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2. Vellage zum Frankenberger Tageblatt Nr. »vv Freitag, den 24. Dezember 1987 V« Jahrgang war Und im Sommer, als sie zumj v« BarbaraM!« Eine Wechnachtsgeschichte von Hans Jüngst. Als Olga am frühen Morgen aus dem Haus trat, hatte sich die Welt verändert: die Luft war trocken und durchsichtig hell, der Erd- Hoden hart, die Dächer der Gartenstraße glitzer ten im Reif — endlich durfte man an den Vinter glauben. Olga knöpfte den weichen Pelzkragen ihres Mantels hoch über dem Kinn »u nnd machte sich auf den Weg, die Hecken Entlang, und wie sie dein Takt ihrer Schritte Wnhörte, der ungewohnt laut war in der frostigen Stille, würde ihr Gang noch be- . zchwingter. Philipp reckte schon den Hals und spähte Kber den Zaun; dies kurze eigenwillige Aus- gchreitcn kannte sein Ohr. Er stand auf einer Leiter und war damit beschäftigt, den Meisen jFutterringe in die kahlen Aeste zu hängen. Olga sackte leicht in den Knien ein, als sie ihn Iah. Philipp, der Kanonier, belebte in seiner Uniform als einziger Farbfleck den verödeten Garten. — „Olga! Olga!" Er tvar im Nu von der Leiter herunter, und kaum war Olga heran, so stand er schon an der Pforte, sie mußte halt wachen. Philipp also hatte Urlaub zum Wochen end, erzählte er, für gutes Zielen. „Ich dachte Einfach an dich, Olga. Da saß jeder Schuß." Olga krümmte ihren verlockenden Mund; es sollte geringschätzig aussehen, machte ihn aber nur noch reizvoller. Sie müsse schnell »veiler, beider, brach sie ab. Zum Markt, einkaufen Mr die Mutter. „Grütz deine Etern." Philipp sah immer noch ihren Mund an» ES gab für ihn nichts BeglückendereS, als diesen Mund sprechen zu sehen. „Komm doch herein, /Olga", bat er. „Ich habe Neilchen im Garten." — Veilchen zu Anfang Dezember —? Olga .machte runde Augen vor Erstaunen, und iPhilipp fand das hinreißend. Er hatte die Pforte schon geöffnet. „Im Glashaus, natür- Eich", erklärte er. Im Glashaus duftete es, als wäre Früh- 'ling. Philipp vergaß die Veilchen, weil er sich an Olgas Äugen verlor. Das wurde ihr unbehaglich. „Es ist hier zu warm", weckte sie den Ver lräumten, wandte sich und war wieder draußen. Er holte sie im Garten ein. Ein paar Veil- chen hatte er in der Eile noch mitgebracht. — „Warte, Olga." Er nestelte ihr die Blumen an den Mantel. — „Danke." Das Wort kam» *»ei der Külte, wie ein feiner Silberranch mit chrem Atem heraus, und ihr Mund zeigte sich Mr knapp über dem Pelz, als möchte er sich gleich wieder verstecken... Danke —, das ist! sinnig, dachte Philipp. „Weißt du was, ich, küsse dich einfach dafür", sagte er. Olga war gekränkt. Mußte er es erst an- mebde», wenn er sie küssen wollte? Aber so! letzten Mal zusammen im Garten gewesen, waren, hatte er sie überhaupt nicht geküßt,, obwohl alles ringsherum so dicht und grün! »»gewachsen ivar! Olga hatte wirklich Grund,! gekränkt zu sein. So stellte sie sich denn auch, als hätte sie «tchts gehört, und ging weiter. Gegen die Pforte zu wurde ihr Schritt langsamer, sie Ipurte hinter ihrem Rücken, daß Philipp! zurückblieb. Vielleicht tvar sie doch zu spröde! gewesen? Sie blieb sieben und drebte sich nm Bildarchiv: .Frankenberger Tageblatt' Der Meihnachtsbaum für alle Die Heimat im Mw und sah, daß Philipp schon wieder auf seiner Leiter stand und sich in den Aesten zu schaffen machte. Sie hätte ihm gern noch ein nettes Wort gegönnt. Ihr Gesicht war rot, von der Kälte draußen und von der Hitze im Innern. — „Was treibst du eigentlich da oben in den Kirschbäumen?" rief sie. „Purzele mir nur nicht herunter!" Philipp gedachte, sie ein wenig zu strafen. „Ich schmücke den Vögeln schon ihren