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Wilsdruffer Tageblatt : 22.09.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192309222
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19230922
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19230922
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-09
- Tag 1923-09-22
-
Monat
1923-09
-
Jahr
1923
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 22.09.1923
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manv herein noch heraus. Man spricht davon, daß mehrer? Beamte im Schloß festgenommen worden sind, und man vermutet, daß die Franzosen es auf große Geldbeträge ab gesehen haben, doch wird von amtlicher Seite mitgeteilt, daß sich zurzeit im Schloß keine bedeutenden Geldsummen befinden. Außerhalb des Schlosses bemerkt man die plan mäßig durchgeführte Besetzung. An verschiedenen Stellen sind Maschinengewehre gegen die innere Stadt sowie gegen den Hauptbahnhof ausgestellt. Ser IMrSlindrat rührt nicht an die Korfu-Frage. Genf, 20. September. Heute erwartete man eine Stellungnahme des Völker- bundrates zu der Besetzung Korfus durch die Italiener. Statt dessen las der Vorsitzende folgende Erklärung vor: „Gewisse Auslegungsfragen gewisser Artikel des Paktes über die Vollmacht des Nates und anderer Fra gen des internationalen Rechtes haben die Aufmerksam keit mehrerer meiner Kollegen auf sich gelenkt. Ich glaube, Laß ihre Lösung notwendig wäre, um in Zukunft jede Meinungsverschiedenheit hierüber zu vermeiden und die Aufgabe des Völkerdundsrates zu erleichtern. Ich glaube daher, dem Rate Vorschlägen zu dürfen, daß er entscheide, unter Mitwirkung von Juristen, ein beson nenes und gründliches Studium dieses heiklen Pro blems vorzunehmen und -die zu diesem Zweck am besten geeigneten Methoden zu untersuchen." Eine Debatte hierüber fand nicht statt. Dieser Aus gang, der mit großer Spannung erwarteten Sitzung wurde von einem Teil der Presse und des Publikums mit unverhohlener Heiterkeit ausgenommen. Bei anderen Teil nehmern der Sitzung rief der Vorgang sichtbare Bestür- zung hervor. Qak unck fern. O Wien ohne Kino. Seit einigen Tagen ist Wien ohne Kino. Die Angestellten hatten eine Lohnforderung gestellt, die von den Besitzern mit der Begründung abgelehnt wor den war, daß eine weitere Erhöhung der Eintrittspreise nicht vorgenomme» werden könne. Als dann für etwa 30 Kinos der Streik proklamiert wurde, antworteten die Be sitzer mit der Sperre aller übrigen Kinos. O Der Telephonvcrkehr zwischen Österreich und Deutsch land. Im telephonischen Verkehr zwischen Österreich und Deutschland treten bedeutende Erhöhungen der Fernsprech gebühren in Kraft. Ein normales Dreiminutengespräch kostet vom 20. September an: in der ersten und zweiten Zone 8600 Kronen, in der dritten Zone 13 000 Kronen, in der vierten Zone 17 300 Kronen, in der fünften Zone 21600 Kronen, in der sechsten Zone 28 800 Kronen, in der siebenten Zone 36 000 Kronen, in jeder weiteren Zone um 7200 Kronen mehr. Insgesamt ist Deutschland in 15 Sprechzonen eingeteilt. Ein dringendes Sechsminutenge spräch Wien—Berlin kostet 260 000 Kronen. G Eingestellte Bergungsarbeiten. Die Bergungsarbeiten an dem Hansa-Dampfer „Gutenfeld", der auf der Heimreise von Ostindien in der Straße von Gibraltar strandete, sind Nach einer bei der Reederei eingegangenen Meldung einge stellt worven. Die Räume des Schisses füllen sich mit Wasser, so daß die weitere Bergung von Ladungsteilen unmöglich gemacht wird. O Beschlagnahmte Banksafes. In Berlin wurden in einer Depositenkasse der Kommerz- und Privatbank alle Stahlfächer und die im Tresor zur Aufbewahrung liegen den versiegelten Pakete mit Beschlag belegt. Der Deviscn- kommissar Geheimrat Fellinger erklärte, daß die Beschlag nahme ohne sein Wissen und gegen seinen Willen erfolgt sei; sie soll daher rückgängig