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Wilsdruffer Tageblatt I 2 Blatt. Nr. 95 Freitag, den 23. April 1926 8 Maienglöcklein. Maienglöckchen läuten wieder. Denn der Frühling ziehet ein, llnd der Vögel Helle Lieder Heißen ihn willkommen sein. Und mit Sonnenschein beladen Und mit Blumcnduft besät Nahet er von Gottes Gnaden, Er, des Frühlings Majestät! Und an eines Berges Halde Schlägt er auf sein Königszelt, »Und beruft aus Feld und Walde Hin zu sich die Sängerwelt. Und er spricht zu ihnen allen: Hört, ihr Sänger, groß und klein! Jeder singe nach Gefallen, Frei soll alles Singen sein! Und die Maienglöckchen klangen Niemals noch so Hel! und laut, Und die kleinen Vöglein fangen Niemals noch so hold und traut. Warum klingen doch die Lieder Und die Glöcklein weit und breit? Ja, dem Frühling gilt es wieder, Mehr noch gilts der Singfreiheit! Justinus Kerner. Weitere Angeklagte im KuMer-Nrozeß. Blau und Blei. Zunächst wurde im Kutister-Prozeß der Angeklagte Blau vernommen, der eine kurze Schilderung seines Lebenslaufes! Mb. Blau gibt an, daß er viel Geld verdient habe und ^Mntiimer umfangreichen Grundbesitzes sei. So habe er ei« ) Besitzungen in der Nähe von Rheinsberg, darunter schönes Gut. Sein Geld hätte er größtenteils in u„,Mückskäufen angelegt. Für Zinsenverrechnung habe ? . einmal einen Wechsel über 50 000 Mark erhalten,' ,7 fti es nicht richtig, daß er, Blau, sich bei dieser Gelegeu- Asn auch gleichzeitig verpflichtet habe, Gefälligkeitsakzcpte für »Ultisker auszustellen. Als nächster Angeklagter wurde der Mokurist der Steinbank, Blei, vernommen. Auf Vorhalt Vorsivendcn gab er zu, daß er möglicherweise einmal Äußerungen dahin getan haben könnte, daß ihm die Wechsel der Schlesischen A.-G und der Ost-A.-G. faul vorgekommeu seien. Durch die Verteidigung wurde festgestellt, daß Blei noch »m April 1924 seine ganzen Ersparnisse in Aktien der Mecha nischen Treibriemengesellschaft angelegt hat, weil er zu dem Unternehmen Vertrauen hatte. In der Steinbank selbst habe vlei keine selbständigen Handlungen vornehmen dürfen, viel-, Mehr nur immer im Auftrag Kutiskers gehandelt. Im An schluß hieran kam es zu der Erörterung eines bemerkens-, werten Punktes. Kutisker richtete nämlich an Blei die Frage,? °b er sich erinnern könne, daß auch die Steinbank der Sce-f Undlung Gefälligkeitswechsel gegeben habe. Blei: Jawohl. Bmnal über 200 000 Pfund und einmal über 500 Pfund, ^saatsauwaltschaftsrat Dr. Polzin: Die Staatsanwaltschaft! Wd beweisen, daß die Sache umgekehrt ist, daß Kutisker der , Aaatsbank ein Geschäft in England vorgcspicgelt hat. Es. s 'Kelen gefälschte Telegramme dabei eine Rolle. Sie MerWagungen beim Asloverdan-. Dr. SperlinghatAkten verbrannt. .....Nie jetzt bekannt wird, ist in der Unterschlagungs- «uare heim Reichsverband der Automobilittdustrie, in Verlauf der Verbandskassierer Schaufler und der Sekretär des Verbandsdirektors Dr. Sperling, L'Orange, wurden, eine sensationelle Wendung eingetreten. D Everling Verhaftung des Kassierers Schaufler st . ' Vpeitlug, . Waßnuua L Oranges aus- UNO kwging, M dessen Wohnung erschienen und bat den Se kretär L Orange »hm eine große Gefälligkeit zu erweisen. Es handle sich darum, Akten die für Dr. Sperlmg von gewisser Wichtigkeit seien, zu beseitigen. L'Orange ent sprach der Bitte und ging mit Dr. Sperling in den Keller feiner Friedenauer Wohnung und verbrannte ein großes Aktenpaket. Es besteht somit der dringende Verdacht der Ver dunkelung dieser Angelegenheit. Der Wettbedarf an Weizen und die Getreidepreise. Von Sobe, Mohorn. Der Weltmarktpreis für Weizen an der für Europa wichtigsten Börse in Liverpool betrug im Mat 1924 infolge der guten Ernten ungefähr 45 sch. für das Quarter (-217 j bis 218 Kg.). 