Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 01.03.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192303012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19230301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19230301
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-03
- Tag 1923-03-01
-
Monat
1923-03
-
Jahr
1923
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 01.03.1923
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
charakterisiert in besonders schlagender Weise die jetzige französische Gewaltpolitik und ihre heuchlerische Begrün duna durch Herm Poincarö. Chronik der Gewalttaten. — In den Straßen von Oberstein kam eS zu schweren Ausschreitungen der BesatzunMruppen. Die SoldateR gingen mit aufgepflanztem Bajonett gegen die wehrlose Menge vor und schlugen blindlings auf die Menschen ein. Eine Zivilperson wurde durch Bajonettstiche erheblich ver letzt, andere Personen wurden mit Gewehrkolben nieder geschlagen. Die Erregung der Bevölkerung ist ungeheuer. — Die Interalliierte Rheinlandkommission hat be schlossen, daß jeder bisher und künftig ausgewiesene deutsche Beamte mit seiner Ausweisung auch gleichzeitig „rechtskräftig entlassen" (I) sein soll. — Selbstverständlich ist das ungültig. — In Essen wurde der Bote des Scheckamtes, der in einem Geldsack 400 000 Mark mitführte, die für Kriegs invaliden und Kriegshinterbliebene bestimmt waren, fest genommen und aus die Wache geführt. Der Geldbetrag wurde weggenommen. — Die Wohnung deS Oberbürgermeisters Dr. Luther in Essen wurde von zwei französischen Zivilpersonen gründlich durchsucht. Sogar der Ziegenstall mußte sich eine Kontrolle gefallen lassen. Aus dem Schreibtisch der Fran Oberbürgermeister Dr. Luther wurde eine Anzahl Schriftstücke genommen. — Der Präsident der Reichsarbeitsverwaltung, Dr. Syrup, ist auf der Rückreise von Köln, wo er Schlichtungs verhandlungen geleitet hatte, in Vohwinkel von den Fran zosen festgenommen worden. — In Trier wurde der Postsekretär Schwach, der ruhig seines Weges kam, plötzlich von einem betrunkenen Marokkaner durch Messerstiche in den Unterleib schwer verletzt. Eine große englische Spende. Für die Arbeiter im Ruhrgebiet. Der Allgemeine Ttat des Gewerkschaftskongresses in London hat beschlossen, der deutschen Gewerkschaftsbewe- gung die Summe von 500 Pfund (über 50 Mil lionen Mark) zu überweisen für ihren Kampf gegendi« Versklavung der Arbeiter im Ruhrgebiet. Der Rat beschloß ferner, einen Aufruf an di« ihm angeschlossenen Organisationen zu richten, wegen finanzieller Unterstützung der Ruhrarbeiter. Im Unterhause haben Macdonald, Henderson und Clynes namens der Arbeiterpartei eine Resolution eingebracht, in der die französische und die belgische Kammer aufgefordert werden, Kommissionen aus allen Parteien zu ernennen zur Prüfung des Repa rationsproblems. Besorgnisse im Unterhause. Im englischen Unterhause fragte der Abgeordnete Benn:.Haben wir irgendwelche Garantien, daß die Be setzung unsere Reparationsansprüche nicht vermindern wird? Bonar Law erwiderte: Nein, keinerlei. — Wie der „Newyork Herald" aus London er fährt, ist die letzte Forderung Poincarös, wo- nach ein neuer Gebietsteil der englischen Zone an Frank reich abgetreten und Frankreich neue Verkchrserleichte- rungen eingeräumt werden sollten, von Bonar Law höf lich, aber bestimmt abgewiesen worden. Deutscher Reichstag. (307. Sitzung.) 