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Der Dank des Millionärs Nusjel Sage prozessiert mit seinem Lebensretter Neben England sind die USA. daS Land der kuriosen Millionäre, der hungernden Krösusse, der sich härmenden Glückskinder des Goldes mit einem Herzen voll Geiz, Angst und Kummer. In diesen Tagen streben z. B. die Erben des amerikanischen Kaufmanns John Laidlaw die letzte Entscheidung des Obersten Amerikanischen Gerichts gegen die Erben des Millionärs Russell Sage au, weil Laidlaw eines TagcS Sage das Leben rettete. Aber bei Russell Sage zählten nur Dollars — und nicht das Leben. Welche Tatbestände stehen hier im Hintergrund? Eines Mittags — vor vielen Jahren — in einem Büro in der Wall Street. Die Tür fliegt ans. Im Türrahmen steht ein Mann mit wild flackernden Augen und hält einen Beutel in die Höhe: „In dem Sack ist Dhnamit — ich brauche eine Million Dollar. — Zahle oder wir fliegen in die Luft!" Der Bankier Russell Sage zuckt in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch zusammen, blickt um sich und springt mit einem raschen Satz hinter den Stuhl, ans dem sein Besucher, John Laidlaw, ein paar Minuten vorher Platz genommen hatte. Der Bandit in der Tür glaubt sich bedroht und wirft den Beutel mit dem Dhnamit auf die Erde. Es folgt eine furchtbare Explosion. Der Bandit ist tot, der Besucher im Büro des Bankiers Russell Sage schwer verletzt. Russell Sage selbst war mit dem Schreck davongekommen. Er hatte nur deshalb keine Verletzungen davongctragen, weil jener Besucher die Sprcngsplitter gc- wissermaßen wie ein lebender Schild aufge fangen hatte. Die Blätter berichteten damals gross über jenen Vorfall und nannten Jahn Laidlaw den Lebensretter des Millionärs Russell Sage. Als Laidlaw nach vielen Monaten aus dem Krankenhaus kam und mühsam in das Büro des Millionärs humpelte, um dort mit ihm über eine Entschädigung und eine Belohnung zu sprechen, brach Russell Sage das Gespräch kurz ab mit den Worten: „Sie haben keine rechtlichen Forderungen an mich. Sie waren zufälliger Zeuge eines Vorfalls und Nnaen zufällig jene Splitter aus. Ich hatte Sie nicht aufgefordert, an jenem Tag in mein Büro zu kommen und — wie Sie es sagen — mein Lebensretter zu werden!" John Laidlaw verschlug cs die Sprache; denn schliesslich wusste jeder in New Aork. dass Russell Sage schon damals gut 60 Millionen Dollar befass. Laidlaw strengte einen Prozess an. Sage prozessierte dagegen. Der Prozess lief durch unzählige Instanzen, wurde nieder geschlagen, wieder ausgerollt, unter neuen Ge sichtspunkten zum fünften und sechsten Male begonnen — das Verfahren nahm kein Ende. Um das merkwürdige Verhalten des Mil lionärs Russell Sage zu begreifen, muss man wissen, dass er eine der absonderlichsten Ge stalten Amerikas und der Wall Street war. Solange man ihn kannte, trug er den gleichen alten schwarzen Anzug, der mittlerweile grau und glänzend geworden war, und dazu einen Hut, der nur noch in beschränktem Umfange den Namen eines solchen verdiente. Täglich konnte man Sage in hartem Ring kampf mit einer Avtelsrau sehen, die in der Nähe seines Büros mit ihrer Karre stand und der er die leicht angefaulten Aepfel zu einem ermässigten Preise abtaufte. Mitt-gs leistete er sich bei einem italienischen Straßen- händler ein Stück Schokolade von recht be scheidenem Umfang und meist in stark abge lagertem Zustand. Am Nachmittag sah man ihn in einer Kantine der Börsianer hcrum- sitzen. Aber er gönnte sich kein Frühstück, kein Mittagessen, sondern liess sich von seinem Bürolehrling ein Sandwich kaufen, das