Wcih- nachtSbaum, verstehst du?" sagte er recht von seiner Höhe herab. „Wenn ick) herunterfalle, kannst du mich ja auffangen. Im übrigen, mein Kind, sind cs nicht Kirschen-, sondern Apfelbäume." Olga war empört. Ihr Entgegenkommen so abzufcrtigen! „Es sind Kirschbäume!" sprühte sie zu ihm hinauf. — „Gut", Philipp blieb gelassen, „du bekommst alle Winter deine Veilchen von mir, wenn es Kirschen sind. Sobald ich dir aber beweise, cs sind Aepfel, gibst du mir den Kuß." — Im Sommer erst pflückt mau Kirschen und allenfalls die ersten Aepfel — Olga ivar enttäuscht. So lanae will er warten —? Aber: „Weiter nichts als"einen Kuß?" warf sie leicht hiu. „Meinetwegen. Wenn wir nächstes Jahr noch daran denken sollten..." — „Zu Weihnachten!" überbot sich Philipp. — „Wie denn das —? In zwei, drei Wochen?" — „Natürlich!" bekräftigte Philipp. „Denn heute steht Barbara im Kalender." — „Was heißt das? Und woher willst du das wissen?" — „Ich weiß es, weil Barbara die Schutzpatronin aller Kanoniere ist. Und was es sonst bedeutet, wirst du schon erfahren." — Philipp holte sein Messer ans der Tasche, schnitt vom Baum ein Zweiglein ab und kam herunter. „Nimm nur. Stell es zu Haus ins Wasser, ordentlich warm und hell. Und laß es stehen bis Weihnachten. Dann besuche ich dich." Olga ivar mißtrauisch genug, sie witterte einen Schabernack. Dennoch — man konnte nie wissen, man sollte nichts versäumen —: sie stellte den Zweig in einen schmalen Kristallkelch. Sie saß auch eine Stunde lang davor, wurde tiefsinnig und orakelte. Ihren Vater, der darüber her kam und sie auslachte, «MN in die Weihnacht ffNzze von Friedrich Wesemann. 1 Wir hatten die großen Städte längst hinter «ns zurückgelassen. Nun wurde es auch in Kelsingör stiller. Die Herbstsonne kargte nicht mit ihrem Licht, aber sobald sie in roter Glut »der Schloß Kronborg versunken war, schim merte das wteer grünlich und blau. Schtve- Dens Küste ivar nur mehr ein dünner Strich «m Horizont. Schiffe malten lange Rauch- Fahnen an den Himmel, »nd manchmal slog Atü Weißes Segel wie ein verirrter Vogel Ueberall ivar es wie ein leises Abschied» nehmen. Die zierlichen iveiße« Häuserzeilen, M denen im Juli der Lärm vieler froher Wanderer widerhallte, schienen mit araue« Weihnacht An meine Fenster stößt der Wind, Der weite Wind, der Weltenwind — Ich spür's, er trägt an hoher Last, Sei« Mantel hüllt den HimmelSgast. Da stöhnt das Holz, da springt die Tür Weit auf! Der Gast tritt stumm Hersi»; So nah, bleibt er doch fern nnd groß, Sein' Mitte ist der Weltenschoß. Dor Zetten wird er Mensch und Mann, Gott selbst auf Erden ihn begann... Er wandert still von Ort zu Ort, Ihn rührt nicht Wind, ihn faßt nicht Wort. Ihn schändet weder Spott noch Hohn, Bleibt Himmels und Ler Erde Sohn. Ihn endet weder Raum noch Zeit. Gottsoh«, Dir ist mein Herz geweiht. Gerda v. Pelow. ^ucyern oeryangi. uno wenn wir einstu« durch die verlageneu Parks, gingen und ein letztes vergilbtes Blatt herniederraschelte, war es wie ein Ruf. Eine unbezwingbare Sehnsucht wuchs in uns auf. Wir wollten aller Bindungen ledig sein und die Borweihnacht im Alleinsein feiern. So zogen wir nach Bergen aus, der schönen Stadt Norwegens, hatten bald prächtige Skier unter den Füßen und jagten über Schnee und Eis. Weiler und immer weiter lockte uns die bmlte Dämmeruilg. Hänge und Täler und tiefe Schluchten, in denen die Wasser brausten und auf zackigen Felsen wunderbare Eis- gebilde emporwuchsen, gaben unserer Wander lust stetig neue Nahrung. Und wenn tagelang der Schnee in dichten Flocken fiel oder der Sturm uns urgewaltig ansprang, so schlugen wir uns nur verbitterter durch. Die Menschen? Wir sahen sie aus