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Der.Teusel im Grammophon Schlangengeschichten aus dem Brasilien-Urwald / Ei« Bericht der dentsche« Amazonas-Jary-Expedition / Don Exp-dUio-sl-iter Schulz-Kamp,Henkel Es war am Spätnachmittag gegen 5 Uhr. Ich sah am Amazonasufer, am Fuhe eines Ricsenbaumes im Schatten mitten im Ge strüpp und schrieb. Das tat ich schon seit eini gen Tagen, da mir drüben, am anderen User dieses Seitenarnies, in der Fazenda zu viel Lärm ivar. Hier herrschte weltentrückte grüne Stille der Natur. Der Passat strich über dein breiten Fluh heran und ging leise kühlend durch die Büsche. Von ferne hörte ich schon das Brummen unseres Sachs-Motors. Gerd Kahle kam, mich abholen. Der Bleistift glitt über den Block auf meinen Knien. Ich wollte diesen Absatz noch beenden. Die Anakonda an der Hundeleine. Auf einmal fängt mein Auge vor mir im Gras neben dem rechten Fuh eine Bewegung auf. Ich sehe hin — da schiebt sich langsam rin langer, schillernder Leib unter den Gräsern durch, undeutlich zu erkennen, auf meine Fritze zu, jetzt kriecht ein schmaler, dreieckiger dunkler Kopf hervor, zwischen den Pflanzen, verharrt, züngelt, taucht im Gras unter, noch 30 Zenti meter von meinen Schuhen ab. Eine Schlange. Nach dem Kopf zu urteilen, junge Riesen schlange, Anakonda von vielleicht zwei Meter Länge. Ungiftig, aber bissig. Erster Gedanke: lebend fangen! Wie eine Schnecke ziehe ich Stück für Stück, langsam, vorsichtig, den Fuß zurück. Hin und wieder sehe ich unter dem Gras den träge hinkriechenden Schlangen leib. In Zeitlupe richte ich mich auf. Stehe viel leicht zwei kleine Schritte von der Anakonda ab. Sie hat noch nichts gemerkt. Jetzt sehe ich ihren Kopf rn einem Krautgewirr langsam verschwinden. Mit einem Satz springe ich hin »nd habe den Fuß auf ihrem Nacken. Unter dem Gras wird es lebendig, in heftigen Win dungen krümmt sich ihr Leib, mein Boy, der abseits hockt, stürzt hinzu drückt Körpermitte und Schwanz auf den Boden — wir haben sie! Da ist Gerd mit dem Boot heran. Wir haben die Anakonda im Genick, kein Sack, keine Kiste da, also eine Leine, kleines Halsband um den Nacken, vorn im Boot angebunden. Geht so ganz gut. Bordmonteur Krause photogra phiert, dann fahren wir ab. Das war Ler erste Schlangen-fang in Amazonien beim Brief- schreiben. Gibt eS hier überhaupt Schlangen? Seit Wochen pirschen wir durch die Urwäl der Brasilianisch-Guahanas, im Herzen der unberührten Wildnis am Jary. Einmal fan den wir eine Schlangenhaut in einem hohlen Baum, sonst nichts. Wir zweifelten, ob dies gefährliche Getier hier überhaupt so häufig sei, wie in den gruseligen Amazonasbüchern zu lesen ist. Da brachen aber plötzlich die Er eignisse in Massen herein. Gerd Kahle hatte eine gute Strecke heimge bracht. Wir saßen im Präparierhaus und ver maßen vier rote Brüllaffen. Da kommt der schwarze Präparator Rahmundo von der Ufer felsbank gelaufen und ruft, da liege eine Schlange unter dem Busch am Wasser. Wir schnappen uns im Hinrennen noch schnell die Vogclflinte, denn eine Schlange, die am Wasser liegt, bekommt man schwer, pirschen leise um den überhängenden Busch herum — tatsäch lich, da liegt zusammengerollt ein gut besen stieldickes Schlangentier. Im Umsehen hat es eine Ladung Vogeldunst im Hals. Man konnte im Halbdunkel unter dem dichten