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Mimnkimbersvr ErzAMvr 18 ^Nachdruck verboten.) Durch das Küchensenfler hatte man einen freien «litt über den ziemlich geräumigen Hof auf das Hinterhaus, wo im Erdgeschoß ein Tischlermeister sein Handwerk betrieb. Den ganzen Tag über waren Säge und Hobel in Tätig, keit und verursachten einen solchen Lärm, daß Frau Gruber, wenn sie in der Küche beschäftigt war, ost ärger lich das Fenster schließen mußte. Neber der Tischlerei be fanden sich die Lagerräume eines Großhändlers aus der Prinz-Ferdinand-Straße. Links und rechts wurde der Hofraum begrenzt von den hohen Giebelwänden der Nachbarhäuser. An der linken Seite, die nachmittags im Schatten der einen Giebelwand lag, führte unter einem schrägen Dach aus Wellblech ein schmaler Gang vom Vorderhaus zum Hinterhaus. Er war von den Fenstern des Vorderhauses nur schwer zu über- sehen. Das Hinterhaus selbst, in dem sich die Werkstatt und dis Niederlage befanden, wies eine Pforte zur Prinz-Ferdi- * nand-Straße auf, die von. den Boten des Großhändlers und den Kunden des Tischlermeisters vielfach benutzt wurde. Sie stand deshalb den ganzen Tag über offen. Das Schwurgericht, vor dem sich Else Mohr zu verant worten hatte, traf gegen 11 Uhr vormittags in dem Hause Bergstraße 124 ein. Ein schnell organisiertes Polizeiauf gebot sorgte für die notwendigen Absperrungen. Zuerst mußte der Portier Ferdinand Hannemann an- geben, wo er sich am Mordtage zur Zeit der Tat aufgehal ten hatte. Vom Flur des Hauses gelangte man zunächst in eine kleinere Stube, die dem Zeugen für gewöhnlich als Auf enthaltsort diente, während er seine Mahlzeiten in einem dahinter liegenden Zimmer einzunehmen Pflegte. Dort hatte er am Nachmittag des 20. März auch seinen Nach mittagskaffee getrunken. „Waren beide Türen Ihrer Wohnung verschlossen?" fragte ihn der Vorsitzende. Portier Hannemann, ein Invalide in den fündiger Iah- reu, bejahte. „Jawohl, Herr Vorsitzender. An dem Tage war sehr schlechtes Wetter, der Wind heulte man so um die Ecke herum und es zog hier unten im Flur gewaltig, so daß ich eben die Türen geschloßen hatte. Ich konnte darum nicht viel hören, was im Hause vor sich ging." „Also, wir wollen sagen, daß Sie überhaupt nichts hören konnten, Herr Hannemann." „Na ja, Herr Vorsitzender!" bestätigte Hannemann und kratzte sich hinter den Ohren. „Man denkt doch auch nicht gleich an so was Schreckliches, wo das ganze Jahr nichts vorkommt in unserem Hause. Es wohnen ja nur ruhige Leute hier drin, und wenn ein Fremder kommt, dann klin gelt er gewöhnlich bei mir, wenn er etwas wissen will!" „Und um die fragliche Zeit hat niemand geklingelt?" „Nein — das kann ja auch meine Frau bezeugen, die mit mir zusammen Kaffee getrunken hat." „Halten Sie es demnach für ausgeschlossen, daß ein Mensch das Haus betreten haben kann, ohne daß Sie es merkten? Ich meine, ein fremder Mensch, der im Hause nicht Bescheid wußte?" „Na, für ausgeschlossen halte ich das ja nun nicht, Herr Vorsitzender. Sicher, wenn er leise machte und die Haus tür nicht zuschlagen ließ, hätte ich es wohl überhören kön nen. Meine Frau spricht nämlich sehr laut, daß ich oft schon sagte: Nun halte man bloß die Luft an, Babette, muß denn die ganze Nachbarschaft immer hören, was du mir er zählst?" „Und an dem fraglichen Nachmittag hat Sie Ihnen beim Kaffeetrinken auch viel erzählt?" „Und ob, Herr Vorsitzender! Wo doch nebenan eine junge Frau so plötzlich gestorben war. Da hat sie mir di« ganze Krankheitsgeschichte erzählt, von A bis Z, wie sie den Schnupfen gekriegt hatte und wie dann Lungenent zündung draus geworden war — alles