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^Lsnkonberge« Lrzäklor — - -E--——————— - _ (Nachdruck verboten.) Vollbrecht wär Aufgesprungen, als habe er jede Selbst beherrschung verloren. Mit schnellen Schritten eilte er vor den Richtertisch. „Der Pilot muß sich irren!* schrie er heiser auf. „Ich bin am 20. März geflogen, der Flugschein Muß das ja auch ausweisen!" „Mäßigen Sie sich, Zeuge Vollbrecht!" warf der Vor sitzende, unwillig über die Unbeherrschtheit des Zeugen, ein. „Setzen Sie sich und warten Sie, bis ich Sie anfrusel" Unschlüssig, ob er der Aufforderung nachkommen sollte, stand Vollbrecht. Erst auf die zweite Aufforderung, auf der Zeugenbank Platz zu nehmen, schritt er mit hastigen Schritten durch den Saal. „Fahren Sie fort, Zeugin Selhausen!" wandte sich der Vorsitzende aufs neue an Hannelore. „Ich fragte den Piloten sofort, ob er bereit sei, diese wichtige Aussage vor Gericht zu wiederholen. Er ist bereit!" „Marum ist er nicht mitgekommen?" fragte der Vor sitzende. „Der Pilot halt sich im benachbarten Hotel Königs hof auf und wartet auf einen telephonischen Anruf. Ich beantrage, ihn zu seiner Vernehmung vorzuladen!" beant wortete Dr. Warmholz die Frage. Das Gericht beriet sich kurz und beschloß, den Piloten Hellberg vorzuladen. Bereits nach wenigen Minuten betrat er den Saal. Wer in diesem Augenblick Vollbrecht beobachtet hätte, hätte feststellen müßen, wie eine Blässe über sein Gesicht huschte. Aber sie sahen alle nur den neuen Zeugen an. „Treten Sie vor den Zeugentisch!" bat der Vorsitzende Len Eintretenden. Pilot Hellberg tat, wie ihm geheißen. Nach Feststellung > seiner Personalien berichtete er: „Am Nachmittag des 20. März, pünktlich um 4.15 Uhr, startete ich zum Fluge nach München. Es war das denkbar schlechteste Flugwetter. Es stürmte und regnete mächtig. Ich wunderte mich daher auch gar nicht, daß ich nur zwei Fluggäste mitnehmen konnte, einen jungen Mann und eine Dame. Sie hatten beide Flugscheine nach München, dem Ziel meines Fluges. Der junge Mann machte einen etwas unbeholfenen Eindruck. Ich merkte es ihm an. daß vr zum ersten Male in seinem Leben fliegen wollte und freute mich im stillen doch über seinen Mut, gerade bei diesem Wetter den Flug zu wagen." „Können Sie sich noch auf den Namen dieses Fluggastes besinnen?" fragte der Vorsitzende. „Ja — Vollbrecht hieß er, Buchhalter Vollbrecht." „Sie haben selbst seinen Flugschein gesehen?" „Jawohl." „Sie haben auch nie daran gezweifelt, daß Ihr Flug gast mit dieser Person identisch war?" „Nein, damals nicht. Erst, als vor einigen Tagen Frau Direktor Selhausen mir ein Bild zeigte, das den Buch halter Vollbrecht darstellen sollte, kamen mir Zweifel an der Personengleichheit. Mein Fluggast war ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren, während die auf dem Bilde dargestellte Person wesentlich älter sein mußte." „Würden Sie Ihren Fluggast vom 20. März wieder erkennen, Zeuge?" „Ich glaube bestimmt, Herr Vorsitzender. Die Ereignisse deS 20. März stehen noch lebhaft in meiner Erinnerung, weil dieser Tag mein Geburtstag war. Da bleibt alles etwas besser im Gedächtnis haften als an anderen Tagen!" Der Vorsitzende wandte sich an Vollbrecht: „Treten Sie vor, Zeuge Vollbrecht!" Langsam, fast schleppenden Schrittes kam Vollbrecht an den Zeugentisch. „Ist dieser Mann Ihr Fluggast vom 20. März?" fragte der Vorsitzende den Piloten. Hellberg drehte sich zu Vollbrecht um, sah ihm kurz ins Gesicht. Dann wandte er sich dem Vorsitzenden wieder zu. „Nein — dieser Herr ist am 20. März