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Wilsdruffer Tageblatt : 10.03.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192303104
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19230310
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19230310
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-03
- Tag 1923-03-10
-
Monat
1923-03
-
Jahr
1923
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 10.03.1923
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geworvenen Wünschen Schwevin »der Norwegerin sein und , bleiben können, wenn sie einen Dänen oder Belgier hei ratet. Ob die Frauen sich davon viel Vorteile versprechen können, wird fraglich sein. Wenn einmal, was doch w«yl nach unseren Erfahrungen nicht ausgeschlossen ist, ein Krieg ausbricht, so kann es zu ernsten und drolligen Konflikten führen. Mann und Frau führen dann vielleicht l offiziell Krieg gegeneinander. Die Frau kann inter- l niert werden, während der Mann als Verteidiger des - Vaterlandes im Felde steht, und übel daran sind die Kin- > der. Fällt der Mann, so hat die Frau als hinterlassene ; Witwe Anspruch auf eine Pension, den sie als Angehörige f des feindlichen Volkes wieder verliert. Übrigens gab es und gibt es auch jetzt Ausnahmen, s wenigstens insofern, als die Möglichkeit vorliegi, daß eine - verheiratete Frau neben der Nationalität ihres Gatten s auch noch ihre eigene beibehalt. Solche Frauen haben ( dann zwei Nationalitäten, was übrigens auch bei Man- : nern unter Umständen der Fall sein kann, und was etwa s bei Erbschaften, bei Grundstückserwerbungen u. dgl. in Betracht kommt. Amerikanerinnen, die nach s Europa heiraten, bleiben Angehörige der Union, wenn sie : auch daneben noch Engländerinnen ustv. werden. Auch die i Engländerinnen blieben bis 1870 ihrem Vaterlande erhalten, wenn sie außer Landes heirateten; seitdem aber ! verlieren sie in diesem Falle ihre Heimat. Im Jahr^1919 l wurde für Kanada der Versuch gemacht, das wieder zu ? ändern. Das neue Gesetz, das den Wünschen der Frauen- - rechtlerinnen entsprach, wurde sogar angenommen und war : ein paar Monate in Kraft; aber da stellte sich heraus, daß es den für das ganze britische Imperium maßgebenden Ge setzen widersprach, und das neue Gesetz wurde wieder ge strichen. Auch in Deutschland und in Frankreich, von : England gar nicht zu sprechen, sind die Bestrebungen im Gange, Lie auf dieser Bahn laufen. Allzu groß ist ja wohl die Zahl derer nicht, die in solche Konflikte kommen, ob wohl es den einzelnen hart treffen kann. Das hat man im großen Kriege an manchem Beispiel erlebt Q Vermischt. L Die Berlinerinnen werden ägyptisch. Dutanchamon, der große Pharao, den die Engländer jüngst mitten ins zwanzigste Jahrhundert hinein verpflanzt haben, scheint für die Störung seiner vieltausendjährigen Ruhe fürchter liche Rache nehmen zu wollen. Daß er sie aber ausgerech net an uns Deutschen, die wir ihm Loch wirklich nichts ge tan haben, nehmen will, ist schwer zu verstehen, und man kann da nur vermuten, daß er sich als Muß-Engländer der Entente angeschlossen hat und uns nun gleichfalls durch Reparationen und Sanktionen schikanieren will. Die Sache ist nämlich die, daß ein Berliner Konfektionär — Gott strafe ihn! — die Tutanchamonmode erfunden hat. Farben und Muster der kommenden Mode werden altägyptischen Stil haben, und die Kleider werden lang und schlank sein, wie die Gewänder der Tänzerinnen in „Aida". Lang und schlank — auch für die