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Frsnkenborger Lrzäliler "»n 11 ^Nachdruck verboten.) „Ja, die Tatsachen sprechen gegen dich, Mohrchen. Aber bist du nicht selbst daran schuld? Warum sagst du nicht end lich, wo du am Vormittag des schrecklichen Tages warst und was sich in diesen Stunden ereignete? Kannst du wirk- lich nicht sagen, in Westen Hände die Pistole gekommen ist? Oder willst du es nur nicht sagen, Mohrchen?" Else Mohr barg ihr Gesicht in die Hände. „Warum quält ihr mich nur so?" kragte sie schmerzvoll. „Ich kann darüber sa nichts sagenI Versteht ihr denn das nicht? Ich kann doch nichts darüber sagen!" Ein würgendes Schluchzen schüttelte ihren Körper. Halt los sank sie in sich zusammen. Hannelore nahm ihren Kopf in beide Hände und hob das blasse Gesicht zu sich empor. „Ist es wirklich so schlimm, Mohrchen? Es geht doch um dich, um deine Ehre, um dein ganzes Leben!" Alles, was an Liebe und Treue zu Mohrchen in ihr war, hatte Hannelore in diese Worte gelegt. Ihre Seele hatte mitgeklungen, ihr hilfsbereites Herz. Doch Mohrchen schwieg. Schwieg, wie sie immer ge schwiegen hatte, wenn im Lause ihrer Vernehmungen dies« Frage an sie gestellt worden war. Hannelores Hand fuhr über die Wangen der Kame radin. „Armes Mohrchen!" sagte sie. „Dann muß ich es herausfinden. Dann muß ich forschen und suchen!" Da blickte Mohrchen zu ihr auf, jäh und groß. Eine unbeschreibliche Angst lag in ihrem Blick. „Nein, bitte — Hannelore das nicht!" Flehend hob sie ihre Hände zu Hannelore empor. „Das darfst du mir nicht antun — bitte, bitte!" „Es geht aber doch nicht anders, Mohrchen. Warum kannst du das nicht einseben? Tue ich das nicht, bist du ver- loren — kein Richter wird dich frei von Schuld sprechen, wenn ich deiner Bitte nachkomme!" „Ich habe es aber doch nicht getan!" schrie Mohrchen auf. „Das weiß ich. Aber die andern, die müssen wir doch von deiner Unschuld überzeugen. Sie können dir einfach nicht glauben, solange es nicht feststeht, wer die Tat mit deiner Pistole ausführte." Mohrchen brach zusammen. Eiskalt kroch eS ihr durch die Seele. Nicht mehr denken — nicht mehr denken. Und nichts mehr sagen. Warum diese Qual? Warum diese Fragen? Es ist doch alles einerlei, alles In wilder Verzweiflung schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Verlaß mich nicht, Hannelore!" schrie sie auf. „Verlaß mich nicht!" Erschüttert stand Hannelore vor ihr. „Niemals, Mohr-- chen — niemals!" Dann wandte sie sich zum Gehen. Schwer fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. Der Beamte legte die Hand an die Mütze und entfernte sich mit schweren Schritten. Hannelore war es, als stünde sie allein in der Welt. Und viel Nebel war um sie herum. Der griff nach ihren Ge danken, wollte sie einhüllen, erwürgen Langsam schritt sie den Korridor entlang. . ! Kommissar Wettengel klappte den Aktendeckel zu und' ging in seinem Zimmer auf und ab. Eben war ihm Mohrchen zur letzten Vernehmung vor geführt worden. Morgen gingen die Akten an den Unter suchungsrichter. ' „Seltsames Schicksal", sagte er zu sich. „Wie ein Heller Stern fällt so ein junges Menschenkind in dieses Leben, ist der Frühling selbst, der durch die Welt geht mit Lachen und Singen und Tanzen — und dann kommt das Schick sal mit kalter Hand und zerdrückt das Blühen, erstickt das Lachen. Und dunkel öffnet sich das Tor einer freudlosen Zukunft — Schicksal des einzelnen, Schicksal der Men schen." Dann rief er den Beamten. „Bringen Sie die Akten Mohr dem Untersuchungsrichter, Herrn Dr. Siedentopf!" Wie von selbst griff seine