68. Berlin. 27. Februar. Zuerst wurden kleinere Vorlagen erledigt. Ein Ge setzentwurf, der die einstweilige Außerkraftsetzung des 8 47 des B. G B. (Schuldkündigung bei einem Zinssätze von mehr als 6 verfügt, wurde in allen orei Lesungen ange- nommen. Hieraus kam man zu dem Einspruch des Re chs- rates gegen die im P r e s s e n o 1 ge se tz vom Reichstage be- schlofleue Erhöhung derHolzabgabe von 1 aus 2 A. Nach kurzer Debatte beschloß mau die Überweisung der Vorlage zur nochmaligen Beratung an den volkswirtschaftlichen Aus schuß. Ferner wurde die Novelle zum Gesetz über Not standsmaßnahmen- zur Unterstützuna von Renten^ empsangern der Invaliden« und Angestelltenversicherung verbandelt. Der Neichsrat verlangte, daß das Reich den Ge meinden 90 der verauslagten Untnstützungsbettäge ersetzen solle. Die Reichsregieruna will dagegen au den ursprünglichen 80 festhalten, und der Reickstagsausschuß vertritt denselben Standpunkt. Ein kommunistischer Antrag, wegen der unge wöhnlichen Notlage vieler Gemeinden 100 A vom Reich zu ge währen, wurde abgelehnt, und di« Vorlage des Reichsratcs wurde dem Ausschußantrage gemäß ebensalls abgelehnt. Da nach bleibt es bei 80 A. Nunmehr kam man zur Weiter- beratung des Haushalts des Reichswehrministeriums. Abg. Ledebour (U.<Soz.) erklärte, daß die Reichswehr tat sächlich V erbindung mit den Orgesch-Verbänden und anderen ungesetzlichen Organisationen unterhalte, und daß das Offtzierkorps der Reichswehr monarchistisch sei. Daraus griff er den Reichskanzler und Parteien der Rechten des Hau ses sehr schars an. U. a. betonte er, der Reichskanzler hab« den blödsinnigen Ausspruch getan, daß während der Dauer der Ruhrbesetzung nicht verhandelt werden könnte. Wegen dieses Ausdruckes erteilte der Präsident dem Redner einen Ordnungsruf. Mbg. Künstler (Soz.) verlangte vom Reichswehrminister eine klare Antwort auf die Ausführungen des Abg. Schöpflin über die Beziehungen der Reichswehr zu den Selbstschutz organisationen. Der Redner beurteilte dann abfällig die in der Reichswehr verbreiteten Soldatenzeitungen, deren Inhalt antirepublikanisch und monarchistisch sei. Rcichswehrminister Dr. Geßler ging auf die Ausführungen der beiden Vorredner des näheren ein. Es ist richtig, bemerkte er, daß alle möglichen krtegspläne jetzt von Unverantwortlichen ausgeheckt wer den. Die Verlesung dieses Unsinns würde sehr zur Erheite rung beitragen. Bedenklicher ist es aber, wenn verantwortliche kommunistische Arbeiterführer in Bctriebsräwversammlungen den Arbeitern Vorreden, die russische RoteArmee werde den deutschen Arbeitern zu Hilfe kommen gegen Frankreich und die deutschen Kapitalisten. Ich halte es für ganz ausge schlossen, daß Sowietrußland dem deutschen Proletariat zu Hilfe kommt. Ich halte diese Agitation für ebenso bedenklich wie jede andere Agitation, die an mili tärische Aktionen appelliert. Der Minister behandelte dann ver schiedene von den Vorrednern hervorgehobene Einzelheiten, wobei er betonte: Ich halte es für unmöglich, geistigen Be wegungen allein mit dem Polizeistock beizukommen. Machen Sie — zu den Sozialdemokraten gewandt — doch nicht den- selben Fehler, den früher die Reaktion machte, die in jedem Sozialdemokraten einen Verbrecher sah. Mir geht es wie dem Manne einer untreuen Frau. Die ganze Stadt spricht davon, nur er weiß