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Hause schweifen. Jetzt haben sie alle für den Festabend ein gekauft da drüben im Fischerlager, wo er daheim ist. Der, Kaufmann hat viel zu tun an einem solchen Tage. Der eine will Kandiszucker und ein anderer Reisgrütze; an einigen Orten vermag man es, ein paar bunte Kerzen auf dem Tannerv bäum zu befestigen. Der Auslugmann sieht in Gedanken zwei kleine Knirpse mit weißblondem Haar und Gesichtern, die Sommer und Winter immer gleich sommersprossig sind; er sieht eine junge Frau, die ebenfalls blondhaarig und sommersprossig ist, und er sieht, daß die Stube reingemacht und Sand auf den Boden gestreut worden ist, und draußen auf dem Küchentisch steht ein Gericht frischer, für die Abendmahlzeit bestimmter Fische, so rein geschabt und gescheuert, wie es nur seine Frau tun kann. Dem Auslugmann wird warm ums Herz bei diesem Gedanken, und er starrt über die grünen Wellen hinaus nach der sinkenden Sonne. Und in seiner Seele taucht etwas auf, etwas, das er nicht in Worten ausdrücken kann, das aber halb einem Gebet, halb einem Gedanken gleicht, der sich hervor drängt: „Möge es denen daheim gut ergehen!" Drunten in der Kajüte liegt der Kapitän krank, seit man aus dem letzten Hafen ausgelaufen ist. Die Mannschaft weiß, daß es mit ihm zu Ende geht; vielleicht hat er noch em paar Tage, vielleicht nur einige Stunden zu leben. Er ist ein mittel« altriger Mann und hat das Schiff viele Jahre lang geführt. In dem engen Verschlag neben der Koje, in der der Kranke liegt, sitzt der Steuermann, ein alter Matrose, der mehr als zwanzig Jahre lang mit dem gleichen Kapitän und dem gleichen Schiff gefahren ist. Die beiden hörten, wie das Wasser mit regelmäßigem, plätscherndem Geräusch an den Schiffsrumpf schlägt, und zum Kajütenfenster herein dringt ein schwacher, rötlicher Schein der Sonne, die am Horizont unlergeht. Der Kranke liegt aus dem Rücken, die Hände auf der Weißen, wollenen Decke gefaltet. Seine Augen sind offen und er blickt still und nachdenklich geradeaus. „Niels!" ruft er. — „Jawohl, Kapitän!" — „Wenn Ihr mich ins Meer versenkt, dann tut es lieber zu einer Zeit, in der die Sonne da drüben am Horizont hinabsinkt, so wie jetzt, und am besten bei ruhigem Wetter, versteht du?" — „Jawohl, Kapitän!" — „Und grüße sie alle zusammen daheim. Du kannst ihnen sagen, daß ich keine sonderliche Furcht gehabt habe. Ich bin bestrebt gewesen, meine Pflicht zu tun, so gut wie ein schwacher Mensch sie zu tun vermag. Und ich habe manche Schwächen gehabt, aber der liebe Gott wird wohl Geduld mit mir haben..." — „Das wird er," sagt der Steuermann in bestimmtem Tone. „Ich habe Euch schon damals gekannt, als Ihr noch ein Brausekopf von zwanzig Jahren wäret, und ich weiß auch, daß Ihr keinem Geschöpf etwas zu leid getan habt." * „Und vergiß nicht — am liebsten, wenn die Sonne unter geht — und bei ruhigem Wetter ..." — „Jawohl, Kapitän." — Das schöne stille Wetter hat angehalten. Die Wintersonne bescheint kleine Kammwellen mit grünem Schimmer, die mit singendem Geräusch um den Bug des Schiffes plätschern. Das Fahrzeug fährt langsam, und die Mannschaft hat sich aus dem Hinterteil versammelt. Sie steht mit entblößtem Kopfe um einen schwarzbemalten Sarg, der mit einem Stück Flaggenluch bedeckt ist. Der Steuermann, der nun der Führer ist, hat ein Vaterunser gebetet. Und nun wird der Sarg auf die Reling gehoben. Zwei Mann ergreifen die Zipfel der Flagge und ziehen sie an sich, während der Sarg langsam hinabgelassen wird. Als er den Wasserspiegel erreicht hat, werden die Taue gekappt. Gerade, wie am vorigen Tage, geht die Sonne an einem wolkenfreien, blanken und kühlen Himmel unter. Nur Weit draußen am Horizont sieht man eine Gruppe von roten und dunkelvioletten Farbentönen. So weit der Blick reicht, bemerkt man kein anderes Fahrzeug. Der Rudergast steht wieder am Rade, und der Auslug ist auf seinem Posten. An diesem Abend gibt es Bewirtung mit Punsch an Bord — aus Anlaß des Begräbnisses, und weil es Heiliger Abend ist. — Der Rudergast hat das kleine Paket ge- öfsnet, das er mit an Bord gebracht. Es paßte wirklich gut: es war ihr Porträt, und nun hat er es auf der Brust geborgen, wo es nach seiner Ansicht mindestens ebenso gut wärmte wie die isländische Wolljacke. Der Auslug träumte weiter von frischen Fischen und kurzbeinigen Jun gens mit flachsblondem Haar, und wie sie nun daheim alle vor dem Weihnachts- abendtisch sitzen. Er sieht das alles ganz deutlich