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Wilsdruffer Tageblatt : 07.08.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-08-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192608074
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19260807
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19260807
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-08
- Tag 1926-08-07
-
Monat
1926-08
-
Jahr
1926
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 07.08.1926
- Autor
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das Dunkel. Sie schaffte sich vorwärts bis an den Stamm und kletterte mit größter Vorsicht hinunter bis zum nächsten Ast, wo sie wieder Umschau hielt. Ein zorniges Knurren — es hörte sich an wie ein halblauter Fluch — entfuhr leise ihren Zähnen. Fast hätte sie sich dadurch verraten. Aber da sollte einer mit Ruhe zusehen. Vögel saßen schon genug da und alle im schönsten Schlafe, aber unerreichbar für die gierigen Tatzen, ganz weit außen auf den dünnsten Zweiglein, wohin ein so schweres Tier wie eine Katze überhaupt nicht oder nur unter lautem Getöse gelangen konnte. Mit knirschenden Zähnen saß Muinz da und ließ die fun kelnden Augen umhergehen. Der geringste Versuch, einen der dünneren Zweige zu betreten, mußte Geräusch verursachen, und dann war in einem Hui der ganze Baum leer. Mißmutig kletterte sie im Schneckentempo den Stamm weiter hinunter. Da gewahrte sie in nicht allzu großer Entfernung den schla fenden Buchfinken und den Rotschwanz. Ihr Zweig war an der Wand umgebogen, so daß er vom benachbarten Ast aus mit der lang ausgestreckten Tatze vielleicht erreicht werden konnte. Mit Wohlgefallen weidete sich die Räuberin an den schönen Gestalten der beiden Schläfer, von denen ihr jetzt einer zur Beute fallen sollte. Sie wog ab, welchen sie wählen sollte, ent schied sich aber sofort für den kräftigen Buchfinken. Hui, wie sie sich jetzt lang machte, wie ein richtiges Raub tier, wie sie die Flanken anspannte und die Beinmuskeln straff anzog, jetzt galt die entscheidende Tat. Mit grabesleisen Tritten schlich sie um den Stamm, um auf den Ast zu gelangen, von dem aus die Beute zu greifen war. Sie schwelgte schon im Genuß des kommenden Frühstücks. Wie sie auf den Ast einbiegen wollte, sah sie mit halbem Blick einen schlafenden Vogel in der Astgabel sitzen, zwischen Stamm und Ast. Es war ein Sperrling, und zwar ein uner fahrener, sonst hätte er sich diesen Platz nicht ausgesucht. Ge rade schlug er dis Augen auf und sah gleich phosphoreszierenden Lichtern die beiden Raubtieraugen über sich, — schon traf ihn der tödliche Schlag mit der furchtbaren Tatze. Aber so schnell hatte der Tod doch nicht einkehren können, um den Todesschrei des armen Opfers nicht wenigstens halb ertönen zu lassen. Wie ein unterdrücktes schmerzhaftes Quiek sen hörte er sich an. Mit den beiden Vordertatzen lag die Jägerin auf der zuckenden Beute, von ihrem Jagdglück halb berauscht. So merkte sie nicht, wie über ihr im Laube ein Flattern auflebte, wie die beiden glücklichen Schläfer unter ihr den Kopf auf hoben und in den Tod erschraken, als sie gegen den Hellen Himmel hin mit größter Deutlichkeit sich den geschmeidigen Körper ihrer Todfeindin abheben sahen. Sie fielen mehr, als sie flogen, vom Zweig herunter und flatterten in größter Eile durchs untere Laub des Birnbaumes hindurch auf die fernen, Spitzen zweier