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NUN trat der Landtag in seine Verhandlungen ein. Zum ersten Vorsitzenden wurde Oberbürgermeister Dr. Jarres- Duisburg gewählt, der in einer längeren An sprache als Beispiel fürdiebrutaleUnterdrückung der besetzten Gebiete, die in der Weltgeschichte ihresgleichen nicht habe, folgende Zahlen angab: 700 Jahre Gefängnis wurden verhängt. In der Westmark, im Rheinland und in Westfalen sind über 1,5 Billionen Mark Geldstrafe ausgesprochen worden gegen Deutsche, die nichts getan haben als ihre Pflicht. Zwei Todesurteile wurden gefällt, mehrere Verurteilungen zu lebenslänglicher bzw. langjähriger Zwangsarbeit. Die Zahl der Ausgewiesenen mit ihren Familienmitgliedern beläuft sich aus 160 MV. (Hört, hört!) Diese Schreckenszahlen müssen, so sagte der Ober bürgermeister, immer wieder und wieder in die Welt hin ausgerufen werden, damit man sieht, wie wir hier in Rheinland und Westfalen leiden, wir, die wir trotzdem ungebeugten Nackens find. Französische Annexionsplane. Der Kölner Berichterstatter des „Daily Chronicle" sagt, daß die Franzosen, die aus die Schaffung einer Rhei nischen Republik gerichtete Politik fallen gelassen Hütten und das? ihre Politik stärker zu einer Annexionspoli tik geworden sei. Jedermann im Rheinland sei sicher, das? ein äußerst starker Druck nötig sein würde, um die Franzosen wieder aus dem Rheinland zu ver treiben. Der letzte Plan der Frandsen sei der, das Rheinland einschließlich des Essener Bezirks zu behalten. Chronik der Gewalttaten. — In Düsseldorf ist in der gleichen Nacht, in der durch einen französischen Wachtposten ein Hauptmann des Infan terie-Regiments getötet wurde, auch ein Soldat des 40. In fanterie-Regiments als Wachtposten bei Calkum nördlich von Düsseldorf von einen, Soldaten des gleichen Regiments getötet worden. — In Gladbeck wurde ein Schuhmacher aus Horst, ein Invalide, der im Krankenhaus in Horst-Emscher als Pfleg ling untergebracht ist, von einem belgischen Posten erschossen. Ferner wurde in der Nacht ein Mann von 49 Jahren, dessen Personalien bis jetzt noch nicht ermittelt sind, an der Zechen bahn in der Nähe der Berliner Straße ebenfalls von einem belgischen Poften erschossen. — In Wiesbaden explodierte im Schalterraum des Hauptbahnhofes eine Bombe, durch die fast sämtliche Schei ben und ein großer Teil der Einrichtung zerstört wurden. Verwundet wurden dabei zwei Deutsche, ein Mann und eine Frau. — Nach Mitteilung der Eisenbahndirektion soll eine neue große Ausweisung in Duisburg stattfinden. Es handelt sich um 200 Eisenbahnerfamilien. Der genaue Zeitpunkt des Abtransportes von Duisburg steht noch nicht fest. — Soweit bis jetzt festgestellt werden konnte, sind seit Be ginn des Ruhreinfalls folgende Zwangsmaßnahmen gegen Eisenbahnbcdicnstcte zu verzeichnen: Aus ihren Wohnungen vertrieben wurden 4708 Bedienstete mit ungefähr 5000 An gehörigen. Ans dem besetzten Gebiet ausgewiesen wurden 1156 Bedienstete mit ungefähr 3000 Angehörigen. Verhaftet wurden 264 Bedienstete, von Kriegsgerichten verurteilt 63 Bedienstete zu insgesamt 14 Jahren 3 Monaten 25 Tagen Gefängnis sowie 9 350 000 Mark Geldstrafe. Zwei Be dienstete wurden getötet. — Mehrere Belgier lieferten in das Gefängnis in Sterkraoe den furchtbar mißhandelten und gefesselten Kapi tän zur See Hans Rose aus Essen mit schweren Kopfwunden ein. An dem Auskommen des Kapitäns wird gezweifelt. Das deutsche Rote Kreuz erhebt schärfsten Protest gegen diese unmenschlichen Brutalitäten und erbittet sofortiges Ein greifen. — In Buer wurden von den belgischen Soldaten er schossen: Der 19jährige Elektromonteur Wehmeier und der