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Wilsdruffer Tageblatt : 15.05.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192605153
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19260515
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19260515
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-05
- Tag 1926-05-15
-
Monat
1926-05
-
Jahr
1926
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 15.05.1926
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« IS u S § S s o N tt tt Mm heEjNUÄMN K Untervaltungsbeilsge rum „AilraruNer Lsgevistt" — Amtsblatt. Aegyptische Silhovetten. Von An ton Lübke. Was ist fesselnder als die uralte ägyptische Kultur, was grandioser als die Kulturdenkmäler, die heute vom gelben Wüstensand umgeben sind, oder deren Mauerreste von den Wogen des Nils umspült werden. Hier spricht die Menschheitsgeschichte noch eindrucksvoller als auf dem Forum Romanum oder in den -Ruinen von Pompeji, hier ist der Kulturkreis eines Volkes ge schlossener, als irgendwo anders auf der Welt, hier spürt die Seele den Atem von langen urgrauen Jahrtausenden. Die Gegensätzlichkeit zwischen dem modernen Heute und der antiken Vergangenheit tritt nirgendwo so markant in die Erscheinung wie in Aegypten. Was man auf den Trümmern Roms als Voll endung der antiken Zivilisation findet, was man dort in den j Formen griechischer und römischer Statuen und Bauten als i Frucht einer Kultur sieht, ist hier in Aegypten als Wurzel und Stamm zu finden. Seitdem riesenhafte Hotelbauten in Kairo und den benach barten Vororten, in Luxor und Assuan, modernes europäisches Leben nach Aegypten brachten, Straßenbahnen, Autos, elek trisches Licht, Maschinen und moderne Läden immer mehr die orientalische Romantik des Pharaonenlandes zerstören, ver schmilzt auch die Kultur des heiligen Nils immer mehr mit der Zivilisation des Abendlandes. Doch konnte das moderne Leben, das die Jahrtausende alte Kultur wie mit einer Firnisschicht überdeckt, den Glanz der Tradition nicht ganz verdecken. Noch immer raunen die Märchen aus Tausend und einer Nacht, wenn sich die Glutsonne gegen Westen neigt und der Staub des Tages sich gelegt hat, wenn die schlanken Minaretts ihre Sonnenarchi tektur in den Hellen Tag erheben, wenn bei einbrechender Dun kelheit ein grandioses Farbenspiel am Himmel anhebt, wenn Kamelkarawanen mit prachtvollen Teppichgehängen und klin genden Glöckchen durch die Straßen schreiten. Noch immer ist es der alte Orient, wenn man inmitten des behäbigen Lebens der Cafes sich befindet, wo der Muslim in fauler Trägheit bei starkem Mokka seine gelben Ambraketten dreht oder stunden lang dem Brettspiel obliegt. Die tausendfältigen Gerüche und der Staub in den Muskis und Basaren von Kairo sind die selben geblieben, und immer wieder, Jahr um Jahr, wird Altes mit Neuem in demselben Stile ersetzt wie vorher. Völker aller Rassen ziehen hier ihre Wege. Der Fellah aus den fernliegen den Nilschlammdörsern, welcher den Kern des ägyptischen Volkes auch heute noch ausmacht, die Nachkommen der alten Aegypter, die Kopten, buntfarbige Beduinen, Araber, Berberiner, schwarz- jhäutige Sudanneger, Türken, Levantiner, Syrer, buntfarbige ! Turbanträger, Menschen aus allen modernen Erdteilen, bevöl kern heute die Straßen, Klein- und Großhändler überfallen wie Mückenschwärme den Reisenden in Hotels und Straßen bahnen, Schuhputzer in unermeßlicher Zahl sind die ärgsten Quälgeister der Straße. Noch immer ziehen die Derwische klap pernd durch die durchglühten Straßen und halten eisgekühltes, süßes Wasser oder schwarzbraunes