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Fernsprecher Wilsdruff M. 6 Wochenblass sür Wilsdruff und Umgegend Postscheckkonto Dresden 2640 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. V-rieqer u«d Drucker: Arthur Zschunke iu Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Her«auu Lässig, sür den Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide in Wilsdruff. 82 Aahr«ang. Nr. 22 Donnerstag / Freitag 22. / 23. Februar 1923 Kleine Zeitung für eilige Leser. * Die Ausschüsse des Reichstages haben sich bei der Be ratung des Notgesetzes für Zuchthausstrafe gegen Preistreiver und Wucherer ausgesprochen. * Der Oberbürgermeister von Düsseldorf ist von den Fran dsen verhaftet und ausgewiesen worden. * Die Bahnlinie Neuß—Düren ist von den Engländern den Franzosen übergeben worden, die daS deutsche Personal Ver trieben haben. * Die Erklärungen Poincarss vor dem Kammerausschutz über die Ruhrbesetzung werden in politischen Kreisen als das Eingeständnis eines großen Mißerfolges aufgefatzt. * Das englische Unterhaus hat die Erklärungen Bonar LawS gebilligt, wonach England im Ruhrkonflikt nicht intervenieren wird. * Aus Washington wird berichtet, daß Amerika nicht in di, europäische Politik einzugreifen beabsichtigt. Jener Engländer hat die Situation am drastischsten gekennzeichnet, der seufzend die Achseln zuckte: „Ja, wenn die Franzosen nicht so viele Bombengeschwader hätten und lh-Boot-Kreuzer und Ferngeschütze!- Englands! größte Dummheit war es, daran mitzuhelfen, daß 1918 Frank reich zur stärksten Militärmacht des Kontinents werden konnte, und es hat sich damit einen neuen Napoleon heran- gezüchtet, der aber größere Aussichten gegen England hat als jener Kaiser, der seine Truppen 1808 in Boulogne sam melte zur überfahrt nach Dover. Infolgedessen muß man sich im englischen Unterhaus damit begnügen, Worte zu wechseln, da Taten doch nicht sichtbar werden. Die gesamte Opposition, also die Lloyd-George-Partei, die Liberalen und die A r b e i t e r p a r t e i e n machen einen gemein samen Vorstoß, der aber nicht als parlamentarischer An griff gemeint ist. Zu einem solchen aber werden kann, wenn ihn Bonar Law als Mißtrauensvotum erklärt. Der oppositionelle Antrag will eine Kommission einsetzen, die Bericht erstatten soll über die Fähigkeit Deutsch lands, Reparationen zu zahlen, sowie über die beste Methode, solche Zahlungen auszuführen. Außerdem soll der britische Vertreter beim Völkerbund darauf drin gen, daß Amerika zur Entsendung von Sachverständigen in diese Kommission eingeladen wird. Das Ziel ist dabei, daß England in der Reparations frage wieder Aktivität beweist, nicht immer allen französi schen Forderungen nachgibt, Poincars auf dem Kontinent machen läßt, -was er will. Insofern unterscheidet sich aller dings die Politik der Opposition wesentlich von dem poli tischen Grundsatz der „tranquillity", der Uninteressiertheit »nd Ruhe um jeden Preis, an dem der Ministerpräsident Bonar Law festhält. Vielleicht im Bewußtsein macht politischer Schwäche festhalten muß, nun aber — um den Massenstimmungen Rechnung zu tragen — mit dem Vor gehen der Opposition gar nicht sehr unzufrieden ist. Gar manchesmal in der Geschichte des englischen Parlaments hielt man an den äußeren Formen der parlamentarischen Gebräuche, der Opposition fest, während tatsächlich hinter den Kulissen ein Programm der Zusammenarbeit verein bart wurde. Gar nicht unzufrieden mag Bonar Law sein, daß die beiden liberalen Redner in der jetzigen Debatte über den oppositionellen Antrag zwar die traditionelle Freundschaft mit