Zaunlatten, wo sie sich von ihrer schlaftrunkenen' Angst erholen und nach einem neuen Quartier für den Rest der Nacht umsehen konnten. Jie Kluft. Skizze von Hans Waldau. Werner Berg liebte seine Frau. Und er mußte, daß sie mit allen Fasern an ihm hing. Aber es schmeichelte ihn, immer wieder von ihr zu hören, immer wieder zu spüren, was er ihr war. Und wenn Frau Berg Tage hindurch in stiller Gleich mäßigkeit freundlich zu ihm gewesen war, fand er immer eine kleine Neckerei, daß sie ihm plötzlich um den Hais fiel und seine Worte durch Küsse erstickte. Das freute ihn. Und nach einer Woche begann er dasselbe Spiel. Einmal kam er spät nach Hause. Die Frau saß in einem Sessel und wartete auf ihn. „Du bist noch wach?" „Ja, warum kommst du so spät?" „Ach, irgend etwas hielt mich ab. Kleinigkeiten." < „Sag es mir!" „Wir waren in lustiger Gesellschaft. Man merkt sich das. alles nicht so genau." „Waren Frauen dabei?" „Nur eine." „Und wieviel Herren?" „Außer mir niemand." Frau Berg lächelte ungläubig. „Das glaubst du mir gar nicht," fuhr der Mann fort, „daß ich auch Andere küssen kann?" Die Frau ging still zu ihrem Sessel zurück. „Warum soll ich es nicht glauben? Ich küsse dich ja auch nicht allein." Jäh packte Werner ihren Arm. „Und das sagst du mir so ruhig? So selbstverständlich? So betrügst du also mich? Und spielst die Keusche, Reine, wenn > ich bei dir bin? Was mag hier alles vorgehen, wenn ich nicht ! da bin!" Stolz schaute die Frau ihn an. „Du beleidigst mich. Denn was du glaubst, tun zu können, kann ich auch. Hast du mir nicht eben mit der gleichen Selbst verständlichkeit gesagt, daß du von einer anderen kommst?" „Du weißt, daß das nicht wahr ist! Ich wollte sehen, ob du Vertrauen zu mir hast. Aber nun habe ich dein Geheimnis dir entlockt. Daraus war ich nicht gefaßt — darauf nicht —" Werner wandte sich ab und wollte hinausgehen. Da stand die Frau vor ihm. „Man spielt mit solchen Worten nicht, hörst du? Du hast mir weh damit getan. Und wie weh das tut, wollte ich dir damit zeigen, daß ich dir das Gleiche sagte. Daß ich immer nur für dich da bin, weißt du doch, Werner!" Der schaute seine Frau lange an. Und hat sie leise geküßt. Und sie saßen wortlos noch spät in die Nacht mit geschlossenen Händen ... Aber seit jener Nacht ist immer, wenn Werner Berg nach Hause kommt, in den Augen der Frau ein ratloses Suchen, und des Mannes Umarmungen sind voller Scheu und Zweifel. Nachtgäste. Skizze von Heinz Weber. Auf dem Bauernhof war nach dem Feierabend die Nacht , erngekehrt. Längst waren alle Türen innen verriegelt, die - Giebelschale war verschlossen, und hinter den schwarzen Fenster- s scheiben tauchte kein Gesicht mehr auf. Der Bauer schlief in seiner Kammer. Keinen halben r" Schritt von seinem Kopf entfernt, nur durch die Hauswand da von getrennt, saßen im Gezweige des Birnbaumes ein Haus- ! rotschwanz und ein Buchfink, hatten das Köpfchen untergesteckt ! und schliefen mit dem Bauer um die Wette. Nur war ihr Schlaf nicht so tief. Denn das Tier der freien Natur muß m i jedem Augenblick auf einen Ueberfall gefaßt sein. Tiefe Stille herrschte umher. Sie wurde auch nicht durch ; die leisen Tritte der Katze unterbrochen, die eben mit vorsich tigen Bewegungen über den Dachfirst des Bauernhauses stieg, . dann die hölzerne Windborde herunterlief und langsam sich Zutritt zu der überhängenden Krone des nahen Birnbaumes verschaffte. Einen