nicht mit mir ge flogen!" „Können Sie das bestimmt behaupten, Zeuge?" forschte Ler Vorsitzende weiter. „Jawohl — diesen Herrn habe ich in meinem Leben Noch nicht gesehen!" Das Gesicht des Vorsitzenden nahm einen tiefernsten Ausdruck an. „Zeuge Vollbrecht — was haben Sie dazu , zu sagen?" Vollbrecht riß alle Energie zusammen In seinem Gesicht zuckte es. Alles Blut war daraus gewichen. „Ich frage Sie, Zeuge Vollbrecht, was Sie hierzu zu sagen haben!" klang die Stimme des Vorsitzenden wieder auf, scharf und zwingend. „Ich — ich gebe zu, daß ich bisher die Unwahrheit sagte!" entgegyete Vollbrecht stockend und mit zitternder Stimme. „Ich bin am 20. März nicht mtt dem Flugzeug nach München geflogen!" Wie gelähmt saßen sic alle im Saale — die Richler, die Geschworenen, der Staatsanwalt, die Zuhörer „Warum haben Sie falsch ausgefagt, Zeuge Vollbrecht?" fragte der Vorsitzende, seine eigene Erregung nur mühsam bezwingend. „Wissen Sie nicht, daß Sic sich eines Mein eides schuldig gemacht hätten, wenn ich Ihre Vereidigung bereits vorgenommen hätte?" „Ich wußte, daß von gewisser Seite der Verdacht gegen «ich laut geworden war, daß ich Felter erschossen habe. Da wollte ich mir ein Alibi verschaffen!" sagte Vollbrecht mit leiser Stimme. „Ich hatte ja auch die Absicht, nach München zu fliegen. Aber als am 20. März so schlechtes Wetter herrschte, bekam ich Befürchtungen wegen meines Leidens. Darum benutzte ich den V-Zug zu meiner Reise!" „Es ist unverantwortlich von Ihnen, Zeuge Vollbrecht, DaS Sie taten!" bedeutete ihm der Vorsitzende. „Haben Sie nicht bedacht, daß es hier um die Schuld oder Unschuld eines jungen Menschen geht? Ich verstehe Sie nicht, Zeuge Vollbrecht!" „Aber mit dem Mord habe ich nichts zu tun!" schrie Vollbrecht plötzlich auf. „Ich nicht!" Ein heftiges Zittern lies durch seinen Körper, er schwankte leicht, suchte einen Halt und griff nach dem Arm des Piloten Hellberg. „Glau ben Sie mir, ich habe ihn nicht ermordet!" Seine Worten waren ein keuchendes Flüstern. Der Verteidiger nahm das Wort: „Unter dem Eindruck der soeben erfolgten schwerwiegenden Feststellung-bitte ich, die Angeklagte noch einmal eindringlich zu befragen, ob sie die Tat selbst ausführte oder, wenn Sie bei der Be teuerung ihrer Unschuld bleibt, wem sie die zur Tat be nutzte Waffe ausgehändigt hat. Ich glaube, nachdem die Suche nach dem wahren Schuldigen so gut wie erledigt ist, wird sich auch die Angeklagte nicht weigern, die längst ersehnte Auskunft zu erteilen!" Der Vorsitzende wandte sich an Else Mohr, die die letz ten Ereignisse der Zeugenvernehmung mit größter Auf merksamkeit verfolgt hatte: „Angeklagte, Sie haben die Worte Ihres Verteidigers gehört. Ich frage Sie noch einmal: Haben Sie die Tat ausgeführt?" „Nein!" antwortete Else Mohr mit ruhiger Stimme. „Ich habe meinen Verlobten nicht getötet. Ich bin un schuldig!" „Gut!" fuhr der Vorsitzende fort. „Was können Sie uns jetzt über den Verbleib der Mordwaffe sagen?" „Nichts, Herr Vorsitzender!" „Haben Sie Ihre Waffe an den Zeugen Vollbrecht ge geben?" „Nein — Herr Vollbrecht ist nicht der Mörder meines Verlobten!" sagte Else Mohr. Wie eine große Enttäuschung ging es wieder durch den Zuhörerraum. Alle hatten sie geglaubt, daß die Entlarvung des Täters unmittelbar bevorstehe. Da drang die scharfe Stimme des Staatsanwalts durch die Unruhe: „Ich halte die Begründung des Zeugen Vollbrecht, warum er den Flug nach München nicht angetreten hat, für durchaus verständlich. Bedenken Sie doch den damali- ;en Gesundheitszustand des Zeugen, meine