hat sie mir er zählt." „Haben Sie auch nicht gehört, wie die Angeklagte in das Haus gekommen ist?" „Nein — auch das habe ich nicht gehört!" „Und Sie können auch nicht sagen, ob der Schuß, durch den Felter getötet wurde, vor dem Eintreffen der An geklagten oder erst hinterher gefallen ist?" „Wie kann ich das sagen, Herr Vorsitzender, wo ich doch erst von der ganzen Geschichte erfuhr, als die Frau Gruber mit einemmal zu schreien anfing!" „Sie haben also auch nicht gehört, wie Frau Gruber das Haus verließ und nach etwa 10 Minuten zurückkehrte?" „Nein, Herr Vorsitzender. Aber ich habe sie gehen sehen. Ich sagte noch: Ra, Frau Gruber, was holen für den Gau men? Und sie hat gesagt: Der Herr Felter erwartet Be- such, Sie wissen schon, die »eine Schwarze — da soll ich «an bloß ein bißchen Gebäck holen von nebenan — Aber die sie wieder gekommen ist, daS habe ich nicht gehört, Herr Vorsitzender. Denn ich bin gleich, wie die Gruber aus der hanStür war, in da» Hintere Zimmer gegangen, wett «eine Fran den Kaffee schon ans dem Tisch stehen hatte. Fawohl — so ist da» gewesen und nicht ander», ganz ge nau so!" setzte er hinzu, seine eigene Aussage bestätigend. Der Vorsitzende wandte sich an die Zengin Gruber: „Stimmt da», Fra» Gruber, wa» der Zeuge «Sen sagte?" Sie drängte sich in den Vordergrund „Ja — wenig- ten», daß ich mit ihm gesprochen habe, als ich aus den» bauie aeben wollte." ,Ünd als Sie zurückkamen, haben Sie nicht» von devt Zeugen Hannemann gesehen oder gehört?" „Ach nein, Herr Gerichtshof!" erklärte Frau Grubes die schon wieder einen puterroten Kopf bekomme» hatt« „Gesehen habe ich ihn nicht, aber seine Frau, die Frcu» Hannemann, konnte ich. gut hören." „Durch die beiden Türen hindurch, Frau Gruber?" „Ja, Herr Gerichtshof — durch die beiden Türen HW durch." „Dann muß sie allerdings ein sehr kräftiges Orga« haben!" schloß der Vorsitzende die Zwischenvernehmung der Zeugin Gruber ab und richtete seine Worte wieder cntz den Zeugen Hannemann: „Nun erzählen Sie uns weiter, Zeuge Hannemann, wa» geschah, als Sie die Schreie der Frau Gruber gehört hat ten. Befandey Sie sich denn in diesem Augenblick noch in dem Hinteren Zimmer?" „Nein — da war ich schon wieder hier vorn drin. Bei mir dauert das nämlich nicht sehr lange mit dem Kaffee trinken, Herr Vorsitzender. Also, wie ich da di« Tür zwi schen dem Vorderzimmer und dem Hinterzimmcr ebenso schließen wollte, da hörte ich auf einmal die Stimme der Frau Gruber: Hilfe — die Polizei! Ein Mord! Ein Mord!' — Sie hat das immerzu geschrien, Herr Vorsitzen der. Ich daS hören und die Treppe hinaufstürmen, daS war Wohl eins." „Und wer blieb unten in der Wohnung, Ihre Frau?" „Jawohl, Herr Vorsitzender. Die hatte nämlich einen bannigen Schrecken gekriegt wegen der Schreierei von Frau Gruber. Und das war man ganz gut so, weil doch sonst hätte einer auS dem Hause laufen können, ohne daß man es gemerkt hätte." „Es ist aber keiner hinausgelaufen, Zeuge?" „Nein, Herr Vorsitzender. Dann hätte ich ihm doch auch auf der Treppe begegnen müssen, nicht?" „Also Sie kamen dann oben in der Wohnung an, und was sahen Sie da?" -Ja — Herr Vorsitzender, das möchte ich Ihnen schon lieber oben erzählen — da kann ich es Ihnen gleich zeigen, wie das alles war!" Das Gericht begab sich in die im zweiten Stock gelegen« Wohnung der Frau Gruber. „Also —", setzte Hannemann seine Aussage sort, „ich komme die Treppe hier heraufgestürmt, ganz außer Atem natürlich, und da sehe ich zunächst die Flurtür offenstehen. Ich ging hinein in den Flur und blieb hier stehen, hier auf diesem Fleck, Herr Vorsitzender. Ich muß schon sagen, ein bißchen gruselig