat mir meine Aussagen suggeriert." Arbeiter und Angestellte. London. (Der englische Bergarbeiter streik.) Oie Bergarbeiterführer melden, daß die Mehrheit der Berg- irbeiter in Nottinghamshire den Vorschlag annahm, nach wel- hem ein Exekutivausschuß mit der Aufgabe betraut werden soll, über den Frieden mit den Arbeitgebern zu verhandeln, and dies ohne eine andere Bedingung als die einer Befra- zung der Bergarbeiter über die Bestimmungen einer even- mellen Regelung. Bücherschau. Hellmuth Unger: Dis Insel der Affe». Komödie in vier Aufzugen. Unwersal-Bibliothek Nr. K648. Heft 40 Pf. Verlagsbuch handlung Philipp Rcclnm jun. Leipzig. Was Hellmuth Nngers „Insel der Affen" hoch aus der Flut der neuesten dramatischen Literatur heraushebt, sind Tempo, Rhythmus und Sensationsfreudigkeit als Aus druck unserer Zeit, sowie das organische Verbundensein mit ihrer Problematik. Hier ist dem Theater endlich wieder einmal gegeben, was es braucht, Handlung, Spannung und echte Komödienheiterkeit. Die Aufführung am Deutschen Landestheater in Prag brachte dem Stück einen begeisterten Publikumserfolg. Louis Couperus: Lucrezia Borgia Einzig bcrechügte llcber- tragung. Aus dem Holländischen von Else Otten. Mit einem Nach wort von Hans Lebede. Nniversalbibliothek Nr. 6641 Heft 40 Pf,,. Band 80 Pf., Ganzledcr Mk. K.— Verlagsbuchhandlung Philipp Reclam jun. Leipzig. Die Erzählung führt in die Zeit des Verfalls der italiennchen Renaissance; auf einem glänzend geschilderten Hinter grund spielt sich das Schicksal der schönen Lucrezia Borgia ab. Cou perus verfügt über große, kulturhistorische Kenntnisse und versteht es, aus ihrem iausendfarbigen Mosaik ein grandioses Gemälde von Reich- ium und Anschaulichkeit zu entwerfen. In der Darstellung von Massen szenen, Prunk und Glanz der Feste, bekundet er sein größtes Talent. Sein Werr jedoch rv'Dd ilnrner geadelt Vie feclifcve driugung der Vergangenheit, die auch Häßliches zur Höhe menschlich resignierter Erkenntnis erhebt. So gelingt es ihm, uns auch die be rühmte und berüchtigte Lucrezia Borgia menschlich nahe zu bringen. „Gejalzencs »nd Gepfeffertes." 1000 Witze und Anekdoten von Ernst Warlitz, 288 Seiten, Titelbild von F. Koch-Goiha, Preis gebunden Mk. 3.LO. Max Hesses Verlag, Berlin W 1ö. Die Zeiten sind ernst, die Zeiten sind schlecht. Jeder jammert und stöhnt. Das beste Mittel gegen Sorgen ist nach Busch Likör. Aber auch der hat seine Schattenseiten. Ich halte cs in Znknnft mit dem Nach von Warlitz. In griesgrämiger Stimmung habe ich es zur Hand genommen und begann zu lesen. Bald vergaß ich die Umwelt, vergaß mas mich drückte und lächelte und las weiter und lachte aus vollem Halse. Und strich den Witz zum Erzählen »nd nahm mir vor, jene Anekdote nächstens zum Besten zu geben, kurz aus dem grauen Alltag war ein Tag voll Sonnenschein und Fröhlichkeit geworden. Und als ich endlich das Buch znklappte, da dachte ich mir: Was Meister Koch-Gotha auf dem Titelbild so glänzend dargestellt hat, was dec Titel anzeigt und das Vnch so treulich hält, es nützt nichts, von Zeit zu Zeit brauchen wir etwas „Gesalzenes und Gepfeffertes". Thoms WAS CWtHW Roman von Karl Ganchel. e . * -t' Thomas Hüglin dankte dem Auskunftgeber, zahlte und schlenderte gemächlich durchs Dorf. An der Kirche bog er ab. 