L.MHnae Bernhard Tombrinck, beide auf der städtischen Dollar: 26. Juni 125685,00-126315MM. „ 27. Juni 152677,00 , M. Gasanstalt beschäftigt. Ein anderer junger Mann wuroe durch einen Schuß in den Oberschenkel schwer verletzt. Schwere Verletzungen erlitt noch ein Bergmann, dem eine belgische Kugel durch beide Beine drang. Verbrechen politischer Fanatiker. Entdeckung einer Mordtat in Mecklenburg. Nach einer Mitteilung des Berliner Polizeipräsidiums ist bei Parchim in Mecklenburg die Leiche eines gewissen Walter Cavow ausgesunden worden, der aus poli tischen Gründen von mehreren Leuten wegen angeblicher Spitzeltätigkcit ermordet sein soll. Die Entdeckung geschah nach den polizeilichen Erklärungen auf folgende Weise: Zwei junge Männer erschienen in der Redaktion des sozialdemokratischen Zentralorgans, des Vor wärts, in Berlin und berichteten über einten Mord, der von sog. Roßbachleuten in der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni d. I. in der Nähe von Parchim begangen worden sei. Die Redaktion gab der Polizeibehörde Kenntnis von den Berichten und diese entsandte Beamte nach Mecklenburg zur Nachforschung. Die Ermittlungen bestätigten die Angaben der beiden Gewährs männer. Man fand an der angegebenen Stelle die in einer Waldschonung in der Nähe von Parchim vergrabene Leiche des Cadaw und nahm vier am Mord Beteiligte fest. Gegen drei weitere, bisher noch nicht ergriffene Personen ist Haftbefehl erlassen. Bei allen sieben strafrechtlich Verfolgten handelt es sich um Mitglieder der in Mecklenburg noch nicht aufgelösten „Deutschvölkifchen Freiheitspattei" sowie um Angehörige der Roßbach-Organisation „Verein für landwirtschaftliche Berufs ausbildung". Wie der polizeiliche Bericht mitteilt, handelt es sich um einen aus politischen Gründen begangenen Mord. Man beseitigte Cadow, weil man ihn des Doppelspiels mit der kommunistischen Partei für verdächtig hielt. „Roll kommandos" verschiedener mecklenburgischer Roßbachtrupps, die in einer Gastwirtschaft zu Parchim zusammenberufen waren, machten Cadow zunächst betrunken. Nach Schluß der Polizei stunde fuhren sie ihn in einem Wagen aus Parchim hinaus, zerrten ihn im Wald vom Wagen herunter, schlngen auf Cadow ein, bis er bewußtlos war. Der besinungslose und stark blutende Cadow wurde wieder auf den Wagen geladen und in einvr Waldschonung schnitt ihm einer der Täter die Kehle durch, zwei andere jagten ihm drei Kugeln in den Kopf. Man ließ die Leiche an der Mord stelle: bis zum nächsten Morgen liegen und scharrte sie dann ein. Die andauernde Untersuchung muß das Nähere zu diesen von der Polizei gemachten An gaben bringen. In Berlin wurden ebenfalls zwei Personen verhaftet, die der Beteiligung an der Tat vredächtig find. Kernbriefpott» 4000 Mark. Ab 1. August. Die für den 1. Juli beschlossene Portoerhöhung ist noch nicht in Kraft getreten. Aber schon überrascht die Reichspost verwaltung die Bevölkerung mit der Ankündigung einer neuen gewaltigen Steigerung der Gebührensätze, die für den 1. August geplant ist. Es sind vorgesehen: Briefe im Fernverkehr 1000 Mark. Postkarten im Fernverkehr 400 Mark. Briefe im Ortsverkehr 400 Mark. Postkarten im Ortsverkehr 200 Mark. Die Telegrammge bühr soll vervierfacht werden. Die Erhöhung der Fern sprechgebühren soll das Dreieinhalbsache betragen. Post anweisungen sollen kosten bis 10 000 Mark 800 Mark, von 10 000 bis 50 000 Mark 1000 Mark, von 5V 000 bis 100 000 Mark 1200 Mark, und für je weitere 100 000 Mark bis zum höchstzulässigen Betrage von 500 000 Mark je 600 Mark mehr. Die nepe Regelung wird von der Reichspostverwaliung mit der gegenwärtigen Steigerung der ungedeckten Aus