Volltext Seite (XML)
An der Krippe. Wunderbarer Gnaden-Thron, Gottes und Marien Sohn, Gott und Mensch, ein kleines Kind, das man in der Krippen find't, großer Held von Ewigkeit, dessen Macht und Herrlichkeit rühmt die ganze Christenheit. Johann Olearius, mm Storms letzte Weihnacht. Wie der große deutsche, an Gemüts- tiese kaum übertroffene Dichter Theodor Storm seine letzte Weihnacht feierte, mag hier nach der Erzählung seiner Toch ter wiedergegeben sein. Noch einmal, ein letztes Mal, wird es für unseren lieben Vater „Weihnachten". Zum ersten Male fehlt eines seiner Kin der ganz, auch seine liebevollsten Ge danken vermögen es nicht mehr zu er reichen. Unser ältester Bruder Hans ist von uns gegangen. Der Baum steht noch einmal in vollstem Lichterglanz, die Flügeltüren öffnen sich weit. — Vater legt den Arm um Mama, wir, die Wir keine Kinder mehr sind, umstehen das Klavier und Karl stimmt leise an: „Sülle Nacht, heilige Nacht." Wie wir an die Stelle kommen „Schlaf' in himmlischer Ruh" — da breitet Vater weit die Arme aus, Tränen stürzen aus seinen lieben Augen, und leise hören wir ihn die Worte sprechen: „Unten in Bayern, da ist ein einsames Grab, darüber weht der Wind und der Schnee fällt in dichten Flocken drauf." Wir singen nicht weiter, wir gehen zu ihm und nehmen sanft feine lieben Hände, und eine schmerzliche Ahnung, daß wir wohl so zum letzten Male mit unserem.lieben kleinen Vater unter dem brennenden Lichterbaum stehen, durch- ziftert unsere Herzen. So endete das letzte Weihnachtsfest mit unserem Vater. - mm Bestzeit in aller Welt. Engländer und Amerikaner. Der Eng länder feiert das Fest Christi Geburt hauptsächlich mit feinem Magen, wobei er jedoch eine äußerst freigebige Hand zeigt und keinen Armen an diesem Tage darben läßt. In der englischen Familie spielt der Mistclzweig eine große Rolle, der in unauffälliger Weise an einem Kronleuchter oder über dem Türpfosten befestigt wird. Die jungen Leute ver suchen nun die Damen in eine angeregte Unterhaltung zu verwickeln und im Laufe derselben unter dem Mistelziveig zu lan den. Hier muß dann die Schone ihren Weihnachtstribut in Gestalt eines Kusses bezahlen. Bei der Festtafel fehlt auf keinem englischen Tisch der Plum- Pudding, der brennend auf den Tisch ge bracht wird. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika verblassen diese eng lischen Bräuche mehr und mehr. Obwohl der Mistelzweig und der Plumpudding auch dort sich eingebürgert haben, so wird das Weihnachtsfest im allgemeinen doch mehr nach deutscher Sitte gepflegt, wobei man sich gegenseitig beschenkt. Christmasbox heißt das Weihnachts geschenk. Vor allen Dingen fehlt in keinem Kamin das sogenannte Uule-toe, ein riesiger Baumstamm, der zur Feier des Tages angebrannt wird und nun im Kamin Helle Flammen entwickelt. Auch das Bleigießen geschieht in Amerika in der Weihnachtsnacht, nicht zu Silvester wie bei uns. Zum Weihnachtsdiner werden fast nur Truthähne und Krons beerenkompott verzehrt. Bei unseren Vorfahren. Seit urdenk- lichen Zeilen hat Sage und Aberglaube zur Weihnachtszeit im deutschen Volke reichste Blüten getrieben. Die Natur religion der alten Germanen war über aus reich an frommen Sagen und allerlei Einbildungen. Die Kirche nahm viele germanische Religionshandlungen und namentlich die hohen Opferfeste unter ihre Obhut und wandelte sie zweckdien lich um. Statt der Götterfahrt findet im frühen Mittelalter zur Christnacht der Umzug einer Geisterschar statt. Nach Schöppner vernahm man aus Burg kapellen Gesänge und konnte auch an manchen Orten Totentänze schauen. Die ! Erde soll an manchen Stellen Schätze, die ! lange verborgen lagen, offenbart