Frankreich stark betonten, aber noch weit schärfer d i e englische Unzufriedenheit mit dem Ruhr einfall hervorhobcn. Es gibt ja in ganz England auch nur eine kleine Gruppe, die am Beutezug teilnehmen will, nur einen Teil der Industrie, der an den augenblicklichen Geschäftsprofil denkt. Lloyd George — dessen eigent liche Begabung gerade als Führer der Opposition zum Vorschein kam und kommt — will „im Interesse Frank reichs- eine englische Intervention herbeiführen. Denn die französische Politik treibe zu einer Kata strophe. Der Grund liege darin, daß die Ruhraklion gar nicht veranlaßt sei durch den Wunsch nach Wiedergut machungen. Er sagt aber nicht, wodurch sonst. Er redet Frankreich gut zu. Alle englischen Vermittlungsvorschläge habe Poincarö ab gelehnt. Wenn jetzt der Weg, den PoincarS eigenwillig eingeschlagen habe, zu einem Miß erfolg führe, so ist von einer Wiedergutmachung überhauptnichtmehrdieRede. Wir sind Lloyd George dankbar, daß er die Ziele des Ruhrkampfes nach dieser Richtung hin klar erkennt, aber nicht ebenso klar er läutert hat. Bricht aber Poincaro den deutschen Wider stand, dann sind die Kosten (besser hätte er gesagt: die Ver wüstungen) dieser Politik so groß, daß die Reparationen dann auch nicht gezahlt werden können. Auch Lloyd George stellt fest, daß der ursprüngliche französische Plan — „Pfänder"ausnutzunr mit Hilfe der Deutschen selbst — g e s ch e i t e r t ist, daß aber die Fran zosen jetzt einen neuen Plan improvisieren, der sich nämlich auf nackte, brutale Gewalt, Hunger, Ausbeutung gründet, — was Lloyd George allerdings nicht sagt. Er glaubt aber auch nicht an den Erfolg dieses neuen Planes; der Mißerf, la aber werde noch weiter« Ax-dehnuna dieser französischen Pläne erzwingen. Also immer käme Frank reich, gleichgültig ab Deutschland nachgibt oder nicht, zu einer dauernden Besetzung des Ruhrgebietes. Es ist fast amüsant, wie Lloyd Georg« sich scheut oder es vermeidet, die m a cht p o l i t i s ch e n Pläne Frank reichs beim richtigen Nam « n zu nennen. Aber das ist vielleicht gut so: denn er betont ausdrücklich, daß man Bonar Law keine Schwierigkeiten machen wolle. Man b^ handelt also beiderseits, Regierung ebenso wie Opposition, die ganze Nuhrfrage daher als wirtschaftliches Repara- tionsproblem und gewinnt damit den Standpunkt, die Art, wie die Franzosen dieses Problem behandeln, als unwirt schaftlich zu verurteilen. Es ist aber ebenso klar, daß in folgedessen mit Poincare, der die Ruhrfrag« lediglich als machtpolitisches Problem betrachtet, ein gemeinsamer Boden überhaupt nicht zu finden ist. Und daß England ebenso wie wir, verbunden durch das gemeinsame Inter- esse an der Verhinderung dieser machtpolitischen Pläne, den Kampf betrachten als das, was er wirklich ist, nämlich als ein Kampf um die Macht auf dem Kontinent und für Deutschland als ein Kampf um sein Dasein. Dieser Meinung war auch Bonar Law selbst, der zum Schluß der Sitzung unumwunden erklärte, die An sicht der Regierung gehe dahin, daß die französische Aktion an der Rlchr schlimm sei und nichts anderes als schlimmeFolgen zeitigen könne. Der deutsche Wider- stand beruhe aus der Überzeugung, daß die „Sanktionen^ um unerfüllbarerForderungen willen auf erlegt wurden. Bonar Law sagte es nicht ausdrücklich, aber zweifellos wollte er ausdrücken, daß auch er die Un erfüllbarkeit klar einsieht. Und wenn er trotzdem vorläufig gegen ein Eingreisen ist, so mag er so aus mancherlei opportunistischen Gründen handeln, auch er hat die Ge walttat Frankreichs deutlich genug verurteilt. England und Amerika bleiben