arabisches Bier in Tonkrügen oder Messingkannen feil. Musikanten, Schlangenbeschwörer, Gaukler, Teppichverkäuser, Bären- und Affentreiber, Karten- verkäuscr, Sänger und Märchenerzähler beleben ln den Abend stunden die Casös. Rastlos pulsiert das heiße Leben durch die Straßen der ägyptischen Hauptstädte vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Buntfarbig, beweglich, voller Unrast, mit lauten Schreien tritt der Rhythmus der Straße des heutigen Aegypten dem Fremden entgegen. Man mutz hinausgehen in die engen Gassen des Volkes, in die Moscheen oder in die Nilschlammdörfer, wo der Fellah haust, um die Sitten des heutigen Volkes kennen zu lernen. Der satte, reiche Pascha mit Dutzenden von Berberinerdienern und üppigen, teppichbehangenen 'Wohnräumen inmitten palmenum- rauschter Gärten würde einem das Leben in seinem Glanz zei gen, den man auch in europäischen Hotels oder in Teppichläden sehen kann. Man mutz schon mit dem ägyptischen Familien leben intimer vertraut geworden sein, um die Eigenart der Lebensgewohnheiten, der Wohnungsausstattung, die selbstver ständliche Gastfreundschaft kennen zu lernen. In den Muskis und den Basaren sieht man Farbe, Form und den tausendfachen Kleinkram, ohne den man sich den Orient nicht denken kann. Mag sich auch oft der Magen drehen, wenn man in die Sudel küchen sieht, wo Hammelfleisch auf Käufer wartet oder schwarze Eselswürste auf Holzkohlenrosten bruzzeln: Hier ist das Leben am interessantesten und wechselvollsten. Die Muselmanenfrau kümmert sich nicht um luxuriöse europäische Läden, noch immer steht sie, wie einst, stundenlang feilschend vor den offenen Verkaufsläden, um sich ihren Schmuck oder ihr buntes Musselin tuch zu erstehen. Dort sieht man noch das primitive Handwerk, den Dreschsler, der Hand und Fuß bei seiner Arbeit benützt, den geizigen Geldwechsler, der Tag für Tag hoch oben auf seinem modernen Panzergeldschranke hockt und von dort seine Geschäfte leitet, den Teppichwirker, den Baumwollschläger, den Gurkenhändler, den Spezereihändler mit den mannigfachen Pro- dukten, wie Sesamsaat, Oliven, Hennah, Zucker u. a., Dinge, die der Aegypter für seinen Haushalt benötigt. Draußen auf dem Lande mutz man sich wundern, mit wie wenig der Mensch sein Leben fristen kann, wie primitiv die Handhabung der Werkzeuge ist, die der Fellah benutzt, um sein vom Nilschlamm überschwemmtes Land zu bebauen. Die breite Hacke, der einfache Holzpflug, und die Wasserschöpfräder sind heute noch durchweg die drei hauptsächlichsten landwirtschaft lichen Werkzeuge, wie sie schon vor 6000 Jahren im Gebrauch waren. Unermüdlich geht der Büffel oder das Kamel mit ver bundenen Augen in trägem Schritt im Kreise heruni, um die Schöpsräder, welche das Land mit Wasser versorgen, in Ve- Maientag. Nun reich' mir deine Hand, Daß wir zusammen wandern gehen. So schön ist rings das Land Und wundersame Lüfte wehen. Es strömt durch Sinn und Herz Geheimnistieses, frohes Walten. O komm', laß' deinen Schmerz Und folge sonnigen Gestalten. Ins weite Himinelsblau Laß' uns die Hellen Blicke senken, Durch Wald und grüne Au Die leichtbeschwingten Schritte lenken. Nun reich' mir deine Hand, — Es Hai ein wundersames Hoffen, Vom Himmel selbst gesandt, Mich wunderbar und tief betroffen. Franz Cingia. megung zu halten. Rastlos arbeiten die Wasserschöpfer, welche die Bewässerung der Baumwoilkulturen mittels Eimern, die in langen Hebebäumen in liefe Brunnenschächte niedertauchen, die durch das Grundwasser des Nils gespeist werben, vornehmen. In brennender Sonnenglut arbeiten die Fellachen halbnackt in den