gemacht werden, zumal die Maßnahme unter den Safeinhabern große Beunruhigung hervorgerufen hat. O Wieder ein Überfall im D-Zug. Im D-Zug Berlin- München wurde ein Reisender namens Brewitz betäubt auf gefunden. Er gab, wieder zum Bewußtsein gekommen, an, daß er bereits in Berlin beim Besteigen des Zuges mit irgendeinem Mittel betäubt worden sei. Geraubt wurden dem Reisenden ein Koffer, Wertsachen und 800 englische Pfunde. , Flamme«. Roman von Hans Schulze. Sie saßen mit Herta Löhna und Trude Warkentin im lustigen Wortgeplänkel unbekümmerter Jugend ganz am untersten Ende der Tafel und machte,: ihren reizenden Tisch- damen mit der ganzen Schneidigkeit zwanzigjähriger Leut nants auf Tod und Leben den Hof. Da klang ein leichter Schritt auf dem Kies des Park- weges. Herr von Reckenthin fuhr auf und starrte wie geblen det auf das blonde Schönheitswunder, das da plötzlich unter den breitausladenden Zweigen der Blutbuchen wie in einem wundervollen, natürlichen Rahmen vor ihm stand. Gab es denn überhaupt so viel sonnige Jugend, wie sie dies bezaubernde Geschöpf ihr eigen nannte. Dem alten Freiherrn wurde es auf einmal ganz warm ums Herz, daß er am liebsten den entzückenden Blondkopf in beide Hände genommen und einen Kuß mitten auf den süßen roten Mund gedrückt hätte. Hella hatte auf einen Wink der Baronin bei der Jugend Platz genommen und saß hier zwischen Herta Löhna und dem älteren Leutnant von Reckenthin ganz als das bescheidene, zurückhaltende Gesellschaftsfräulein, das sich seiner Stellung in dieser feudalen Umgebung durchaus bewußt blieb und nach Möglichkeit hinter den anderen jungen Mädchen zurückzutre ten suchte. Dabei lauschte sie jedoch mit großer Wachsamkeit auf jedes Wort, das von der Unterhaltung der älteren Herrschaf ten zu der „süßen Ecke" der Jugend herüberklang. Vor allem Frau Pastor Hagedorn schien ein sie ganz besonders interessierendes Thema zu behandeln, als sie sich nach einer längeren Auseinandersetzung mit Frau von Reckenthin über die Einkochzeiten von Waldbeeren im Weck apparat jetzt wieder Herrn von Alsleben zuwandte und ihn laut als kühnen Kulturpionier pries, der deutsche Art und Sitte in die Wildnis der Pampas getragen habe. Alsleben, dem diese öffentliche Behandlung seiner Per- sönlichkeit sehr wenig sympathisch war, suchte dem Redestrom der begeisterten Dame längere Zeit vergebens eine andere Richtung zu geben, bis ihm endlich in Herrn von Reckenthin, der sich inzwischen erfolglos bemüht hatte, Hellas Aufmerk samkeit zu erregen, ein Helfer erstand. Dollar: 20.Sep.: 181 545000—182455000M. Dollar:21.Sep.: 109725000-110275000 „ T) Schiffszusammenstoß. Nach einer Mitteilung des Marinedepartements der Vereinigten Staaten sind aus der Höhe von Newport das Schlachtschiff „Arkansas" und ein Zerstörer zusammengestoßen. Letzterer wurde schwer beschädigt und befindet sich unter Eskorte auf dem Wege nach Boston. O Das tägliche Erdbeben. Nach Berichten aus Mesched in Persien hat sich in Budjurd (Chorasan) am Morgen des 17. Septembers ein schweres Erdbeben ereignet. Ein zelheiten fehlen. In Mesched wurde ein leichter Erdstoß verspürt, der aber keinen Schaden anrichtete. O Russische Hilfe für Japan. Die russische Hilfskom mission für die Werktätigen Japans organisiert, wie aus Moskau gemeldet wird, zurzeit eine für längere Dauer be rechnete Hilfsaktion. Es wird nach einem Übereinkommen mit der japanischen Negierung geplant, die Arbeiten am Ort der Katastrophe aufzunehmen. Die russische Reaierung hat der Kommission einen Vorschuß von 200 000 Goldrudelu ausgezahlt. O Flugzeugunglück. In der Nähe von London stürzte ein Flugzeug des Luftpoftdicnstes Manchester-London ab, wobei fünf Personen, darunter der Führer und sein Gehilfe, den Tod fanden. D Tokio von Epidemien heimgcsucht. Depeschen auS Japan zufolge greift in Tokio eine Ruhr- und Scharlach epidemie