neutral. Die AbsttmmUng im englischen Unterhaus ergab, dass der liberale Abknderungsantrag zur Antwort auf die Thronrede mit 305 gegen 196 Stimmen ab gelehnt wurde. Das bedeutet, dass England im Ruhrkonslikt nicht intervenieren wird. In amtlichen Kreisen in Lon don wird die Lage im Ruhrgebiet jetzt sür weniger ge spannt, wenn auch immer noch dunkel, angesehen. Es wird in London versichert, dass keinerlei Abwe, chcn von der Politik wohlwollender Neutralität, die Bonar Law befolge, eintreten werde. Ebenso ist in W a s h c n g - ton erklärt worden: In Ermangelung von endgültigen Zusicherungen, daß eine amerikanische Intervention will kommen sein würde, werden die Vereinigten Staaten kei nerlei Schritte in den europäischen Angelegenheiten unternehmen poincmes Mißerfolg. Die Blamage vor dem Ka-mmerausschuß. Poincarö hat nun dem auswärtigen Ausschuß der französischen Kammer über den „Erfolg" des Einbruches in das Ruhrgebiet Rechenschaft geben müssen und hat sich dabei offensichtlich gründlich blamiert. Der „Temps" be richtet darüber: „Der Ministerpräsident sagte, daß wir selbst die Ausnutzung ves Ruhrgebiets nicht versuchen wollen. Unsere Mission hat nur den Zweck der Überwachung. Dieser Zweck wird durch sechzig fran zösische Ingenieure erreicht, denen sich demnächst „einige Engländer" hinzugesellen werden, die sich freiwillig ge meldet haben. Vor der Nuhrbesetzung verkehrten im Ruhr gebiet täglich 585 Züge für Reisende und 628 Güterzüge, also zusammen 1285 Züge. Heute haben wir die Zahl 78 erreicht. Im Rheinland un- in: Ruhrgebiet waren zusammen 160 800 deutsche Eisenbahner beschäftigt. Wir haben 9648 Eisenbahner ins Ruhrgebiet geschickt. Französisches Material ist nicht vorhanden. Die Ge sa m t z i f f e r der von uns nach Frankreich und Belgien abgerollten Kohlen beträgt nicht mehr als 1026 Waggons." Nach diesen Zahlen, die den technischen Mißerfolg der Expedition unzweideutig erkennen lassen, gab Poincars noch kurz die Zahlen der a u s g e w i e s e n e n Beamten an: 283 obere Beamte im Ruhrgebiet und 55 im Rhein land. Sie seien durch Unterbeamte ersetzt worden. Am Schluß hat Poincaro gesagt: „Unsere Aktion geht langsam aber methodisch weiter. Wir können Vertrauen in die Zukunft haben." Trotz dieser Schlußwendung haben allem Anschein nach die meisten Teilnehmer an der Sitzung den Eindruck gewonnen, daß die Angaben des Minister präsidenten den Mißerfolg der Ruhraktion im vollen Umfange bestätigen. Poincarü wollte die von ihm mitgeteilten Zahlen streng geheim halten. Als er erfuhr, daß di« Journalisten bereits davon Kennt nis hatten, erklärte er wütend, er würde nicht wieder in der Kommission sprechen. Oberbürgermeister Köttgen verhaftei Protest st.reikderBeamt«nundAnge st «Ilten. Düsseldorf, 20. Februar. AlS ei» weiteres Opfer der Auswcisungswut der Fran- zosen wurde nun auch der Düsseldorfer Oberbürgermeister Köttgen, während er mit den Beigeordneten und mch- rrren Stadtverordneten eine Besprechung abhiclt, von cmem Gendarmcrieosfizier verhaftet und in einem Kraft- wagen fortgesührt. Der Oberbürgermeister erhob zunächst selbst Protest gegen diese Maßregel. Dann erklärte Stadtverordneter Adams namens der Führer der Stadtverordnetenfraktio- nen, der Oberbürgermeister genieße das Vertrauen der ae- siimien Bevölkerung Er müsse gegen feine Verhaftung und Forifuhrung schärfsten Einspruch erheben. Die Beamten und Angestellten der Stadt stellen zum Protest gegen die Verhaftung des Oberbürgermeisters die Arbeit auf 24 Stunden ein. Die Organisationen des Handels nnd der Gastwirte beschlossen, ihre Betriebe