Herren! Bei >em schlechten Wetter des 20. März wäre vielleicht ein ge- undcr Mensch nur ungern geflogen! Und da die Ange klagte selbst zugibt, daß Sie dem Zeugen Vollbrecht die Waffe nicht aushändigte, halte ich eine Täterschaft des Zeugen für vollkommen ausgeschlossen und bleibe dabei, daß die Angeklagte die Täterin ist, die uns hier eine Ko mödie vorspielt, wie sie in der Geschichte der Mordprozesse durchaus keine Seltenheit darstellt." Der Verteidiger erhob sich jetzt: „Ich bitte aber doch, den Zeugen Vollbrecht zu fragen, wer dann für ihn den Flug nach München angetreten hat?" Noch ehe der Vorsitzende diese Frage an Vollbrecht stel- ly» konnte, wurde die Tür des Verhandlungssaales auf gerissen und herein stürmte in höchster Erregung ein junger Mann. Unter der Tür blieb er einen Augenblick stehen und schöpfte Atem. Sein Blick ging suchend umher. Dann rief er: „Else!" Bei diesem Worte fuhr das Mädchen zusammen. Jni ihren Augen leuchtete es froh auf. Aber im gleichen Augen blick rang sie die Hände und schrie auf: „Ach Fritz! Warum bist du nicht geflohen?" Frau Selhausen, die eben sich wieder auf der Zeugell bank niederlassen wollte, sprang auf. Ihre Stimme klang wie ein Jubel auf! „Fritz Mohr! Er ist doch gekommen!" Der Vorsitzende musterte ihn eindringlich. „Wer sind Sie denn?" „Ich heiße Fritz Mohr und bin der Bruder der An geklagten, Herr Vorsitzender! Durch Frau Selhausen er fuhr ich erst gestern von dem Prozeß gegen meine Schwester." „Sie haben also eine wichtige Aussage zu machen?" „Jawohl — meine Schwester hat den Mord nicht be gangen, das ist ja ganz ausgeschlossen!" „Sie werden als Zeuge vernommen werdew Herr Mohr. — Sind noch Fragen an die anderen Zeugsn? Gut — dann können Sie sich einstweilen setzen, Herr Vollbrecht und Herr Hellberg." Dann wandte er sich wieder an Fritz Mohr. Er ließ sich die Ausweispapiere vorlegen, prüfte sie und wie« ihn dar aus hin, daß er zu einer Aussage nicht verpflichtet sei wegen seine« nahen verwandtschaftlichen Verhältnisses zur Angeklagten. „Ich will aber anSfagen!" unterbrach ihn Fritz MoHH seine Mütze ungeduldig in den Händen drehend. „Dann berichten Sie, Herr Mohr!" „Es war am Morgen des 20. März!" begantt Fritz Mohr seine Aussage. „Ich war auf meiner Wanderung in die Nähe von hier gekommen. In einer Nachbarstadt hatte ich beim Spiel etwas Geld verloren, und da kam mir dell Gedanke, daß mir vielleicht Else, meine Schwester, aus helfen könnte. Ich beschloß daher, sie auszusuchen. Als ich in die Nähe der Selhausen-Werke kam, wo Else als Sekretärin des Direktors beschäftigt war, sah ich sie gerade eiligen Schrittes um die Ecke btegen. Ich eilte ihr nach und sprach sie an. Sie war aber gar nicht erfreut Über mein plötzliches Auftauchen. ,Nanu, Mohrchen — du machst ja ein Gesicht wie vier zehn Tage Regenwetter!' sagte ich zu ihr. ,Was ist den« mit dir los?' Sie gab mir keine Antwort, sondern schritt sehr schnell aus, daß ich kaum mitkommen konnte. ,E8 ist dir wohl gar nicht recht, daß dich dein armes Bruder besucht?' forschte ich weiter. ,Du bist ja auch eins feine Dame geworden, Donnerwetter!' Na, und so find wir eben eine ganze Zeitlang nebenein ander hergelaufen. Und dabei regnete eS, was vom Him mel runter wollte. Wie aus Mollen goß es. Schließlich wurde es mir doch zu dumm. Menn Lu mir nicht endlich sagst, waS eigentlich los ist, werde ich unge mütlich!' herrschte ich meine Schwester an und griff nachs ihrer Hand. Na — und da tat sie denn endlich den MunL auf. ,Fritz!' sagte sie. Mir ist etwas Schlimmes