'Zwischen Hecken führte der Weg hier zur Höhe, und bald traten auch von beiden Seiten gutgeschonte Tannenbestände ,an die nicht allzu breite Fahrstraße heran., „Wir wollen den Baum binden». >So binden wir den Baum. "Unserm Gretel so klein, § Soll der Baum gebunden fein." Hier herrschte wohliges Schweigen. Ab und zu stieß ein Vogel über die Schneise, hier und da ertönte ein lockender Ruf, sonst war es stist. Mit tiefen Zügen atmete Thomas die kräftige Luft. Den leichten Panama weit in den Nacken geschoben, während das wirre, dunkle Haar auf die Stirn quoll, so ging er langsam bergan, die Augen zur Höhe ge richtet, wo zwischen den dichten Baumgipfeln ein schmaler Streifen blauen Himmels sichtbar wurde. So erreichte er die Höhe und blieb überrascht, überwältigt von dem Bild, das sich plötzlich ihm bot, stehen. Etwas seitwärts, bis jetzt den Blicken verborgen ge blieben, lag mitten im weiten Park ein zweistöckiges, weißes Haus, ringsum von zierlichem Eisenstaket umgeben, umblüht und umwuchert von Blumen des Herbstes. Und geradeaus eröffnete sich der freie Blick auf das Rheintal. Da lag vor ihm, unten im jenseitigen Tale, Beuel, reckte sich trutzig und fest mit ihren wehrhaften Toren und Türmchen die Bonner Rheinbrücke über des Stromes grünschimmerndes Band. Da ragte am anderen Ufer die alte Universitätsstadt des Rheines mit ihren Kuppeln und Türmen funkelnd und glänzend im Hellen Sonnenschein des Spätnachmittags. Und seitwärts aus blauer Ferne winkte und grüßte das Land der „Sieben Berge". Ganz hingerissen lehnte Thomas Hüglin am Gitter- pförtchen des Gartens und trank das Bild der Heimat mit wonnetrunkener Seele und sah und hörte nichts. Bis hinter ihm ein silbernes Lachen erscholl, Mädchenröcke raschelten und eine lustige Stimme ertönte: „Wenn Sie sich noch einmal satt geschaut haben, dann lassen Sie mich bitte vorbei." Ganz überrascht schnellte Hüglin herum. „Der Verg- engel." Unwillkürlich kam das Wort über seine Lippen. Die junge, bildhübsche Dame, die da in einem eleganten, weißen Stickereikleid, den großen Strohhut mit der Rosengirlande auf dem aschblonden Haar, auf der anderen Seite des Törchens stand, lachte belustigt auf. „Sind Sie etwa ein Dichter, mein Herr?" fragte sie schalkhaft. Nun lachte auch Thomas. — „Leider nicht, gsiädiges Fräulein, aber ich glaube, hier oben kann man es werden." — »Nicht wahr, es ist wunderschön bei uns?" Der ganze überzeugte Stolz des heimalfrohen Kindes klang aus ihren Worten. Inzwischen war der junge Mann zur Seite getreten und stand, ehrerbietig den Hut in der Hand, am Wegrain. Sie hatte das Pförtchen geöffnet und schritt nun mit einem leichten Nicken des schönen Köpfchens an ihm vorbei. Da, mit jähem Entschluß, trat er, immer noch den Hut in der Hand, an Ems der Kleinen stolperte, ein anderes fing es im Fallen aus, da purzelten alle beide im wirren Durcheinander der Ärmchen und Beinchen auf dem zerpflügten Rasen. Drollig sah es aus, wie die zwei sich wieder hochkrabbelten, eins am anderen sich sesthielt und zuguterletzt doch wieder beide am Boden strampelten. .. .. Thomas Hüglin mußte laut auflachen. Der Wirt, ein aufgeweckter, kräftiger Bauer, kam hinzu und sagte mit lachendem Blick durchs Fenster: „Jjo, Häär, datt sinderrer! Datt is esu kregel, esu pläsierlich Völkche, do lache mer us kaput dröwer." Thomas erkundigte sich bei dem Mann, der ihm entschieden besser gefiel, als die Frau es damals getan hatte, nach etwaigen schönen Punkten der