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— Ein neuer Ozmuc-auipfer. Der ver Hapag gehörende I Dampfer „Cleveland" fährt jetzt zum erstenmal nach seiner f Wiederherstellung von Hamburg nach Newyork. Es ist das selbe Schiff, das vor etwa 14 Jahren unter der Hapagflagge sich als einer der besten Ozeanfahrer erwies. Nach mannig faltigen Schicksalen im Kriege und nach dem Kriege (zuletzt fuhr der 17 OVO-Tonnen-Dampfer unter griechischer Flagge in der Fahrt Mittelmeer-Nordamerika), wurde das Schiff jetzt von der „United American Lines" für den Gemein schaftsdienst mit der Hapag zwischen Hamburg und Newyork erworben und vollständig erneuert. In 45 Tagen hat die Werft von Blohm u. Voß den Dampfer, der einst auf Koh lenfeuerung eingestellt war, auf Olseuerung umgebaut und die Einrichtung wesentlich verbessert. Der Dampfer ist ein Doppelschraubenschiff mit vier durchlaufenden Stahldecks. Seine Maschinenanlage besteht aus zwei vierzylindrigen Viertakt-Expansionsmaschinen, die zusammen etwa 1100 Pferdestärken indizieren und dem Schiss'eine Geschwindig keit von 13)4 Seemeilen geben. Es gibt auf dem Schiff nur zwei Klassen, eine vornehme und eine minder vornehm ein gerichtete, die der früheren dritten Klasse entspricht. Diese zweite Klasse gewährt etwa 600 Passagieren Aufnahme in wohnlichen und praktisch ausgestatteten Kammern. — Massenmord durch Alkoholschmuggel. Der Kampf für und gegen den Alkohol wird in Amerika weiterhin von bei den Parteien erbittert geführt. Bald führt die eine Seite, bald die andere Argumente ins Treffen, um die Halilosigkeft der gegnerischen Maßregeln darzutun, wobei die Statistik mit der sich bekanntlich alles beweisen läßt, eine große Rolle spielt. In Chikago, wo die Behörden außerordentlich scharf gegen Alkoholfchmuggler auftreten, sind im Monat September bei Razzien in den Trinkstuben mehr als tausend Personen verhaftet worden. Me nötig die Verfolgung der Schmugg ler ist, ergibt sich — so sagen die Freunde des Alkoholverbots — aus der Tatsache, daß seit dem 1. Januar mehr als 150 Personen nach dem Genuß verfälschten Whiskys gestorben sind und, daß von 8000 Mustern Whisky, die in diesem Jahre beschlagnahmt wurden, bloß 1 rein befunden wor den ist, während mehr als 80 reines Gift enthielten. Im vorigen Jahr sind in den Vereinigten Staaten nach den An gaben der Beamten zur Bekämpfung des Alkohols zwei tausend Personen an Alkoholvergiftung gestorben. Es frag! sich nur, ob die Alkoholgegner sich mit diesen Mitteilungen sich nicht selbst widerlegen. Würde der Alkoholkonsum frei sein, dann wäre keine Gelegenheit für den Schmuggel vor handen und damit auch nicht für den mit ihm verknüpften Schwindel, der, wie man sieht, lebensgefährlich ist, aller dings nicht für die Schmuggler und Schwindler, sondern für ) die Beschwindelten. - Eine Milliarde Frank aus dem Meeresgründe. Wie aus Brest gemeldet wird, ist man im Begriff, dort Gold barren im Werte von einer Milliarde Frank vom Meeres gründe herauszuholen. In der Nacht zum 21. Mai 1922 i erfolgte auf der Höhe der im Atlantischen Ozean gelegenen § französischen Insel Quessant ein Zusammenstoß zwischen / dein französischen Dampfer „Seine" und dem englischen : Schiff „Egypt". Die „Egypt", die mit einer Ladung Gold- ! darren an Bord nach Indien bestimmt war, ging nach dem . Zusammenstoß rasch unter, wobei mehrere Passagiere er tranken. Alle seither unternommenen Nachforschungen nach dem gesunkenen Dampfer waren erfolglos. Neuerdings hat aber eine schwedische Bergungsgesellschaft Wieder Lotungen vorgeuommen, wobei schließlich das Wrack aus- gefuuoen wurde. Es liegt in 42 Meter Tiefe etwa zehn Kilometer von der Stelle entfernt, an der der Zusammen stoß erfolgt war. Da jetzt von der