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Wilsdruffer Tageblatt : 06.12.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192312068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19231206
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19231206
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-12
- Tag 1923-12-06
-
Monat
1923-12
-
Jahr
1923
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 06.12.1923
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Winr ZMWg MAiügr^estk.Z I Im Reichstage stellte Reichskanzler Dr. Marx die neue Re- grerung vor und begründete das Ermächtigungsgesetz. * Der Geschäftskreis des Ministeriums für Wiederaufbau ist durch den Wegfall des während des Krieges eingesetzten Treu händers für das feindliche Vermögen vermindert worden. KiWÄLiMHM MgM werden? Von einem parlamentarischen Mitarbeiter wird uns geschrieben: Als das erste Ermächtigungsgesetz an dem Widerstand des Reichstages zu scheitern drohte, hat sich der damalige Reichskanzler Dr. Stresemann vom Reichspräsidenten die Verordnung zur Auflösung des Reichstages geben lassen. Die Kunde davon hat vielleicht am stärksten dabei Mitgewirkt, daß das Gesetz schließlich angenommen wurde. Auch jetzt wieder spricht man seit Tagen von der drohenden Reichstagsauflösung, soll bei einer Ablehnung des zweiten Ermächtigungsgesetzes das Parlament auf gelöst werden. Ja, ist denn das im gegenwärtigen Augenblick über haupt verfassungsmäßig möglich? Der Reichspräsident ist es, der den Reichstag auflöst; aber er bedarf für die Verordnung, die diese Auflösung ausspricht — wie für alle seine Anordnungen und Verfügungen —, der Gegenzeichnung des Reichskanzlers oder eines Ministers. In diesem Falle wohl ausschließlich des Reichskanzlers, da die Auf lösung wesentlich bestimmt wird durch die „Richtlinien der Politik", die der Kanzler verfassungsgemäß festzulegen hat und für die nur er die Verantwortung trägt. Zwar wird der Reichskanzler durch den Reichspräsidenten ernannt, aber er „bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages". Zweifellos wäre eine Gegenzeichnung der Auflösungsorder eine Amtshandlung, vielleicht die wichtigste, die es geben kann, da sie ganz wesentlich die gesamte weitere Amtsführung des Kanzlers, seine Poli tik richtunggebend beeinflußt. Ehe er also eine derartige Amtshandlung vollzieht, bedarf es also irgendeines mehr oder weniger deutlichen Ausdruckes dafür, daß der Reichstag zu ihm „Vertrauen" Hai. Das ist nun auf verschiedene Art möglich: der neue Kanzler erhält ein Vertrauensvotum oder ein gegen ihn gestelltes Mißtrauensvotum wird abgelehnt. Das Ver trauen kann man aber vernünftigerweise auch dann als vorhanden ansehen, wenn ein Kanzler vom Reichspräsi denten ernannt wird, der der Vertrauensmann einer R e i ch s t a g s m e h r h e it ist. Wie cs bei den bis herigen Kanzlern durchgehend der Fall war. Außerdem wurde bisher immer ein Vertrauensvotum beantragt und angenommen. Unmöglich ist natürlich, daß der bisherige Kanzler Dr. Stresemann die Gegenzeichnung einer Auflösungsorder vollzieht, weil ihm das Vertrauensvotum des Reichstages die verfassungsmäßige Voraussetzung für die Amtsführung nahm. Die letzte Minute für eine solche Auflösung war für ihn der Augenblick, ehe in die Abstimmung über das Mißtrauensvotum cingetreten war — wenn er damals die Order dazu in der Tasche hatte. Kann man nun bei dem neuen Reichskanzler Dr. Marx das Vertrauen des Reichstages für seine Amts führung — er will angeblich sich dieses Vertrauen nicht ausdrücklich votieren lassen — überhaupt voraussetzen? Das ist nicht der Fall, da er sich nur auf eine Minderheit stützt. Er hat vielmehr sogar einen bestimmten Gesetzent wurf zu einer Art Vertrauensvotum gemacht, nämlich das Ermächtigungsgesetz, das zu seiner Annahme so gar einer Zweidrittelmehrheit bedürfen soll. In England würde ebenso wie in Frankreich die Ablehnung eines solchen für die gesamte Politik des Premierministers maß gebenden Gesetzes dazu führen, seine