um sich. Es werden auch Fälle von Typhus fieber verzeichnet. Der städtische Gesundheitsdienst der japanischen Hauptstadt teilt mit, daß sich in der vorigen Woche 130 Fälle an Nuhr^ 43 Typhussieberfälle, sowie zwei Erkrankungen an Scharlach ereigneten. Seitdem wird eine tägliche Zunahme von je 30 Fällen Ruhr und Schar lach und 10 Fällen von Typhussiebsr verzeichnet. Q Ein neues Erdbeben. Nach einer Meldung aus Pe king wird aus Taotingfu (Tschili) von einem Erdstoß in An-Hasin-Hsien, östlich von Taotingfu, berichtet. Ein zelheiten fehlen noch, doch glaubt man, daß die Schäden nicht bedeutend sind. Bunte Tages-Chronik. Berlin. Die Kriminalpolizei verhaftete den Händler Erich Weiß, der vor einigen Tagen in Berlin-Reinickendorf die Pflegerin Hedwig Plettig ermordet hat. Berlin. In einem hiesigen Pensionat wurden einem Russen Wertsachen und Bargeld (Dollar) im Gesamtwerte von minde stens 250 Milliarden Marl gestohlen. Welt und Wissen. n. Singen ist gesund. Der englische Kunsthistoriker Ruskin sagt an irgend einer Stelle, wo er über den Gesang und die Kunst des Singens spricht: „Man müßt« sich geradezu schämen, nicht singen zu können, wie man sich schämt, des Lesens und Schreibens nicht kundig zu sein." Diese Meinung vertraten auch die Pädagogen und Physiologen, die sich kürzlich in Paris zu einem Kongreß zur Förderung der Kunst in der Schul« ver sammelt hatten. Allgemein wurde die tiefe Unkenntnis, die die Schüler in Sachen des Gesanges an den Tag legen, sestgestellt und beklagt. Es handelt sich hierbei nicht nur um den morali schen und geistigen Anteil, der der Musik an der Entwicklung des Kindes zusteht, sondern vor allem auch um seinen physio logischen NuMert. Gefangsübungen haben, wie Professor Frossard aus-ührtc, einen geradezu unersetzbaren hygienischen Wert. Der moderne Mensch leidet im allgemeinen an der Un zulänglichkeit der Lüngen-Ventilation, und keine wie immer ge artete Körperkultur vermag diese Bentilationstätigleit in so .vollkommenem Grad zu sichern wie der Gesang, der letzten Endes die Wirkung einer wohltätigen Massage auf alle Jnnen- organe ausübt und eine ergiebige Durchblutung der Einge weide bewirkt, kurz, die Funktionstätigkeit aller Organe in hohem Grade steigert. Nach Frossard hat der systematisch be triebene Gesang geradezu wunderbare Ergebnisse bei Störun gen der Aimungsorgane, des Blutkreislaufs, der Verdauung und der Nerven berbeigesührt. Man nehme zwecks Prüfung der Schüler ein« Uhr, erklärte Professor Frossard, und lasse den Prüfling auf einer mittleren Note den Vokal „o" singen. Wenn es ihm dabei nicht gelingt, den Ton 15 Sekunden lang auszu- spinnen, so leidet er an Unoulänglichkeit der Atemführung, sieht sich allen möglichen Zusimen ausgesetzt und tut gut, sich vor allen Sportübungen zu hüten. Er mußte dem alten Freiherrn über die Bedeutung der südamer-kanischen Getreideausfuhr auf die europäische Markt lage berichten und verstand es, den trockenen Gegenstand so fesselnd -arzustellen, daß die ganze Tischgesellschaft von seiner farbenprächtigen Schilderung einer amerikanischen Weizen ernte gefangen genommen wurde. „Das sind natürlich ganz andere und viel gewaltigere Verhältnisse als bei uns", schloß er seinen lebensvollen Vor trag. „Und doch hat es mich schließlich wieder nach Europa zurückgetrieben. Das Heimweh sitzt uns Deutschen halt zu tief im Blute." „Sind Sie geborener Märker?" fragte Herr von Recken- Hin, eine Zigarre entzündend. „Ich entsinne mich, mit einem Herrn Ihres Namens in einem Regiment gestanden zu haben." Alsleben nickte. „Mein Geschlecht war früher in der Uckermark sehr aus gebreitet. Ich selbst besaß dort bis zu meinem amerikanischen Ausflug das große Fifchereigut Templin. Ich wollte mich in jener Gegend wieder ankaufen, zog es dann aber vor, vor läufig hier nach Pahlowitz zu kommen. Ich stehe ganz allein