Versicherungsgesellschaft, bei der das Schiff versichert war, die Bedingungen, von denen das schwedische Unternehmen den Hebungsversuch abhängig macht, angenommen worden sind, wird man nun mehr niit den Bergungsarbeiten beginnen. - „Ministerin" ohne Portefeuille. In London ist kürz lich zum Zweck der Werbung für die Auswanderung nach Britisch-Columbien Frau Mary Helen Smith eingetroffen, die erste Frau, die sich der Auszeichnung rühmen darf, den Posten eines Staatsministers zu bekleiden. Frau Smith schlug nach dem Tode ihres Gatten, der als Finanzminister deni Kabinett angehörte, die politische Laufbahn ein. Sie war außerdem die erste Frau, die von ihrem Lande als Abgeordnete in die Volksvertretung gewählt wurde. Die - , ' 24. FlMMN. Roman von Hans Schulze. Den ganzen Abend habe ich schon darüber nachgeson nen und jetzt, wo allerlei -alte Erinnerungen in mir anklin gen, fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen." Eine feine Röte stieg langsam in Hellas Gesicht, ihre schmalen Nasenflügel vibrierten leise. „Ich schmeichelte mir bisher, nur in dieser einen Ori ginalausgabe auf Erden zu existieren." Graf Eickstädt wiegte bedauernd den Kopf. „Es tut mir leid, Ihren Glauben zerstören zu müssen. Doch je länger ich Sie betrachte, um so schlagender scheint mir die Aehnlichkekt. Auf einmal sehe ich das blasse, erregte Gesicht jener Dame wieder in voller Deutlichkeit vor mir, wie sie sich im Fieber des Spiels über das grüne Tuch des Roulettetisches neigte und mit einen, unbeschreiblich leiden schaftlichen Ausdruck das breite Holzschwert des Croupiers verfolgte, wenn er gleichmütig die Berge von Noten und goldenen Hundertfranksstticken für seine Bank -inzog. Sie setzte nämlich geradezu sinnlos und verlor eigentlich immer." „Wer war denn die interessante Dame, Herr Graf?" fragte Dr. Reinwaldt, Hella scharf beobachtend, in diesem Augenblick unvermittelt dazwischen. „Sie galt für die Gattin eines norddeutschen Aristo- krtten. Der Name ist mir leider entfallen. Das auffallend schöne und elegante Paar befand sich angeblich aus der Hoch zeitsreise und verspielte, wie man sich erzählte, die ganze Mitgist der jungen Frau. Sie waren überall zu sehen, beim Taubenschiefen, in Condaine, im Ieteepalast in Nizza, im Cafe de Paris!" „Und was ist aus den beiden geworden?" Eine marmorne Blässe lag auf einmal wieder über Hel las Gesicht, und ihre Stimme klang ihr selber fremd und fern. Der Graf zuckte die Achseln. „Eines Tages waren sie verschwunden. Nach riesigen Svielverlusten. Mit einem Billett der Bank, wie es hieß. Wo sie geblieben sind, wer weiß es und wer fragt denn auch danach in dem ewigen Mann-über-Bord-Sviel der Cote d'Azur." lyr angetragene Würde der Präsidentin der Kammer lehnte sie ab, übernahm aber im Jahre 1921 das Amt eines Mi- z nisters, freilich eines solchen ohne Portefeuille. — Der Klerderraub in der Hochzeitsnacht. Den Iren : scheint nicht wohl zu sein, wenn sie nicht gegen irgend etwas - kämpfen können. Nachdem der Friede mit England not- / dürftig hergestellt ist und der Bürgerkrieg einstweilen ein - Ende genommen hat, ist in der Stadt Carupoel, die in der ! Provinz Ulster liegt, eine ehefeindliche Gesellschaft ent- - standen, die sich aus Hagestolzen und alten Jungfern zu- i sammensetzt, und die sich neuerdings, begünstigt durch die im i Verlauf des Bürgerkrieges entstandene Unsicherheit, in einer ! gefährlichen Propaganda der Tat gefällt. So wurden schon ) mehrfach Brautpaare auf dem Weg zur Kirche durch Barri- ' laden aufgehalten, die, aus starken Baumstämmen gebildet, - die Straße und den Zugang zur Kirche sperrten. Erst kürz- i lich wurde einem jungen Paare während der Hochzeitsnacht ; die gesamte Kleidung nebst den Schuhen