Grün nicht sehen, von welcher Art die Schlange war. Der Kampf am Flußufrr. Jetzt schlägt sie im flachen Wasser um sich, baß es hoch aufspritzt. Ich werfe sie mit einem Stock in hohem Bogen auf die Uferfelsbank. Ganz überraschend schnell erholt sie sich und schießt in weitem Bogen auf das Wasser zu. Wieder zurückgeschleudert mit dem Stock. Sie ist leuchtend weiß, rot, schlank und behende wie ein Wiesel. Rahmundo säbelt wie ein Wilder einen Gabelstock aus dem Strauchwerk. Krause steht oben auf dem gestürzten Baum stamm mit der Kamera am Kopf und filmt, was er kann. Indessen springen Gerd und ich unten herum und werfen die nach allen Seiten ausbrechende Schlange immer wieder landeinwärts auf die Felsen. Ein Paarmal saust sie mit affenartiger Geschwindigkeit ge nau auf uns zu. Romanschreiber behaupten, sie griffe an. In Wahrheit weiß sie vor Angst nicht, wo sie hin soll und würde ja natürlich beißen, wenn sie könnte. Nur bleistiftlang, aber ihr Bitz tötet. Mittagessen in unserem Jndianerhaus im Pflanzungslager. Der Koch Ernesto kommt an und sagt, er wolle Wäsche waschen. Er brauche Lazu ein Stück Seife. Wir sagten, er solle sie sich aus dem Vorratshaus holen, die Kiste stünde da in einer Ecke. Auf einmal gibt es dort ein ziemliches Getöse, Ernesto erscheint mit bestürzter Miene, ich solle so schnell wie möglich kommen, da liege eine Jararaca auf der Seife und habe ihn um ein Haar in die Hand gebissen! Jetzt wurde es ja interessant. Die Jararaca ist schließlich die gefürchtetste Giftschlange Brasiliens, und die lag ausge rechnet in unserem Haus auf der Seife! Es war genau so, wie Ernesto sagte, ein kleiner, dunkler Haufe auf den Seifenriegeln in der Kistenecke. Ich fahre mit der langen Pincette hinein und hole den .Lebendigen Tod" heraus. Ein Jungtier noch, dessen breiter, dreieckiger Giftschlangenkopf da in der Klemme steckt. Nur dick wie ein Federhalter, nicht länger als ein Bleistift, aber ihr Biß kann einen Men schen, wenn sie die richtige Stelle faßt, schon in entferntere Jagdgründe befördern. Wir werden in Zukunft erst in jede Kiste leuchten, bevor wir hineinlangen; Schlangen suchen sich manchmal abenteuerliche Orte aus. Das zeigte zwei Wochen darauf Ler nächste Fall, der ziem lich märchenhaft klingt. Die Schlange im Grammophon. Es war schon spät, das Abendessen in un serer Hütte war beendet. Es gab Mutum, das ist der auerhahngroße Hühnervögel des Ama zonas-Urwaldes, mit Reis und Bohnen. An unserem Tisch, der ungefähr drei Meter lang ist, hocken wir an Lem einen Ende bei der Petroleumlampe und trinken Kaffee. Am an deren Ende im Halbdunkel steht das Gram mophon mit offenem Deckel. Wir hatten vor, noch ein Paar Platten zu spielen, sowie unsere Abendpfeife zu rauchen. Da sage ich zu Gerd: „Sieh mal, in unserem Grammophon ist eine Schlange." Er dreht den Kopf. Stets, wenn ich deutsche Besucher zur Times Square führe, höre ich aus ihrem Mund die gleichen Worte des Erstaunens. Der Anblick der Hochhäuser bei der Einfahrt im New Yor ker Hafen vom Schiff aus überrascht sie nicht sehr, da sie ja häufig genug Bilder gesehen oder Aufsätze gelesen haben, in denen die Wolkenkratzerfestung beschrieben wurde. Unter dem Times Square aber stellen sie sich ein Vergnügungs-, Verkehrs- und Geschäftszen trum vor, das dem Potsdamer Platz oder dem