Demission einzu reichen. Genügt doch schon die Ablehnung einer vom Mi nisterium gebilligten „Tagesordnung" dazu, diesen Schritt des Kabinetts zu veranlassen. Man müßte also die Ab lehnung des Ermächtigungsgesetzes als ein Mißtrauens votum mit allen verfassungsmäßigen Folgen ansehen. Denn damit würde der Beauftragte des Reichstages — der Reichskanzler — sozusagen den Gerichtshof, der über ihn ein ablehnendes Urteil gefällt hat, einfach wegschickeu können, wenn er nun diesen Reichstag, der die Verkörpe rung des souveränen Volkes ist, auslösen würde. Das wäre nichts anderes, als wenn Dr. Stresemann nach dem Miß trauensvotum gegen ihn dem Reichstag nach Hause geschickt hätte. Was durch diese Erwägungen bewiesen werden soll? Nichts anderes, als daß die Formen der Verfassung nichts Starres, nichts Ewiges sind, sondern sich der Ent wicklung der wirklichen Kräfte in der Nation anzupaffen haben. England Hai überhaupt keine Verfassung in unserem Sinne, dort schaffen neue Kräfte neues Recht. Wir sind fast erstickt in der Anbetung der Form, und darum mag — ob verfassungsmäßig oder nicht — der Reichstag nach Hause geschickt werden, wenn er in seiner Zusammensetzung diesen wirklichen Entwicklungen nicht mehr entspricht. Dann mag das Volk über Reichstag und Reichskanzler sein Urteil fällen. Wir haben ja im Jahre 1859—1866 einen ähnlichen Konflikt gehabt, ivie er jetzt vorliegen mag; damals hatBismarck diesen Kampf zwischen Macht der Wirklichkeit und der von seinen Gegnern festgehaltenen starren Form durchgefochten. AeiHsral und Enuachügllllgsgefetz. Mit 45 gegen 9 Stimmen angenommen. Der Reichsrat hat in seiner Dienstag-Sitzung das vielumstrittene Ermächtigungsgesetz mit 45 gegen 9 Stim men angenommen, also mit der für Verfassungsänderun gen erforderlichen Majorität. Er hat dabei mit Zustim mung der Reichsregierung die Änderung eingefügt, daß ebenso wie der Reichstag auch der Reichsrat berechtigt sein soll, dieAufh^bungvonVerordnungenzu verlangen, die auf dem Wege des Ermächtigungs gesetzes erlassen worden sind. Gegen das Ermächtigungs gesetz stimmten die Vertreter von Sachsen, Braun schweig und der preußischen R h ein p r o v i n z. Der Stimme enthielt sich Thüringen; Bayern behielt sich vor, seine Stimmabgabe im Protokoll nachzutragen. Der Wortlaut des Entwurfs, wie er dem Reichsrat vorlag, war folgender: 8 1. Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maß nahmen zu treffen, die sie iw Linblick auf die Not von Volk uuo mercy ;ur erforderlich und dringend erachtet. Eine Ab weichung von den Vorschriften der Reichsverfaffung ist n r ch t zulässig. Die erlassenen Verordnungen sind dem Reichstag und dem Reichsrat unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Sie sind aufzuheben, wenn der Reichstag dies ni zwei Abstimmungen, zwischen denm ein Ze-ckraum von mindestens einer Woche liegen muß, verlangt. 8 2. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung m Kraft. Es tritt am 15. Februar 1924 außer Reich und Länder. Eine Ansprache des neuen Kanzlers. Berlin, 4. Dezember. Heute trat der Reichsrat zu einer Sitzung zusammen, um das Ermächtigungsgesetz zu beraten. Die Verhandlungen leitete der neue Reichskanzler selber. Er führte einleitend aus: Ich will es mir nicht versagen, gleich in dieser Sitzung des Reichsrates einige Worte an Sie zu richten und Ihnen meine Gedanken über das Zusammenarbeiten Zwischen dem Reich und den Ländern ganz kurz Larlegen. Ich kann Sie versichern, daß es mein ernstes Bestreben sein wird, mit den Vertretern del Länder in wärmster Beziehung zu bleiben urid zu stehen. Ich lege Wert darauf, daß Fragen, Lie zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Reich und den Ländern führen, Lie die nicht ganz ausgebaute Art der Verfassung mit sich bringt, nur durch gegenseitiges Vertrauen und durch gegenseitige VerstärMgung erledigt werden sollen. In diesem Sinne werden meine Bestrebungen stets von dem Ge danken getragen sein, daß zwischen dem Reich und den Ländern ein warmes