Augenblick hielt sie inne, bis sich in dem Dunkel, das hier herrschte, der Pupillenspalt ihres Auges weit. Kreisrund auseinandergezogen hatte. Mit blutgierigem Raub- tierblick schaute sie um sich, das Dunkel durchdringend, jeden Ast absuchend. Sie wußte, daß sie vorsichtig zu Werke gehen mußte. Der , geringste Fehlgriff mit den Krallen, ein Absplittern der Rinde schuppen, ein Knacken machte das ganze Unternehmen erfolglos. Und sie wollte, sie mußte diesmal eine Beute haben, sie mußte Fleisch essen. Die ewige Milch und das eingebrockte Brot, das hatte sie ganz schlapp und verdrossen gemacht. Die , Jagd auf Mäuse brachte nichts ein. Vergebens war sie seit acht Tagen allnächtlich durch Scheuer, Stall, Schweinestall, Heuchor, " Holzstall, Keller, Küche und Speicher geschlichen, Um etwas zu erjagen. Sie hatte nicht einen einzigen Pieps gehört. . Darum ging sie jetzt auf die Vogeljagd, obwohl sie wußte, daß ihr Herr ihr deshalb grollen würde, denn seiner Meinung nach war eine Katze, die Vögel fing, nur noch das ' Ersäufen wert. Das Ersäufen! Hu, ihr gruselte bei dem bloßen Gedanken - daran. Sie hatte schon über die näheren Umstände dabei man cherlei gehört: von dem mit einem Stein beschwerten Sack, in . f den man gesteckt würde, und von dem großen, tiefen Wasser- § tümpel Hinterm Dorf, Katzenbad genannt, aus dem es kein Ent- ! rinnen mehr gab, und von dem kalten, schmutzigen Wasser, in dem gestorben werden mußte. Kein Wunder, daß der Bogel- ! fängerin gruselte und daß ihr doppelte gruselte unter dem Bewußtsein ihrer großen Schuld. Fast bekam sie es mit der Angst zu tun. Sollte sie um- i kehren? — Aber was waren solchen Anwandlungen gegen den ! Trieb, Fleisch zu essen! Es mußte eine Beute gemacht werden, i unter allen Umständen. Langsam schlich die nächtliche Jägerin auf dem Ast weiter, »uf dem sie saß; ein Stückchen nur. Wieder äugte sie durch Ilm heimischen fiera Amtsblatt Die süßen Gewässer, die aus dem Inneren des Landes her sich einen Ausgang erringen ivollen, geraten mit ihm in Streit, wobei mächtige Wirbel entstehen. Endlich siegt der Ozean. Die weiten, kahlen Sandbänke schmiegen sich wieder unter die Decke des Ozeans. Die Vorlande der Insel verschwinden wieder. Die Hafendämme der Städte, vorher riesengroß, schrumpfen fast zu nichts zusammen. Alle Schiffe, welche die Ebbe auf den Sand setzte und die, schief auf die Seite geneigt, traurig da lagen, richten sich gemach wieder auf und schweben beweglich und llntervattungsdettage rum „Mlsarutter Tageblatt" Jas Engelmörchen. Mutter und Tochter beim Abendstern Sahen beisammen schon manches Jährchen, Tochter lauschte der Mutter so gern, Ihren schönen Legenden und Märchen. Doch auch als Jungfrau hörte sie zu, Wenn die Mutter von Engeln erzählte. Mutter verhieß ihr: Auf Erden bleibst du, Ich schweb' bald auswärts als Toderwählte. Oben schweb' ich als Engel. Doch stets Aus dem Reigen der ewig Erlösten, Quält dich ein Leid, dann lausch', dich umweht's, Ich komm' zu dir dann, mein Kind, dich zu trösten. Mütterchen schied; sie hatte vorher Noch die Tochter als Braut gesehen, Nicht mehr als Mutter; ihr Leben ward schwer! Mutter, was zögerst du, bei mir zu stehen. Warst doch so gut, und du versprachst, Wenn ich verzweifle, regst du die Schwingen. Weiß, daß du nie ein Versprechen brachst; Komm doch, komm endlich, mir Trost zu bringen! Schmeichelt ihr Töchterchen: