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Italien. Geschaut, erlebt und geschildert von Georg B. Bretschneider. Atte Rechte Vorbehalten. Nachdruck verboten 12. Fortsetzung. Neapel. Kurz vor unserer Ankunft in Neapel wird rechts der Bahnstrecke die zum Teil wieder ausgegrabene Stadt des Altertums, Pompeji, das am 24. August des Jahres 79 n. Chr. ebenso wie Herculaneum und Stabiä beim Ausbruch des Vesuvs verschüttet wurde, sichtbar. In Asche und Staub fiel es, um einen Dornröschen schlaf bis in unsere Zeit zu halten. Die damals unter Kaiser Titus vorgenommenen Nachforschungen nach der verschütteten Stadt blieben — für uns vielleicht zum Glück — ohne Erfolg. Unendlich viel ist hier vernichet worden, vor allem eine ganze Generation geistvoller Menschen. Auf der anderen Seite aber: welch große Anzahl edelster Kunstschätze hat uns der Vesuv, eingehüllt in feinen Aschenstaub, bis auf den heutigen Tag zum größten Teile unversehrt auf bewahrt. Das damalige Unglück wurde deshalb in gewisser Hinsicht zum Glück für uns jetzt Lebenden. Wir benutzten daher gleich den ersten Tag unseres Aufenthaltes in Neapel, um uns die antiken Schätze des Nationalmuseums anzusehen. Es ist nicht mög lich, auch nur annähernd erschöpfend zu schildern, was in diesem Museum an antiker Wett zu bewun dern ist. Der Besuch desselben wurde daher für uns direkt zu einem Erlebnis. Um nur einiges zu erwähnen, nenne ich die gleich beim Betreten der Haupthalle sichtbar werdenden beiden großen ausgezeichneten, aus MaMor herge- steltten Reiterstatuen der zwei vornehmen Römer Balbus (Vater und Sohn), welche bei den Aus grabungen in der Basilika zu Herculaneum gefunden wurden. Dann wanderten wir in den Marmorskulpturen- Abteilungen am Farnesischen Stier von Apollonios und Tauriskos, am Farnesischen Herakles von Glycon, der Venus von Capua, an Orestes und Elektra, am Faun mit dem Bacchus auf der Schuller, an den Büsten Julius Cäsars und Homers vorüber. Ferner bewunderten wir die antiken Bronzen, von denen ich nur den rastenden Merkur, den Narzissus, den Siegesengel, den Lampenträger aus Pompeji, die Venus, die einen Fischer darstellende Brunnen figur aus Pompeji, den trunkenen Faun, das Reiter standbild Neros und die Büsten Dionysios und Senecas anführen will. Dann standen wir vor der an der angebrachten antiken Mosaik, der berühmten Alexanderschlacht, die in Pompeji bei den Ausgrabungen in einem Hause als Fußboden vorgefunden wurde und die aus un zähligen Marmorstiften (man schätzt die Anzahl der selben auf 1—1^ Millionen) zusammengesetzt ist. In den oberen Räumen des Museums befinden sich die zahlreichen antiken Terrakotten, Glas- und Muschelschmuckgegenstände. Welch ganz entzückende Kleinarbeit hat das Altertum mit diesen Gegenstän den geschaffen; man muß sich die Lupe leihen, um diese Feinkunst richtig betrachten zu können. Solch kleiner, mit Stein geschmückter, goldener Siegelring, goldenes Armband oder Ohrgehänge birgt in seiner Ausführung rein persönliches Künstlertum. Wie einseitig ist dagegen unsere heutige Geschmacks richtung geworden, wenn wir die in Unmengen mit den modernsten Maschinen hergestellten, meist nur noch in der Größe unterschiedlichen Ringe und son stigen Schmuügegenstände tragen. Selbstredend will ich andererseits zugeben, daß es allgemein in der Denkungsweise des Menschen liegt, das mit ihm Geborene und Geschaffene weniger hoch einzuschätzen, als das seine Entstehung der Ver gangenheit verdankende Kunstwerk. Aber gerade aus diesem Grunde sollte jeder an seinem Platze und nach seinen Gaben für die Kommenden gestaltend tätig sein. Da es regnete, konnten wir all das Herrliche des Museums in Muse betrachten, weil wir uns die an diesem Tage geplante Wanderung