Schlammgräben der Reis-, Gurken-, Melonen- oder Baum wollfelder, um die Wasseradern zu verteilen. Das Dreschen des Getreides macht siH der Aegypter sehr leicht. Ein leichtes Wagengestell, das mit scharfen Metallrädern versehen ist, führt aus einem bestimmten Punkte des Ernteseldes auf der zusammen- getragenen Ernie unermüdttch im irrest« herum, bis die Halme vollkommen zerschnitten sind. Durch Emporheben der Spreu rvird dem Winde Gelegenheit gegeben, diese von der Frucht zu trennen. In altern kennzeichnet sich, datz die Aegypter, unab- hängig von modernen Zivilisationseinflüssen, ein Agrarvolk im wahrsten Sinne des Wortes geblieben sind, das nur die Natur schalten und walten läßt. Was die Regenperiode an fruchtbarem Schlamm von den abessinischen Bergen herunterreißt und aus den Wogen des Nils in die Ebene trägt und am Uferrande ab setzt, ist der Dünger des Bauern. Was die Haustiere an Mist abwersen, trocknet der Fellah auf seinem Nilschlammhause in der Sonne, um es als Brennmaterial zu verwerten. Heute noch wie vor 6000 Jahren ist des Aegypters ganzes Wohl und Wehe mit dem Nil verbunden. Er ist der Kulturträger, der Bringer von Fruchtbarkeit, von Wachstum und Wohlergehen des Volkes. Seine Ueberschwemmungsperioden bedeuten Feste für den Aegypter, ihr Versagen Trauer und Elend. Aegyptens Konflikt mit England besteht in dem Kampf um die Nilwässer. Eng lands Wille, die Nilwässer im Sudan für die Bewässerung seiner dortigen mehr und mehr sich ausdehnenden Baumwollkulturen zu beanspruchen, sind eine Benachteiligung der Kultur im Nil delta. Das ist eine gewaltige Tragik, die sich im Lande der Pharaonen abspielt, der Kampf um das Leben, das Aneinander- prallen von zwei großen Kulturen, das Ineinanderschmelzen von Agrikultur und Zivilisation, von Okzident und Orient, der Kampf zwischen Erdgebundenheit und moderner Technik. Seltsame Bäume. Von Kurt Keßler. Einer der eigenartigsten Bäume ist der im Innern Afrikas bis zu 20 Meter Höhe wachsende Butterbaum, dessen Frucht einer Olive ähnelt. Der Fruchtkern wird von einem weißen Mark mit dünner, grüner Schale eingeschlossen. Ihn lassen die Eingeborenen an der Sonne trocknen, danach wird er im Wasser ausgekocht. Bald setzt sich an der Oberfläche des Wassers eine weiße, fettige Masse ab, bei deren Anblick man freudig über rascht ist: es ist nämlich beste, unverfälschte Butter, die man nach Erkalten des Wassers leicht abschöpfen kann. Die so ge wonnene Butter hat gegenüber der der Kuhmilch noch den Vor teil, daß sie besser schmeckt und, ungesalzen,. sich ein ganzes Jahr lang hält, ohne sich im Geschmack im geringsten zu verändern. Ebenfalls der menschlichen Ernährung dient die Frucht des ' Brotbaumes. Auch er gedeiht nur in der heißen Zone, die ja überhaupt die Heimat der herrlichsten Naturprodukte ist. Die Frucht erreicht einen Durchmesser bis zu fünf Zentimetern und befindet sich von Oktober bis April in der Reife. Sie besteht aus einer zuerst groben, zähen fleischigen Masse, die sich aber mehr und mehr in eine feinere, mehlartige verwandelt. Die Eingeborenen, so berichtete der Weltumsegler Cook, sammeln in der erwähnten Zeit mit unermüdlichem Eifer die Früchte, und man kann sie von ihnen weder kaufen noch tauschen. Die ge sammelten Früchte werden aus einen Hausen geworfen, so daß sie sich erhitzen; später wird alles Aeuhere weggeschnitten und das Fleisch in eine mit Steinen ausgepflasterte Grube gebracht wo es ebenfalls mit Steinen bedeckt wird. Hier gerät es bald in Gärung und verwandelt sich in einen sauren Teig. Von ihm nimmt man zum Gebrauch große Stücke