kurzen und dicken Frauen! Das wird genau so köstlich sein, wie es Anno Dazumal die kur zen Röckchen am Leibe von Riesendamen mit Elefanten beinen waren. Wenn er uns weiter nichts zu bringen hatte, kann er sich wieder begraben lassen, der ausge grabene Pharao! Wie man vas Geld mit Füßen tritt. Um seinen frisch besohlten Stiefeln eine längere Haltbarkeit zu verleihen, hatte ein Einwohner in Harburg die Sohlen anstatt mit Nägeln mit einer Anzahl eiserner Zehnpfennigstücke be nagelt. Rechnet man etwa 80 Nägel für die Stliefel, so würde das bei den derzeitigen Nägelpreiseu ungefähr 75 Mark ausmachen, während die Geldstücke nur einen Wert von 5 Mark hatten. Angeblich soll es sich auf den Geldstücken auch besser gehen als auf Nägeln. Salomonisches Urteil. Daß auch in unserer trüben Zeit Ler Humor nicht ausgestorben ist, und daß es auch bei uns Behörden gibt, die nicht am Buchstaben kleben, reiat ein Norrommms der letzten Lage. In Braunschweig hatte sich ein Friseur gegen eine polizeiliche Vorschrift über Ladenschluß und Fenstervorhänge vergangen. Der Sün der wurde vorgeladen, und die Polizei stellte ihm eine er hebliche Geldstrafe in Aussicht. Er gestand reumütig seine Übertretung ein, wandte aber ein, daß sein Verdienst schlecht sei, und daß er eine so große Summe schwerlich würde zahlen können. Da setzte sich eine hohe Behörde kurz entschlossen über den grünen Tisch hinweg und er laubte ihm, die Geldstrafe abzuarbeiten: er sollte sich ver pflichten, hundert Kleinrentnern umsonst die Haare zu schneiden. Der Mann erklärte sich sofort zur Annahme dieser Strafe bereit, und der Gerechtigkeit war Genüge ge schehen. Gabriele Pascha. Seitdem ihm Mussolini die Rosinen aus dem Napfkuchen gepolkt und sich zum ersten Mann in Rom aufgeworfen hat, hat sich Gabriele der Allergrößte, der Staatsmann, Dichter und Feldherr d'Annunzio, grol lend in den Schmollwinkel zurückgezogen und der Politik die kalte Schulter gezeigt. Italien wurde ihm zu klein, er mußte, wie einst Alexander der Große, einen größeren Wirkungskreis haben, und so hat er, wie aus seinem, Hauptquartier gemeldet wird, vor einigen Tagen das Ehrenkommando über die gesamte osmanische Armee und die ihm von Angora verliehene Würde eines Paschas an genommen. Auch einen türkischen Namen haben sie ihm gegeben, und der neue Pascha beschäftigt sich zurzeit eifrig mit türkischen Schreibübungen, um den verschnörkelten Namen auch richtig hinmalen zu können. Als äußeres Zeichen seiner Würde wird der ins Orientalische über tragene Götterliebling eine nagelneue Uniform, wahrschein lich aus Angorakatzenfellen nebst einem reich mit Gold be stickten Fes tragen. Er wird sehr schön aussehen, und er wird dann, wie versichert wird, sofort Lie orientalische Frage, die er jetzt schon mit großer Aufmerksamkeit ver folgt, einer glücklichen Lösung entgegenführen. Salem igleikum, Gabriele! L Berliner Mormonen. Das gibt es! Nur muß man sich darunter nicht Männer, die mehrere Weiber auf dem Halse haben — auch das gibt es ja — vorstellen, sondern waschechte Mormonen neuamerikanischer Prägung, Leute, die sich selbst „Heilige der letzten Tage" nennen und feier lich versichern, daß sie die Vielweiberei, um derentwillen sie einst so bekannt und — pikant waren, längst abgeschafft haben und ausschließlich an Ler Erneuerung des biblischen Christentums arbeiteten. Sie können es, wie sie behaup ten, an Redlichkeit, Treue, Wohltätigkeit, Keuschheit und Pietät mit jeder andern religiösen