und bin sozusagen der Letzte meines Stammes." „Und Sie find nicht verheiratet?" warf Frau Pastor Hagedorn in diesem Moment mit vorwurfsvollem Augen aufschlag ein. Ein Schatten huschte über Alslebens Gesicht, sein Bron- zeteint schien sich noch um einen Ton dunkler zu färben. „Ich bin Witwer, gnädige Frau!" sagte er dann mit unvermittelter Schärfe, „und habe auch, wenn es Sie interes sieren sollte, die Absicht, es zu bleiben." Ein peinliches Schweigen entstand, jedermann fühlte daß die Pfarrergattin hier an einer geheimen Herzwunde ge rührt haben mußte. Nur Fräuein Hansen sah mit einem ganz leisen, höh nischen Lächeln vor sich auf den Kuchentr'ler und beobachtete anscheinend mit großem Interesse einen niedlichen Johannis käfer, der sich vergebens bemühte, die Rundung eines Sträu- ßelkrümels zu erklimmen. So empfand man es allseits als eine gewisse Erlösung, als die Baronin jetzt eine kleine Promenade durch den Park vorschlug. Die Leutnants klappten, Urlaub nehmend, die Hacken zusammen und gingen mit Herta Löhna und Trube Warken- Dermischies. - Der Totengräber als Leichenräuber. Der Toten? gröber des Stadtsriedhofes in Popersch bei Marburg (Steiermark) stand schon seit einiger Zeit im Verdacht. Leichen ihrer Kleider und sonstigen Esfekien berarwt zu haben. Eine Frau sah einmal die Puppe ihres -verstor benen Töchterchens, die sie dem Kinde in den Sarg gelegt hatte, in den Händen der Kinder des Totengräbers. Sie unterließ es aber, diese Entdeckung der Gendarmerie be- lanntzugeben und machte nur einigen Bekannten davon Mitteilung. Nun entdeckte eine zweite Frau zufällig, daß der Totengräber einen Rock ihres Mannes, den sie diesem ins Grab mitgegeben hatte, trug, und machte die Anzeige. Bei einer Hausdurchsuchung fand man Kleidungsstücke, Wäsche und Schmuckgegenstände, die von Verstorbenen her- rübrten. Erleichtert wurde die Haussuchung der Gendar merie durch die belastenden Aussagen der Schwiegermutter des Totengräbers, die angab, daß dieser die während Ler Begräbnisse leicht mit Erde bedeckten Särge in der Nacht geöffnet und dann die Toten ihrer Kleider beraubt habe. Der Totengräber und seine Frau wurden verhaftet und dem Kreisgericht in Marburg eingeliefert. In die Ange legenheit ist noch ein Schneider verwickelt, der die ihm vom Totengräber gelieferten Kleider umgearbeitet und Haupt- sächlich an die bäuerliche Bevölkerung verkauft hat. — Boxkampf mit Geister». Ein Londoner Blatt er zählt allen Ernstes folgende gruselige Geschichte: Der englische Preisboxer Thomas Newbury hat vor kurzem einen Kampf gegen Geister führen müssen, und es scheint, daß er nach einem kleinen Anfangserfolg bei dem un gleichen Kampf schließlich den kürzeren gezogen hat. Er hatte mit seiner jungen Frau und seinem Kind eins neue Wohnung bezogen, sah sich aber sofort nach seinem Ein zug den Angriffen spukhafter Wesen ausgesetzt. Um Mitternacht ließen sich im Hause seltsame Geräusche hören. Fenster und Türen flogen auf und zu, man klopfte an dir Mauern, Bilder fielen von den Wänden, man hörte Wei nen und Seufzer, kurz, es vollzog sich all der Spektakel, der bei solä;en Spukgeschichten die unvermeidliche Be gleiterscheinung bildet. In einer Nacht flog das Haustor auf, und auf dem Flur prasselte ein Eisenregen nieder. Der Boxer und seine Frau stürzten, von Schrecken ge packt, die Treppe hinunter und sahen mit Schaudern, wir ein schwerer Koffer ohne jedes Zutun helfender Hände die Treppe hinaufsprang, ein Anblick, bei dem Frau New bury in Ohnmacht fiel. Ein andermal stieg durch daS geöffnete Fenster ein grausiger, schwarzer Schemen seuf zend und wimmernd ins Zimmer. Newbury setzte sich sofort in Positur und griff die Erscheinung nach allen Regeln der Boxkunst an. Aber seine Fäuste schlugen ins Leere, und der einzige Erfolg des Angriffs war die Zer trümmerung des Fensterrahmens, während der