Vertrauensverhältnis bestehen soll. Wie lange meine Kanzlerschaft dauern wird, vermag ja niemand vorauszusagen. Jedenfalls soll, solange ich an dieser Stelle stehe, mein ernstes Bestreben darauf gerichtet, sein, alles aus dem Wege zu räumen, was geeignet sein könnte, das Verhält nis zwischen Reich und Ländern zu verschlechtern. Ich möchte aber auch dringend bitten, daß die Herren, denen ich auch per sönlich etwas näher treten möchte, auch mir gegenüber ihr Ver- trauen an den Lag zu legen, Laß, wenn sie Wünsche an mich zu richten haben, sie diese unter allen Umständen ohne Umschweife persönlich mit mir besprechen. Ich werde Ihnen, soweit es meine schwache Kraft vermag, in jeder Frage gern zur Verfügung stehen. Mein erstes Ziel soll es jein, den Bestand des Reiches und der Länder und ihr Wohlergehen zu sichern. Alle Fragen von Mann zu Mann zu besprechen, das ist mein fester Vorsatz, und ich bitte um Ihre, auf reichen Erfahrungen fußende Mitarbeit. Der Vertreter Preußens, Weißmann, dankte namens des Reichsrates dem Kanzler für seine Ausführungen und betonte, daß auch der Reichsrat wisse und es hoch an erkenne, daß nur die furchtbare Not des Vaterlandes den Kanzler veranlaßt habe, Lie Bürde des Amtes auf sich zu nehmen. Mit allen Kräften werden die Länder und ihre Vertretung, der Reichsrat, die Reichsregierung unterstützen, um Lie ungeheuren Schwierigkeiten zu überwinden, denen Reich und Länder gegenüberstehen. MOMgseMmng im Reichstage Vorstellung des neuen Kabinetts. (394. Sitzung.) 0L. Berlin, 4. Dezember. Selten ist so wie heute ein sogenannter großer Tag des Parlaments so ruhig verlaufen und von einer Sitzung von so kurzer Dauer ausgefüllt gewesen. Vor dem Reichs tage hatten sich wieder eine ganze Anzahl Schaulustiger eingefunden, und auch im Sitzungssaal selbst waren die Tribünen, wie immer an solchen Tagen, voll besetzt. Nach kurzer Einleitung durch den Präsidenten ergriff der neue Reichskanzler, Dr. Marx, das Wort zu seiner Er klärung. Der neue Reichskanzler, der schon eine lange parlamentarische Praxis hinter sich hat und den Ereig nissen im Hause mit großer Ruhe und Objektivität gegen übersteht, verlas seine Rede mit großer Klarheit, Sicher heit und demjenigen Ernst, welcher der Stunde angemessen war. Auch im Hause selbst schien man wenigstens etwas Eindruck von dem Ernst der Lage zu haben, denn die Störungen durch Zwischenrufe waren heute weit seltener als sonst. Der Kanzler ließ sich in seiner etwas nüchter nen und trockenen, aber dafür klaren und bestimmten Aus drucksweise nicht aus dem Konzept bringen, wies ein paar Zwischenrufer kurz zurecht und brachte im übrigen ohne irgendwelche aufregenden Zwischenfälle seine Rede rasch zu Ende. Im wesentlichen schließt sich das neue Kabinett in seiner politischen Linie an das vorherige an und wünscht nur, durch ein Ermächtigungsgesetz in die Lage versetzt zu sein, alles das schnell nachzuholen, was während der langandauernden Krisis zum Schaden der Gesamtheit versäumt wurde. Sitzungsbericht. Der Kanzler stellt Las neue Kabinett Lem Hause vor. Mit Ler Wahrnehmung Ler-Geschäfte fürMeLeranfbau ist Ler-Staatssekre tär Dr. Müller beauftragt. Eine Besetzung Les Ministeriums kür Lie besetzten Gebiete hat einstweilen noch nicht stattgefunLen. Vorläufig wird es vom Postminister Dr. Hoeflc verwaltet. Reichskanzler Dr. Marx begrüßt zur Einleitung mit besonderem Dank, daß Dr. S t resemann sich bereitgefunden habe, das Amt Les Außen ministers zu übernehmen. Es ist, so erklärt er, dadurch die Stetigkeit Ler auswärtigen Politik, wie sie in so hohem Maße wünschenswert ist, gesichert. Der Reichskanzler spricht Lern Außenminister für seine erfolgreiche und für das deutsche Volk bedeutungsvolle Tätigkeit als Chef des letzten Kabinetts Len allerherzlichsten Dank aus. (Beifall.) Der Kanzler dankt weiter dem Minister Fuchs, Ler für die besetzten Gebiete Hervorragen des geleistet habe. Leider habe .zum größten Schaden Les Deut schen Reiches und Volkes Lie Lurch Len Reichstagsbeschluß vom 