Gemeinschaft auf nehmen, und das soll ihnen ohne weiteres geglaubt wer den. Einer der zwölf Apostel des Mormonentums, der „Präsident der Europäischen Mission", hat dieser Tage Berlin besucht, und die Berliner Mormonen, denen sich Vertreter der Mormonengemeinden von Frankfurt a. M., Hamburg, Chemnitz usw. beigesellt hatten, veranstalteten ihm zu Ehren eine Reihe von Konferenzen, Versammlun gen, Andachten und Konzerten. Es ging dabei im großen und ganzen zu wie bei den Heilsarmeeversammlungen, und es wurde unter Chorgesang und Tubatönen die bal dige Wiederkunft Christi prophezeit. Die Mehrzahl der Gläubigen bestand aus Frauen und recht jungen Männern; wenn man genau Hinhötte konnte man viel englisch sprechen hören, woraus man schließen darf, daß einen großen Teil der Gemeinde Amerikaner bildeten. L wie erste Ehe ver Frau von Kttyunanu. Vor dem Londoner Scheidungsgericht wird gegenwärtig ein in mehr als einer Hinsicht bemerkenswerter Ehescheidungsprozeß verhandelt. Die Parteien sind der frühere deutsche Außen minister von Kühlmann, seine Frau, die Tochter Les ver storbenen deutschen Kohlenmagnaten von Friedländer- Fuld, und der erste Gatte der Frau, Sir John Bertram Ogilvy Freeman-Mitford. Sir Freeman-Mitford hatte das Fräulein von Friedländer-Fuld im Januar 1914 in Berlin geheiratet. Schon zehn Wochen später leitete die junge -Frau aus Gründen, die eine öffentliche Erörterung nicht vertraaen. die Söberdunasklaas ein Di- wurde denn auch im Oktober 1914 geschieden. Im Jahre IM vermählte sich dann die Lady Mitford mit dem Freiherrn von Kühlmann. Es soll nun entschieden werden, ob die in Berlin ausgesprochene Scheidung auch in England rechts gültig ist; schon die Erbschaftsfrage läßt eine Klärung der Sache wünschenswert erscheinen. In England gilt bis zm Erledigung des Prozesses die Baronin Kühlmann noch al> Lady Mitford, und ihr zweiter Gatte spielt formell bst Nolle eines Störers der Ehe seiner Frau mit dem engli schen Aristokraten. Das Ehepaar Kühlmann hat übriger- dieser Tage die Geburt eines Kindes an gezeigt. Russische Dorftheater. Die Moskauer „Prawda" be richtet, daß sich unter der russischen Landbevölkerung ein reges Interesse für Las Theater zeige. Es gebe zum Bei spiel allein im Gouvernement Saratow zurzeit 200 Dorst theater. Die zur Aufführung gelangenden Stücke seien häufig Erzeugnisse örtlicher Dichter und erfreuten sich zuin Teil eines solchen Erfolges, daß sie sich auch die Theater in den Nachbarkreisen erobern. Das Moskauer Blatt meint, diese Bauerntheater seien ein mächtiger Faktor Ler kommunistischen Propaganda; die Jugend, die sich an Len Aufführungen beteilige, werde auf diesem Wege den Komitees der kommunistischen Partei zugeführt. Das Staatliche Kindertheater in Moskau plant für den Sommer dieses Jahres eine Gastspielreise nach Berlin, Paris und London. I ^er Fähnrich heiratet den „Hauptmann". General Bramwell Booth von der Heilsarmee ist nach einer drei monatigen Rundreise durch Britisch-Jndien in Paris ein getroffen, um der Hochzeit seines Sohnes, der bei der Heilsarmee als Fähnrich dient, mit Fräulein Reuse! Peyron, Kapitän derselben Armee, beizuwohnen. Das Fräulein Hauptmann ist die Tochter eines Stabsoffiziers der Heilsarmeeorganisation in Frankreich. Leider wird nicht mitgeteilt, wie es in der Ehe mit der Rangordnung bestellt sein wird, aber man weiß ja aus Erfahrung, dcü in mehr als einer Ehe die Frau der Hauptmann ist, ohne daß sie sich erst durch ein besonderes Rangabzeichen aus- zuweiken braucht. Dresdner SchlachtviehMarkt am 8. März Auftrieb: I. Rinder: a) 1 Ochse, b) 4 Bullen, c) 10 Kalbec und Kühe, 2. 