heraus, wickelt sie in Blätter und bäckt sie auf heißen Steinen. Dann ist das Brot fertig, das im Geschmack dem uns bekannten Pumpernickel ähnelt. — Der Naturforscher Forster berichtete ebenfalls von dieser Brotart. Nicht unerwähnt fei einer der uns schon bekannteren Bäume, die Korkeiche. Sie wächst bereits in den wärmeren Gegen den Europas, in Italien, Spanien und erreicht die Größe unserer heimischen Eichen. Alle acht bis zehn Jahre wird in die Rinde von oben bis unten ein Spalt geschnitten, so datz sie sich leicht j abschälen läßt. Nach Entfernung dringt aus dem Holz des Baumes ein zäher Saft, der nach und nach verhärtet und schließ- I lich eine neue Rinde bildet. Die Korkeiche erleidet also durch die ! Abschälung keinen Schaden. Die Rinde wird in Wasser gelegt und eingeweicht, dann zwischen schweren Steinen gepreßt und zuletzt über Kohlen getrocknet. Dabei nimmt sie die Form von Tafeln an und kann nun als fertiger Kork in den Handel gebrockt werden; dessen mannigfache Verwendung ist bekannt. Erwähnt fei noch, daß man in Spanien teilweise die schönen, festen Tafeln benutzt, um auch die Häuser damit zu decken. Bedauerlich ist, daß die angeführten Bäume, vor allem die beiden ersteren, europäisches Klima nicht vertragen können. Welche wunderbaren Aussichten eröffneten sich uns, wenn uns Butter und Brot gewissermaßen in den Mund wuchsen' Rau-leilLeu. Von I , e f Weiß- Bonn. Nicht das Begehren, sondern die Opserbereitschaft ist der Wärmemesser der echten Liebe. Oft besteht das Unglück nur darin, daß man sein Glück nicht zu begreifen oder zu ergreifen versteht. Dankbarkeit ist das Zeichen einer inneren Freiheit, die die Hemmungen der Eigenliebe und der Eitelkeit zu überwinden ver mag. Feindeshaß ist noch lange nicht Vaterlandsliebe. Die Vorfreude ist meist ungetrübter als der Genuß, mit dem schon die Furcht vor dem Verlust verbunden ist. Der Heimkehrer. Skizze von Heinzludwig Raymann. Gegen Mittag eines warmen Sommertages des Jahres 1925 erschien auf den Karpathenhöhen bei Svatova, da, wo durch ein zerklüftetes Tal die Latorscha der fernen Theiß zueilt und die schmale Paßstraße in die ungarische Tiefebene absteigt, ein Wan derer, wildbärtig, abgehetzt und in abgetragenen Kleidern. Als er ties im Tale die Stadt Munkacs im goldenen Rauch liegen sah, blieb er schweratmend stehen und schaute, aus den derben Stock gestützt, lange aus das herrliche Bild der Heimat. Er wischte mit dem rauhen Handrücken über die schwimmenden Augen, und nun sah er auch weiter südlich sein Heimatdörfchen mit dem kurzen dicken Kirchturm friedlich in gelben Weizen feldern und Rebenhängen eingebettet liegen, von Sonnenglanz umflossen. Es dauerte lange, ehe Nikolaj Petreschak sich an diesem Bild des sommerlichen Friedens sattgesehen hatte. Plötzlich zuckte er wie im Schreck zusammen und duckte sich, so, als laste der massige Karpathenkamm in seinem Rücken. Langsam wandte er sich um und schaute zurück aus die hohe Steinmauer des Gebirges, hinter dessen Schneehäuptern das ewige Rußland liegt mit seinen ungeheuren Horizonten und feinen Maßlosigkeiten. Nikolaj Petreschak, der in den letzten Tagen fast ununterbrochen gewandert war, von Stryi, der letzten Wegetappe, aus über Skala hinaus nach Tuchla, über den Klimieczpaß nach Vereczke und Svatova, stand nun seit heute früh, aus dem Eisherzen Rußlands kommend, endlich aus unga rischer Heimaterde, endlich vor seinem Ziel. Dort unten im Tal lag die Heimat und hinter ihm versanken elf Jahre Rußland. Petreschak begannen die Knie zu zittern, er konnte nicht mehr stehen; die Wucht der Erkenntnis, eine