gaben begründet. Der Fehlbetrag für 1923 wird gegen wärtig auf 8 Billionen Mark veranschlagt. Der Tarifaus schuß des Reichspostministeriums, dem die Vorschläge zur Begutachtung vorzulegen sind, ist für den 3. Juli einberusen. Vie Politik der praktischen Erwägung Eine Kanzlerrede in Königsberg i. Pr. Reichskanzler Dr. Cuno nahm mit Staatssekretär Hamm und Reichsernährungsminister Dr. Luther an ?er Eröffnung der landwirtschaftlichen. Ausstellung der Deutschen Ostmesse teil und hielt dabei eine wichtige politische Rede, in der er u. a. sagte: über den passiven Widerstand im Ruhrgebiet kann ich aus eigener Überzeugung und Erfahrung sagen, daß der Geist der Abwehr und der Wille zum Widerstand noch ebenso entschlossen und fest ist wie damals, als die fremden Truppen ihren Einzug hielten. Daher muß unsere Politik eine aufrichtige und gerade, aber auch eine Politik sein, die daraus bedacht ist, die Leide u dieser echten deutschen Menschen nicht über Gebühr zu verlängern. Die Reichsregierung bat dem Übermut der Feinde und der Willkür Poincarss und seiner Anhänger angesichts dieser rechtlosen Besetzung Deutsch land ein „Nein" entgegengevufen. Doch nur so lange soll dieses „Nein" gelten, als es im Interesse freier Wirtschaftsentwicke lung und im Interesse der Unabhängigkeit und Souveränität Deutschlands unerläßlich ist. Wir brauchen eine Politik der praktischen Erwägung und Zweckmäßigkeit, eine Politik, die auf dem Boden der Tatsachen und des praktisch Erreichbaren steht. Wäre es nicht schlimm, wenn die moralische Kraft derer, sie im unbesetzten Gebiet sitzen, nicht dazu ausreichte, die Frage nach dem eigenen Ich und dem eigenen Wohlergehen in den Hintergrund zu rücken? Die 'Reichsregierung und ich sind willens, mit Rücksichtslosigkeit gegen die Kreise vorzugehen, Vie sich dieser Pflicht entziehen. Leben wir denn in einer nor malen Wirtschaft, oder ist es nicht so, daß wir unter dem außen politischen Druck, der auf uns lastet, gezwungen sind, schließlich auch Maßnahmen zu treffen, die ein gesundes wirtschaftliches Hir.n in normalen Zeiten nicht erdenken würde? Bei der Eröffnung der Landwirtschaftsaus stellung hielt auch der Reichsernährungsminister Dr. Luther eine Rede, in der er sagte: Für unser innerpolitt- sches Leben gibt es nichts Wichtigeres als die Arbeits gemeinschaft von Stadt und Land. Wir müssen auf der einen Seite alles tun, um die landwirtschaftliche Produk tton zu steigern, und dazu müssen wir iu der Brot- gelreidewirtschaft die freie Wirtschaft haben; wir müssen auf der anderen Sette dafür sorgen, daß den Be dürftigsten unseres Volkes der Brotankauf auch künftig mög lich ist, und das muß geschaffen werden aus Mitteln der Be sitzenden. Beide Probleme sind jetzt miteinander verbunden uno gemeinschaftlich gekokt Neueste Meldungen. Amerikaner untersuchen die Ernährungslage. Münster, 26. Juni. Zwei Amerikaner, Professor Lincoln Hutchinson und Dr. Frank Holder sprachen beim hiesigen Oberpräsidenten vor. Sie bereisen zurzeit im Auftrage Hoovers Deutschland, um Erkundigungen über seine Ernährungslage einzuziehen. Gelegentlich eines Gespräches mit dem Oberpräsidenten Granowski ließen sie sich eingehend über die augenblickliche Ernährungslage im Einbruchsgebiet unterrichten Daraus setzten sie ihrs Reise ins Einbruchsgebiet fort. Die Besetzung des Phönixwerkes. Essen, 26. Juni, über die Besetzung des Phönixwerkes in Hörde wird noch gemeldet, daß die Franzosen die Maß nahme möglichst überraschend auszuführen suchten. Nach dem die Arbeiter zum Verlassen des Werkes gezwungen waren, nahm, der größte Teil der Truppen in der Stadt Quartier. Am Sonntag besichtigte eine