nichts davon. Ich kann mit allem Nachdruck fest- stcllen, der Schutz der Grenzen kann von der Reichswehr nur mit den dazu verfassungsmäßig berufenen Behörden durch geführt werden. Danach ist ein Zusammenwirken mit ungesetzlichen Organisationen ausgeschlossen. Der Minister wies ferner aus die Gefährlichkeit der ständigen Drohungen von links mit einer neuen Revolution hin. Zu der Linken gewandt, erklärte er, Sie dürfen doch nicht erwarten, daß das Bürgertum sich widerstandslös abschlachten läßt. Mit den Worten: »Ich will dafür sorgen, daß in meiner Verwaltung nichts gegen die Verfassung und gegen die Grund- lagen der deutschen Republik geschieht. Die Gesundung kann uns aber nicht der Poltzeiknüppel bringen, sondern nur die Entwicklungen republikanischer Tugenden/ schloß der Minister unter dem Beifall der bürgerlichen Parteien. Der Abg. v Gallwitz (Deutschnat.) vrteidigte kurz die nativ- nalen Verbände gegen die Angriffe von links, wobei er be tonte, das Tun und Treiben dieser Verbände sei von Vater- ländischem Geiste erfüllt und diene nur dem Schutze von Recht und Ordmmg Abg. Frölich (Komm.) wiederholte die Behauptung, daß die Leitung der Reichswehr mit den ungesetzlichen Organisationen in Verbindung stehe Abg. Ledebour M.-Soz.) bewegte sich in ähnlichen Aus führungen Damit schloß die Aussprache, und es wurde in die Einzelberatun aen ei »getreten. politische Runvschau. Deutsches Reich. Die Zeichnung der Goldanleihe. Die Goldanleihe, mit deren Genehmigung im Reichs« iag gerechnet wird, soll die Form von Schatzscheinen er halten, die vom 15. April 1923 bis zum 15. April 1926, also drei Jahre Laufzeit haben. Nachdem 56 der Anleihe summe von 50 Millionen Dollar bei den Mitgliedern der Berliner Devisenvereinigung und Berliner Privätbankiers gezeichnet sind, wird die Aufforderung zur Zeichnung des Nestes unmittelbar nach der Annabme erfolaen Merkwürdiges aus der Saarkommission. In einem BeleldiMngsprozeß des deutschen Mit gliedes Dr. Hectorder Saarregierungskommission gegen den Redakteur der Saarbrücker Zeitung stellten sich eigew tümliche Dinge heraus. Der Vorsitzende des Gerichtshofes teilte mit, daß die Durchsuchung der Archive der Stadt Saarlouis einen von Dr. Hector abgeleugneten Brief an Clemenceau zutag« gefördert habe. Die Verteidigung beantragte darauf, die sofortige Verhaftung des Ministers wegen Meineids und Fluchtverdachts sowie die Durck)- suchung und die Beschlagnahme seiner gesamten Privat korrespondenz. Der Antrag wurde abgelehnt, da Hector laut Friedensvertrag und nach Statut die Immunität derDiplomaten genieße. Au? den Ausgang der An gelegenheit darf man gespannt sein. Die Organisation des Volksopfers. Der Arbeitsausschuß für das Deutsche Volksopfer baut seine Tätigkeit immer weiter aps. Er hat zuletzt 500 Mil lionen Mark als vorläufige Rate für die Entsendung von Kindern aus dem Ruhrgebiet auf das Land be reitgestellt. Die Durchführung dieser Maßnahme hängt nur noch von dem Eintritt wärmerer Witterung ab. In Preu ßen, Bayern usw. haben sich L a n d e s a u s s ch ü s s e deS Deutschen Volksopfers gebildet. Soweit es sich um solche Länder handelt, die besetztes Gebiet haben, sind deren Landesausschüsse in Zukunft berechtigt, 80 -6 ihrer Ein nahmen unmittelbar zur Behebung der Notstände in ihrem Gebiet zu verwenden. Die Geldeingänge des Deut schen Volksopfers sind