Kurfürstendamm in Berlin gleicht. Und nun sehen sie in den Abendstunden in einer auf dringlichen, die Augen ermüdenden Lichtfülle der ungeheuer großen, in Farbe und Auf machung abstoßenden Reklameschildcr ein Treiben auf dem Broadway und der Sieben ten Avenue zwischen der 42. und 50. Straße, das eher wie ein riesiger Jahrmarktsrummel wirkt. Die Straßen selbst machen einen aus gesprochen abstoßenden Eindruck auf sie. Wo chenlang scheinen sie nicht gesäubert, an vie len Stellen ist das Pflaster aufgerisscn. Ueber- all flattert Zeitungspapier auf den Bürger steigen umher, das die Leute einfach wegwcr- fen. Wenn Wind aufkommt, fliegt dem an Sauberkeit gewöhnten Besucher ans Berlin oder einer anderen deutschen Großstadt der Schmutz in die Augen. Er lernt begreifen, warum man hier in New Jork die Wäsche öfter wechseln muß als in der deutschen Hei mat . . . Auf den Straßen hört man alle Zungen durcheinaudcrreden. Man sieht in farbige und chinesische, deutsche, italienische, irische, skandinavische, jüdische Gesichter. Wie fehr gerade das jüdische Element in New Jork überwiegt, beweisen die über die Kirchen- und Shnagogenbcsuche vorliegenden Statistiken. Zwei Fünftel der New Docker, die Gottes dienste besuchen, gehen nämlich in die Syna goge. Um sich einen Begriff von dem Völker gemisch zu machen, mutz man sich vergegen wärtigen, datz New Dork die einzige jüdische Millionenstadt, die grösste irische, die zweit- grötzte italienische, die neuntgrötzte deutsche Stadt ist, 46 000 Grieche» gibt cs hier. In den fünf Boroughs von New Dork — in Manhattan, Brooklyn, Queens, Bronx und Richmond — wohnen annähernd 400 000 Neger. Diese fünf Viertel mit ihren siebeneinhalb Millionen Einwohnern sind nicht etwa das ganze New Dork. Wenn man die nichtcingc- meindctcn Vororte und das Stadtgebilde auf der anderen Seite des Hudson, das im Staate New Jersey liegt und daher nicht eingemein- dct werden kann hinzurechnet, kommt man auf eine Gcsamtbcvölkerung von zwölf Mil lionen Einwohnern. Wäre es möglich, die Straßen von Grotz-New Dork aneinanderzu- reihen, so könnte man auf ihnen nach San Franzisko und zurück wandern. Di« Stadt ES ist eine Jararaca. Wir fitzen regloS, starr, und sehen diesem einzigartigen Schauspiel zu. Es ist einer de, Augenblicke, in denen man fühlt, daß man in mitten einer urwaldhaften Wildnis sitzt. Gift- schlänge im Grammophon! Wie oft haben wir in die Schallöffnung gefaßt, wenn alte Nadel» oder dergleichen hin eingefallen waren. Viel leicht lag sie schon einen Tag darin. Welch eigenwilliger Zufall ließ dieses Nachttier un- seren Tisch erklimmen und den Musikkasten be steigen! Man muß sich überlegen, dies über haupt zu schreiben, so unwahrscheinlich kling- der Fall. Die Schlange hält sich steif wie ein schwankendes Rohr, allein der Kopf bewegt sich langsam suchend. Vorsichtig stehe ich auf, Gerd bleibt regungslos sitzen. Es gilt, das Tier nicht zu verscheuchen, es muß in die Sammlung. Kaum bin ich aus Lem Haus, be- eile ich mich, die große Pincette zu holen. Dann schleiche ich von der anderen Seite an den unschuldigen Musikkasten, in dem das Gifttier oben den Deckel ersteigen will, fasse mit einem schnellen Pincettengriff den Nacken, der Leib krümmt sich träge, und wir betrach ten Liesen unheimlichen Zeitgenossen bei der Lampe. Es ist eine