22. November hervorgerufene Krise weit länger gedauert, als es wünschenswert gewesen wäre. Er wolle nicht untersuchen, wen Lie Schuld an dieser Regierungskrise treffe. Angesichts der traurigen, geradezu fürchterlichen Politischen und finanziellen Lags unseres Vaterlandes sei es Lie wichtigste und erste Pflicht eines jeden, Ler im Par tei- und öffentlichen Leben stehe, vor allem aber auch eine Pflicht der Regierung, alles zurückzustellen, was irgendwie ge eignet ist, Lie leider schon allzu großen Gegensätze in unserem Volke zu vertiefen. (Zustimmung.) Der Reichskanzler fährt weiter fort: Mein Kampf geht weder gegen rechts, noch gegen links, sondern gegen alle diejenigen, die dem deutschen Volke mit Ge walt und List das Letzte rauben wollen, was uns geblieben ist: „Die Einheit der Nation." Ich halte es deshalb für das zwin gende .Gebot der Stunde, alles zu versuchen, um bestehende «kgenwtze -uszugteicht« rm» da« Hervortreten neuer zu ver meiden. Die ganze Kraft der Regierung und der politische* Parteien muß daraus gerichtet sein, unser Volk und unser Vaterland aus dem tiefen Abgrund wirtschaftlichen und finan ziellen Verfalls, in den wir durch den unglücklichen Busgang des Weltkrieges gestürzt sind, wieder herauszuheben und z« retten. (Zustimmung.) Der Reichskanzler erinnert an Lie Ausführungen des Finanzministers, der den geradezu katastrophalen Stand.unse rer Finanzen dargelegt habe, und fügt hinzu: In der Finanz- frage sieht sich Lie Negierung vor eine Aufgabe von einer viel leicht in der Weltgeschichte nie dagewesenen Schwie rigkeit gestellt. Die Verlängerung der Regierungsbildung hat unersetzliche Tage verstreichen lassen. Eine sehr wesentliche Erhöhmrg der Einnahmen, die planvoll vorbereitet war, muß sofort in Lie Tat umgesetzt werden. Nicht minder müssen alle bereits ergriffenen und noch zu ergreifenden Maßnahmen zur B e s ch r ä n k u n g L e r Aus gaben mit einem solchen Nachdruck angepatzt werden, Latz alle entgegenftehenLen Hindernisse rücksichtslos überwunden werden. Nicht Worte will das Volk hören, sondern Taten sehen! Dazu kommt, Latz über die Einzelheiten Ler äußeren und inne ren Politik in verschiedenen Reden der letzten Regierung aus führliche Darlegungen erfolgt sind. Es dürste sich erübrigen, dies jetzt nochmals zu tun, zumal La Lie gegenwärtige Regie rung sich in ihrer grundsätzlichen Einstellung nicht von der vori gen unterscheidet. Entscheidend für das Verhalten der Regia- rung muß die geradezu katastrophale Lage unserer Wirtschaft und unserer Finanzen fein. Es ist eine Lebensfrage für Reich und Volk, hier Lie richtigen Mittel und Wege zu finden, Lie zur Rettung und Besserung führen. Als einen solchen Weg glaubt die Negierung ein Ermächtigungsgesetz anfehen zu sollen, Las ihr in ausreichendem Maße Lie Mög lichkeit gewährt, mit der durch die Zwangslage erforderten Schnelligkeit diejenigen Maßnahmen zu treffen, die sich nach pflichtmäßigem Emiessen und genauester Prüfung der Ver hältnisse für erforderlich und zweckmäßig hält, das gewünschte Ziel zu erreichen. Die Regierung ist Ler Meinung, daß angs- sichts Les ungeheuren - Schwanges der Zeit langwierige Verhandlungen int^Reichstage, wie sie die Be ratung einschneidender wirtschaftlicher und finanzieller Gesetze erfordern würden, nicht wünschenswert, ja geradezu unerträg lich erscheinen. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, ob uns noch im letzten Augenblick die Rettung vor dem drohenden völligen Verfall gelingt. Beim Ermächtigungsgesetz kommen in erster Linie Verordnungen über steuerliche Maßnahmen in Betracht, die sich im Rahmen der letzten Ausführungen des Reichsfinanzministers Dr. Luther bewegen. Die Regierung soll aber auch im übrigen das Recht zu Maßnahmen haben, die als dringende Forderungen der Notlage erscheinen. Wir appellieren an die Vaterlandsliebe und das Pflichtgefühl der Volksvertreter, wenn wir um außergewöhnliche Vollmachten für eine Regierung bitten, die glaubt, auf die Zustimmung weiter Kreise der Volksvertretung