längs der Bucht von Neapel versagen mußten. Doch da vom Regen die Rede ist, will ich den beschirmten italienischen Droschkenkutscher nicht vergessen zu erwähnen; denn unter einem weit sich spannenden grauen, roten, blauen oder andersfarbigen Regenschirm sitzt er ver gnügt auf seinem Bocke, jetzt gegen Regen und später vor der Sonnenglut geschützt. * Vesu v. Am nächsten Morgen fuhren wir hinaus nach dem am Fuße des Vesuvs gelegenen Resina. Unter dieser Stadt und ihrer Umgebung liegt das bereits ge nannte Herculaneum unter Lava und Asche begraben. Bisher hat man nur wenig aus dieser versunkenen Welt heben können. Mögen diese Schätze deshalb weiterhin schlummern, um vielleicht späteren Ge schlechtern von der Antike Zeugnis abzulegen. In Resina hatten wir über eine Stunde Aufenthalt und benutzten diese Zeit, um das Leben und Treiben der italienischen Kleinstadt kennen zu lernen. Auf dem Fischmarkle wird allerhand Seegetier (Tinten fische und andere Schnecken und Muscheltiere des Meeres) neben Seefischen feilgehalten. Die Kinder tragen Oelbaumzweige, denn es ist Palmsonntag. Auch die Pferde und Wagen, die Türen der Häuser, die Verkaufsstände sind damit geschmückt. Der Gipfel des Vesuv ist unser Ziel für diesen, leider durch sein trübes Wetter wenig dazu geeigneten Tag. Die Fahrt geht von Resina, sich durch große Weingärten hindurchschlängelnd, zunächst bis zum Eremo-Cook-Hotel und von dort nach Umsteigen in die Zahnrad- und am Fuße des eigentlichen Aschen kegels in die Drahtseilbahn hinauf an den Krater. Wolkennebel ziehen an unserem Wagen, der auf ^e fährlichem Schienenstrang emporgewunden wird, ent lang. Es wird merklich kalt, nur gut, daß ich mir trotz des Mantels vorher noch eine Pelerine geliehen hatte. Nach drei Viertel Stunde Fahrt waren wir in 1200 Meter Höhe am Rande des Kraters angelangt. Wir stehen im Wolkennebel, nehmen uns einen Füh rer und wandern mit ihm noch ein kurzes Stück am steil abfallenden Aschenhange seitwärts hinauf und stehen plötzlich vor der großen Oeffnung des Kraters. Zu beiden Seiten fällt die Asche steil ab, rechts von uns nach dem Meere und links in den Kraterschlund, in welchem es donnert und kracht. Gerade der Um stand, daß wir, durch den Nebel eingehüllt, unsere Blicke nicht wett umhersenden konnten, erhöhte das Empfinden für das Getöse im Krater. Nicht ganz unbelohnt sollten wir scheiden, der Nebel zerteilte sich etwas und der tätige kleine Eruptionskegel im Innern dieses großen Schlundes wurde sichtbar, die daraus emporsteigende Rauchsäule kräuselte sich als gelblich weiße Wolke dicht über uns. Ich habe mir an dieser Stelle die sämtlichen Taschen mit Steinen gefüllt, von denen einer als Schmuck meines Schreibtisches dient. „Schlacke vom Vesuv, hast du Sehnsucht nach dem Berggipfel Italiens, in dessen Krater es donnert und kracht?" Allerdings, wenn alle Besucher Schlacke und Steine von dort oben mitnehmen, dann mögen in Jahrtansenden die Menschen noch den Vesuv suchen - er ist inzwischen abgetragen. — Wir wurden wieder hinunter gefahren und rasteten längere Zeit auf dem das Observatorium tragenden Bergrücken, der sich am Fuße des eigentlichen Aschen kegels erhebt, und um dessen Hänge bisher bei den Ausbrüchen des Vesuvs die Lavamassen herumge flossen sind. Man sieht auf dieser Fahrt wiederholt rechts ooer links auftauchende, in zackigen Felsbildun gen erkaltete Lavastrecken liegen. Außer dem Obser vatorium befindet sich auf dieser Erhebung eine Kapelle und neben dem Eremo-Cook-Hotel noch ein kleines italienisches Gasthaus. Von diesem Hotel aus, das übrigens den modernsten Anforderungen ent spricht, soll man bei klarem Wetter aus ungefähr 600 Meter Höhe eine unsagbar schöne Fernsicht über Neapel, die Bucht und das