235 Kälber, 3. 49 Schafe, 55 Schweine. Preist in Mark für Lebend- und Schlachtgewicht: s) Ochsen l. vollfleischige, ausgemästete, höchsten Schlachtwertes bis z" s Jahren 200000—210 000 (372 700), 2. junge, fleischige, nich! ausgemästete, ältere ausgemästete 150000 b. 170000 (307 700) 3. mäßig genährte junge, gut genährte ältere l lOOOO bis 13000" (255300), 4 gering genährte jeden Alters 800o0 b. I000OO (225000) b) Bullen. 1. oöllfleischige, ausgewachsene höchsten Schlach" wertes 190000 bis 200000 (336200), 2. vollfleischige jüngere 15000t bis 170000, (290900), 3. mäßig genährte jüngere und gut genähric ältere 110000 b. 130000 (230700), 4, gering genährte 80000 b. 1000« (200000), e) Kalben und Kühe: 1. vollflcischige, aus gemäst. Kalben höchsten Schlachtwertes 200000—210000 (372700> 2. vollfleischige, ausgemästete Kühe höchsten Schlachtwcrtet bis zu 7 Jahren 160000 bis 180000 (326900), 3. ältere aus- gcmostcte Kühe u. gut entwickelte jüngere Kühe u. Kalben 13000k bis 150000 (311 100), 4. gut genährte Kühe und mäßst genährte Kalben 190000 bis 120000 (275000,, 5. mäßig u. gerink genährte Kühe und Kalben 70000 bis 80000 (2206- 0), Kälbe^ t. Doppellender —, 2. beste Mast- und gute Saugkälber 2400« bis 2500(0 (395200), 3. mittlere Mast- u. gute Saugkälber 210000b.220000(358300),geringeKälber 190000 b. 200000(354500) Schafe: 1. Mastlämmer und jüngere Masthamme! 200000 bis 220000 (446800), 2. ältere Masthammel 160000 b. 19000» (388900), 3. mäßig genährte Hammel u. Schafe (Merzschafc) 80000 bis 140000 (323500). Schweine: 1. vollflcischige do feineren Rassen und deren Kreuzungen im Alter bis Jatt 260000-280000 (346300), 2. Fetlschwcinc 290000 bis 3000« (368800), 3. fleischige 230000-250000 (320000), 4. gerin.1 entwickelte 190000—210000 (285 700), 5. Sauen u. Eber 16000k bis 260000 (280000). Ausnahmepreise über Notiz. Die Preist sind Marktpreise für nüchternes Gewicht der Tiere und schließe" sämtliche Spesen des Handels ab Stall, Frachten, Markt- und Verkaufskosten, Umsatzsteuer, sowie den natürlichen Gewichtsverlust ein, erheben sich also wesentlich über die Srallpreise- Ueber- stand: — Rinder, — Kälber, — Schweine. Tendenz des Marktes: Kälber gut, Schweine langsam. Das Heiraisjahr. Ml LustspÄ-Roman in zwölf Kapiteln«. Von Fedor o. Zabeltitz. (S. Fortsetzung) (Nachdruck verboten.'» Sie wies nach der Traillage, auf der sich ein wunderschöner Pfau niedergelassen hatte, dessen riesiger Schweif mit seinen fünf zig farbigen Augen in der Sonne glitzerte, und der lebhaft beobachtend den Kopf hin tmd her warf. „Was macht denn die Pfauhenne?" fragte Benedikte, durch den Anblick des stolzen Tieres auf andere Gedanken gebracht, und wieder begann die Alte zu jammern. „Gott, die arme Pfenne, gnädiges Fräulein — nee, so 'ne arme Pfenne! Sie frißt nischt mehr, reen gar nischt — sie grämt sich zu Tode; sie überlebt ihre Schande nicht mehr!" „Wir wollen 'mal zu ihr gehen," riet Trudchcn. „Ja," stimmte Miß Nelly zu, „maken wir sie einen Kranken besuch!" Benedikte nickte und flog davon, wieder im Laufschritt. Die leidende „Pfenne" hatte sich im Heu einer Scheune ein Nest gemacht. Da saß sie, eingepreßt zwischen den duftenden, trockenen Gräsern und trauerte tief. Sie hatte auch Grund zu ihrer Melancholie. Lange, lange Tage hatte sie über einem Ei