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AilsämNer Tageblatt Nd. kS7 — 2 Klatt — S2 Zaft^gsng Mittwoch / vonnerslag 2l. / 22 November ly2Z Bußgedanken. Wieder neigt sich das Jahr dem Ende zu, und Mr uns steht der Bußtag, steht vier Tage später der Totensonntag. Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß auch die katholische Kirche das Gedächtnis ihrer Toten im November feiert, diesem Monat, der der trübste und trau rigste, der grau und nebelerfüllt im Leichentuch über di« Natur liegt. Ein Leichentuch auch über die Herzen der Menschen. Und ganz besonders dicht und schwer sinkt es herab auf Deutschland, ganz besonders trüb und traurig, grau und nebelerfüllt wird dieser November uns Deutschen die Seelen durchschauern. Wenn wir Deutschen nun am 21. November, am Buß tage, frierend und hungernd im kalten Heim sitzen, das kaum erleuchtet ist durch eine kleine Petroleumlampe oder dort, wo die Not auch diese ausgeblasen hat, dann ist es Zeit, wirklich einen Bußtag zu begehen in dieser dunklen Einsamkeit. Aber wir können das wahrhaft nur tun, wenn wir doch endlich einmal uns an die eigene Brust schlagen in der Erkenntnis, daß wir selbst die Schuldigen sind. In uns allen steckt viel zu viel vom Hochmut des Pharisäers, der sich für gerecht und schuldlos, den Zöllner aber für einen Sünder hielt. In das politisch-wirtschaft lich-soziale Leben der Gegenwart übertragen, hat uns allen dieses biblische Bild so unendlich viel Wahres, Ernstes, Nachdenkliches, vor allem aber Bitteres zu sagen. Nicht derandereoderdieandernsinddieSünder, sind die Schuldigen, sondern wir selb st. Jeder ein- z e l n e. Sucht doch nicht immer die Schuld bei andern, sucht sie doch zuerst bei euch selbst! So möchte man am Bußtage jedem, jedem Deutschen zurufen, wenn er klagt über die furchtbare Not der Gegenwart. Und wenn er dann immer nur „den andern" die Schuld dafür zuschiebt. Immer sollen es „die andern" sein, nie — du selbst! Aber Schillers Wort: „In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne" gilt noch immer und ist der tiefste Sinn alles Geschehens, aller Erfolge, aller Leiden. „In deiner Brust . . Statt dessen schlägt man immer an die Brust — der andern. Sieht den Splitter im Auge des Nächsten, aber nicht den Balken im eigenen Auge. Und Christus fügt diesem mahnenden Satz das Wort: „du Heuchler!" hinzu. Da ist immer — ja nach der politischen Einstellung — an all' unserem Leid Poin- carö schuld oder der Engländer; der Kaiser und die „Junker und Schlotbarone", der Militarismus und der Kapitalismus, der Marxismus und die Juden, der Land wirt und der Unternehmer oder der allzu wenig produ zierende Arbeiter, der Beamte oder der Staat, Stresemann oder Hergt oder Müller-Franken, der Sozialdemokrat. Immer die andern. Und immer sind.'s Schlagworte, durch deren Aufnahme und Nachbrüllen man so schön das eigene Schuldbewußtfein überschreien kann. „Du Heuchler!" Wie der einzelne, so büßt auch ein Volk im Leid und durch das Leid nur eigeneSünden, nie die der andern. Das ist immer so gewesen seit den Tagen Karthagos, da die Bürger dieser Stadt sich selbst zerfleischten, während der Römer vor den Toren stand und die Stadt stürmte, als die Karthager immer noch „die Schuldigen" suchten. Zerstört wurde die Stadt, ge tilgt aus der Geschichte, und der Pflug ging über die Stätte, wo einst ein großes und reiches Volk gewohnt hatte. Es ward vernichtet durch eigene Schuld. Hat nicht jeder von uns wirklich genügend Veran lassung, an die eigene Brust zu schlagen, weil er fast immer nuransichdenkt und ganz vergißt, daß es Pflich ten gegen die Gemeinsamkeit, den Staat, das Volk gibt! Wird die Wirrnis, das Leiden, der drohende Untergang nicht gemehrt