Hand nach einem neuen Akten stück schlug es aus. Und seine Augen sahen in eine andere Welt. Es war wieder eine Welt, in die die Sonne der Freude nicht mehr scheinen wollte ... Und die Zeit lief weiter. Draußen in der Umgebung der großen Stadt war es in den Wäldern Frühling geworden. Birken und Buchen trieben ihr junges Grün, auf den Wiesen hoben die Vrsten Frühlingsboten die Blütensterne inS Licht. Selbst im Bild der grauen Stadt ging eine Wandlung vor. In die langen Straßenzcilen mischte sich das schüch terne Grün der Bäume und Vorgärten. Dis Menschen gingen längst nicht mehr so verhüllt wie in den Wintcr- rnd Vorfrühlingstagen, und die Kinder trieben auf ruhi- zeren Plätzen ihre munteren Spiele. Nur in dem düsteren Hanse, wo Mohrchen der Entscheid düng über ihr Schicksal entgegenharrte, fand der Frühling keinen Einlaß. Selten geschah es, daß ein Heller Sonnen- strahl durch die Scheiben fiel, und selten nur drang rin Iroher Laut von außen her in daS graue, freudlose Haus. Untersuchungsrichter Dr. Siedentopf, ein Mann in den dreißiger Jahren mit ernstblickenden Augen und' einem langen, schmalen Gesicht, saß über daS Aktenstück „Else Mohr" gebeugt und studierte eingehend- die bisherigen Untersuchungsergebnisse. Hin und wieder schüttelte er den Kopf, als wollte er Ge danken abwehren, die sich immer von neuem in sein Hirn schlichen. Eine seltsame Geschichte war das doch! Ein junges Mädel lernt einen Mann kennen, liebt ihn, vertraut ihm, und dann nimmt sic die Pistole und schießt ihn nieder. An sich ja eine Sache, meinte Dr. Siedentopf, wie sie oft ge nug geschieht. Aber etwas war doch an ihr, das machte sie .interessant. Das Mädel behauptet, die Tat nicht ausgeführt zu haben. Gibt zu, daß der Schuß aus ihrer Pistole abgegeben wurde, und leugnet trotzdem. Warum gibt sie auf die Frage, wer die Tat ausgeführt haben kann, keine Aus kunft? Hier war noch ein Rätsel zu entschleiern — oder daS Mädel war eine abgefeimte Lügnerin, die glaubte, mit solchen Ausflüchten den schweren Verdacht von sich ab wälzen zu können. Dr. Siedentops ließ sich die Angeschnldigte vorführen. Aufmerksam und nicht ohne innere Teilnahme betrach- lete er das blasse, feingeschnittene Gesicht der Unter suchungsgefangenen. Wie eine Mörderin steht sie ja nicht aus, fuhr es ihm durch den Sinn. Ich kann mir eigentlich nicht denken, daß sie Doch Dr. Siedentopf war lange genug Untersuchungs- Richter, um sich von solchen rein gefühlsmäßigen Erwägun gen beeinflussen zu lassen. „Setzen Sie sich, Fräulein Mohr!" sagte er Mit seiner etwas schneidend klingenden Stimme und wies mit der Hand ans den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, io daß er das Gesicht der zu Vernehmenden genau beobachten konnte. „Sie stehen also in dringendem Verdacht, den Ingenieur Felter am Nachmittag des 20. März in seiner Wohnung vorsätzlich erschossen zu haben. Sie wurden unmittelbar Nach der Tat neben der Leiche des Ermordeten festgenom men. Sie sagten bisher an», die Tat nicht ausgeführt zu haben, und geben an, daß der Mord bereits geschehen war. als sie das Zimmer Felters betraten. Dem steht allerdings gegenüber, daß zu der Tat eine Waffe benutzt wurde, die Ihr Eigentum war, und das bestreiten Sie ja auch nicht. Als Grund zur Tat wird angenommen, daß sie Felter er schossen haben, weil er sie verlassen wollte, obwohl er Ihnen die Ehe versprochen hatte." Dr. Siedentopf hob den Blick von dem Aktenstück und betrachtete eingehend das Gesicht Mohrchens. Es lag etwas Zwingendes in seinem Blick. „Was haben Sie dazu zu sagen, Fräulein