Umgegend, und der Wirt nannte ihm als besonders sehenswert die „Rheinluft", ein kleines villenartiges Landhaus in der Nähe, aus einer kleinen Anhöhe von ausgedehnten Tannenschonungen umgeben, mit der Aussicht auf den Rhein. „Do wännt dä ahl Tünnes Moseler!" setzte er hinzu, und Thomas erfuhr, daß es ein sehr reicher Rentier sei, der indes etwas allzu reichlich dem Weine zuspreche, den er früher Engros verkauft habe. „Aver datt Käthche, datt is enen leibhaftige Engel!" ,,.! Im kleinen Gasthof machte er auch heute kurze Nast. Es saß sich so wohlig m der engen Stube am offenen Fenster, so kühl rauschten die Kastanienbäume, und so fein trank sich der duftige Most, und da draußen vor der Schule klapperten so traulich die Holzpantöfselchen Kinder, ging so lustig der Ringelreigen in der alten, ihm wie Heimatland im Herzen erwachenden Melodie: . ihre Seite. „Wir haben denselben Weg, wie ich sehe, darf ich Ihnen wohl meine Begleitung. anbieten, Fräulein Moseler?" Überrascht sah das Mädchen zu ihm auf. Aber sein offenes Gesicht, seine weltmännische Art und seins durchaus ehrerbietige Haltung gaben ihr die einfache Sicherheit der Rheinlandstochter schnell wieder zurück. Neckisch wiegte sie das Zöpfchen: „Tja, mein Herr! — Eigentlich kenne ich Sie doch gar nicht, und Miß Farrington hat mich dahin belehrt, mit unbekannten Herren zu gehen, ist unpassend." — Heiter lachte er auf. „Die Sünde kann umgangen werden, gnädiges Fräulein, mein Name ist — —!" — „Halt!" fiel sie ihm ins Wort, „ich glaube, ich habe Ihren Steckbrief in der Tasche, will sagen, hier oben!" Der rosige Zeigefinger tippte über mütig gegen die weiße Stirn. „Meinen Steckbrief?" fragte Hüglin betroffen. — „Sicher!" bejahte sie eifrig, passen Sie mal auf: Schwarzes, gelocktes Haar, dunkle Augen, hübscher Mund, der aber vom Schnurrbart zum Teil verdeckt wird, gesunde Zähne, gerade Nase. Besondere Kennzeichen: Schmiß auf der linken Backe, tritt sehr gentlemaniike auf, ist in Kamerun, auf dem Chimborasso und dem Himalaja gewesen, zurzeit Chefingenieur» der Louis-Ferdinand-Hütte, soll ein kolossales Arbeitspferd sein und heißt Thomas Hüglin! Stimmt's?" Triumphierend blitzten die blauen Augen den Verdutzte» an; das feine, schmale Näschen hob sich keck beim Zurück werfen des Köpfchens. Ganz hilflos komisch klang die Stimme des Mannes: „Aber sicher stimmt das, gnädiges Fräulein; aber woher um des Himmels willen kommt Ihnen diese über raschende Weisheit?" — „Ich könnte ja nun sagen, mein Geheimnis, aber ich will es Ihnen schon einmal gestehen. Ihr verehrter Direktor, der hochwohlgeborene Herr Doktor- Ingenieur Hans Westermann, ist meine Quelle gewesen." — „Ach so", machte Thomas Hüglin befriedigt, „kennen Sie den denn?" Wieder lachte das lustige Mädel. „Naive Frage, wahrhaftig! Wo wir doch sozusagen dieselbe Flasche gelutscht haben? Als Baby natürlich. Sicher kenne ich ihn. Besser sogar, als er sich selbst. Aber hier muß ich Sie Ihrem Schicksal überlasse«. Sie verkappter Lyriker, gehaben Sie sich so wohl als auch, es war sehr schön, hat mich sehr gefreut usw." Lachend sprudelte sie die Worte heraus, raffte die Röcke, machte noch einen spöttischen Knir, und ehe Thomas Hüglin ein Wort erwidern, ehe er überhaupt den Hut ziehen konnte,- war sie im Gemeindeamt verschwunden. "ch- —(Fortsetzung folgt.) > "
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