1913 näherte er 36 sch. Seit Mai 1924 bis Ende Februar stieg der Preis bis auf 76. Anhaltende Dürre in Süd- und Südosteuropa sowie in Kanada waren die Ursache. Dieser ungerechtfertigte Preis fiel bis auf ungefähr 60, und da 1925 man die Ernte für gut erhoffte, gab er ! abermals nach bis auf 52 im November 1925; die oielver- i sprechende Ernte in Argentinien war plötzlich in Frage ge° : stellt infolge Witterungsumschlages, sodaß der Wslt- ! marklpreis abermals nach oben ging. Anfang Januar 1926 i betrug er 63; seit dieser Zeit sind dir Bewegungen nur gering i und gegenwärtig beläuft er sich auf ungefähr 59. Dieser kurze Ueberblick über die Entwicklung des Welt- ' Marktpreises zeigt, welch außerordentlich heftigen Schwan- - kungen, die bedingt werden durch die Weltberichte aus ! den HauptprodnktionSländern,die Berichte über die Anbau flächen, über den Weltvorrat und Weltbedarf. Für ! die Beurteilung der Preisbildung im Hinblick auf die i kommende Welternte ist daher sehr wichtig, über diese Frage rechtzeitig unterrichtet zu sein. Die exportfähigen Weizen mengen für die Zeit vom 1. August 1925 bis 31. Juli 1926 betragen in Kanada 84,5 Mill. Dz., in Australien 21 Mill. Dz., in den Vereinigt. Staaten 15.8 Mill. Dn, in Argentinien 50 Mill. Dz., in Bntisch-Ostmdien l,6 Mill. Dz. und in allen anderen Ländern zusammen 26,9 Mill. Dz. Das sind insgesamt 200 Millionen Doppelzentner. Dieser Einfuhr steht ein Weltbedarf von 170 Millionen Doppelzentner gegenüber. Hieraus ergibt sich, daß der Weltdedarf an Weizen nicht nur gedeckt ist, sondern daß sogar noch ein erheblicher Vorrat verbleibt. Der 2. für die zu erwartende Preisbildung l wichtige Punkt ist die Frage nach der Vereingerung oder ? Vergrößerung der Weltanbaufläche für Weizen. Für i Winterwsizen ist eine Abnahme um 2,5 v H. gegenüber , dem Vorjahre festgestillt. Trotz der Abnahme der Anbau- l fläche ist diese nicht unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre gesunken, was sehr wichtig ist. Als dritter und sicherster Faktor spielt schließlich noch das Wetter eine aus schlagende Rolle; und dieses war bis jetzt recht günstig vor ; allen in Kanada und Australien. Es kommt schließlich zu ! dem Ergebnis, daß die Aussichten für die Ernte 1926 i im kommenden Herbst recht gut sind und daß eine weitere Rückwärtsbewcgung dcs Weltmarktpreises für Weizen für die nächsten Monate nicht zu erwarten sein dürfte. An den deutschen Getreidemärkten ist während der ver gangenen Wochen die Stimmung wieder recht fest gewesen (Haussespekulation in Amerika und England). Die erhöhten Forderungen für ausländisches Getreide hatten die Ver braucher in Europa gezwungen, sich nach anderen Getreide ¬ quellen umzusehsn, sie versuchten daher auch in Deutschland, dessen Preise niedriger sind, Anschaffungen zu machen, dieser Umstand bestärkte dis Eigner von Ware in ihrer Zurück haltung, so daß eine Knappheit an greifbarer Ware anhielt. Es kam dazu, daß die Landwirte augenblicklich durch die Feldarbeit stark in Anspruch genommen werden, also keine Zeit zum Verladen von Getreide fanden, wohl auch Mangel an größeren Getreidevorräten, die infolge der drückenden Steuerlasten bereits schon umgesetzt worden waren. Von Mittel- und Westdeutschland, die ständig mit Kaufaufträgen auf den Markt gewesen sind, erwarb Italien und England deutschen Weizen. Die Beschaffenheit der nordamerikanischen Abladungen ließ viel zu wünschen übrig, wodurch die Mühlen in England in Schwierigkeiten geraten sind und ebenfalls auf deutsche Erzeugnisse zurückgriffen. Von Rußland wurden sie vollkommen in Stichgelassen. Indien hat bisher überhaupt nichts geliefert, und austra lischer Weizen befriedigt die Ansprüche nicht. Roggen ist ebenfalls sehr knapp. Der Verbrauch hatte zwar keinen merklichen Aufschwung genommen, die Mühlen, ängstlich gemacht durch die Preiserhöhungen, griffen stärker zu, zumal sie fürchten, daß die Spekulation, die sich fast in den ganzen Besitz der im Lande befindlichen Vorräte gesetzt hat, die Preise bis zur neuen