und beschleunigt, weil je r für sich zu retten versucht aus dem Chaos, was er nur retten kann! Jeder. Gleichviel, ob Unternehmer oder Arbeiter. Landwirt oder Städter, Beamter oder Kauf mann. Jeder, denn niemand will der Gemeinsamkeit, vem Staat, dem Volk etwas opfern. Und das ist Schuld, schwere, sühneheischende Schuld, Schuld, für die wir alle jetzt büßen oder noch büßen werden. Fast scheint es so, als ob das deutsche Volk den ganzen Fonds ethischen Wollens hingegeben hat im Kriege, als ob in uns jetzt keine sittliche Kraft mehr vorhanden ist. Ge setze und Verordnungen werden grundsätz lich von allen umgangen, wenn nicht der Staats anwalt oder die Polizei in drohender Nähe ist. Damit lösen sich aber die Bande innerer Art, die die Bürger eines Staates aneinanderketten; denn nie kann Egoismus, sondern muß Hingabe und Opferwillen die Grundlage der staatlichen Form eines Volkes sein. Geht diese ver loren, siegt jener Egoismus, der alles und alle niedertritt, dann geht der Staat zugrunde. Und wir alle, die w i schuldig sind dieser größten Sünde, mit ihm, weil wir uns töten in diesem Kampf aller gegen alle. Vielleicht wird in der dunklen Einsamkeit unseres Heims diese Erkenntnis doch dem einen oder dem andern leise aufdämmern, wenn auch Selbsterkenntnis das Schwerste ist. Aber nur durch das Tor eines solchen buß fertigen Selbstbekenntnisses können wir in eine bessere Zu kunft biueingehen- Nah uncl Pern. o Falsche Billionenscheine. Der Falschgeldhauptstelle bei der Polizeidirektion München wurde der erste gefälschte Billionenschein eingeliefert. Eine Fünfhundertmillionen note vom 1. November 1923 ist durch einen blauen Über druck auf eine Billion aufgewertet. Vor Annahme dieser verfälschten Noten wird gewarnt mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß bisher von der Reichsbank nur zwei Arten von Reichsbanknoten ausgegeben worden sind, die durch Überdruck einen vom Text der Note abweichenden Wert erhalten haben. Es sind dies die Reichsbanknoten zu ursprünglich 1000 Mark mit dem Datum vom 15. Dezem ber 1922, die durch überdruck den Wert von 1 Milliarde, und die Reichsbanknoten zu ursprünglich 5000 Mark mit dem Datum vom 15. März 1923, die durch überdruck den Wert von 500 Milliarden Mark erhalten haben. O Der deutsche Rundfunk. In der Deutschen Weltwirt schaftlichen Gesellschaft in Berlin hielt Staatssekretär Dr. Bredow einen Vortrag über das deutsche Funkwesen. Am Schluß der-Darlegung wurde auch der neueste Dienstzweig, der deutsche Rundfunk, eingehend besprochen. Vor und nach dem Vortrage wurde die von einem Berliner Rund funksender gespendete Musik durch vorzügliche Lautsprecher im Saale hörbar gemacht. Der ganze Vortrag wurde mittels eines am Rednerpult angebrachten Mikrophons durch Rundfunk verbreitet. Die vorliegenden Nachrichten , besagen, daß die Ausführungen des Staatssekretärs auf I vielen hundert EmpfangsWllen in Deutschland, der Schweiz, Holland und SchweMn mitgehört werden konnten. O Neue Erwerbslosenkundgebungen und Plünderungen. In Karlsruhe kam es im Anschluß an Erwerbslosen kundgebungen zu Plünderungen. Die Polizei nahm zahl reiche Verhaftungen vor. — In Weinheim an der Bergstraße entspann sich zwischen Plünderern und Gendar men ein Feuergefecht. Ein Plünderer wurde erschossen, ein anderer Plünderer und ein Gendarm wurden schwer verletzt. — In Düsseldorf wurden die Plünderungen fortgesetzt. Zahlreiche Fuhrwerke wurden auf den Land straßen von den Plünderern angehalten und ausgerauüt. In zahlreichen Fällen erhielt die Polizei Gewehrfeuer. O Els Selbstmorde aus Not. In Wernigerode am Harz machten in einer einzigen Woche elf Personen ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende. Es