Meer Häven. (Fortsetzung folgt.) gescheuchte Vogel das Weite; durch sein eigenartiges „Schack-schack" wird sein Kum pan aufgefordert, mit abrullreffen, und bald ist es wieder still aus weiter Flur. Unser Weg führt einen Abhang hinunter und wir gelangen in ein schattiges Waldtal; der düstere Wald zu beiden Seiten läßt nur wenige Strahlen der sich neigenden Wintersonne in den schmalen Talgrund fallen, durch den sich das klare Wasser eines munteren Bergdaches windet. Dort, wo herabgestürztes Geröll das Flußbett emengt, staut sich das eiskalte Wasser zu einem kleinen Tümpel, dessen Spiegel am Uferrande von langen Eisnabeln kunstvoll eingefaßt ist. Um so rascher fließt das nimmer ruhende Wässerchen, nachdem es sich durch die ausgewaschenen Steinblöcke gezwängt hat, und eine reichliche Strecke tanzen die Gischflocken wie Seifenschaum auf dem aufgeregten Wasserspiegel, dis er wieder ruhig dahinfließt und schließlich unter der blaugrünen Eiskruste verschwindet. Doch, was war das? Ein goldigrvt glänzendes Etwas huschte mit Blitzes schnelle vor unseren Augen, die vom Schnee wie geblendet sind, dahin. Da ist der, jetzt im Sttahlenglanze der fahlen Sonne eisgrünblau schillernde Körper wieder zu sehen; es ist der farbenprächtigste Vogel unserer deutschen Wälder: der Eisvogel. Eben saß er noch auf dem bemoosten Felsblock, da schießt er wie ein Glutball hastig über dem schäumenden Wasser dahin. Aus einer aus dem Userlehm vorgebogenen Weidenwurzel ruht er aus, Umschau haltend, aber schon wieder wirft sich der gedrungene Vogel mit dem großen Kopfe und dem auf fallend langen Schnabel ins nasse Element, daß nur so das wildschäumende Wasser über den buntschillernden Körper hinwegspritzt. Wenn du Ausdauer besitzt und suchst, findest du auch den Eingang zum Neste des Eisvogels. Solltest du vor einem etwas über dem Wellenstrudel liegenden Loche am Ufer einige Fischschuppen oder Gräten finden, so kannst du sicher sein, vor dem Ausgange einer engen Röhre zu stehen, die ost einen Meter lang ist und sich an ihrem Hinteren, etwas höher liegenden Ende kesselartig erweitert, und in diesem stockfinsteren Raume baut sich der Pionier im farbenprächtigen Federschmucke die Kinderstube für sein junges Volk. Indes wir müssen weiter! Das gegenüberliegende Ufer des teilweise ver eisten Baches, mit dem wir talwärts wandern, wird steiler und steiler, der Ufer rand immer schmäler, bis schließlich das murmelnde Wasser an jäh aufsteigenden Felswänden vorübereilt. Unterhalb jener hell aufleuchtenden Schwefelflechte, die die haushohe Mauer wie eine Tapete überzieht, dort, wo überhängendes Farnkraut eine bemooste Steinmulde verdeckt, hat die Wasseramsel ihren Schlupfwinkel, wie etwa lm Felsen unmittelbar hinter dem Mehre der Hinterhermsdorfer Schleuse. Da sitzt sie in ihrer kleidsamen Tracht, den bräunlichen Kopf hin und her wendend; dabei knickst der schwarzgraue Körper aller Augenblicke zusammen, so daß man bei jedem Wippen seine kastanienbraune Unterseite und das blendendwciße Vor hemdchen, das die volle Brust bedeckt, sehen kann. Mitten im tosenden Wasser fliegt sie, wie die Bachstelze wippend, das gestutzte Schwänzchen wie der Zaunkönig stolz in die Höhe reckend, mit schwachem „Zrrb, zrrb" unmittelbar über den blinkenden Spiegel hin. Jetzt stolziert sie gar in dem eisigen Wasser, um gleich wieder mit tropfendem Gefieder einen nahen Steinblock anzufliegen und von dieser Felsenkanzel ihr Jagdgebiet zu überschauen. Dabei können wir das seelenvolle, träumerische Auge beobachten, das dem großen Auge unseres Rotkehlchens an Innigkeit nicht nachsteht. Auf einmal ist das unruhige Tierchen verschwunden, endlich finden wir es wieder. Anter den herabhängenden Zweigen einer über das Ufer gebeugten