haben; j so zu Ostriz, wo man in der Christnacht ! im Feensmännelberg ein greises Männ- ; lein bei Goldhaustn sitzen sieht. Wer hin- zutritt, kann der Aufforderungen des Alten Folge leisten: „Greif ein Griff und streich ein Strich! Dann packe dich!" Zu Weinheim soll in der Heiligen Nacht Wein aus einem Brunnen gelaufen sein. Noch heute herrscht ähnlicher Glaube an der Mosel. mm Mutter und Kind. Liebling, hörst du, wie der Wind singt so wilde Lieder? Winter naht! Nun freue dich, Christkindlein kommt wieder! Christkindlein, das Jesuskind kommt vom Himmelsthrone, daß es jedes gute Kind hold und reich belohne. Christkindlein! Da — siehst du's nicht an dem Fenster flimmern? Kind! Christkindleins Flügelpaar sah ich eben schimmern! Da... da... seh ich ganz genau seine gold'nen Locken, — und nun hör' ich auch den Klang seiner Silberglocken! — Emma Lehn. mm Die Tiere zu Weihnachten. Sie können sprechen. Am Feste allge meiner Liebe hat frommer Sinn auch die Tiere nicht ohne Anteil lassen wollen. Spielen die Tiere doch schon in den ältesten Formen der Weihnachiserzählung ihre Rolle, da Ochslein und Eselein das heilige Kind in der Krippe bedecken und Wärmen. Dieser Zug mag das Samen korn gebildet haben, aus dem sich der eigentümliche Glaube entwickelt hat, daß den Tieren zu Weihnachten um eine be stimmte Stunde die Gabe der Sprache gegönnt sei. Die Sprache war Ochse und Esel schon in den volkstümlichen Weih nachtsspielen verliehen, aber nach und nach bildeten sich über den Anteil der Tiere am Weihnachtsfefte noch besondere Legenden. Eine davon erzählt, daß die heilige Familie auf ihrem Wege nach Ägypten an eine Höhle kam, die voller Drachen war. Maria und Joseph fürch teten für das Kind, das aber sprang von der Mutter Schoß herab und gebot den Tieren, daß sie niemandem etwas täten. Da kamen aus dem Walde Hirsche, Bären, Wölfe, Eichhörnchen und alle sonst er denklichen Tiere hergelaufen, fielen auf ihre Knie nieder, verehrten das Kind und wiesen ihm den Weg, und auch die Vögel gesellten sich dieser Andacht zu. Auf dem Wegs über diese Legende hat sich viel leicht in Deutschland der Volksglaube ent wickelt, daß in der Weihenacht von 12 bis 1 Uhr die Tiere mit der Gabe der Rede begnadet würden. Besonders ist dies von Pferden bezeugt, aber auch von anderen Tieren weiß ein Bericht aus dem Jahre 1799 diese wundersame Fähigkeit zu melden. Bis fast in unsere Tage hinein haben die am alten Glauben und Brauch zähe sesthaltenden jütischen Bauern davon zu erzählen gewußt. Um 12 Uhr, so wissen sie, erhebt sich alles Vieh im Stall, streckt sich, brüllt und sängt mit einander zu sprechen an. Tischlein deck' dich. Im ganzen Be zirk der germanischen Kultur ist von altersher die gute Sitte verbreitet ge wesen, auch den Tieren ihren Teil am Weihnachten zu geben. Gern band man für die Vögel eine Garbe an eine Stange, damit sie doch auch merkten, welches Fest gefeiert würde. Und wenn der Däne, der Norweger oder Schwede seinem Vieh zuvor die Zähne mit Salz eingericben hatte, so schüttelte er ihm am Heiligen Abend eine volle Extraladung schieren Hafers in die Krippe, wobei er wohl liebkosend zu sagen Pflegte: „Heute ist Weihnachtsabend, mein Tierchen!" In Holstein War sogar der Brauch lange ver breitet, daß man neben die Krippe im Stall ein Weihnachtslicht stellte und es zu rechter Zeit anzündete. Endlich ver gaß man auch des treuen Hofhundes nicht. An diesem Abend wurde er von der Kette gelöst und mit in die warme Stube eingelassen. Unter den vielen zarten Zügen, die die Feier des Weih- nachtssestes aufweist, scheint es nicht der geringste, daß man am Heiligen Abend l auch seines Viehes gedenkt.