handelte sich um Menschen, die Hunger und Verzweiflung zu diesem Schritt trieben. O Dammbruch an der Ostsee. An der hinterpommer- schen Küste ist bei Dankerort bei den letzten Stürmen erneut ein Dammbruch erfolgt. Die Düne ist in einer Länge von 150 Metern weggespült worden; gewaltige Wassermengen haben sich in den dahinterliegenden Bukower See ergossen. Im Dorfe Dankerort ist das Wasser in die Häuser gedrun gen. In der Nähe des Fischerdorfes Neuwasser wurden in einem Walde 150 große Bäume von der Sturmflut entwurzelt. * « Flammen. Roman von Hans Schulze. ar der nächtliche Spuk wieder verweht, ver schwunden. Unwillkürlich war die Baronin weiter ins Zchnmech zurückgewichen. Das letzte Spinngewebe von Hoffnung zerriß. Hella! Es legte sich auf einmal wie ein Schleier vor ihre Augen. Ein dumpfes Geffht von Leere war in ihrer Brust. Sie fühlte sich bis in den Kern ihres Wesens erschüttert; in ihrem Bewußtsein war ein Riß, eine Kluft, und jen seits, endlos weit hinter dieser Kluft fern, fern vor ihr in Weltenweite lag das Land des Glücks, das Land, das ihr und ihrer heißen Sehnsucht für immer unerreichbar schien. Neunzehntes Kapitel. Als die Baronin am anderen Morgen die Fenster ihres Schlafzimmers aufsticß, stand die Sonne bereits hoch am Hinmiel und die alten Bäume des Parkes rauschten leise in den schweigenden Morgenfrieden, wie die Kleider der Frauen in der Kirche, ehe die Predigt beginnt. Die luftige Helle tat ihren schmerzenden Augen fast weh; in ihrer geheimen Herzensnot hatte es sie unwillkürlich nach dem trübverhangenen Grau einer melancholischen Re genstimmung verlangt, und nun lachte ihr der reife Sommer tag so strahlend, so jugendfrisch entgegen, als habe sich die Welt wie zum Hohn aus ihre stille Verzweiflung gerade heut mit ihren leuchtendsten Farben geschmückt. Unten aus dem weißgodeckten Frühstückstisch der Veran da brodelte bereits die Teemaschine und das auswartenüe Mädchen meldete ihr, daß Fräulein Hansen soeben erst vom Frühstück aufgestanden und in den Park hinuntergegan gen sei. Im ersten Augenblick wollte sie in den Speisesaal zurück- treten, dann aber siegte ihr natürlicher Stolz. Wenn jene ein Zusammentreffen mit ihr nicht mied, sie hatte zu allerletzt Veranlassung, ihr auszuweichen. Hella, die bei den Blumenrabatten des Vorplatzes ge standen und die Stimmen auf Ler Veranda gehört hatte, kam jetzt mit einem großen Busch langgestielter Rosen die Treppe hinauf. „Der herrliche Morgen hat mich heut einmal früher als sonst aus dem Bett getrieben", sagte sie nach der ersten Be grüßung. „Ich habe Rosen geschnitten, aber es geht mit ihnen zu Ende. Die schönste Blüte ist vorbei!" Sie sprach mit einer so selbstsicheren Ruhe und Unbe fangenheit, daß die Baronin ihre vollendete Schauspielkunst im Stillen immer wieder bewundern mußte. Wie ein liebliches Sommerbild stand sie in dem grünen Rahmen der Glyzinien mit dem lichten Goldhaar und den tie fen Augen, aus denen das ganze Blau des Himmels wieder- zustrahlen schien. Sie hatte eine weiße Sommerbluse angelegt, die den feinen festen Hals in einem losen Ausschnitt freigab und die runde Brust in zarten Umrissen anmutig nachzeichnete. Ein wundervoller Rhythmus sprach aus ihren weichen gleitenden Bewegungen, als sie jetzt auf der Veranda leise hin- und herging und die Rosen mit geschickten Händen in Schalen und Basen ordnete. Sie wirkte in der Klarheit des sonnigen Sommertages so morgenschön und duftig; es lag eine so frische, unbewußte Sinnlichkeit über ihrer ganzen Erscheinung, daß die Baronin in einem großen Erschrecken zum ersten Male in voller Tiefe den Zauber begriff, der von dieser Frau auf Männerherzen ausgehen, der auch Alsleben fast mit der Notwendigkeit