aridere, schlankere Art der Jararaca mit leuchtender Zickzackzeichnung. Man sieht die Giftigkeit förmlich von außen. Franzisko, unser Waldläufer, der mit einer von Giftschlangenbissen völlig ausgezehrten Wade durch das Leben hinkt, verzieht sein braunes Antlitz zu einer Grimasse tiefen Ab scheus und ruft, das Biest sei heftig giftig, abscheulich, geradezu ein Teufel! Da hatten wir im Grammophon den Teufel! Wir legen ihn also schnellstmöglich in Alkohol. — Dann aber spielen wir wie es geplant war, eine Platte auf. Der .LSadenweiler Marsch" klingt in die Urwaldnacht aus der Jndianerhütte. besitzt eine Wasserfront von annähernd 1000^ Kanäle in einer Gesamtlänge von 5000 Kilo meter. Man zählt 700 Schulen und 500 Ho tels. Der jährliche Wasserverbrauch beläuft sich auf 960 Millionen Gallonen. Der New Dorker verzehrt jährlich durchschnittlich 100 Liter Milch, 26 Dutzend Eier, 200 Pfund, Fleisch, 17 Pfund Butter und 65 Laib Brot.! In 100 000 Läden kann er seine Einkäufe machen. Es gibt 18 000 Rechtsanwälte, 31000 Telephonistinnen, 55 000 Kellner, 105 000 Chauffeure, 200 000 Hausangestellte, 6500- Zahnärzte, 12 000 Aerzte und 22 000 Kranken schwestern. Seit 1918 wurden in New Dork so viele Wolkenkratzer gebaut, daß darin eine halbe Million Einwohner unterkommen konnte. Manhattan besitzt zweimal soviel Wolken kratzer, die höher als 165 Meter sind, als die übrigen Großstädte der Vereinigten Staaten zusammengenommen. Dabei ist zu bedenken, daß auch Städte wie Chikago, Philadelphia, Boston, Washington, Miami oder Los Ange les über ganze Wolkenkratzerfestungen verfü gen. Da die Hochhäuser von New Dork in der eigentlichen Stadt selbst stehen, könnte man annehmcn, datz sich wenigstens die Vor orte in ihrem Aussehen mehr dem Berliner Stadtbild anpassc». Aber das ist ein Trug schluß. Die Vororte bestehen durchweg aus Ein- oder Zweifamilienhäusern, die häufig ge nug abstoßend wirken, da sie am laufenden Band hcrgestellt zu sein scheinen und durch weg über so wenig Boden verfügen, datz für Garten- oder Rasenanlagcn überhaupt kein Naum mehr vorhanden ist. Ein Fünftel der cindreiviertel Millionen New Dorker Familien sind Eigentümer der artiger Häuser, während die übrigen vier Fünftel Familien Mieter sind. Drei! Fünftel sämtlicher New Dorker Wohnungen besitzen ein Radio, ein Drittel ein Telephon. Die New Dorker sind in ihrer Mehrheit übri gens sehr häuslich. Im Sommer Pflegen sie über das Wochenende Ausflüge zu machen. Sonst suchen sie ihre Abwechslung im Kin«, Durchschnittlich begibt sich der New Dorker jährlich scchszehnmal in ein Filmtheater. Man könnte unzählige Vergleichspunkte an- führcn, um zu beweisen, wie stark sich Net» Dork von de» aus einer alten Kultur heraus' entstandenen Weltstädten Europas unterschei det. Wie unendlich trostlos sieht es im Net» Dorker Ghetto aus, dessen Straßen vo« Schmutz geradezu starren, dessen Häuser ver dreckt sind, und dessen Märkte, die überall ab-i gehalten werden, einen unbeschreiblich üble« Geruch verbreiten! Wie elend wohnen die Jta- liener! Wie abstoßend sind die Straßen am East River und am Hudson im unteren Man hattan mit ihren menschenunwürdigen Häu sern, deren gardinenlose Scheiben oft zerbro chen find! ' - ' ' . Die Heimat tm Schmack -es »Inlers M), Reportage vom Hudson Das „andere" Gesicht einer Riesenweltstadt