halb- verschneiten Hütten hcrvorkricchen, grüßten und waren dankbar für ein gntcs Wort. Biele rieten uns ab, weiterzureisen; wir sollten in die Städte zurückgehen, aus denen wir gekom men; denn hier wohne unser Verderben... Wenige Stunden zählte der Tag noch, die Nacht kam heran. Klein und erbärmlich wurden wir inmitten dieser unbegrenzten Weiten. Hob sich aus dem grauen Dämmer die reine, klare Nacht, so suchten wir nach den Lichtern, die bald hier, bald dort blinzelten, klopften mit erstarrten Händen an die Fenster und baten nm ein Lager. Mit schlichter Selbstverständlichkeit lud man die müden Wanderer zu Gast. Bald standen dampfende Schüsseln auf dem Tisch, beim Kaffee tauten wir auf, rauchten noch eine Pfeife und er zählten bis in die Nacht hinein. Weihnachten ivar nicht mehr fern, es wurde Zeit, an die Rückkehr zu denken. Da fügte es sich, daß wir in eine Hütte kamen, die wü- w valo nicyi nneoer verlaßen foüien. Die Leute trugen vom Beste» auf, es schien fast, als sei der ganze Wintervorrat auf den Tisch gebracht. Wir nahmen Lante und Geige von der Wand und sangen und spielten unsere alten deutschen Lieder. Der Bauer hatte die lange Pfeife angezündet nnd saß mit halb geschlossenen Augen, tief in den Lehnstuhl zurückgelehnt. Manchmal sah die Frau vom Spinnrad auf und nickte uns freundlich zu. Solveig aber, die Tochter, saß wie eine nordische Märchcngestalt verzückt am Kamin. Warum müssen solche Mädchen Solveig bei ßen? Sie schien bleich und ernst, und das dunkelbraune Haar war wie ein Stück von dieser Erde... Wir sangen und spielten, um unsere Glut zu verbergen. Erzählten von der erwanderten Welt da draußen: den vielfältigen Landschaf ten der Heimat, dem prunkenden Süden nnd den Wüsten nnd Wäldern Afrikas. Und Solveig lauschte nnd schwieg, nnd es ivar ihr nie genng. Wir blieben einen Tag nm den andern, und schließlich stand Weihnachten vor der Tür. Solveig war die letzten Tage schweigsamer getvcsen, wie in geheimer Trauer befangen. Ihre großen braunen Augen, die soviel bedeu ten konnten, tasteten sich fragend von einem zum andern. Sie liebte, — liebte sie den fremden Menschen, der weiße Hände hatte wie von Porzellan und so'frisch erzählen konnte — von der Liebe der Mädchen, Abenteuern und ewiger Fahrt? An diesem Abend kam Erik, ein blonder Hüne, und trug dem Alten die Bitte an, Sol veig zu freien. Sie seien sich doch seit Jugend zeit versprochen. Am Heiligen Abend sollte die Verlobung sein. Er hatte reichen Besitz... Sobald der Nebel sank, brachen wir mss, fuhren über die endlosen Schneefelder hinweg, durch wilde Talklüfte, an tückischen Schnee köchern vorbei. Abend« gruben wir irgendwo pcagre ire: „zzp es möglich, daß Vieser Zweig zu Weihnachten Kirschen trägt? Oder noch bessere — Aepfel?" — Der Vater legte ihr besorgt die Hand auf die Stirn. „Aber heut' ist doch Barbaratag!" drätigte Olga ver zweifelt. — „Ach so — ein Barbarazweig!" Der Vater lächelte. „Blüten wird er zu Weih nachten tragen! Ob Kirschen- oder Apfel blüten: das kommt drauf an." — „Der Spitz-! bube!" rief Olga. Der Vater konnte sich nicht! mehr erkundigen, wen sie meinte, Olga rannt« hinaus. Im eigenen Garten wußte sie besser Be scheid als bei Philipp, sie wußte genau, .wo die Kirschbäume standen. Olga brach einen Zweig ab... Was für ein Spitzbube! grollte sie noch iinmer. Aber nun hatte sie ihre Seelenruhe, bis Weihnachten. Sie fing schon frühzitig an, bei ihrer Arbeit im Haus die schönsten Fest lieder zu summen. Die Mutter sah ihre Toch ter oftmals von der Seite an... Advent ging vorüber. Es wurde ein Heilig abend wie aus dem Märchenbuch. Die frühe Nacht ivar hell vom Schnee und von Sternen. Philipp