eines Raturgeschehens in seine Bande geschlagen haben mußte. So empfand sie es denn gerade als eine Befreiung, als Fräulein Grigoleit in diesem Augenblick zu ihrem ge wohnten Frührapport auf der Veranda erschien und Hella, die mit der alten Wirtschafterin von jeher auf etwas ge spanntem Fuße stand, die erste schickliche Gelegenheit benutzte, sich wieder ins Haus zurückzuziehen. Die Vorbereitungen des Verlobunosdiners, dessen al leinige Zurichtung unter Ausschluß der Wartenberger Koch frau sich Fräulein Grigoleit auch als eine ganz besondere Ehre auserbeten hatte, machte noch eine große Menge von Besprechungen und endgültigen Bestimmungen notwendig. Bald war eine lebhafte hauswirtschaftliche Auseinander setzung zwischen den beiden Frauen im Gange, die der Ba ronin am schnellsten über die immer wieder ausbrechende Verzweiflungsstimmung hinweghalf. Sie begab sich mit Fräulein Grigoleit in den Weinkeller hinab, prüfte die Leinen- und Damastschätze in den großen alten Barockschränken der Diele und batte mit dem Fisch O Schiffskatastrophen. Auf dem holländischen Dampf schiff „Rijperkeck", das sich auf dem Wege nach Marseille befand, brach im Hafen von Bastia Feuer aus. Trotz aller Anstrengungen konnte die Ausdehnung des Feuers nicht verhindert werden. Das Schiff wurde durch Kanonen schüsse im Hafen zum Sinken gebracht. Ein amerikanisches Kanalschiff, das 164 Tonnen schwefelsaures Natron mit sich führte, ist im Hudsonfluß gesunken. Ein Mann der Besatzung wird vermißt. Q Deutsche Kinder in Dänemark. In Kopenhagen traf ein neuer deutscher Kindertransport von 100 Kindern.ein, Er wurde von dem Leiter des dänischen Komitees für deutsche Kinderfürsorge am Bahnhof in Empfang ge nommen. Unter den eingetroffcnen Kindern befanden sich 25 Kinder deutscher Journalisten, die von dänischen Jour nalisten besonders eingeladen sind und von diesen emp fangen wurden. Wie das Hilfskomitee mitteilt, erwartet man in Dänemark vor Weihnachten das Eintreffen von noch 2000 deutschen Kindern zum längeren Erholungs aufenthalt bei dänischen Familien. O Entdeckung einer Skythenstadt. Der russische Archä ologe Subinin hat bei Ausgrabungen in der Umgebung van Simferopol die Reste einer Stadt aus der Zeit der Skvthenherrschaft in der Krim entdeckt. Die Ausgrabungen werden fortgesetzt. vermifektes. — Schön, aber anständig. Ein in der Nähe von Gießen wohnender Gutsbesitzer veranstaltete kürzlich einen Familienabend für seine Leute. Er erzählte ihnen von Deutschlands großen Dichtern, zeigte Lichtbilder, die Szenen aus ihren Werken darstellten, und tat alles, was er konnte, um den Abend recht anregend zu gestalten. Zu letzt gab es bei Bier und Kasfee noch ein gemütliches Plauderstündchen. Am andern Morgen traf der Guts besitzer eine seiner Stallmägde auf dem Hofe und fragte sie, wie ihr der Abend gefallen habe. „O," sagte sie, „es war schien, es war sehr schien und dabei so anständig!" - Der Einsturz des deutschen Konsulatshauses in Yoko hama. Bei dem großen Erdbeben in Japan ist, wie man weiß, der Kanzler des deutschen Generalkonsulats in Yokohama, Herr Märkl, ums Leben gekommen. In einem jetzt vorliegenden brieflichen Bericht wird hierüber folgen des berichtet: „Das Konsulatsgebäude ist mit dem ersten Erdstoß zusammengestürzt und begrub alle darin befind lichen Personen unter seinen Trümmern. Der General konsul befand sich zur Zeit der Katastrophe dienstlich auf der Rückreise von Tokio nach Yokohama. Er entging da durch dem Tode. Wie später festgestellt werden konnte, hielt sich Herr Märkl, als das Erdbeben einsetzte, in der Kanzlei auf. Er flüchtete in die daneben liegende feuer sichere Aktenkammer, die der sicherste Naum des Gebäudes war. Da dieser Teil des