passiert. Aber das kann ich dir auf der Straße nicht erzählen. Komm mit in meine Wohnung I' .Mußt du denn heute nicht ins Büro?' fragte ich weiter, weil mir die ganze Geschichte etwas komisch vorkam. ,Nein — heute nicht, Fritz. Mein Chef hat Hochzeit — mit Hannelore, du weißt schon, meiner Freundin —' ,Ach so, da braucht ihr wohl alle nicht zu arbeitend fragte ich weiter, wirklich froh darüber, daß Else wenig stens mit sich reden ließ. Hch kann heute nichts tun — mir ist nicht Mü" Sie sah wirklich recht schlecht aus an diesem Tage, sS etwa, als ob sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätte. Ich sagte nun auch nichts weiter zu ihr. Wir schritten weiter durch die Straßen. Es goß immer noch in Strömen, und der WinL pfiff uM die Ecken, als wollte er alles umreißen, was sich ihm iw den Weg stellte. Es gingen auch recht wenig Menschen auf den Straßen. Die Elektrischen dagegen waren überfüllt. Mollen wir nicht lieber fahren, Else?' fragte ich nach einer Weile. ,Du wirst dich erkälten bei dem schlechten Wetter!' Da sah sie mich mit ganz großen Augen an. »Laß uns gehen, Fritz!' bat sie. »Ich muß laufen, und das Wetter ist mir heute gerade recht.' ,Das lügt sie nun', dachte ich bei mir. Denn zu Hause hatte sie immer schreckliche Laune, wenn es mal regnete und stürmte: sie hat den Sonnenschein sehr gern gehabt, das weiß ich. Vor allem, wenn hinter unserm Hause die Heide blühte und die Bienen summten — da hat sie stun denlang am Wegrain liegen und in den blauen Himmel hinaufsehen können. Und nun sollte sie plötzlich daS Regen wetter lieben? Ausgeschlossen! Jedenfalls gingen wir alfo zu Fuß weiter durch dis Straßen. Wohl beinahe eine Stunde lang, vielleicht noch länger. Bis es mir doch zu dumm wurde. »Sag mal, Mohrchen', fragte ich darum, ,wo wohnst du eigentlich? Das ist ja ein schrecklich langer Weg!' Ich hatte nämlich nicht gemerkt, daß sie mich absichtlich durch Straßen führte, die wir eigentlich gar nicht zu gehen brauchten. Mollen wir nicht ins Cafö gehen?' fragte Else zurück. Zch möchte lieber doch nicht nach Hause. Vielleicht ist Hannelore noch daheim, und es wäre mir peinlich, fi« jetzt zu treffen!' ,Du schämst dich wohl mit mir?' fragte ich nun, obwohl sch wußte, daß das gar nicht der Fall fein konnte, denn vir beiden waren immer die besten Freunde gewesen, Else and ich; aber ich fragte nur, um etwas zu sagen, weil mit! das Schweigen so schrecklich war. .Nein, Fritz!' sagte sie darauf, und in ihrer Stimme klang etwas auf wie eine große Angst. ,Darum ist es doch nicht.' Also gingen wir eben weiter durch die Straßen. Und es regnete und stürmte immer heftiger. Auch etwas Schnee war manchmal zwischen dem RegeN. Plötzlich sagte Else zu mir: ,So — hier bin ich zu Hause, in dem Haus da drüben. Wir wollen lieber doch hinaufgehen, damit du dich nicht noch erkältest Wege« meiner!' Das Haus war verschlossen. ,Sie sind schon weg!' sagte Else und drehte den Schlüssel im Schloß herum. ,Das ist gut so, Fritz!' Sie schritt mir voraus die zwei Treppen hinaus und schloß dann eine Flurtür auf. Nachdem wir unsere Mäntel abgelegt hatten, die mächtig Naß waren, führte mich Else in ihr Zimmerchen. ,Also hier wohnt daS Mohrchen!' sagte ich. ,Fein hast du es hier, weißt du. Fast wie zu Hanse. Nur der Blick aus die See fehlt — das sind ja alles nur Häuser, was du draußen siehst!' ,Ach — das ist nicht so schlimm!' antwortete mir Else daraus. Meun erst der Frühling richtig da ist, werde« auch die Bäume unten an der Straße grün sein, bann ist «D ja auch schön hier!' EoUIctzuug