Mohr? Sie sind sich doch nicht im Unklaren darüber, daß die Sache für Sie schlecht steht, solange Sie uns die Aussage darüber verweigern, wer — wenn Sie wirklich die Täterin nicht waren — dann überhaupt den Mord begangen haben kann. Herr Vollbrecht, von dem während der polizeilichen Unter suchung der Mordsache die Rede war, konnte nachweisen, daß er zur Zeit des Mordes nicht am Tatort weilen konnte. Im übrigen hat die bisherige Untersuchung auch keine An haltspunkte für ein Motiv ergeben. Es liegt daher in ihrem eigenen Interesse, Fräulein Mohr, daß Sie nun endlich den Mut zu einem umfassenden Geständnis finden. Das Gericht, vor dem sie sich zu verantworten haben, wird dann Ihre Tat bestimmt milder ansehen und statt auf Mord auf Totschlag erkennen." Wieder fühlte Mohrchen den zwingenden Blick des Untersuchungsrichters. Gestehen? Was sollte sie nur ge stehen? Sie hatte ihn ja nicht getötet — „Ich habe nichts zu gestehen, Herr Untersuchungsrich ter!" sagte sie mit schwacher Stimme. „Ich kann nur imme« wieder bei dem bleiben, was ich bereits vor dem Kommissar üusgesagt habe." „Und wie erklären Sie sich dann, daß die Tat mit der Ihnen gehörigen Pistole ausgeführt wurde? Sie müssen doch eine Erklärung dafür haben, Fräulein Mohr — oder ich muß wirklich annehmen, daß Sie »ns hier etwas ganz Dummes vorlügen!" Mohrchen sah den Untersuchungsrichter mit ihren gro ßen, dunklen Augen an. „Ich lüge Ihnen nichts vor. Ich sage die reine Wahrheit. Ein anderer hat die Tat ans geführt — ich bin unschuldig am Tode meines Verlobten!" Dr. Siedentops senkte den Blick und zog die Unterlippe nachdenklich ein. Sprach das Mädel wirklich die Wahrheit — dann war die Untersuchung bisher auf ganz falscher Fährte. Log sie >— dann gab es keine Rettung für sie. „Nun seien Sie einmal ganz ehrlich, Fräulein Mohr!" drang er in sie. „Sie müssen doch begreifen, daß uns allen daran liegt, den wirklich Schuldigen zu ermitteln. Haben Sie die Waffe vor der Tat einem anderen gegeben? Oder können Sie sich vielleicht denken, wer Ihnen die Waffe fortgenommen hat?" Lange schwieg Mohrchen. Der Untert-ichungsrichter sah, wie sie mit sich kämpft« und rang, wie eine flammende Röte die tödliche Blässe ihres Gesichtes ablöste. Jetzt wird sie sprechen! hosfte er. Und Mohrchen sah wieder zu ihm auf „Nein!" sagte sie. „Ich weiß es nicht!" Dr. Siedentopf erhob sich und trat ans Fenster. Dreht« sich wieder nach Mohrchen um. „Ich habe das bestimintt Gefühl, daß Sie irgendeinen Menschen schonen wolle«. Aber sehen Sie denn nicht ein, daß Sie da etwas gantz Dummes tun? Einen Menschen, der einen anderen tötet, schont man nicht. Ein solcher Mensch verdient weder Gnade noch Milde. Ihn muß die ganze Strenge des Gesetzes tref fen — wer es auch sei!" Mohrchen senkte den Kopf und schwieg. Er fuhr fort: „Ich verstehe Sie nicht, Fräulein Mohr! Wenn Sie wirklich nicht die Täterin find, wenn wirklich alles, was Sie uns erzählen, der Wahrheit entspricht — dann enthüllen Sie uns doch endlich daS Geheimnis, daS die Sache mit der Pistole umgibt — oder sie haben eben die Folgen zu tragen In ihrer ganzen Schwere — wie eS das Gesetz verlangt. Darüber sind Sie sich doch im klaren?" „Jal" sagte Mohrchen. Wieder fühlte sie sich einer Ohn- wacht nahe. Wieder kroch eS kalt in ihr hoch, als wenn Wasser immer und höher an ihrem Körper emporstiege. . Nur noch aus weiter Ferne hörte sie die Stimme deS Untersuchungsrichters: „Dann kann ich Ihnen nicht Hel sen, Fräulein Mohrl" Müde ging Else Mohr aus dem Zimmer. Kaum, daß sie ihre Beine tragen wollten. Es kam so, wie