Jngenieurkom- mission unter scharfer militärischer Bedeckung die Werks anlagen und nahm die Lagerbestände auf. Zurzeit sind aus dem Phönixwer! etwa 200 Mann Besatzung, während die übrigen Truppen zurückaezoaen wurden. Die Kriegsschuldlüge. München, 26. Juni. In Regensburg hat sich unter Führung des Fürsten von Thurn und Taxis, -es Re gierungspräsidenten von Winterstein, des Bischofs von Henle und des Bürgermeisters Dr. Hipp ein Ausschuß gebildet, der durch Sammlung von Unterschriften von -Kaus zu Haus einen Volksentscheid herbeiführen und die Das HsikaisZahr. Ein.LustspiehÄomcm tn- zwölf Kapiteln. r. v. Z o bekkitz. lSS. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) „Ich würde doch einmal den Max zum Gemahl wählen! Ich weiß es, das hofftet ihr alle in Hoheu-Kraatz. Und fehen Sie» beste Exzellenz, vielleicht wäre ich euern allgemeinen Werbungen auch wirklich entgegengekommen, hätte Seesen nicht in seinen letzten Lebenstagen ähnliche Wünsche geäußert. Kein Ahnen seines Geistes sollte aber durch mein künftiges Leben wehen; Sie wissen, wie ich neben ihm gelebt habe, wie ich seine Vasallin war — Sie müssen das auch verstehen, Graf Teupen! So war ich denn felig, die Liebe jener beiden begünstigen zu können. — Laßt sie doch glücklich werden! Der Tropfen bürgerlich Blut ist kein schlechter Zusatz — und der unselige Majoratsparagraph wird sich schon umgehen lassen!" „Und wenn nun nicht?" antwortete Teupen, noch immer ziemlich tonlos. „Dann kann sich Max später einmal auf Drake sestsetzen —" „Mein Gott, märe das denn so entsetzlich? Millionen haben cs minder gut. Nehmen Sie heute dem kleinen Brada seine bunte Attila, so kann er morgen Reitlehrer werden oder Steine klopfen! Und ohne zu mucksen würde er es tun, um sich ehrlich durchs Leben zu schlagen — und es würde ihni noch nicht einmal eine Perle aus der Wappenkrone fallen. Gerade der Stolz auf unsere alten Namen sollte uns gegen Vorurteile wappnen. Sonst find wir nicht mehr stolz, sondern anmaßend und hochmütig. Aber was predige ich Ihnen das alles, Graf! Ich kann be greifen, daß Sie ungern einem Lieblingsgedanken entsagen, doch nicht, daß Sie ungerecht sind. Im übrigen: ich wiederhole, die Tatsachen sind nicht aus der Welt zu schaffen. Wollen Sie, daß Baron Tübingen Sohn, Schwiegertochter und Enkel vor die Türe setzt, daß ein ungeheurer Skandal entsteht?" Teupen erhob abwehrend die Hände. „Um Gottes willen — da müssen wir diplomatisch vorgehen!" „Diplomatisch!" Frau Marinka jubelte das Wort sörmlich vervor; jetzt wußte sie, daß sie gewonnenes Spiel hatte. „Natür- ckh, bester Graf — immer diplomatisch! Das sagte ick auck zu Max; sobald wir den Großpapa auf unsrer Seite haben, sind wir geborgen." Die beiden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, der in Schlangenwindungen nach dem Herrenhause zurückführte, traten nunmehr auf eine kleine, halbrunde Lichtung mit einer Rosen bank und sahen hier etwas, das ihren Fuß hemmte und einen Laut der Ueberraschung auf ihre Lippen drängte. Nach dem Souper waren auch Gartenzimmer und Veranda erleuchtet worden. Graf Brada hatte Benedikts rasch auf die Seite gezogen und ihr zugeslüstert: „In den Park, Dikte! Auf fünf Minuten! Wenn die Lampions in den Kastanien ange steckt werden, sind wir wieder zurück! Das merkt keine Seele!" Und sie huschten hinaus in den sommerlich träumenden Gar- ien, wo hinter Buschwerk und Rosen wieder die Amoretten kicherten. Unweit der Rasenbank unter den drei Lebensbäumen blieben sie hochaufatmend stehen, die fieberheißen Hände inein ander verschlungen, unsähig zu sprechen. Sie starrten sich mit großen sehnsüchtigen Augen an, und