gebrütet, aufopferungsvoll, sich nicht rückend und regend, mit weit gebreiteten Flügeln und cmfgeplusterten Federn- Aber das Junge wollte nicht ausschlüpfen und es war doch die höchste Zeit. Da nahm die Görbitschen ihr das Ei fort Md legte es einer brütenden Henne unter, und siehe da, nach Mei Tagen schälte sich ein junger Pfau aus dem Ei, ein häßliches Ding zwar, mit unförmlichen Füßen und einer Vuckelung auf dem Kopf, aber immerhin ein Pfau, der ebenso schön zu werden versprach, wie die sonstigen seinesgleichen. Und mm begann eine herzbrechende Tragödie mit der Pfaumuttcr. Sie sah ihr Kind und wollte es doch nicht anerkennen und wurde darob immer trauriger, ver grub sich im Heu, verachtete dis Wett und wollte sterben. Sie fühlte zweifellos die Schande ihres verfehlten Daseins. Auch um das junge Pfauchen stand es anfänglich recht schlimm. Es wollte nach Gewohnheit der Baumvögel aus dem Schnabel seiner Adoptivmutter gefüttert sein, doch ach, die alte Henne ver stand sich nicht darauf, sondern blieb bei ihrer erlernten Manier, bis sie einsah, daß es auf diese Weise nicht weitergmg. Und nun war es possiettich und rührend zugleich anzusehen, wie Mul- ter Henne sich Mühe gab, sich auf ihre alten Tage noch mit der Schnabelfütterung vertraut zu machen, wie sie die Körnchen ausscharrte und auspickte und ihrem Psaulücken darbot. Un angenehm war ihr diese Methode sichtlich, denn sie schauerte immer leicht zusammen, wenn das Psauchen zu ihrem Schnabel mühüpfte; doch sie bezwang sich und hielt tapfer aus. Die drei Mädchen bemitleideten die kranke Pfauhenne und gaben ihr allerhand süße Schmeichelnamen, streichelten sie auch und redeten ihr gut zu. Aber es nützte alles nichts. Die Schmach hatte sie gebrochen, und plötzlich ging ein letztes Zucken über ihrs grauen Federn und dann war sie tot. Trudchen und Miß Nelly wollten es noch gar nicht glauben, doch Benedikte konnte ihr gefiedertes Viehzeug und wußte, daß nichts mehr zu retten war. Die Tränen standen ihr in den Augen. „Sie ist freiwillig verhungert," sagte sie; „sie hat sich selbst den Tod gegeben. Die Pelikane machen es ebenso, wenn sie Kummer haben, und im alten Griechenland taten es auch die Menschen. Damals spielte der Schierlingsbecher eine große Rolle. Es ist ganz schrecklich." „O, arme Tier, arme Tier," klagte auch Miß Nelly und ihre rechte Hand glitt liebkosend über den traurig gesenkten Kopf der Henne. „So jung noch und mußte schon sterbsen. Wir wollen ihn zu begraben gehn." „Ja," erwiderte Benedikte, „begraben wir sie in der Stille. Unter dem großen Birnbaum hinten im Park, wo auch schon Mamas Kanarienvogel ruht und der selige Moppel Großpapas. Trude, faß an!" Aber Trude graulte sich; dafür half Miß Nelly und so zog man denn über den Hof. Die Görbitschen begann zu heulen, als sie den Trauerzug sah, und die beiden Jungen stürmten her bei und wollten sich beteiligen. Aber ihre laute Fröhlichkeit miß fiel Benedikte. „Wenn ihr so schreit, werdet ihr nicht mitgenommen, merkt euch das," meinte sie ernst. „Auch ein Vogel ist eine Kreatur Gottes und da gibt es nichts zu lachen und zu albern. Bernd, laß den Schnabel los oder du kriegst eme Tachtel! Das arme Vieh hatte mehr Ehrgesühl als ihr. Holt eure Spaten und dann könnt ihr Lie Totengräber sein. Aber Witze werden nicht ge macht!" Der Kondukt setzte sich wieder in Bewegung. Die Mama kam hinzu und auch ihr tat die Sache leid. Sie war damit einver standen, daß man die Tote den Hunden.entzog und La beisetzte, wo