Ernte nach Gefallen zu bestimmen in der Lage ist; denn weder von Rußland, Polen und Nordamerika sind Zufuhren zu erwerben. Besonders fühl bar macht sich die Spekulation im Handel mit Hafer. Die Bestände aus alter Ernte wurden zurückgehalten, und das spürten die Verbraucher, die ihren müßigen Bedarf höher bezahlen müssen. Eine weitere Frucht der Haussebewegung von Brot- und Futtergetreide ist die Verteuerung von Kleie und anderen Hülsenfutterstoffen. Hülsenfrüch'e sind auch teurer geworden. Kaufneigung keine. Die Umsätze von Sämereien blieben beschränkt. Dis Preisveränderung der verflossenen Woche betrug bei Weizen 4Mk., bei Roggen 5 Mk., bei Hafer 6 Mk:, Sommergerste 2 Mk., Wintergerste 4 Mk. für 1000 Kilogramm. Weizen: 6. 4. 278—286 10. 4. Roggen: „ 169—174 Hafer: „ 190—203 „ Gerste: „ 175—198 Mais: „ Auf den übrigen Getreidsmärkten Europas waren keine wesentlichen Veränderungen in der Haltung, bez. Preisbe wegung zu verzeichnen. In Rumänien und Südslavien haben sich Mehlvorräle angehäuft, daß die Preise der Herstellungskosten nicht mehr lohnen. In Ungarn beunruhigen Zahlungsschwierigkeiten großer Getreidehändler den Markt. Weltmarktpreis, Weltvorrat, Weltbedarf sind beachtens werte Fadoren für den Landwirt! 279— 93 172— 78 193—206 178— 99 i psIMWr RrmrMrsu i Die Vorbereitungen für den Ehrenhain. Dem Netchsmintstertum des Innern gehen, wie offi ziös mitgeteilt wird, für den in Aussicht genommenen Ehrenhain für die Gefallenen im Weltkriege außerordent lich zahlreiche und inhaltlich wertvolle Vorschläge zu, die in erfreulicher Weise das lebhafte Interesse zeigen dein die Ausführung des Planes in weiten Volkskreiseii begegnet. Bei der großen Fülle der Zuschriften ist die Beantwortung einer jeden nicht möglich. Selbstverständ lich werden alle Vorschläge von den dazu berufenen Stellen sorgsam geprüft. Der zur Vorbereitung der Dcnkmalsfrage bestehende Ausschuß von Reichsratsmit gliedern tritt im Laufe des nächsten Monats wieder zu sammen, um der Angelegenheit weiteren Fortgang zu geben und insbesondere zu dem dann vorliegenden Bericht des Reichskunstwarts über das Ergebnis seiner Besichtt- gnngsreisen Stellring zu nehmen. Reiss Hindenburgs «ach Hamburg. Nercysprastöeru von Hindenburg wird am 4. Mai nach Hamburg reisen. Die Ankunft erfolgt dort 1 Uhr 26 Murrten nachmittags. Nach dem offiziellen Besuch im Hamburger Rathause wird der Hafen besichtigt. Für den Abend ist ein Festmahl im großen Rathaussaal geplant. Der Reichspräsident wird am gleichen Tage nach Berlin zurückreisen. Großbritannien. Englands Thronfolge gesichert. Die Herzogin von Aork, die Gattin des zweiten Sohnes des Königs von England, ist von einer Tochter entbunden worden. Die kleine Prinzessin ist Thronanwärterin nach dem Prinzen von Wales und dem Herzog von Uork. Sie soll die Namen Mary Viktoria Elisabeth führen. Da der englische Thronfolger, der Prinz von Wales, noch nicht verheiratet ist — er steht kurz vor Vollendung des 32. Lebensjahres —, ist die Geburt einer Erbin des Herzogs von Vork ein für das Haus Windsor bedeutsames Er eignis. - — Italien. Feier des italienischen Nationalfestes. Das National- Die Braut des Schmugglers Aus den Papieren eines Grenzjägcrs. (Aus dem Italienischen übersetzt von F. Emmerich.) 7 (Nachdruck verboten.) Maddalena stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Luigi ließ ein ^"ses, schmerzliches Stöhnen hören, Anselmo aber ballte vor Wut die Fäuste und fragte mit zornerstickter Stimme: „Und dann . . . Und dann?" »Dann," erwiderte Pietro, „als ich mich von meiner Betäubung erholt hatte, bemerkte ich, daß sich der Kampf weiter nach der Grenze hin gezogen hatte. Um mich her herrschte Stille. Ich versuchte mich aufzurichten. Bei der ersten Bewegung aber durchschnitt ein heftiger Schmerz meinen Körper. Ich wnßte, daß meine Glieder gebrochen waren und betete nach langer Zeit wieder ein mal zu unserm Herrgott, daß er mir doch die Kraft ver leihen möge, Lis zu euch zurückzukehren. — Das Gebet stärkte mich wunderbar. Ich hob mich auf die Knie und bemerkte nun, daß mein linker Arm, obwohl Zerschunden, heil geblieben war. Auch mein linkes Bein ^merzte bei der geringsten Bewegung und brannte wie das höllische Feuer.... Da raschelte es unweit von mir im dürren Laub Ein weher, röchelnder Seuszer rang sich in die Hohe. Zuerst glaubte ich mein Feind stünde dort verborgen, uni mir °en Garaus zu machen.... Aber das Stöhnen wieder- ?