rechnen zu dürfen. Cs ist überaus schmerzlich, daß zu einer Zeit, wo Lie Ein- mütw u aller deutschen Stämme mit Rücksicht auf diese Ge fahren. v - uns durch die Übermacht unserer Gegner drohen, wünschenswerter wäre wie je zuvor, das Verhältnis zwischen Reich und einzelnen Ländern in vielfachen Beziehungen geprüft ist. Es soll mein« ernste UN» wichtigste Ausgabe sein, in kürzester Zeit die Klärung Les Ver hältnisses zwischen Reich und Ländern herbeizuführen. Unter selbstverständlicher Achtung der Bestimmungen unserer Reichs- Verfassung wird man Loch in manchen Beziehungen Lie vielfach gewünschte Erweiterung der Befugnisse der Länder zugestehen können. Ich beabsichtige, möglichst bald in Verhandlungen mit Lew in erster Linie in Betracht kommenden Ländern einizu- treten. (Beifall.) In engster Verbindung mit dieser Frage steht die Aufhebung des bestehenden militärischen Ausnahmezustandes. Angesichts der Umsturzversuche verbrecherischer Elemente zur Erreichung ihrer politischen Ziele, aber auch angesichts der Wirkungen geringer Ruhestörungen, Ladenplünderungen usw„ ist di« Aufrechterhaltung von Ruh« und Ordnung in der nächsten Zeit die wichtigste Vorbedingung für den wirtschaft lichen Gesundungsprozeß. Unter diesen Umständen ist der militärische Ausnahmezu stand zurzeit nicht zu entbehren. Die augenblickliche Ruhe im Reick)« ist wesentlich eine Folge des Ausnahmezustandes. Selbstverständlich muß aber der Ausnahmezustand, feinem Namen entsprechend, eine Ausnahme bleiben und abgevaut werden, sobald es die Verhältnisse erlauben. Ihre besondere Aufmerksamkeit und tätige Fürsorge wird die neue Regierung Len besetzten Gebietsteilen zuwenden. In vollem Einvernehmen mit den Landesregierungen erklärt die Reichsregierung, daß sie gegenüber allen Abtrennungsversuche» an Ler Zugehörigkeit des Rhein- und Ruhrgebiets zum Reiche uud zu den Ländern unbedingt festhält. Der Reichskanzler schließt mit der Bitte an die Volksvertretung, sich allein von dem Gedanken leiten zu lasten: Alles Tren nende soll vor der Not der Stunde zurückge stellt werden! Jetzt gilt es, für des Reiches und des Volkes Wohl zu arbeiten und zu handeln! (Lebhafter sich immer wiederholender Beifall.) Nach der Rede des Reichskanzlers schlug der Präsi dent vor, die Sitzung auf Mittwoch zu vertagen. Der deutschvölkische Abgeordnete v. Graefe fragte noch an, ob sein Antrag auf Aufhebung seiner Immunität beim Reichstagspräsidenten eingegangen sei. Nachdem der Präsident diese Frage verneint hatte, wurde die Sitzung geschlossen. r» Llm das Ermächtigungsgesetz. Die sofort nach der Regierungserklärung eingetretene Vertagung hat den Zweck, den Fraktionen und ihren Führern Gelegenheit zu geben, zu prüfen, ob ein Ausweg aus der verfahrenen Situation gefunden werden kann. Wie man von besonderer parlamentarischer Seite er fährt, wollten sowohl Deutschnationale wie Sozialdemokraten dem Ermächtigungsgesetz nicht zustimmen. Es bliebe dann kein anderer Weg übrig, als den Reichstag aufzulösen. Abends 6 Ulir be gannen die Verhandlungen der einzelnen Fraktionen, um den Parteien noch einmal Gelegenheit zu geben, von sich aus neue Vorschläge zu einer anderen Lösung der schwebenden Krisis zu machen, und deshalb ist auch das Ermächtigungsgesetz selbst, das der Reichsrat angenommen hat, auf die morgige Tagung verschoben worden. In den Wandelgängen des Reichstages gewann'immer mehr die Ansicht Naum, daß es zu einer Auflösung des Reichstages nicht kommen würde, sondern, daß in irgendeiner Form. die erforderliche Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz Zustandekommen würde. In der Hauptsache würden die Parteien, die nicht zu der neuen Koalition gezählt werden, das Zustandekommen des Gesetzes ermöglichen, weil sie dem Volke in dieser schweren Zeit die Aufregung eines Wahlkampfes ersvaren möchten. Ein Wahlkampf nach einer Auflösung und ein Wahlkampf nach einer normalen Schließung des Reichs tages sind zwei verschiedene Dinge.
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