schon , dis übrigen tierischen Freunde des Hauses begraben worden waren: unter dem großen Birnbaum. Bernd und Dieter hatten ihre Spaten geholt und schaufelten eine kleine Grube; in sie wurde dis Pfauhenne gelegt und mit Erde bedeckt. Zuvor aber hatte Miß Nelly noch eine Handvoll Blumen ge pflückt, die sie in das Grab streute. Das war sehr poetisch. Als alles vorüber war, stürmte die Görbitschen heran, mit zwei Federn, die sie dem Pfau ausgerissen hatte, und auf ihre instän digen Bitten mußte das Grab nochmals geöffnet werden, damit sie diese beiden Federn hineinlegen könne, denn es war ein Aber glaube dicket. Sie murmelte auch etwas Uno: stündliches bei der Zeremonie und gab sich dann zufrieden. Trude lachte dar über, aber Benedikts nahm d-s Feierlichkeit ernst. Die Mädchen fühlten das Bedürfnis, nach diesem Begängnis mit sich allein zu sein. Die Jungen wurden daher fortgeschickt. Es war sowieso Zeit, daß sie sich fettig machten, um Bruder Max empfangen zu helfen. „Gehn wir ein bißchen auf dis Insel," schlug Benedikte vor; „da wachsen so schöne Wiesenblumen, und ich möchte Maxen einen Strauß auf das Zimmer stellen." Der kleine Fluß, er hieß die Wilde, machte aber seinem Namen wenig Ehre, bildete im Hinteren Park eine Schleife. Es war eigentlich nur ein Halbbogen, aber man hatte künstlich nachge- hokfsn, und so war eins regelrechte Insel entstanden, die durch drei Brücken mit dem Festlande verbunden war. Dis Brücken bestanden aus eichenen Bohlen und hatten kein Geländer, statt dessen aber ein luftiges Drahtgehänge, um das sich in dichten Massen wilder Wein schlang und rankte, grüne, lebendige Wände bildend, die sich an den Bachufern fortsetzten, wo zwi schen hochaufgeschossenen Erlen dichtes Buschwerk wucherte. Da das Flüßchen nur schmal war, so berührten sich die Erlenkronen und auch die höher geschossenen Spireen über dem Wasserspiegel, an dessen Böschungen Schilf, Riedgras und Farn wuchsen und dazwischen auch Vergißmeinnicht in zahlloser Menge. Es war wunderschön auf diesem FleckäM Erde. Das Gras war dick mit Moos durchsilzt, und überall schossen wilde Blumen auf, in hundertfältiger Farbenmischung den grünen Untergrund in einen festlichen Teppich wandelnd. Die Sonne braute goldleuch tend über dem Wasser, und Mückenschwärme spielten in der Luft. Die drei Mädchen machten sich mit Eifer an die Arbeit, Blu- ! men und Wiesengrün zu pflücken, und setzten sich dann unter eins riesenhafte Traueresche, deren hängende Äeste weithin den Boden schleiften, um den Strauß zu ordnen. Trudchen hatte sich aus Sorge, ihr Kleid zu beschmutzen, auf der verwitterten Steinbank niedergelassen, und Dikts und Nelly kauerten vor ihr im Grün und wühlten mit den Händen in dem Blumenflor. „Freust du dich auf deinen Bruder Max?" fragte Trude, sich gestrickte Halbhandschuhe anziehend, um ihre gepflegten Händ chen nicht an den Halmen zu zerstechen. „Aber wie!" entgegnete Benedikte. „Komische Frage — was. s Nelly? Ach, Nelly — du kennst Maxen ja noch gar nicht! Als er abreiste, war noch Fräulein Warnow . ." Sie stockte plötzlich und wurde etwas röter, aber Trudchen nahm eilig und neugierig den abgebrochenen Satz auf und sage: .Erzähle doch 'mal, Dickerchen — wie war das mit Fräulein Warnow und deinem Bruder Max? Ueberall hört man davon tuscheln, aber ""was Genaues l;at mir niemand sagen wollen- Sie hatten - Ä-rrhältnis miteinander, nicht wahr?" (Fortsetzung
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