gestohlen, so daß es : sich genötigt sah, die Hilfe der Nachbarn in Anspruch zu > nehmen, um sich wieder in der Öffentlichkeit zeigen zu kön- - nen. Aber damit nicht genug, werden Hochzeitsgesell schaften während der Trauung, zu der sie infolge der Barri- ! laden gelegentlich den Weg durch die Kirchenfenster nehmen i mußten, regelrecht belagert und bei ihrem Wiedererscheinen - auf der Straße aus dem Hinterhalt mit Mehl, Gips und ! anderen Wurfgeschossen bombardiert. Die Iren sind, wie j man sieht, ein „neckisches" Völkchen. - Spitzbuben als Erfinder. Felddiebe benutzen jetzt in Niederschlesien Fahrräder als Dreschmaschinen, indem sie i sie in folgender Weise verwenden: Auf einer mitgebrachten , Plane stellen sie das Fahrrad verkehrt auf, so daß die Räder - nach oben ragen. In der Regel arbeiten drei Mann zu- - sammen in der Weise, daß der eine mittels der Pedale die Räder in Schwung bringt, während ein anderer die ge stohlenen Garben an die im Kreise sich drehenden Speichen bringt. Die rotierenden Speichen entkörnen die Ähren, und die Körner fallen auf die Plane, wo sie der dritte Mann auffängt und von der Spreu säubert. Eine geniale Erfindung, die aber nicht zur Nachahmung empfohlen werden kann. - Die Polizei will Latein sprechen. Auf dem Internatio nalen Polizeikongreß in Wien befürwortete der österreichische Hofrat Dr. Dreßler die Schaffung einer internationalen Verkehrssprache für die Polizei. Er kam auf Grund seiner eingehenden Studien zu dem Schluß, daß die geeignetste Verkehrssprache zwischen den Polizeiämtern die lateinische Sprache wäre. Diese Sprache werde in den höheren Schulen der meisten Staaten gelehrt. Die notwendigen Fachausdrücke wären in einem eigenen Wörterbuch nieder zulegen. Infolge ihrer knappen Ausdrucksweise eigne sich diese Sprache besonders für den telegraphischen Verkehr, i Die römische Kirche, eine gewiß klug durchdachte Organi- - salion, bediene sich heute noch des Lateinischen. Auch für / die Medizin und die Pharmazie fei das Lateinischs Fach sprache. — Der gleiche Tod durch drei Generationen. Vor einigen Jahren machte der italienische Gutsbesitzer Osvaldo Tom- maflmi aus Val-Travaglia seinem Leben gewaltsam ein Ende, indem er sich von dem Gipfel eines hohen Felsens in die Tiefe stürzte. Als sich der Tag dieses Ereignisses jährte, erftomm sein Sohn denselben Felsen und suchte und fand auf gleiche Weise den Tod. Als nun vor kurzem, wie aus Nom gemeldet wird, der Sohn und Enkel der beiden Lebensmüden zu dem verhängnisvollen Gipfel kletterte, um hier das An denken seiner Väter durch Niederlegung einiger Blumen zu ehren, glitt er aus, stürzte und verschwand in den Abgrund. Hus dem «erichtsfssl. 8 13 Monate Gefängnis für Rcgierungsrat Poll. Der Ne- siernngsrat Poll in Frankfurt a. d. Oder, der wegen Nötigung und Mißhandlung weiblicher Bureauangestellter angcklagt war, wurde von der Strafkammer in Frankfurt a. d. Oder zn 13 Monaten Gefängnis verurteilt. tz Nix deutsch! Vor dem Divisionsgericht in Preßburg wurde ein interessanter Prozeß zn Ende geführt. Der Major Hlavka hatte in einer Weinstube in Preßburg zwei Oberleutnants an- geflegelt, weil sie mit einigen Damen deutsch sprachen. Der Streit setzte sich aus der Straße fort, wobei der Major die Offiziere beschimpfte und Hochverräter nannte. Bei der Ge richtsverhandlung leugnete der Major alles. Er wurde zu zwei Monaten Arrest verurteilt. Kandel una Verkehr. UNNfMattSLsbirn vom 22 Oktober IY23. 1 Goldmark: Berl. Briefkurs . . . 3952380000 Papiermark Neuy. Markkurs . . . 