ist mir dabei doch geworden, wie ich die Frau Gruber sah. Ganz aufgeregt war die Frau, und mit ihren Händen hielt sie ein junges Mädel an den Armen fest, das zur Tür hinaus wollte." „War das die Angeklagte?" „Jawohl — das war sie. Na, und dann hat mich die Frau Gruber angeschrien: .So laufen Sie doch schon und holen Sie die Polizei, Herr Hannemann — die hat Herrn Felter niedcrgeschossen?' Und dann bin ich auch wieder runtergelaufen und habe aus dem Fenster gerufen nach der Polizei." „Haben Sie nicht auch einen Blick in das Mordzimmer getan, Zeuge?" „Nein — da hatte ich gar keine Zeit mehr, Herr Vor sitzender." „Und dann sind Sie also mit dein Wachtmeister wieder heraufgekommen, nicht wahr?" „Jawohl." Der Vorsitzende wandte sich an den Verteidiger: „Habe»» Sie noch Fragen an den Zeugen, Herr Rechtsanwalt?" Dr. Warmholz trat etwas vor. „Jal Ich bitte, den Zeu gen zu befragen, ob nicht die Möglichkeit bestand, daß eine dritte Person auf einem anderen Wege als durch die Haus tür das Haus verlassen konnte. Wenn die Tat von einer anderen Person als von der Angeklagten ausgeführt wurde, so ist doch nicht gesagt, daß diese Person da» HauS ausgerechnet auf dem Wege verließ, auf dem sie am ehesten hätte entdeckt werden können!" Der Vorsitzende wandte sich nochmals an den Zeugens „Sie haben die Frage des Herrn Verteidiger» gehört^ Zeuge Hannemann. Was haben Sie dazu zu sagen? Führt« noch ein anderer Weg aus dem Hause?" „O ja, Herr Vorsitzender!" sagte dieser bestätigend. „Durchs Hinterhaus. Aber daS wissen doch nur die Haus bewohner und einige, die unser Hau» kennen." „Wir wollen aber doch einmal sehen!" sagte der Vor sitzende. Der Zeuge Hannemann wurde beauftragt, das Gericht den Weg durch das Hinterhaus zu führen. Man gina die zwei Treppen zum Hausflur hinunter, vor de^Tür zur Portierwohnung recht» ab und ge- te, nachdem man noch einige Stufen Passiert hatte, «cf den Hof. „Bei schönem Wetter gehen wir ja meisten» gradcweg» über den Hof!" fuhr Zeuge Hannemann fort. „Aber Ivenn e» regnet, gehen wir dort unter dem Dach entlang!" „Geregnet hat eS ja am 30 März!" ergänzte der Vor sitzende. „ES ist also wohl anzunehme«, daß auch die dritte Person, wenn sie überhaupt für de» Mord in Frag« komm», diesen überdachten Gang beuutzt hat. Mr wollen also mich dort entlang gehen!" Zuvor beauftragte er aber einen der bereitenden Wacht meister, in die Wohnung des ersten Stocks zu gehen, üm zu kontrollieren, ob man von dort aus einen Menschen! sehen konnte, der sich unter dem überdachten Gang dicht an der Giebelwand des Nachbarhauses entlang schlich. Zeuge Hannemann erbot sich, die angenommene dritte Person zu spielen und schlich sich unter dem Gang dahin. „Können Sie den Zeugen sehen, Wachtmeister?" rief der Vorsitzende hinaus zum ersten Stock. „Nein — ich sehe niemand!" klang die Antwort zurück. Dr. Warmholz quittierte diese Auskunft mit einem leich- ten Kopfnicken. Das Gericht benutzte dann ebenfalls den überdachte», Gang und gelangte in das Hinterhaus. Der Weg durch diese- Haus zur Prinz-Ferdinand- Straße war nur kurz. Er führte lediglich über den Flur,- auf dem allerlei Holz Herumstand, und endete an der Tür, die auch heute nicht verschlossen war. Tischlermeister Hornung, der von den Personen des Ge« Vichts überrascht wurde, trat aus der Tür seiner Werkstatt, ln der die Sägen surrten, und machte rin recht verdutztes' Gesicht. - „Wer find Sie denn?" fragte der Borfitzende. Noch ehe der Gefragte antworten konnte, gab Zeuge Hannemann die Auskunft, daß es sich um den Tischler meister Hornung handele, der hier seine Werkstatt habe. , „DaS paßt sich gut!" sagte