dieser irgendwo für 3 Cents zn ermässigten Preisen bekam. Als eines Tages der Lehrling der Ansicht war, dass sein Chef unbedingt an Unterernäh rung leide und insofern ein gutes Werk tun wollte, als er 5 Cents für ein Sandwich an legte, machte Russell Sage eineu Höllenkrach und zog ihm die 2 Cents am nächsten Lohntag ab! Wieso Sage Bankier wurde, weiss niemand genau zu sagen. Er arbeitete ursprünglich in einem Kolonialwarengeschäft und schien auch keine grösseren Neigungen zu haben. Plötz lich, im Alter von 36 Jahren, trat er aus jenem Geschäft aus, gründete eine kleine Baukfirma nd hatte fünf Jahre später ein Millioucnvermögen verdient. In jenem bescheidenen Büro, das er damals als „Gründer" mietete, blieb er auch dann noch, als man ihn auf 80 bzw. 100 Millionen Dollar Vermögen schätzte. An den Wänden kein Bild, auf dem Boden kein Teppich, kaum dass ein Stuhl für den Besucher da mar. Aber anfangs lebte er noch Halbwegs nor mal nach dem Rezept eines bescheidenen ame rikanischen Bürgers. Dann kam irgendein Bankkrach, der einzige Fehlschlag, der Russell Sage übrigens traf. Er verbarrikadierte sich in seinem Büro, nm seinen Gläubigern nichts auszahleu zu brauchen. Als er dann von seinen 60 Millionen zwei opfern musste, kam er an den Rand des Wahnsinns und wurde von jenem Tage an der Sonderling, der nur noch angefaulte Aevsel und billige Sandwichs ass und der nicht einmal seinem Lebensretter Dank sagen wollte, weil er befürchtete, cs könne ihn etwas kosten. Wie seltsam das Lben mit den Charakteren spielt: In diesen Tagen ist unweit von P!y- mouth in einer kleinen ärmlichen Wohnung ein Millionär tot aufgefnnden worden. Er batte sich zu guter Letzt eine Kugel in den l'. wi geschossen. Er war längst nicht mehr Millionär. Er arbeitete feit zwei Jahren als Werk arbeiter irgendwo in den Alinen. Aber er war reich: Zebu Millionen nannte er fein eigen. Er hatte in Indien nach Gold gesucht und Gold gefunden. Mit seinen Reichtümern kehrte er nach Europa zurück. Nichts war ihm zn teuer. Er veranstaltete die schönsten und leuchtendsten Feste, die der Kreis, in dem er sich bewegte, jema's erlebte. Nach ein paar Jahren war von dem ganzen Reichtum nichts mehr übrig. ES war nicht die Armut, die ihn zuletzt in den Tod trieb, sondern die Folge erscheinung einer Kopfgrippe. Wenn ein Ver gleich möglich ist: Wem soll man die Palme znerkennen, sein Geld besser verwandt zu haben — dem Sonderling aus der Wall Street oder dem Verschwender aus der Dachkammer von Plhmonlh? Mit WOW Mann aut Mmmm Meinen und Lngekkrirn zu sonderbarem Nutzen..." - Wie gern blättern wir in Mussestunden in einem Buch, das Spruchwcisheit uns vertraut werden läßt, oder vielleicht im Lexikon, um das Gute mit dem Nützlichen, die Zerstreu ung mit dem Lernen zu verbinden. Und welche Fülle wissenswerten und unterhalt samen Stoffes zugleich künden die Blätter, wenn wir gar eines der Lexika aus Gross väterzeit in Händen halten, mit ihrem um ständlichen, allumfassenden Titel, wie bei spielsweise dem: Reales Staats - Zeitungs- und Conver- sationslexikon, darinnen so Wohl Die Religio nen und geistlichen Orden, die Reiche und Staaten. Meere, Seen, Jnsuln, Flüsse, Städte, Festungen, Schlösser, Häfen, Berge. Vorge birge, Pässe und Wälder, die Linien Deutscher hoher Häuser, die in vcrschiedncn Ländern übliche so geistliche als weltliche Nittcr-Ordcn, gelehrte Sozietäten Gerichte. Civil- und Militärchargcn zn Wasser und zu Lande, der Unterschied der Meilen, vornehmsten Müntzen. Maass nnd Gewichte, die zu der Kriegs-Bau-Kunst, Artillerie, Feldlägern, Schlachtordnungen