3464 285000 Papiermaik Reichsbankdiskont .... monatlich 7 >/,«/«, jährlich 9o°/o Reichsbanklombard .... wertbeständig IO°/g jährlich do. . . gegen Papiermark 108 °/g jährlich Goldankaufspreis 640 Dollar p. Kilogr Silberankaufsprei» (i-Mart-Stück) l00000000b Goldzokaufgeld 935999999000/» 1 Goldzollmark 9360000000 Reichsrichtzahl (Steigerung 584,2°/») 691900 OOS Sächsische Gesamtrichtzahl (mit Bekleidung) . . 645000000 (Steigerung 52l,9°/o Grotzhandelsrichtzahl 1098000000 (Steigerung 255,4°/,) Landabgabe 1080000000 Aerzterichtzahl 1I00O00OO Arzneitaxe für Waren u. Gefäße 29000000 für Arbeitsvergütung 7000(00 Hotelfchlüffel 1200600000 Buchhandelsschlüffel 3000000000 Eisenbahn-Personenverkehr 6(0000000 Grundzahl für 1 Kilometer- I. Kl. 18,8, 2. KI. »,», 8. Kl. 3,5, 4. Kl. 2,2 4! Eisenbahn-Güterverkehr 1000000000 Gegenwert de» Goldfranken bei Auslandspostjcndungen usw 1700000000 Fernsprechschlüsiel 500000000 Bnchdrnckerschlüsiel 9000000t) Hannover, 21»Okt. Nach dem Wortlaut der Veröffent lichung über die Errichtung der deutschen Rentenbank besteht, wie die T.-U. vom Reichsverband des deutschen Handwerks er fährt, kein Zweifel darüber, daß auch das deutsche Handwerk, entgegen dem ursprünglichen Entwurf, an der Errichtung der Rentenbank beteiligt ist. Durch Nachrichten über die Nichtbeteili gung des deutschen Handwerks ist die öffentliche Meinung irre geführt worden und im Handwerk starkes Befremden herbei geführt worden. Der Reichsverband des deutschen Handwerk- Hat Beschwerde erhoben, daß er bei der Errichtung der Renten bank übergangen worden ist und hat eine Vertretung im Ver- waltungsrat der Rentenbank beansprucht. * * Kein amtlicher Dollarkurs in Berlin am 20. Oktober. Die Börse blieb für den Devisen- und Effektenverkehr am Sonn abend geschloffen. Amtliche Kurse wurden deshalb nicht festge setzt. Im freien Verkehr wurde der Dollar mit 18 bis 20 Mil liarden genannt, doch kam es infolge des fehlenden Angebots kaum zu nennenswerten Umsätzen. Dagegen entwickelte sich in Doüarschatzanweisungen großes Geschäft zn Kursen von 18 bis 19,5 Milliarden Mark. Für Goldanleihe wurde ein Kurs von etwa 18 Milliarden genannt. 4- Produktenmarkt. Berlin, 20. Oktober. Amtlich fest gesetzte Preise an der Produktenbörse pro öv Kilogramm ab Station (in Millionen Mark): Weizen märkischer 31000-33 500. Erregt. Roggen märkischer 29 000—30 500. Erregt. Hafer märkischer 24 000—25 000. Erregt. Weizenmehl pro 100 Kilo gramm frei Berlin brutto inkl. Sack 92000—99 000. Feinste Marken über Notiz. Erregt. Roggenmehl pro 100 Kilogramm frei Berlin brutto inkl. Sack 89 000—95 000, Weizenkleie frei Berlin 14 000-14500. Erregt. Roggenkleie frei Bettin 14000 bis 14 500. Erregt. Viktortaerbsen 42 000—45 000, Rapskuchen 21000-23 OM, Torfmelasse 30-70 8000-9000. vom LrvensmMclmarkt. * In der Berliner Zentralmarkthalle wurden am 20. Oktober im Kleinhandel folgende Pfundpreise (in Millionen Mark) verlangt: Rindfleisch 1500—24M, Kalbfleisch 1500—2800, Ham melfleisch 1500-2200, Schweinefleisch 1700—2400, geräucherter Jnlandsspeck 3300, Hasen 1500, Gänse 1600, Enten 2500, Huhn 1500—2000, Kabeljau 500—800, Schellfisch 400- 450, Heringe 150—650, Bücklinge 1000—1600, Salzfettheringe 200—240, Äpfel 200—500, Birnen 200—550, Kartoffeln 70—87, Weißkohl 65 biS 70, Rotkohl 140—150, Spinat 100, Mohrrüben 60—120, To> Maten 100—250, Zwiebeln 120—130, Erbsen 840—980, weiße Bohnen 880-980, Butter 3000-3200, Margarine 1900—2200 Schmalz 2600—2800, Harzer Käse 900—1000, ein Ei 200, Kunst honig 800—1100, Pflaumenmus 420-1200, gerösteter Bohnen kaffee 2400—4000, Malzkaffee 400—475, Zucker 750—800, Weizenmehl 520-750, Streichhölzer (die Schachtel) 35. * Berliner Brotpreis: 2,5 Milliarden! Wie mit Bestimmt heit verlautet, soll infolge der katastrophalen Preisentwicklung auf dem Mehlmattt in Berlin der BrotpreiS vom 22. Oktober ab 2,5 Milliarden betragen, der Preis der Schrippe (Semmel) 75 Millionen. Seit