unerträgliche Knechtschaft abgeschüttelt zu haben, der Kosakenknute und der sibirischen Hölle entronnen zu sein, drückten den mksgemergeltcn Mann zu Boden. Er sank in das weiche Wollgras unter einer riesigen Fichte und lag eine Weile wie 1ot. Dann erschütterte Schluchzen den Körper des Mannes, wildes verkrampftes Schluch zen, wie es nur nach ungeheuren Erlebnisspannungen der Brust von Männern entsteigt und ihre Nervenbündel entspannt. So auch hier. Nach zehn Jahren russischer Gefangenschaft und fast einjähriger Flucht mit all ihren Schrecknissen, konnte der Heim kehrer nichts anderes, als, machtlos seiner Glieder und seines bis aufs äußerste gespannten Willens, sich einem haltlosen Ge fühlsausbruch hinzugeben und zu weinen wie ein Kind. Trä nenstrom, den das süße, aber noch nicht mit vollem Genuß aus gekostete Gefühl durchflutete, aus der Heimaterde zu ruhen, an der Brust der urewigen Mutter. Und langsam schluchzte Nikolaj Petreschak sich in einen tiefen traumlosen Schlas hinüber, in den die Mittagsglocken seiner Heimat «langen. Ueber das leidzerschnittene und wetter braune Gesicht des Schlasenden goß die Sonne verschwenderisch I ihr Gold. — ' j Die Sonne sank schon in den Nachmittag, als der Schläfer, durch einen fernen Schutz im Wald aufgeweckt, erschreckt in die Höhe fuhr und blinzelnd lauschte. Noch saß ihm zu sehr die Gefahrbereitschaft der Flucht in den Knochen. Dann aber wußte er rasch, wo er war, und ein tiefer Atemzug hob befreiend seine Brust: „Hier ist Heimat, hier ist Ruhe!" An den Stamm der wetterzerzausten Fichte gelehnt, schaute der Heimkehrer ins Tal, das weiche nachmittägliche Sonne durchflutete. Die Flüsse warfen silberne Blitze, die Ferne zerschmolz in bläulichem Rauch. Und der Geist Nikolaj Petreschaks schwebte zurück auf den Flügeln der Erinnerung: Ms die Wogen der Erhebung des Jahres 1014 wie ein Meer über das Land brausten, war auch er mitgezogen, das Vaterland gegen die gewaltigen Horden der Kosaken und Muschiks zu ver teidigen. Er hatte seine junge hübsche Frau und sein Töchter chen, das noch in der Wiege lag, zurücklassen müssen. Das hatte seiner Frau viele Tränen gekostet. Wie viel Tränen wird sie erst wohl vergossen haben, als er Jahr um Jahr nicht zurück kehrte und in russischer Gefangenschaft schmachtete. Nur ganz selten konnte er schreiben. Man hatte iyn und seine Kame raden mit Knutenhieben durch viele Städte gepeitscht, sie über all als neue Gefangene zeigend. Dann hatte man sie nach Si birien in die Bergwerke geschickt. Es war die Hölle gewesen, eine endlose Kelte von Qualen. Nun hatte das ein Ende. Er zog eine gänzlich abgegriffene Photographie seiner Frau aus der Tasche und betrachtete sie lange, froh lächelnd. Dies alles ging Nikolaj Petreschak in dieser Stunde durch den Sinn, wie ein böser Traum, der zu schwer war und noch zu nahe ist, als daß man ihn abschütteln könnte. Die Sonne warf schon schräge Strahlen, als Nikolaj sich aufmachte, ins Heimattal hinabzusteigen. In zwei kurzen Stun den würde er die Schwelle seines Hauses betreten, seine Frau und sein Kind in seine Arme schließe«, und dann würde für sie alle die schwere Zeit vorüber sein. Sein Herz klopfte rasend vor Freude und Spannung. Mit der beginnenden Dämmerung kam er ins Dorf. Da war die alte, liebe Lindenallee mit den kleinen Häuschen, der Brunnen, die alte Kirche, und da lag --auch schon sein Haus. Alles so vertraut und doch wie durch ewige Trennung fremd. Neues prallte in die Augen. Taumelig vor Erregung trat er durch den Vorgarten. Ein etwa elfjähriges Mädchen trat aus dem Haus und sah