Gebäudes aus nicht brennbaren Materialien hergestellt war, hat hier auch das Feuer weniger gewütet und an der Leiche waren nur die Füße Verkohlt. Auch ein Aktenstück, das Märfl in der Hand hielt, war verbrannt. Die sterblichen Neste wurden an Ort und Stelle eingeäschert. Außer Märkl befanden sich zur Zeit des Erdbebens neun Japaner im Konsulatsge- bLude. Sie alle ünd umaelommen . . ." - Das Ci vcr Wucherpouzei. Atan kennt die Geschichte vom Ei des Kolumbus — sie ist sehr schön und lehrreich, aber die Geschichte vom Ei der Wucherpolizei, die wir jetzt erzählen wollen, ist noch viel, viel schöner: Eines schönen Oktobertages gab eine Berliner Tageszeitung in einer Übersicht über Berliner Markthallenpreise den Preis eines Eies mit 150 Millionen Mark an. Der Redaktions- sachvcrändige für Eier hatte diesen Tagespreis durch ge wissenhafte Umfrage bei den Eierhändlern ermit^tt, und das war gut. Oder es war vielmehr nicht gut, denn die Wucherpolizei, die immer auf dem Quivive ist, hatte bald herausgefunden, daß der amtlich festgestellte Eierpreis an jenem Tage „erst" auf 120—130 Millionen Mark stand. Und was geschah nun? Es geschah etwas, worüber man Purzelbäume schlagen könnte: Die Wucherpolizei band sich den armen Redakteur vor und verdonnerte ihn wegen — Preistreiberei zu 30 Billionen Mark Geldstrafe. Das hat er nu davon! Und da die Sache nun sicher auch noch das Wuchergericht als zweite Instanz beschäftigen wird, wird man sich über den ganz famosen Scherz noch weiter amüneren können. meister eine längere Verhandlung über eine Schleien lieferung zur Sonntagstafel, daß ihr der Vormittag wie im Fluge verging. Gegen zwölf Uhr kant Herta, die heute zum ersten Male wieder aufgestanden war, mit Trude gleichfalls zu den Wirt schaftsräumen hinunter. Trude, die sich alle Mühe gab, die noch ein wenig bläß liche Freundin aufzüheitern, erfüllte den weiten Kiichenraum sehr bald mit ihrer ausgelassen Lustigkeit. Als die jungen Mädchen aus der Unterwelt der Küche dann wieder zur Halle hinaufgingen, trafen sie dort auf Frau Pastor Hagedorn, die in einem neuen, bordeauxroten Hauskleid mit weitgeöffneten Armen auf sie zustieß. „Ich bringe Ihnen unser junges Glück, Fräulein Herta!" flötete sie in jubelnden Tönen. „Meine Emilie und ihren Bräutigam! Ihre Frau Schwester war so freundlich, sie noch nachträglich zur Derlobungsfeier zu bitten. Und da möch ten sich die jungen Leutchen gern noch persönlinch bedanken!" Dann saßen sie im Musiksaal, wo Dr. Neinwaldt unter des das Brautpaar in Empfang genommen hatte rind von Fräulein Emilie Hagedorn sogleich in ein hochnotpeinliches Verhör Uber die Gründe seiner bisherigen Ehelosigkeit ver nickelt worden war. Trude, die sich mit sichtlichem Vergnügen an der Ver legenheit ihres heimlichen Anbeters weidete, stand der ihr sonst als wandernder Tuaendspiegel noch aus der Würten berger Schulzeit her verhaßten Superintendententochter heut mit allerlei spitzigen Randbemerkungen zur Seite und stimmte schließlich aucb der von ihr nachdrücklich vertretenen For derung einer Iunggesellensteuer zu, die jeder billig denkende doch nur als eine billige Strafe für die ständig wachsende Ehescheu der Männerwelt ansehen könnte. Die Baronin, froh, über den unerwarteten, neutralen Zuwachs ihres kleinen Kreises, lud die Pastorleute zu Tisch; eine Einladung, die mit sichtlicher Genugtuung angenommen wurde, zumal sie von Frau Hagedorn, deren Gatte sich am Morgen zu einer Konsistoriumsitzung nach Frankfurt be geben hatte, von vornherein in das Programm Pahlowitz eingestellt gewesen war. Mit Hilfe der täglichen Orchideensendung Graf Eickstädts improvisierten Herta und Trude in aller Eile eine klein- Festtafel (Fortsetzung kolat!