°"e sich nicht. Vorsichtig schob ich meinen wunden Leib ws zu der Stelle vor.... Ich sah einen Menschen ausge- veckt auf der .Erde liegen... Er trug die Uniform... Als ich neben ihm kniete, hauchte er eben seine Seele aus.... Nun versuchte ich mich weiter fortzubewegen. Wie eine Schlange wand ich mich den Hang hinauf. Jede Wurzel diente mir zum Stützpunkt. Der wütende Schmerz drohte mir oft die Besinnung zu rauben. Nur der Wunsch, in den Arinen meiner Lieben zu sterben, ließ mich die ent setzlichen Qualen geduldig ertragen. Endlich sah ich das Hans und . . . hier bin ich . . „Und deine Geschichte?" fragte Anselmo. „Ja, um euch meine Geschichte zu erzählen, die euch die Ursache meines Hasses erklären wird.... Leicht wird es mir nicht werden.... Ich werde alle die schmerzlichen Er innerungen noch einmal erleben.... alte Wunden zum Bluten bringen... Aber es muß wohl sein... Du wirst daraus lernen, wie sich ein Mann rächen muß." Anselmo und Maddalena holten aus der anstoßenden Kammer eine Matraze und betteten den Greis darauf. Nachdem sie ihn dnrch Speise und Trank gelabt hatten, begann er zu erzählen: „Ich war neunundzwanzig Jahre alt. Meine Eltern waren längst gestorben. Verwandte kannte ich nicht. Ich stand allein in der Welt und war frei und glücklich. Wie alle jungen Leute aus unserer Umgebung ging auch ich alle Sonn- und Feiertage nach Como. Ich traf dort viele hübsche und brave Mädchen, aber mein Herz blieb frei. Einmal lud mich ein alter Freund meines Vaters zu einem Tanzfest ein, das er in Como veranstaltete. Ich nahm die Einladung mit Vergnügen an. Bis dahin hatte ich die Tochter jenes Mannes noch nie gesehen. Auf dem Feste erblickte ich sie zum ersten Male. Sie war so schön nnd so gut, wie du, Maddalena. Ich verliebte mich in dieses Mädchen hatte aber nicht den Mut, mit ihr von Liebe zn sprechen. Von diesem Tage an gehörte mein Herz nicht mehr mir. Meine Tage verbrachte ich Como, in der Erwartung, sie zu sehen. Nachts war ich unter den Fenstern ihrer Kammer zu finden. So verfloß ein Monat, eine Zeit großen Glückes für mich. Zu jener Zeit wurde die in unserer Gegend sta tionierte Abteilung der Grenzjäger abgelöst. Einer der Anführer der neu eiugerückten Grenzjäger unterlag, wie ich, dem Einflüße der Schönheit Rosinas. — Er war in feinem Rechte. Ich konnte nichts dagegen sagen, aber mein Herz wurde von Eifersucht gefoltert. Endlich sprach ich mich offen mit ihm aus und erklärte ihm rund heraus, daß einer von nns beiden auf Rosina verzichten müsse. Er schien damit einverstanden. Wir kamen da hin überein, daß wir beide um die Hand des Mädchens werben wollten. Zugleich schworen wir aber aufs Kru zifix, daß derjenige von uns, der von dem Vater abge wiesen würde, die Tochter vergessen sollte. — Es hieße Unmögliches versuchen, wenn ich ench die Angst ausmaleu wollte, mit der ich die entscheidende Antwort erwartete. Mein Antrag wurde von Rosinas Vater angenom men. Ich glaubte vor Freude den Verstand verlieren zu müssen. Oh, wie schön schien mir Como, als ich mich zum ersten Male in das Haus des Mädchens begab. Jch machte meinem Nebenbuhler Ippolito Mitteilung von meinem Glück. Er drückte mir die Hand, beglückwünschte mich und versprach mir, nicht mehr an Rosina zn denken. Ippolito war der Anführer der Grcnzjägec nnd der Vater jenes Giovanni. (Fortsetzung solgt.)