laut, laut schlugen ihre jungen verliebten Herzen. Brada rang nach Worten: „Liebe Dikte," begann er stockend, „ich danke dir — ich danke dir tausendmal für deine Antwort von vorhin — und daß du mich sogleich verstandest. Ich habe dich so schrecklich lieb — ich kann mich im Augenblick nicht anders ausdrücken — ober das sagt ja auch genug — und nun sage auch du eS mir." Er preßte ihre Hände. Aber sie fühlte das gar nicht, oder der physische Schmerz ging unter in dem Jubel ihrer Seele, durch die dennoch zugleich ein leises, banges Aengsten zog. „Ich liebe dich auch, Semper?' erwiderte sie. „Ich glaube, ich habe dich schon sehr lange geliebt. Ich wußte es nur nicht. So ganz klar bin ich mir erst heute darüber geworden — und des halb lief ich davon —" Nun riß er sie rasch an seine Brust und wollte sie küssen. Aber plötzlich wehrte sie ihm. Sie bog den Kopf zurück und stemmte sich mit beiden Händen gegen ihn. „Nicht küssen!" rief sie. „Semper — ich muß dir etwas sagen! Du — du — bist nickst der Erste, der mich küßt!" Er ließ die Arnie sinken. Sie schien ihm blaß geworden zu sein, schlug auch die Augen nieder, und ihre obere Zahnreihe grub sich in die Unterlippe ein. „Was heißt das, Dikte?" Er wollte auffahren, aber sie hielt ihm die Hände fest. Und nun schärfte sie ihm auch voll in die Augen. Sie mar jetzt völlig Weib geworden — io reis war der Ausdruck ihres Blickes. „Erst laß mich sprechen," sagte sie. „Der Doktor Plis an jenem Abend zu — schnell getrunken. Ich stand auf dein Mo nument auf der Insel, und er hob mich hinab — und dc.bei ge schah es. Er bat am nächsten Tage um Verzeihung, und ich habe ihm derb heimgeleuchtet — mein Wort daraus. Es war nichts Böses — aber sagen wallte ich es dir doch. Es hätte mir ewig auf dem Herzen gelegen. Den Mund habe ich mir seitdem wohl hundertmal gewaschen. Küß du mich, Semper, dann wird er ganz rein werden . . ." Poetisch war Benedikts nicht veranlagt; aber es lag doch etwa» unbewußt Poetisches in diesen Warten. Und Semper fühlte das, breitete weit seine Arme aus und zog die liebe Kleine an sich- - Dieser Augenblick war es, da Teupen und Frau von Seesen den Platz vor der Rasenbank betraten. Die Verliebten sahen sie im Rausche ihres Glückempfindeus gar nicht; Teupen war starr, und Marinka hächelte. „Ist denn das möglich?" sagte Teupen endlich halblaut. „Dikte — Semper?" Ein leichter Ausschrei — und just iu diesem Moment begann hinten im Flieder eine Nachtigall zz, schlagen. Brada hatte Benedikt« cm der Hand gesaßt. „Herr Graf, Bergebung. Wir lieben uns beide und wollen nachher mit Herrn und Frau von Tübingen sprechen - - " Aber der alte Herr war außer sich. Donnerwetter, wo bliebe denn da die Etikette! „Gut, gut," sagte er; „das wird sich schon finden — man schnäbelt sich nicht in unsern Kreisen ohne Einwilligung der Eltern. Graf Brada, ich bitte zur Seite zu treten. Allons, Be- nedikte; du kennst deine Mama. Stubenarrest und Fliedertee, i Und dann wird sich ja wohl für dich eine Pension oder für den ! Grafen eine geeignete Versetzung finden. In einem Jahre wol len wir uns wieder sprechen. Hat sich denn die ganze junge . Welt in unserm Hause auf den Kopf gestellt?" Er atmete hörbar und tupfte sich mit seinem seidenen Ta schentuch die Lippen. Brada schaute mit finsterem Gesicht stumm vor sich hin; auch Frau von Seesen wagte sich nicht in diese neue Familienangelegenheit zu mischen. ! Plötzlich warf sich Benedikts laut weinend an die Brust des ! alten Herrn. i „Großpapa," schluchzte sie, „ich bin doch kein Kind mehr. Ich ! stürze mich in den Graben, wenn du so hart zu mir bist — oder , ich vergifte mich." (Fortsetzung folgt.)