der Vorsitzende. „Wir kön nen ihn gleich vernehmen." Nach Erledigung der nötigen Formalitäten sagte Tisch lermeister Hornung aus, daß er sich aus die Einzelheiten des 20. März zwar nicht recht besinnen könne, eS sei aber natürlich möglich, daß ein Mensch, ohne daß er, der Zeuge, etwas davon hörte oder sah. den Flur passieren und da» Haus nach der Prinz-Ferdinand-Straße habe verlassen können. Der Vorsitzende wandte sich nun dem Zeugen Vollbrecht zu, der sich im Hintergrund aufhtelt. „Zeuge Vollbrecht —' kannten Sie diesen Weg?" „Nein!" gab Vollbrecht zur Antwort. „Und Sie — Angeklagte?" „Ich habe ihn nie benutzt, Herr Vorsitzender!" gab auch Else Mohr zur Antwort. „Dann können wir wohl in die Wohnung der FrStt Gruber zurückkehren l" sagte der Vorsitzende und schritt den andern voran über den Hof in da» Vorderhaus zurück. Die Wohnung der Frau Gruber wurde dann einor ge nauen Besichtigung unterzogen. „Was ist denn da» für eine Tür?" fragte der Vor sitzende die Zeugin Gruber und legte die Hand auf di» Klrnke einer Tür, die sich dicht neben der Küche befand. „Das ist meine Vorratskammer/" gab die Angeredetö zur Auskunft und öffnete die Tür. „Ich habe da meist mein Eingemachtes drin. Im Sommer ist e» da hübfch kühl, und es hält sich alles sehr gut, Herr Gerichtshof. „DaS Zimmer hat aber keinen anderen Ausgang?" „Nein — nur diese Tür. Dahinter liegt die Küche!" er klärte Frau Gruber weiter. „Man kann also Ihre Wohnung nur durch die Nur tür verlassen, Zeugin Gruber?" „Ja — nur durch die Flurtür!" Nach einer.eingehenden Besichtigung des MordzimMerD selbst und einer Darstellung der Lage des Ermordeten, er klärte der Vorsitzende den Lokaltermin für beendet. Das Gericht kehrte zur Fortsetzung der Hauptverhand lung in das Gerichtsgebäude zurück. Else Mohr hatte der Lokaltermin und vor allem der Aufenthalt im Mordzimmer selbst tief erschüttert. Die ganze Furchtbarkeit jenes schrecklichen Augenblicks am Nachmittag des 20. März stand wieder vor ihr, erdrückend, lähmend. So deutlich wie in diesen wenigen Minuten hatte! sie in all den letzten Wochen den grausigen Anblick des er- mordeten Verlobten nicht vor Augen gesehen. Eine lähmende Kälte durchzog ihren Körper, griff «ach ihrem Hirn, drängte alles Blut daraus zurück. Dunkle Flecke sprangen vor ihren Augen in einem tol len, wirbelnden Reigen. Es war ihr, als griffen eiskalte Hände an ihre Schläfen und drückten die Adern ab, di« unter den raschen Schlägen ihres Herzens zerspringen wollten. Unter Aufbietung aller ihrer Kräfte schritt sie durch den Verhandlungssaal und nahm auf der Anklagebank Platz. Dr. Warmholz, dem ihr verändertes Wesen aufgesa nl war, fragte sie, bevor der Vorsitzende die Sitzung wieder eröffnete, nach ihrem Befinden. Sie gab ihm keine Ant wort darauf. In ihren Augen lag ein ausdrucksloser, leere« «lick. f „Wenn Sie sich schwach fühlen, Fräulein Mohr, Un8 K« Verhandlung nicht folgen können, bitte ich den Vorsitzen den um eine kleine Pause, damit Sie sich erholen können." ' „Es geht schon Herr Doktor!" sagte sie jetzt mit schwä cher Stimme. ,Lch muß es doch durchkämpfcn. Nur nicht! lange mehr zögern damit, nicht länger hinausschieben. Nu- — wenn ich Sie um ein Glas Wasser bitten dürfte, Her- Doktor!" i Dr. Warmholz ließ ihr durch einen Beamten WaffG» bringen Sie trank daS Gla» in einem Zuge le«. „IM danke Ihnen, Herr Doktor. Sie find sehr lieb zu mir!" Da» Gericht betrat den Saal. Di« Verhandlung WW ihren Fortgang. ' Warum da» alle» noch? dachte Elfe Mohr Warum ko«»! Men pe «itht z« Lud« damit? ES ist ja alle» eine Oual fikst Mich, ave», fäw» Wort, da» fie sprechen alle tüskftomng lolai.1