Belagerungen, Schisfahr- thcn. Unterscheid der Schiffe und der Dazu gehörigen Sachen gebräuchlichen B"neninm- gen: Als auch Andere in Zeitungen und täg licher Eonversatian vorkommcnde aus fremden Sprachen entlehnte Wörter nebst den alltäg lichen Terminis Juridices. Gelehrten und Ungelehrten zu sonderbarem Nutzen klar und deutlich beschrieben werden. — Die drey- zehendc Auflage, darinnen die Geographischen Beschreibungen mit Fleiss rectificiret nnd vcr- Mr Novern im allen Lexikon mehret, auch alles auf gegenwärtige Zeit con- tinniret und bey den meisten Articnln die La teinische Benennung beygesetzet worden, also daß das gantze Werck in allem über 26 000 Artickcl begreiffet. — Nebst vollständigen Re gistern und einer ausführlichen Vorrede Herrn Johann Hübners, Neetoris zu S. Jo hannis in Hamburg — Mit Röm. Kays. Maj. auch Königl. Poln. und Churfl. Sächsischen allergnädigsten Privilcgiis. — Verlegts Jo hann Friedrich Glcditschens seel. Sohn, Buch- Händl. in Leipzig. Anno 1729. Die Abgabe des Römer-Monats. Anno 1729, was mag es da wohl in Leipzig, das wir heute als die Stadr der Buchhändler und der Pelze, nicht zuletzt der Messe, kennen, Bedeutendes gegeben haben? „Sic ist eins brühmte Handelsstadt, und hat jährlich 3 Messen, jede von zwei Wochen, ncmlich die 1 ans Neu-Jahr, die II. den Sonntag Jubi- lare. und die Ul. den Sonntag nach Michae lis welche An. 1268 ihren Anfang genommen. . . . und eine Universität, welche An. 1409, den 4. Decembr. von Churfürst Friedrich dem Streitbaren gcstifftct worden. Der Rector Magnificus wird alle halbe Jahr, nemlich aus Gregorii uud Gallen-Tag. aus den 4. Na tionen, nemlich dec Sächsischen, Meißnischen, Fränckischen und Polnischen erwchlct. Sic ist eine von den vier Leg-Städten des Reichs, da hin die Römer-Monate von den Reichs-Stän den bezahlet werden" Die Römer-Monate? „Der Römer-Monat, so lässt uns daS vortreffliche Buch weiter wissen, ist eine Reichs-Anlage in Deutschland, Raven-e Wipfel ^oio: Engel (M). nach welcher dasjenige, was jeder Reichs- Stand auf bedürffendcn Fall contribuiren muß. gerechnet wird, und betrüget, waS die gelammten Kreyse vor einen Römer-Monat erlegen müssen, 2681 Mann zn Pferde, und 12795 Mann zu Fuss, oder an Gclde 83961 Kayser-Gulden. Die Römer-Monate haben ihren Ursprung von den Römer-Zügen, welche die Kayser sonst nach Nom thaten, nm sich von dem Pabst krönen zn lassen, nnd machte der Kayser eine gewisse Anlage auf die Reichs- Stände zu dcu Unkosten der Reise, und zum Unterhalt seines Gefolges, welches in 20 000 zu Fuss und 4000 Pferden bestünde. An. 1716 haben die gesamten Reichs-Stände ans dem Reichstage zn Regensburg Jhro Kayserl. Maj. zu Fortsetzung des damahligen Türcken- Kricges eine freywillige Bcystcner von 50 Römer-Monaten verwilligct, und dieselbe in nerhalb 6 Monaten zn Wien nach dem mode- rirten Fuß,, der Neichs-Matricul zu bezahlen beschlossen." Die Reichsanlage oder auch der Reichs auschlag sind ,,Collectcn nnd Steuern von beweglichen und unbeweglichen Güthern, auch nach Beschaffenheit der Nothdurfft von den Köpffen der Herren und Frauen, Knechte und Mägde, eingefordert und auch dabcy die welt lichen Lchngütcr der Geistlichkeit nicht ver gessen". Zum Reichs-Stand deS Heil. Röm. Reichs gehört „eine Person oder ein Stand, welche Sitz und Stimme auf den Reichs-Tägen hat, und welche unmittelbar unter dem Kayser und dem Reiche stehet. Es sind aber die Neichs-Stäudc entweder Churfttrstcn, Ertz- Bischöffe, Bischöffe, gefürstete Aebtc, weltliche Fürsten, Prälaten, Aebtissinnen, Grafen, Frcy-Hcrren oder