es nun nicht mehr anders kommen konnte: Der Staatsanwalt erhob gegen Else Mohr An klage wegen Mordes, begangen an ihrem Verlobten, dem Ingenieur Hans Joachim Felter. Die Hauptverhandlung war aus den 2. August angesetzt worden. Auch Mutter Mohr und Hans Amelung hatten bet ihrem Besuch nicht vermocht, etwa? von Mohrchen darüber zu erfahren, wem sie die Waffe gegeben hatte, mit der de« Mord ausgeführt worden war. Schweren Herzens waren sie in ihr stilles Heimatdörs- chen zurückgekehrt und warteten nun mit Bangen auf den Tag, an dem sich Mohrchens Schicksal erfüllen sollte. Sie glaubten an die Unschuld MohrchenS — Mutte« Mohr und Hans Amelung. Und noch drei hatten den Glauben an sie nicht verloren- Hannelore, Direktor Selhausen und Dr. Warmholz, der Verteidiger. Unermüdlich waren sie in ihren Nachforschungen ge wesen. Vor allem Hannelore; sie opferte Mohrchen ein Stück ihres jungen Eheglücks, gern und freudig. Und Sel hausen, der anfangs unter der Wucht der gegen Mohrchen sprechenden Tatsachen schon wankend geworden war, hatte sich an der Energie und dem unbeugsamen Glauben seiner jungen Frau wieder aufgerichtet und stand zu Mohrchen. Dankbar bekannte er Hannelore: „Du hast mich beschämt mit deinem Glauben, deiner Treue und deiner Kamerad schaft!" G S» * Ein rechter Sommertag war dieser 2. August. Eine unbarmherzige Augustsonne brütete über den Dächern der Stadt. Müde gingen die Menschen einher. Draußen auf den Feldern fielen die goldenen Halme Unter den Sensen, und schon rollten auch die ersten Ernte wagen auf den Landstraßen dahin, vollbeladen mit reifem goldgelbem Korn. Am frühen Morgen waren Mutter Mohr und' Han« Amelung angekommen. Hannelore hatte sie mit dem Wagen vom Bahnhof abgeholt und in ihre Wohnung ge bracht. Mutter Mohr war in dem Hangen und Bangen der letzten Monate körperlich und seelisch niedergebrochen. Ihr abgehärmtes Gesicht trug die Spuren unzähliger schlafloser Nächte. „Was wird mit meiner Else geschehen!" klagte sie, als sie sich nach einem kleinen Imbiß fertig machten, um zur Verhandlung zu gehen. „Warum hat mir mein Kind daS angetan?" Hannelore drückte immer wieder ihre Hand. „Nichts hat Mohrchen getan, Mutter Mohr! Sie müssen ganz fest dar an glauben! Und die Sache mit der Pistole wird sich auf- klärcn." Mutter Mohr sah Hannelore dankbar in die Augen. „Wie lieb Sie zu meinem Kinde sind, Frau Selhausen — nie werde ich Ihnen das vergessen!" „Ich bin es ihr schuldig. Und Ihnen auch, Mutter Mohr. Sie ist doch mein Kamerad, und den läßt man nicht im Stich, nicht wahr?" — Der Saal des Gerichtsgebäudes, in dem die Verhand lung gegen Mohrchen stattfindcn sollte, war bereits bis auf den letzten Platz von Zuhörern besetzt, als Hannelore, Selhausen, Tante Frieda, Mutter Mohr und Hans Amec lung ihn betraten. Aller Augen richteten sich aus sie. „Das ist die Mutter!" tuschelten sie sich zu. „Und daS Fran Selhausen — die soll sich mächtig ins Zeug für Els« Mohr gelegt haben!" „Kommen Sie!" sagte Hannelore zu Mutter Mohr. „Wir wollen draußen den Beginn der Verhandlung ab? warten!" Auf einer Bank im Flur nahmen sie Platz. Immer neue Zuhörer erschienen, drängten sich in de» Saal. Auch Vollbrecht kam. Er machte einen frischeren Ein druck, die Kur in Davos war ihm gut bekommen. Selhau sen hatte ihm noch einen langen Nachurlaub gewährt, da mit sich seine Gesundheit noch mehr festigen sollte. Als er an Hannelore und Selhausen vorüberschlttt, schien es, als ob er stehen bleiben und etwas sagen wollte. Tiber dann ging er weiter. Etwas hastig klang sei» GviA (Üortjetzung folgte