hatte wieder seinen Urlaub. Bevor sie zu Haus die Kerzen anzündeten, drückte er sich hinaus. „Ich hole mir zuerst mein bestes Weihnachtsgeschenk!" Der Schnee in der Gartenstraße knirscht« vor Frost unter seinen Schritten. Und plötz lich stand Olga vor ihm, sie war ihm schon entgegengekommen. — „Wo bleibst dn denn?" empfiirg sie ihn. „Vergißt du —? Unsere Wette!" — Philipp nahm seinen Vorteil wahr. „Die Wette — ach so, ach ja... Es ist einen so viel durch den Kopf gegangen inzwischen..." Olga verzog den Mnnd, das brachte ihn wieder in Glut. Sie holte die rechte Hand hinter dem Rücken hervor. „Bitte." — Ein blühender! Zweig! Philipp wollte ihn schwenken wie ein^ Siegeszeichen — da stutzte er. Starrte ihn an. Hielt ihn dicht vor die Augen. „Nun —?" lockte ihn Olga heraus, eS klang unverhohlen nach Triumph... Blüten fahl weiß wie der Schnee — Kirschblüten. Philipp war geschla gen. Olga konnte sich nun nicht länger be zähmen und lachte hell heraus, lachte nnd lachte. Philipp schleuderte den Zweig in den Schnee, machte seine strammste Kehrtwendung und verschwand in der Nacht... Olga zog die linke Hand hinter dem Rücken hervor. An der Gartenpforte holte sie Philipp ein... „Was sind eS denn? Kirschen oder Aepfel, Philipp?" fragte sie atemlos, als sie ihm den Weg vertrat. — „Tollkirschen!" rief er. — „Aber sieh sie doch genauer an!" Sie mußte betteln und flehen, sie streichelte mit dem Zweig über sein Gesicht. Plötzlich schrie er los. Irgendwelchen Unsinn, lästerlich ver liebtes Zeug. Denn es waren nun doch Apfel blüten, schön rötlich angehauchte, große Apfel blüten! Olga hielt sich jetzt stumm, und sie rührte sich nicht, hatte den Kopf leicht im Nacken und als sie Philipps Blick fing, machte sie die Augen zu... Es wurde mehr als ein Kuß. Zwischen den Küssen lachte sie wieder — oh, ganz anders als vorhin —, es war beseligendes Festläuten nah an feinem Ohr und nnr für ihn. Und die hohen Sterne waren ihre WeihnachtS- ein metertiefes Loch, schwersten siunoemaug umher, um Holz urü> Birkenrinde zu finden. Bald dampfte und brodelte der kupferne Kessel, ein Geschenk, das uns im Sommer ein Lappe zum Abschied gab. Wir schlürften den heiße» Tee und rauchten, und niemand sprach ein Wort. Nm uns her rrcht die Landschaft irr ern stem, erstarrtem Schtvcigen aus. Keusch und unnahbar ist alles. Heilige Nacht. Der Mond steht, von nebligem Dunst um geben, auf einem grünblauen Frosthünnrel. Goldene Wolken schweben darin. Das Licht rieselt über den Schnee, nnd die Felsen wachsen gespenstisch auf. Eine Krüppelkiefer lehnt wie eine böse -Hexe am Haug. Totenstille herrscht in dieser trostlosen Uir- cndlichkeit. Dann klingen plötzlich Flammen am Himmel auf, ein ganzes Nebelmcer von Farben gleitet dahin, blan, violett und rubin rot. Es geht ineinander über, ohne daß man eine Farbe bestimmen könnte. Manchmal hell sprühend, dann nur schwach glänzend und schließlich tränmerisch hinabglcitend... Wir glanben uns in eine neue Welt ver zaubert. Nicht Sonne, nicht Mond, — es ist nnr eine große Einheit von Licht und Däm merung und Farbe. Und wenn dann der Rausch vorbei ist, steht wieder die Nacht herb und klar über uns. Eine leise Wehmut übersällt uns. Dies flie ßende, sich selbst verzehrende Licht hat envas von dem Glanz brechender Ange». Dian sühlt sich dem Leben und dem Tode gleich nahe ver wandt ... Wir stehen noch lange still vor der Schön heit und Erhabenheit dieser Schöpfung nnd gedenken aller Dinge, die sich erfüllen. Solveig legte das Brautkleid an und ward ihrer Hei mat noch einmal geboren. Die Ruhelosen aber kauerten zerschlagen am Feuer; denn ihre Sehnsucht tvar geblendet vom Licht dieser Nacht.