ihn er staunt an. - Er erkannte in dem Mädchen sogleich das Ebenbild seiner Frau. Es war sein Kind, das damals noch in der Wiege gelegen hatte und ihn natürlich nicht kennen konnte. Es rief ins Haus -urück: „Mutter, hier ist jemand!" Nun trat mit einem etwa vierjährigen Jungen eine Frau aus dein Haus, eine schöne, reife Frau — seine Frau. Sie schauten sich an und erkannten sich sogleich. Nach einem Augen blick fassungsloser Wirrnis sanken sie sich erschüttert in die Arme und schluchzten laut. Die Kinder machten märchengroße Augen. Sie traten alle ins Haus, und nun saß der Heimkehrer nach els Jahren endlich wieder auf seinem alten Platz am Herd, neben ihm seine Frau, die ihn fest umschlungen hielt. Schließlich fragte er, wer der Junge sei. Und er erfuhr, datz seine Frau noch einmal geheiratet hatte. Aus dieser Ehe stammte der Junge. Fassungslos starrte der Heimkehrer vor sich hin. Und mäh rend er, überwältigt von der unfaßbar erscheinenden Nachricht, den Kopf in beide Hände stützte und verhalten schluchzte, er zählte ihm die bangende Frau mit leiser, stockender Stimme, wie ihn das Regiment bereits vor acht Jahren als gefallen gemeldet und ein Kamerad aus dem Dorfe ihr bestätigt Hötte, seine Leiche gesehen zu haben. Nie wäre von ihm Nachricht gekommen. Sie habe noch drei Jahre nach dem Kriege gewartet und dann ge heiratet. Was hätte sie in ihrer Lage, mittellos, allein mit ihrem Kind, anderes machen sollen? — Doch abermals hätte das Schick sal sie heimgesucht: im vorigen Herbst sei der zweite Gatte ge storben, und wiederum mußte sie allein, hoffnungslos und von i schweren Sorgen bedrängt, den Daseinskampf aufnehmen. Der Heimkehrer saß am Herd und schwieg düster in sich hinein. Die Vernunft sprach seine Frau zwar frei, aber sein Herz kam nicht darüber hinweg. Das konnte er nicht verstehen. Er hatte els Jahre gewartet! Seine Frau schwieg und schaute ihn aus rotgeweinten Augen an. Als die Dämmerung in der Stube stand, erhob sich der Heimkehrer, sah sich wie im Traume um, küßte sein Kind und ging schweigend über die Schwelle seines Häuft» in die Stacht. Nikolaj Petreschak kam an der Kirche vorüber. Dort sah er die in die Mauer eingelassene marmorne Heldenehrentafel. ' Im Schein einer Laterne las er auch seinen Namen unter denen der Toten mit dem Kreuz und dem Datum dahinter. Und er stand verwundert vor seinem vermeintlichen Todesdokument. Hinter ihm klangen Schritte. Seine Frau kam mit dem greisen Pastor. Sie legte ihre Arme um ihn und bat ihn unter Tränen, bei ihr zu bleiben, sie könne doch nicht für die falsche Bestätigung seines Todes die Schuld tragen. Nun sprach auch der alte Pastor, der die Urkunde von seinem Regiment vor zeigte, in gütiger Weise auf ihn ein; er solle seine Frau, die schon so lange um ihn getrauert habe, nicht um ihr letztes Lc- bensglück und sein Kind nicht um den Vater bringen. Die zweite Heirat solle er als eine aus der Not der Zeit geschaffene Handlung, die nun einmal geschehen, aber doch endgültig oor- übex sei, betrachten und auch den Jungen als sein Kind am sehen. Wo er denn überhaupt bleiben wolle? Hier sei doch seine Heimat, bei Frau und Kind! Langsam löste sich die Rinde um Ntkolaj's Herz. Er über legte, daß die beiden ja wohl recht hätten, und schritt mit ihn^n in sein Haus zurück, in das er nun endgültig heimkehrte. SeM Frau bereitete ihm aus dem Herde ein Wiukommensmahl usi. ihre Augen leuchteten Heller als die Herdkohlen. Zärtb - schmiegte sich sein Töchterchen an ihn, und d« Junge schlief a" seinem Schoß ein ...
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