während des Proteststreiks ebenfalls zu schließen. Die Verhaftung und Ausweisung des Oberbürgermeisters soll erfolgt sein, weik er es abgelehnt hatte, eine Bekanntmachung der französi schen Behörden zu veröffentlichen, die gegen die deutsche Bevölkerung Strafandrohungen enthielt. * Die Bchandttmg der gefangenen Bürgermeister. Uber die Unterbringung der von den Französin gefangen- gesetzten Herren in Bredeney wird bitter geklagt Im Bredeneyer Gymnasium ist für die Gefangenen ein Raum her gerichtet worden, in dein für 20 Personen Platz ist, während tatsächlich dort zeitweise bis zu fünfzig Personen untergebracht wurden. Die Herren Oberbürgermeister Havenstein, Bürgermeister Schafer und andere befinde» sich in Einzelzellen im Rathaus« zu Bredeney. In dieser, Zellen wurden früher nur gewöhnliche Verbrecher eingespent, und zu deren Schutz bestand schon damals die Vorschrift daß eine Person höchstens 24 Stunden in einer solchen Zelle unter- gebracht werden dürfe, weil der Aufenthalt daselbst äußerst gesundheitsschädlich sei. Jetzt sitzen diese Herren schon eine Woche und länger immer in demselben Raum. Di« Gattin des Bürgermeisters Schäfer versuchte ihren Gatten in Bredeney zu besuchen. Der französische Gene- ral lehnte chre Bitte ab. Chronik der Gewalttaten. — In Bochum wurden wieder zwei Bahnhöfe von den Franzosen besetzt. Die Beamten mußten fluchtartig die Bahnhöfe verlassen. Durch die Besetzung der Bahnhöfe ge staltet sich die Vcrkchrslage von Tag zu Tag schwieriger. — Auf Befehl der Interalliierten Rheinlandkom mission ist der Verkehr mit dein Brückenkops Kehl für jedes Fuhrwerk untersagt, das als Ersatz für die Beförde rung auf dem Schienenwege dient. Demnach wird der Kraftwagendienst, der durch die badische Regierung zwischen Offenburg und Renchen eingerichtet worden ist, untersagt. — Auf dem Bahnhose Kleve verhinderten die Belgier die Abfuhr der in dem dortigen Schuppen lagernden Güter, die erbrochen und teilweise beraubt worden sind. — Die Franzosen haben im Hafen Matthias Sünnes in der Nähe von Karnap mehrere Schiffe beschlagnahmt und die Insassin mit Gewalt daraus vertrieben. Zum Teil haben sic das Eigentum der Schiffsleute in den Kanal ge worfen. Einen Dampfer haben sie in Betrieb genommen. — Eifeiibatznoberinspektor Hotze wurde von den Fran- zoseir verhaftet. Erst zwei Tage später konnte sein Aufent halt in, Keller des Postgebändes, wo er sestgehalten wurde, sistgestcllt werden. Hotze soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden. — Den Behörden in Essen sind Verordnungen des französischen Generals Degoutte zugestellt worden, in denen allen denjenigen, die Verrütcrdienste für die Franzosen tun wollen, der Schutz der französischen Truppen versprochen wird. — Amtsrichter Dr. Heuß in Offenburg wurde von den Franzosen ausgewiesen, weil er sich geweigert hatte, die gewünschten Zellen im Gefängnis abzutreten. Er wurde im Auto mit unbekanntem Ziele fortgeschafft. — In Gelsenkirchen ist das Warenhaus Alsberg wegen verweigerter Warenabgabe an die Besatzung ge schlossen worden. Die im- Hause anwesende Kundschaft wurde hmausgctriebcn. Die Franzosen erklärten, sie wür den das deutsche Warenhaus in Pferdeställe umwandeln. — Das Postamt in Mainz ist von den Franzosen be setzt worden, die sofort die ganze Post beschlagnahmten. Selbst die Postabholer mußten ihre bereits in Empfang genommene Post wieder herausgeben. Neue Mnisterreise ins Ruhrgebiet. Besuch des preußischen Handels Ministers. Der preußische Handelsminister Siering ist von einer Reis« ins Eiubrmüsaebiet rurückaekcbrt. Er bat dort