einer halben Stunde schon promenierte man im Park um das große Springbrnnnenrondell. Graf Eickstädt hatte seine Hand in Hertas Arm gelegt rmd antwortete mechanisch wie ein Automat, wenn sie ganz leise und tastend zuweilen eine verschüchterte Frage an ihn richtete. Es war ihm ja alles so gleich und gleichgültig, wie weit der Kreis der Einladungen zur Verlobung gezogen, ob die Hochzeit in der letzten September- oder der ersten Oktober woche gefeiert werden sollte. Eine flackernde Sehnsucht brannte in seinem Blut, ein verzehrendes Verlangen nach der blühenden Schönheit der blonden Frau, die heute in ihrer wunderbaren Erscheinung wie eine Offenbarung in sein Leben getreten war. Vergebens rang er gegen die Gewalt dieses Liebesrau sches, den ihm ein einziger Blick in "Hertas leidvolle Angen in seiner ganzen Sinnlosigkeit offenbarte. Ein tiefes Mitleid war in seinem Herzen mit dem jungen Mädchen, deren stilles, weißes Gesicht für ihn eine einzige Anklage bedeutete. Und doch konnte er nicht anders, als immer wieder nur den einen Gedanken an jene andere denken, die wie im Sturm eine lohende Flamme der Leidenschast in seiner Brust entfesselt hatte, daß ihm alles, was je zuvor in seinem Le ben gewesen war, auf der Tafel seiner Erinnerung auf ein mal wie ausgelöscht schien. — Im Schlosse hatten sich unterdes die Fenster -es Musik saales erhellt und ein paar präludierende Akkorde kamen durch die weitoffenen Fenster. Und dann schwang sich eine klare, weiche Frauenstimme in das Schweigen der Nacht hinaus, und die rührende Weise eines französischen Liedchens klang leise über die schlum mernden Parkwiesen: „Par un clair de lune Nous mms sommes cormus Gras Eickstädt horchte auf. „Fräulein Hansen singi," sagte die Baronin. „Sie gibt uns mit Dr. Reinwaldt heute abend noch ein kleines Konzert." Langsam gingen sie zum Schloß zurück. Herte hatte den Arin der Schwester genommen, die Fiche waren ihr auf einmal schwer wie Blei, sie hatte die Empfindung, als sei der ganze Boden, auf dem sie bisst so sicher zu stehen gemeint, erschüttert und unterhöhlt, de sie unwillkürlich nach einer Stütze suchte Erst als sie in den Musiksaal trat, ward sie ein wenig ruhiger, gewannen Gang und Haltung wieder cm Sicherheit und Festigkeit. Dr. Reinwaldt stand, in Nvtenbänden blätternd, mit Hella am Flügel, von dem zwei hohe, alte Kirchenleuchter ein stilles, feines Licht verbreiteten. Eine feierlich-ernste Stimmung lag über dem halbdunk len Raum. Die Baronin hatte in einem der Korbsessel am Kamin Platz genommen und Alsleben an ihre Seite gewinkt. Etwas weiter entfernt saß das Brautpaar. Graf Eickstädt unbeweglich, mit steinernem Gesicht vor sich hinstarrend, auch Herta war blaß und stumm. Nur Trude und der kleine Lettau Msterten leise in der Beethovenecke. „Kennst du das Land?" Dr. Reinwaldt hatte sich wieder am Flügel niederge lassen und aus dem weichen, träumerischen Vorspiel erhob sich süß und fragend Mignons ewiges Lied. Herta hatte die Hand über die Augen gelegt, um die Tränen nicht fehen zu lassen, denen sie nicht mehr zu weh ren vermochte. Vergebens rang sie gegen den Zauber dieser wunder« vollen Menschenstimme, die sie so bitter hassen zu müssen glaubte, und die sie doch so widerstandslos in ihre Band« schlug. Aufeinmal schien ihr alles, was an Leid und Verzweis« lang in ihr gewesen, wieder verschwunden, versunken; ihr wars, als weiteten sich die Wände des Saales, als grüße die ganze sonnige Welt des Südens mit all ihrer unendlichen Schönheit in Mignons Sehnsucht zu ihr herein. Wie durch einen feinen Nebel fah sie, daß Graf Eick' städt jetzt zum Flügel trat und Hellas Hand lange in der seinen hielt. Und dann war wieder das süße Singen und Klinge'' um sie her. (Fortsetzung folgt.)