Mutter, hör' zu, Laß dich nicht von den Leiden so quälen! Komm' in den Mondschein! So schön wie du Kann keine andre von Engeln erzählen. Hugo Salus. schwankend empor auf dem klaren Elemente. Die Ebbe hat längs des Gestades eine Menge von Auswürflingen zurllckge- lassen. An vermorschten Planken der vor alters gescheiterten Schiffe haften grüne Fadenalgen der verschiedensten Bildung nebst jenen graugelben moosähnlichen Hydropolypen, aus denen merkwürdigerweise Strahltiere, nämlich Quallen, entstehen. Vögel beleben den Strand; vor allem sind es die Möven, welche in unermüdlichem Fluge in die Wogen tauchen, um ihre Beute zu erhaschen. Die Ebbe, welche den Strand weithin bloßlegt, hat vor der Flut den Vorzug größerer poetischer Schönheit. Sie enthüllt eine Menge Geheimnisse der Tiefe. Da kommen die hübschen Muscheln und die wunderlichen Ungetüme des Meeres zu Tage; da sieht man die versandeten Wracks; da zeigen sich Kräuter und Korallen, die in der dunklen Tiefe des Meeres wuchsen. Einer Naturerscheinung im Meeresbereiche dürfen wir nicht vergessen. Es ist dies das Meeresleuchten, welches besonders vor und nach dem Gewitter und bei stiller, lauer Luft sich ein stellt und von Infusorien bewirkt wird. Das Meeresleuchten findet sich selbst bei Grönland, ist indes besonders prächtig unter den Tropen, doch auch überraschend schön in der Nordsee. Däs Schönste auf dem Meere sind wohl die Nächte im Sommer, still und ruhig und über uns ein wundervoller Sternenhimmel. Sitzt man an Bord und schaut um den Bug des Schiffes den weißen Schaum, so ist man entzückt über die herrliche Klarheit des Wassers. Es ist unbeschreiblich und immer wechselnd, und je länger man hineinsieht, umso schöner wird es. Ja, das Meer hat eine Poesie, es zieht uns alle mit ge heimnisvollen magischen Banden immer wieder an seinen Bu sen, um hier Erholung und Stärkung zu finden; es hat seit den Tages Homers die Dichter immer wieder angeregt, in die vollen Saiten zu greifen. Und wir alle stehen unter ihrem zauberhaf ten Banne und fühlen das Herz Klopfen bei ihren bald leise und wehmutsvoll quellenden, bald stürmisch und jubelnd rauschenden Akkorden. Rsseuzeit. Skizze von I. Vulpes. Frau Martha, die in der äußeren Stadt ein hübsches Haus mit einem sehr schönen Garten besaß, war ungemein sparsam. Es gefiel ihr deshalb, daß Otto, der sich um ihre Tochter Elisabeth bewarb, allem Anschein nach keine unnötigen Aus gaben machte. Sie willigte also auch gerne darein, wie er nun eines schönen Tages im Mai kam und um die Hand ihrer Einzigen bat, die ihr schon vorher mit dem erforderlichen züchtigen Erröten ge- stanoen hatte, daß sie ohne ihn nicht leben könne und daß auch er nicht leben könne ohne sie. > Von diesem Augenblicke war Otto natürlich täglicher Gast im Hause, zumal ja auf seinen besonderen Wunsch die Hochzeit schon in sechs Wochen stattsinden sollte. Denn er sehnte sich sehr nach einem eigenen Heim — und weil auch Elisabeth sich bet der vollkommenen Uebereinstimmung beider sehr nach einem eigenen Heim sehnte und weil Frau Martha von langen Ver löbnissen nichts hielt, wurde beschlossen, die Hochzeit schon für Ende Juni anzusetzen. „Denn" — sagte Frau Martha — „mit der Brautschaft ist . es wie mit den Gummibändern. Wenn man sie zu lang trägt, ! dann dehnen sie sich allzu sehr aus, und dann taugen sie nichts i mehr." Otto war der liebevollste, feurigste und aufmerksamste