unfaßbare Schemen seufzend im Dunkel verschwand. Französische Phantasien. Die Hochspannung tn den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich äußert sich, wie üblich, auch in phantastischen Märchen, die von der französischen Presse verbreitet werden. Die neueste „Tatarennachricht" dieser Art ist die Behauptung, daß fran zösische Flugzeuge, die über deutsches Gebiet fliegen, durch den Einfluß geheimer neuer Strahlen, die bei uns entdeckt sein sollen, zu Zwangslandungen gezwungen werden. Der französische Geheimdienst will von wunderbaren Erfindun gen wissen, die auf der Großfunkstation von Nauen mit drahtlosen Wellen gemacht worden seien. Auch englische Gelehrte äußern sich eingehend zu diesen rätselhaften Ent deckungen, über die sie natürlich nichts wissen. Zwei Theorien treten dabei zutage: die eine ist die, daß die Flugzeuge durch eine Konzentratton von drahtlosen Wellen beeinflußt werden; die andere nimmt an, daß man eine neue Art Strahlen erfunden hat, die imstande sind, gewisse Metalle zu schmelzen. Mit dieser neuen deutschen Ersin- dung erklärt man die zahlreichen Zwangslandunaen fran zösischer Flieger, die auf dem Flug von Straßburg nach Prag in der Nähe des Flugplatzes von Fürth niedergehen mußten. Der englische Physiker Sir Oliver Lodge be hauptet, daß derartige Vorgänge durchaus im Bereich der Möglichkeit lägen, und daß man in Zukunft mit ihnen zu rechnen haben werde. Was an der Geschichte wahr ist, weiß natürlich keiner; sicher ist nur das eine, daß den Deutschen alles zuzutrauen ist. tin zur Veranda hinauf, um Bälle und Tennisschläger z» holen. Frau von Reckenthin, die über ihre neuen Abdampfap- parate einige Aufklärung wünschte, hatte Frau Hagedorn an ihre Seite beordert und stampfte mit ihr in ihren absatzlosen Feugschuhen schwerfällig um das Springbrunnenrondell, während ihr Gatte, der unterdessen endlich an Hella An- fchluß gefunden hatte, mit fast jugendlicher Elastizität an der Seite des schönen Mädchens einherstolzierte und sich krampfhaft bemühte, sic aus der Sehweite seiner strengen Gebieterin in einen schützenden Laubengang zu erführen. Der Pfarrer'hatte sich mit Dr. Reinwaldt zur Schlichtung einer theologischen Streitfrage in die Echloßbibliothek zurück gezogen, so kam es, daß Alsleben und die Baronin, die der Mamsell noch einige Anweisungen für das Abendbrot geben wollte, sich auf einmal ganz allein unter den Blutbuchen be fanden. „Alles rennet, rettet, flüchtet", meinte er. auf den ver waisten Kaffeetisch weisend. „Da dürfte es wohl auch lür mich an der Zeit sein, mich zu empfehlen. Ich muß noch ein- mal nach den Ställen hinüber, eine Kuh soll gegen Mittag erkrankt sein." Die Daronin erhob bittend die Hand. „Läßt sich das nicht noch eine halbe Stunde hinausschie ben? Ich würde Ihnen gern noch das Kavalierhaus zeigen, das ich Ihnen als Wohnsitz zugedacht habe. Es hat mir sehr leid getan, daß Frau Hagedorn ihrer Neugier vorhin in so unzarter Weise die Zügel schießen ließ", nahm sie dann wie der das Wort, als sie mit Alsleben vom Kaffeeplatz in eine große Buchenallee einbog. „Sie ist ein wenig das enfant terrible unseres kleinen Kreises, aber sonst ein herzensguter Mensch." Alsleben lächelte. „Ich bin nicht nachtragend und bedaure es selbst, in mei ner Antwort wohl ein wenig scharf geworden zu sein. Die Frage der Frau Pastor war ja sicherlich ganz harmlos ge meint, nur traf sie mich einigermaßen unerwartet und ver setzte mich in eine gewisse Peinlichkeit. Denn der Tod meiner Frau mit seinen traurigen Begleitumständen war für mich einst der Anlaß, nach Amerika zu gehen. Ich bin auch heute noch nicht vollständig darüber hinweMkommen und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn das ganze Thema für d'e nächste Zeit vorläufig unerörtert bliebe." (Forts, folgt.)
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