nach wie vor erfreulich groß. Nah und Kern. o Einstellung des Paletverkehrs nach Frankreich. Nach dem der Paketverkehr nach und über Belgien bereits vor einiger Zeit wegen der Störungen im Eisenbahnverkehr eingestellt worden ist, hat jetzt auch der Paketverkehr nach und über Frankreich aus dem gleichen Grunde bis auf weiteres eingestellt -werden müssen. O Berlins Flughafen. Die schon seit längerer Zeit be sprochenen Pläne, Berlin zum Mittelpunkt des Flugver kehrs zu machen, stehen vor dem Abschluß. Der für eine« Flughafen hervorragend geeignet« östliche Teil des Tempel hofer Feldes soll zu einem Zentralflughafen ausgestaltet und in das Eigentum der Stadt Berlin übergeführt wer den. Das Reichswehrministerium, dem das östliche Tempel hofer Feld gegenwärtig untersteht, soll für militärisch« Zwecke anderes Gelände erhalten. O Frauenmord in Berlin. In Berlin fanden am Mühlendamm Beamte des Schleusenbetriebes ein Paket, in dem sich der Rumpf einer weiblichen Leiche befand. Kopf, Arme und Beine fehlten. Es handelt sich um den Rumpf einer jüngeren Frau, der erst wenige Tage im Wasser ge legen zu haben scheint. Die Frau ist offenbar das Opfer eines Verbrechens geworden. O Die Unterschlagungen des Münchener Postinspektors Pfaffinger. Bei dem dieser Tage wegen Unterschlagung von Briefsendungen aus dem Ausland festgenommenen Oberpostinspektor Pfaffinger in München ivurden auslän dische Noten im Werte von zweihundert Millionen Mark gefunden. Pfaffinger befass Grundstücke im Werte von rund fünfzig Millionen. An Bekannte hat er Darlehen in Höhe von mehreren Millionen gegeben. Pfaffinger hattt verschiedene Untergebene als ds Diebstahls vrdächtig be zeichnet. O Ein deutscher Dampfer gesunken. Der Hamburger Dampfer »Otto Fischer" ist vor Kap Villano gesunken. Wie aus Gibraltar telegraphiert wird, hat der norwegisch« Dampfer „Older" den Ersten Offizier und dreizehn Mann des Dampfers „Otto Fischer" in Gibraltar gelandet. Die gesamte Besatzung des Dampfers „Otto Fischer" zählte 42 Mann. Wieviel Personen von dem japanischen Dampfer „Hakozaki Maru", der dem „Otto Fischer" ebenfalls zur Hilfe geeilt war, gerettet sind, ist bisher noch nicht bekannt. O Unterschlagung deutscher Liquidationsgeldcr. Der Straßburger Sequestor für die Liquidation deutschen Eigentums ist verhaftet worden, und die Untersuchung scheint zur Aufdeckung eines ungeheuren Skandals zu führen. Es hat sich bereits ergeben, daß die Gesamtsumme der Liquidationsgelder aus deutschem Eigentum auf etwa Das Hsiraisjahr. EinLustspiel-Roman tn zwölf (Kapiteln.«' Von Fedor v. ZobektitzV (2. Fortsetzung) (Nachdruck verboten.) „Was los ist?" fragte die Baronin nochmals. „Trudchen, liebes Kind, was weinen Sie denn? — Benedifie, was hat es gegeben?" Beide Angeredete senkten nur die Köpfe. Nun aber wurde Frau von Tübingen ungeduldig: sie ahnte bereits, daß Bene dikts wahrscheinlich wieder einen Unfug gemacht haben würde. „Miß Nelly!" riss sie mit erhobener Stimme, „ich will wissen, was hier für Spektakel gewesen ist! Sie müssen ihn doch auch gehört haben!" „Jawohl, Frau Baronin," antwortete Nelly aus dem Neben zimmer; „Fräulein Trude hat geglaubt, daß sie ein Käfervieh verschluckt haben solle, ccker es war kein dieses." „Es war bloß eine Erdbeere," setzte Benedikte sehr kleinlaut hinzu. „Mamachen, ich habe einen Witz gemacht, weil Trud chen immer mit