Bräutigam, den man sich vorstellen kann. Er kam nie ohne einen kleinen oder größeren Rosenstrauß, worüber Elisabeth natürlich sehr entzückt war. Bald stand die ganze Wohnung voll frischer, halbfrischer, welkender und ver welkter Rosen, und außerdem hatte sie schon gepreßte Rosen in allen Büchern und Rosenblütter in verschiedenen Flaschen an gesetzt, wo sie Rosenwasser destillierte, das ja — so bemerkte Frau Martha zustimmend — ebenso gut und billiger war als gekauftes. Auch Frau Martha war von der Aufmerksamkeit Ottos selbstverständlich erfreut. Aber doch war diese Freude nicht so rein wie ihr Wohlgefallen an seinen sonstigen Eigenschaften. „Dieses Rosenbringen übertreibt er", bemerkte sie wieder- holt. „Sie kosten ihn doch eine Masse Geld. Ich hätte ihn für klüger und sparsamer gehalten. Hoffentlich lernt er nicht da durch das Verschwenden. Du solltest doch einmal mit ihm darüber sprechen, Elisabeth — nicht daß er sich das so angewöhnt und es später auf andere Dinge überträgt!" Elisabeth versprach zwar, mit Otto zu reden. Sie tat es aber nicht. Denn erstens freuten sie die mitgebrachten Rosen und die dadurch bekundete innige Liebe zu sehr, und dann wollte , sie ihren Bräutigam nicht kränken, und drittens wußte sie, daß. er als Ehemann ja doch unter ihrer umsichtigen Pflege und ' Leitung kein Verschwender werden würde. So kam denn der Hochzeitstag heran, den Otto noch einmal durch einen Rosenstrautz verschönte — selbstverständlich den größten, prächtigsten und ausgesuchtesten, den er jemals ge bracht hatte. Als dieser beim Mahl nach Gebühr bewundert wurde, sagte Frau Martha mit freundlicher Offenheit: „Ich bin aber doch froh, daß jetzt dieser Rosenkultus ein Ende hat. Denn es er regte mir immer Unbehagen zu wissen, lieber Schwiegersohn, daß Du dafür soviel Geld ausgegeben hast ..." „Aber" — antwortete der junge Ehemann lächelnd — „ich habe ja gar kein Geld dafür ausgegeben." Alles betrachtete ihn erstaunt. „Wieso denn das?" rief Frau Martha verwundert. „Ich habe nämlich" — sagte er halblaut und schaute etwas verlegen auf das Tischtuch — „alle diese Rosen, liebe Schwieger mutter, heimlich aus Deinem Garten ... entliehen!" Ein Sturm schallenden Gelächters brauste durch das Hoch zeitszimmer. „Aber, Otto" ... lispelte die junge Gattin verschämt. Nur Frau Martha verzog keine Miene. „Was Du da getan hast, lieber Schwiegersohn" — erklärte sie dann mit ernster Wurde — „war eigentlich ein Unrecht. Aber" — ihr Gesicht wurde freundlicher, und sie nickte ihm wohlwollend zu — „es freut mich doch, daß Du so fvarsam gewesen bist!" Jie Poesie des Meeres. Von vr. Otto Weddigen. Dunkelblau, wie der Saphir, ist unter den Tropen häufig die unendliche Fläche des Meeres; licht und blau sind die ewigen Räume des Aethers, von der blendenden Sonne durchglänzt. Ein rascher Ostwind kühlt die Luft und füllt die Segel. Brau send upd zischend bricht der Rand der aufgeregten Wellen zu schneeweißem Schaum. Ueber des Mastbaumes höchster Spitze schwebt der Fregattvogel und staunt das segelnde Fahrzeug wie ein fremdes Ungeheuer aus seiner sicheren Höhe an. Nun reihen sich über dem unermeßlichen Meere kleine Punkte wie Wölkchen in gleicher Höhe. Jedes Wölkchen scheint, durch das Fernglas betrachtet, oben in kleine Strahlen geteilt. Jetzt erblickt man am Rande des Meeres, wo es sich zum helle ren Himmel scheidet, einen dunklen Strich: Es ist Land. Ein