vor sich. Das Haus liegt droben auf der Düne. Der Wind weht gerade von der See herein und fegt den Sand um die Wände. Und der Sand dringt durch Ritzen und Spalten und liegt auf dem gesprungenen Fensterrahmen. An dem Abend steht eine Frau vor der Tür des Hauses und blickt über das Meer. Es geht ihr wie dem Auslug an Bord: sie kann es nicht in klaren Worten aus drücken, aber es ist just dergleicheGedanke: „Möge es denenda draußenWohlergehen!" Tauch auch du hinein in seine Tiefen, und es wird dich ergreifen und erfüllen der echte rechte Weihnachtsgeist. Es sind nicht immer nur die „Geschenke", nach denen deine Lieben verlangen. Geschenke sind bald gekauft und bezahlt, wenn man Geld hat. Viel schwieriger ist es, der darben den Seele Wünsche zu erfüllen und Freude zu bereiten. Wer das will, muß schon ein ganz Teil Selbstüberwindung besitzen, muß sein Ich vergessen und in das Ich des andern hineinzuschauen versuchen. Wir können keine großen Werte kaufen und unter die Tannen legen, aber wir können Besseres tun für unsere Lieben. Gibt es da nicht manch still getragenes Leid, dem mit ein paar guten Worten aufgeholfen werden kann? Sind wir immer ein gegangen auf ihres Herzens Kümmernisse, ihre Lebens kämpfe, ihre enttäuschten Hoffnungen, ihre Zukunfts träume? Wieviel können Mann und Weib einander schenken unterm Tannenbaum — und auch ohne Tannen baum sogar, wenn sie sich geloben, in diesem Sinn mit einander weiterzugehen, statt wie bisher nebeneinander hinzulaufen. Wieviel können Eltern den Kindern, der Bruder der Schwester schenken in diesem Sinne — Gaben» die viel mehr Liebe wollen als eine neue Bluse oder eine Ziga rettentasche und der andere übliche — Weihnachtskram. Wir können auch noch denen geben, die ärmer sind als wir. Wir haben noch immer einen warmen Ofen, ein paar Stunden Licht — vielleicht freut sich Tante Ida heut mehr über die Einladung, ein paar Abendstunden daran teilzu nehmen, als über die Weihnachtskiste von früher. Und ist keine Tante Ida da, so ein anderes armes Menschenkind. Wir können noch immer an Krankenbetten sitzen und eine Stunde Sonne und Fröhlichkeit in das Herz des Leidenden zaubern. Wir können auch Augen und Ohren offenhalten für alle Hilfsquellen» die sich jetzt auftun für bittere Not — und können sie denen zu erschließen suchen, um deren Jammer wir wissen. — Auch Fürbitte kann viel Gutes tun. Das alles macht Arbeit und Mühe und ist auch nicht abgeschlossen mit den Weihnachtstagen, das ist ein Liebeswerk, das weitergeht durchs ganze Jahr. — Aber es ist ein Werk jener Liebe, die geboren ward zu Bethlehem, die Frieden brachte allen Menschen, die guten Willens sind — ein Werk der echten rechten Weihnachts- Uebe. In ihrem Sinne laßt uns Weihnacht feiern, und hell wird er auch uns erstrahlen, der Stern der heiligen Nacht! Heiliger Abend an Bord. Von Wilhelm Ostergaard. (Nachdruck verboten.) Es steuert ein Segler über das Meer. Es ist ein großes Schiff und hat alle Segel beigesetzt; denn die See ist ruhig und das Wetter still. Es ist draußen mitten auf dem Meere unter nördlicher Breite. Die Sonne steht tief am Horizont, färbt die Wolken rot und dunkelviolett, und weit draußen schwimmt ein Eisfeld, mit dem Widerschein der sinkenden Sonne übergossen. Sonst nur die kühle blanke Lust und der Schaumstreisen, den das Schiff hinterläßt, indem es durch die ! grünen Wellen gleitet. Kein anderes Fahrzeug ist zu erblicken, so weit das Auge reicht. Der Rudergast steht stumm am Rade, j in Pelzjacke, mit wollenen Handschuhen und über die Ohren gezogener Kapuze. Er beobachtet den Kompaß, der unter dem ! dicken Glase im Kasten vor ihm verwahrt ist, und mit geübter Hand hält er den Kurs des Schiffes ein. Es ist ein junger Seemann, aber er hat die Decksplanken getreten, seit er als winzig kleiner Knirps gerade kriechen und gehen konnte. Zuerst in Vaters Fischer boot, daun als Schiffsjunge, Jungmann, und vollbefahrener Matrose auf langen Fahnen. Er hatte neulich die Heimat be sucht, sich „ringverlobt", d. h. eine richtige Geliebte gefunden; vorher hatte er be reits einige andere gehabt, was aber nicht von großer Bedeutung war. Erst jetzt galt es, Ernst zu machen. Als er an Bord wollte, hatte sie ihm ein kleines Paket gegeben, er hatte ihr versprechen müssen, es erst am Weihnachtsabend zu öfsnen. Aber er konnte gleichwohl er raten, was das Paket enthielte. Auch derAuslug ist aus feinem Posten; er späht über die See hinaus und läßt die Gedanken aus weiter Fahrt nach