offenem Munde schläft." Zum Glück erdröhnte in diesem Augenblick der donnernde Weckrus des großen Gongs unten im Hausflur und verschlang teilweise die Strafpredigt der Mama. Aber doch nur teilweise. Man hörte, wie sie über die Witze Benedikt es dachte und sie vom Standpunkte der guten Erziehung wie insbesondere von dem adligen Grundsätze aus recht herbe beurteilte. Es sei einer jungen Dame aus vornehmen: Hause nicht würdig, sagte sie, einer Schlafenden Erdbeeren in den Mund zu stopfen; denn ganz abgesehen davon, daß dadurch leicht Störungen in der Luftröhre Vorkommen könnten, bekunde ein solches Tun auch einen außerordentlichen Mangel an Delikatesse und an weib lichem Zartgefühl. Freilich — bei Benedifie appelliere man leider Gottes immer vergeblich an Jartsinn und Weiblichkeit; sie werde auch wohl niemals aus den Kinderschuhen heraus kommen, und vor allen Dingen, welch ein entsetzlich schlechtes Beispiel geb« sie fortgesetzt ihren beiden Brüdern! Die Rede währte lange und wurde in strengem Tone vorge tragen, durch den aber immer etwas wie eine leise und zärtliche sorge zitterte. Benedikte, die anfangs noch den Mund trotzig und maulend yerzogen, aufrecht im Bette sitzen geblieben war, wurde oan Satz zu Satz kleiner, sank völlig in sich zusammen und kroch schließluh unter die Decke, was die Mama für ein gutes Anzeichen beginnender Scham und Reue hielt- Denn nun hielt sie in ihrer Strafpredigt inne und wandte sich an Trudchen, an der ihr erst jetzt die Geheimnisse der Nachltoilette, der Puder, die Handschuhe und die Papilloten, auffielen, was sie innerlich von neuem entsetzte, denn sie hatte das Apothekers- iöchterchen stets für einen Ausbund von Tugend und Wohl erzogenheit gehalten. Aber sie sagte nichts, zumal es nunmehr draußen auf der Diele abermals lebendig wurde. Matt ver nahm die polternde Stimme des Barons Tübingen, der eben falls wissen wollte, was das für ein Geschrei in den Zimmern der Mädchen gewesen sei, und dazwischen das beruhigende Organ des alten Grafen Teupen sowie das Jndicmergebrüll der in ihrer Morgenruhe gestörten beiden Jungen. „Nun zieht euch an!" sagte Frau von Tübingen und trat auf die Diele zurück, wo ihr Vater und Gatte entgegen stürzten, während Bernd und Dietrich im Hemde unter ihrer Zimmer tür standen, gleichfalls neugierig darauf, zu erfahren, was es denn nun eig-ntlich gegeben habe. Die beiden zehnjährigen .Buben — es waren Zwillinge — erhoben von neuem ein fürchterliches Geschrei, als die Mutter die Geschichte von der Erdbeere erzählte, und lachten dabei aus vollem Halse; der Baron aber war sehr ärgerlich. „Es ist nicht zu glaulven!" schimpfte er. „Eine Erdbeere! Direkt in den Mund? So eine infame Range! Wenn die Trude nun erstickt wäre? Es ist schon mal ein Monn an einem Psirsichksrn erstickt. Das geht nicht so weiter mit der Dikte, Eleonore! Ich steck' sie noch jetzt in sine Pension. Sie hat immer nur Flausen im Kopf!" „Von wem hat sie sie denn, lieber Eberhards „Vielleicht von mir? Hahahaha — na ja, nun kri-eg' ich es wieder! Wenn die Kinder ungezogen gewesen sind, ist regel mäßig der Vater daran Schuld. Aber du bist die Mutter, Eleonore, und wenn —" Der alte Teupen, bessert zierliche GreiseiMstolt em aiter, sahl- gelber Schlafrock umschlotterte, erhob beschwörend die Hände. „Keinen Zank, Kinder — ich bitte euch!" „Lieber Papa, du wirst