flaches Koralleneiland ist es, und die darüber schweben den Wölkchen sind die Gipfel der Kokospalmen. Noch sieht - inan ihre zarten, schlanken Linien nicht; vom Lichte des Tages " umflossen, verlieren sie sich darin, wie des Mondes schwach erleuchtete Hälfte unseren Augen entschwindet. Das ist ein Bild aus dem Tropenmeere, und es ist ein Bild " reiner und entzückender Poesie. Wundervoll und ganz eigen ist eine wochenlange Fahrt . über das größte aller Weltmeere, neben dessen unermeßlichen Weiten der atlantische Ozean fast wie ein Binnenmeer erscheint. Wenn z. B. Amerikas Küsten am „Goldenen Tor" hinter dem Seefahrer verdämmert sind und nur Himmel und Meer in ge- - schlossenem Rund ihn umgeben, dann ist man losgelöst vom großen gemeinsamen Leben der Kulturmenschheit. Glatt wie , eine blanke Metallfläche oder mit leichter Kräuselung dehnt sich die Meeresflüche ringsumher aus, in wunderbarem, in Worten gar nicht wiederzugebendem Schimmer. Ms seien Ströme von Diamanten über die Meeresfläche ausgegossen, so funkeln tags über die kleinen Glanzlichter über dem Wasser, und die Nächte, die zaubervollen Nächte! — Wenn das Tageslicht nach kurzer Dämmerung verglommen ist, dann glüht ein Sternenhimmel von unsagbarer Hoheit über dem Reisenden. Wie schön ist es da, in der weichen Nachtluft am Vordersteven zu stehen und den schlanken Bug das dunkle 1 Wasser mit schwach phosphorischem Schein auf beiden Seiten von sich werfen zu sehen! Jedoch einer jeden Zone, einem jeden Meere hat die Natur - eigentümliche Schönheiten verliehen. Sogar das Polarmeer, die I unwirtbaren Volargegenden, wo die Kälte die Vegetation in - Bande schlägt "und das Leben nur mit Mühe gegen ein eisernes i Klima ankämpft, sind von ihrer freigebigen Hand aufs herr- lichste geschmückt, und was ihnen an Anmut fehlt, ersetzt hier eine wunderbare Majestät. Hier schwimmen die Eisberge gleich kristallenen Felsen; hier senken sich die großartigsten Gletscher ins Meer; hier vor allem flammt die magische Erscheinung des Nordlichtes. Aber wir haben nicht nötig, erst in die Tropen, nach dem Nord- oder Südpol zu fahren, nm die Poesie des Meeres zu genießen. Das kleine friedliche Fischerdorf mit den ausgefpann- ten Netzen — ja der Fischfang selbst — hat nicht die Poesie auch um sie ihren goldenen Schleier gewoben? Gebe man dem armen Fischer ein gutes Geld, das ihn ernährt, wenn er halb so viel arbeitet als in seinem leichten Boote, er wird es verschmähen — verschmähen, wie der Jäger das bequeme Haus verschmäht. Die Sehnsucht des einen hängt an den Meereswogen, die des anderen an dem rauschenden Waldesdunkel. Und darin, in diesem Sehnen und in diesem zähen Festhalten liegt ein Zug von Poesie. Ein sonderbares poetisches Schauspiel ist an den Küsten der Nordsee die täglich zweimal eintretende Ebbe und Flut. Da stürzen sich, wenn die Ebbe eintritt, in eiliger Hast Ströme und Flüsse ins Meer hinaus» Ueberall wachsen trockene Länder aus dem Meere heraus. Jede Insel, an der man vorllberfährt, umgibt sich mit breitem Gürtel Vorland, das sich sofort mit Menschen bevölkert, die den Krabben und anderen im Schlamme gebliebenen Seetieren nachstellen. Plötzlich entsteht ein Stillstand in der Strömung. Es scheint, . als wären alle während der Ebbe so rasch eilenden Flüsse in - ruhige Seen verwandelt. Das Meer drängt erst leise rückwärts.
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