Städte." „Ehe der Kayser einen Reichs-Tag ans schreibet, muß er zuvor die Einwilligung eines jeden Churfttrsten insonderheit einholen, und alsdenn läßt er an jeden Reichs-Stand ein Convocations-Schreiben ergehen, krafft dessen sie zum augcstellten Reichs-Tage beruffen, und auf demselben zu erscheinen ermahnet werden. Wo und an welchem Ort aber der Reichs-Tag anzustcllen sch. dazu wird der Churfürsten Einwilligung gleichfalls gefordert. (Der Reichstag wurde damals seit 1662 zu Regens burg gehalten.) Es thcilen sich aber die Stände auf den Reichs-Tägen in 3 Classen oder Collegia, ncmlich in das Chur-Fürstlichc, Fürstliche, welches aus Fürsten, Prälaten, Grafen und Herren bestehet, und in das Collegium der Städte. Im Chur-Fürstlichen Collegio führet das Direktorium Chur-Mahnt, im Fürstl. Oesterreich und Salzburg wechsel weise, und im Städtischen diejenige Stadt, wo der Reichs-Tag gehalten wird. Zur Kaisrrwabl Fremde nicht geduldet. Gedenken wir noch der Krönungs-Stadt Frankfurt am Main, über die folgendes zu lesen ist: „Sie ist berühmt sowohl wegen der Handlung — gemeint ist der Handel — und ihrer jährlichen zwey Messen, deren erste itzo acht Tage nach Ostern ans Qnasimodogeniti, und die aridere entweder auf dorr Sonntag vor Mariae Geburt, wenn dieses auf die Mittwoch fället, ober auf den Sonntag nach Mariae Geburt, wenn es am Donnerstage ist, gehalten werden. Als auch weil die Römi schen Kayser und Könige gewöhnlich allda auf bcm Nathausc, der Römer, genannt, crwchlet werden. Wenn der Kayserliche Wahltag an- gesetzt ist, so muß der Rath, die Bürgerschaft und die Guarnison dein Churfürsten zu Mayntz vor sich und nn Namen des gantzen Chur-Fürstlichen Collcgii den Sicherungs-Eyd abschwcrcn, daß sic alle Chur-Fürsten insge mein und dcro Abgesandten nebst dem bey sich habenden Comitat vor allem Ucberfall und Gewalt beschützen, und vermöge der güldnen Bulla alle Fremden vor angehender Wahl aus der Stadt schaffen, dagegen aber niemand, von was Würde und Stand er sch, cinlassen wollen; daher lasset nach abgelegtem Eyde der Rath unter öffentlichem Trompetenschallc ein Decrct ablcsen, darin der bevorstehende Wahl tag deutlich augekündiget, und die Ausfahrt der Fremden ungeordnet wird. Die monarchische Gewalt des Kaisers ist, wie unsere Quelle bemerkt, schon damals (1729) „dnrch die Macht der Reichs-Stände sehr be schnitten". Dem Kaiser kommen nur noch einige „Reservuta" zu, als hohe Würden zu konferircn, Akademien anfzurichten, Privile- gia zn crthcilcn, die Reichs-Fürsten zu beleh nen." Die alte Krünungsstadt Aachen. Das Wahlgrnndgcsetz ist in der Goldeneu Bnlle nicdcrgelcgt und wurde 1356 von Kaiser Karl IV zn Metz und Nürnberg abgefaßt. Sie hat ihren Namen daher, „weil an statt des Siegels eine güldene Capsul, so auch Bulle ge- ncnnet, darinnen daS Majestät-Siegel ge druckt. unten an derselben hänget. Ans Grund der Goldenen Bulle Hatto eigentlich Aachen „das Privilegium, daß die Römische» Könige daselbst gccrönct werden sollen, welches aber, weil die Stadt durch den Brandschaden sehr ruinirct worden, nach Caroli V. Zeiten nicht mehr geschehen, und der Stadt deswegen icdemahls von dem neuen Kayser oder Römis. Könige gewisse Nevcrsa- licn erthcilct worden." Aachen hatte schon da mals „Stapelgerechtigkeit im Wollhandel", wie auch schöne Manufakturen von aller Hand Zeugen und feinen Tüchern: dabeh genießen die Bürger vor sich und ihre Commercien durchs gantze Römische Reich eine Zoll-Frey- hcit, und können nirgends, als vor ihrem Schöppenstnhl belanget nnd arrestiret werden." Genug sei's für heute! H.N.