einsehsn, daß es so nicht weiter geht. Man wächst mir über den Kopf. Miß Nelly ist nicht die richtige Leiterin sür Dikte. Ich habe eine Alte und Würdige haben wollen —" „Lieber Eberhard, das kenn' «h. Die wär' nicht vier Wochen geblieben. Du respektierst das Alter ebensowenig " „Keinen Zank, Kinder — ich bitte euch!" „Lieber Papa, es handelt sich um keinen Zank, sondern um eine Auseinandersetzung. Dieter und Bernd sind nun schon wieder vier Wochen ohne Hauslehrer —" „West Str der lMe zu oiÄ alte Geschichte lehrte —" „Nein, weil er dir nicht fein genug war! Weil er immer mit dem Messer aß! Das hätte man ihm aber abgewöhnen tonnen." Graf Teupen erhob wieder die Hände. „W es denn nötig, daß das alles hier oben aus der Diele be sprochen wifi>?" klagte er, seinen Schlafrock über den Leib zu- sammenzirhend. „Erstensmal werden wir uns auf den Tod erkälten und — Gott, was schreien die Jungen!" unterbrach er sich, hielt sich die Ohren zu und eilte beflügelten Fiches davon. Tübingen stürmte in das Zimmer der Zwillinge, die sich da mit beschäftigten, während des Ankleidens Kriegstänze aufzu führen, donnerte gewaltig los, nahm die Jungen an den Ohren und kehrte dann endlich in sein eigenes Schlafgemach zurück, das neben dem der Baronin am Ende eines langen Flurgangs lag, der die Diele im oberen Stockwerk kreuzte. Nach Austobung des offiziellen Donnenvetters war Tübingen wicher ruhiger geworden. Er lachte sogar leise vor sich hin, während er an d-e mnständliche Prozedur des Waschens ging, die stets mit einer Ueberschwemmung des Schlafzimmers endete. Di« Erdbeergeschichte belustigte ihn doch; er liebte verglichen, wenn er auch darüber räsonnierte. Eleonore hatte ganz reckst: die Dikte schlug nach ihm — sie war ganz Tübingensch. Em tolles Mädel, aber Rasse in ihr. Die Jungen waren genau so unbändig — bis auf Max, den Nettesten — in dem saß noch etwas von der Teupenschen Diplomatie . . . Der Storch war dreimal bei Tübingen zu Gaste gewesen, aber immer in weiten Zwischenräumen. Mar war achtundzwanzlg Jahre atl; zehn Jahre später hatte Benedifie zum erstenmal die Sonne über Hoden-Kraatz aufgehen sehen, und wiederum acht Jahre danach waren die Zwillinge eingetroffen. Da hatte der dicke Tübingen aber einen Schreck bekommen. Auf einen so reichen Himmelssegen war er nicht vorbereitet gewesen. Drei Jungen war ein bißchen viel, zumal er sich nur auf zwei ein gerichtet hatte. Max sollte Hohen-Kraatz erhalten, das Majorat war, und der zweites falls noch ein zweiter käme, das pommer- sche Gut Drake, das durch die Teupens an die Familie gefallen war. Nun war allerdings der zweite glücklich eingetroffen, mit ihm zugleich aber auch noch ein dritter, und dies Geschehnis ver schob die ganzen väterlichen Pläne. Es war sowieso eine ziem lich verwickelte Sache mit der Feststellung des Erstgeburtsrechts bei den Zwillingen. Zwischen der Geburt der beiden lag «ine Zeitspanne von etwa zwölf Minuten, aber die Jungen hatten sich im Wiegealter so täuschend ähnlich gesehen, daß sich schon nach der ersten halben Stunde ein Zweifel darüber erhob, wer der mn zwölf Minuten ältere s«i- Vorläufig wurden die Knaben recht und schlecht im Hanse erogen, sollten dann nach Liegmtz aus die Ritterakademie und spater Offiziere werden. Wes übrige würde sich schon finden. (Fortsetzung lo.Lt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)