Fichte sitzt der flinke Räuber mit einem zappelnden Fischlein im Schnabel. Es ist rührend, wenn man bedenkt, wie jedem Geschöpf auch mitten in stür Mischer und eisiger Winterzeit sein Tischlein gedeckt ist, dem einen oben auf schwanken dem Wipfel, dem anderen unten im Wurzelgeflecht, diesem im hatten Steingeröß einer Berghalde und jenem im klaren Bergwasser. Anter solchen Gedanken steigen wir weiter — auswärts, um auch droben, von der Felskaute, einen Blick in das anmutige Tal zu wetten. Schnaufend haben wir die Höhen erreicht und schauen durch die Wipfel der in der Talsohle wurzelnden Waldbäume hinaus auf den bisher zurückgelegten Weg. Das Rauschen und Tosen des Wassers tönt nicht bis hier herauf, leicht bewegt ein sanfter Windhauch die Baumspitzen und schaukelt die braunen Zapfen an den schwankenden Nadelzweigen der Fichtenkronen. Trotz allen Schwankens und Schaukelns lassen sich die beiden Kreuzschnäbel, die vor -uns in einem Wipfel geschickt und sicher auf und nieder klettern, beim Umlegen der Aapfenschuppen nicht stören. Es sind zwei Kreuz schnäbelmännchen, die wie Papageien an den verschneiten Zweigen und Zapfen verwegen klettern, ost verkehrt, nach unten hängend, geschäftig vor- und rückwärts die Nadelästchen durchstöbern und dabei das prächtige Iohannisbeerrot ihres G« sieders durch das blendende Weiß des Schnees und durch das Grün der Nadeln leuchten lassen. Wir verhalten uns ruhig und hören so ganz deutlich sowohl das knisternde Geräusch, das beim Ausdecken der Zapfenschuppen entsteht, als auch das Schwatzen und „Gipsen", mit dem sie ihr geschäftiges Treiben in den zapfen - reichen Fichtenwipfeln begleiten. Sie haben Arbeit genug; denn im nahen Neste bockt die Gattin, „die teure", brütend auf drei kleinen Eiern, und der pflichtge treuen Mutter harzreichen Fichtensamen zu verschaffen, ist die unablässige Sorge des rührigen Männchens. Doch nun gilt es langsam den Heimweg anzutreten, so schwer es uns auch wird, vom Walde in seinem Winterkleide und von seinen Gästen Abschied zu nehmen. Wohl ist es schon etwas düster geworden im dichten Niederholze, aber trotz dem können wir noch einige robustere Vögel beobachten, die auf einer am Wege stehenden Eberesche die wenigen, schon erfrorenen Beeren naschen, um dann trotz aller Kälte mit flötendem „Diü, Diü" in den angrenzenden Kiesernbestand zu ver schwinden. Bei ihrem Aufstiegen bemerken wir an der zinnoberroten Bauch seite, von der sich der weiße Bürzel deutlich abhebt, daß es ein kleines Rudel Gimpel ist, Gäste aus dem Nochen, die in rms-eren Wäldern wie die Zigeuner umherstreifen und den strengen Winter ihrer Heimat abwarten, um bei Ein tritt wärmerer Zeiten mit den Seidenschwänzen uns wieder verlassen und den arktischen Gebieten zuzusteuern. Die behäbigen und gefräßigen Seidenschwänze sind bei uns leider seltener zu beobachten, und der Natur- und Vogelfreund rechnet es sich zu einem ganz besonderen Glück, wenn er das auffällig gefärbte Gefieder dieser Tiere auch draußen im Freien und nicht nur hinter den blanken Scheiben der Glasschränke unserer Museen studieren kann. Wir beschleunigen unsere Schritte, um ja noch vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Walde zu kommen. Ein Grünspecht fliegt vor uns, ziemlich tief neigt sich die Flugbahn, und bald hören wir den Waldzimmermann auch hacken. An den Brettern der Giebelseite eines alten, windschiefen Futterschuppens, ziemlich am Ausgange des Waldes, hat sich der Grünrock festgeklammert und hämmert und hämmert — in seiner Not; denn jetzt gehts ihm schlecht, zumal wenn andere Tauge nichtse die voll gestopften Vorratskammern geplündert haben. Da müssen schon einmal die morschen Breiter und Balken des Schuppens hechalten, vielleicht ge-