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Wilsdruffer Tageblatt : 27.01.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192301272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19230127
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19230127
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-01
- Tag 1923-01-27
-
Monat
1923-01
-
Jahr
1923
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 27.01.1923
- Autor
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sind in Marokko während des Krieges auf Grund der von rkm geführten Untersuchung wegen angeblicher Spionage eischossen worden, andere ließ er ins Zuchthaus oder in französische Straflolonien deportieren. Und auf deutscher Seite der Essener Rechtsanwalt Dr. Grimm, der fest stellt, daß nach internationalem Recht und nach der Haager Konvention ein Kriegsgericht doch nur auf feindlichem Territorium möglich ist. Wenn also die deutsche Regie rung eine Verordnung erläßt, so hat sie bindende Kraft auch im Ruhrgebiet, und die Verordnung des Generals Degoutte wegen Ablieferung der Kohlen ist rechtswidrig. Ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag ist es auch, daß vie Bestimmungen der Rheinlandkommission auf das Ruhr gebiet ausgedehnt worden sind. Die Rede des Rechtsanwalts Dr. Grimm ruft eine Erinnerung wach Er war Verteidiger von Belgiern, die sich während des Krieges weigerten, gewisse Befehle des Deutschen Generalgouvernements auszusühren. Sie be gründeten das mit der Erklärung, daß sie dadurch die In teressen ihres Vaterlandes schädigen würden. Auch sie mußten vor ein Kriegsgericht, aber — sie wurden freige sprochen von den deutschen „Barbaren". Die deutschen „Angeklagten" aber sind verurteilt worden, nicht weil sie die Kohlenlieferungen verweigert, sondern weil sie „einen Requisitionsbefehl nicht befolgt" haben. Als die fünf „Schwerverbrecher" aus dem Gerichts gebäude herauskamen, brausten ihnen die Huldigungen Deutschlands entgegen, für das sie im Kerker und auf der Anklagebank gelitten hatten. Nun haben die armen Fran zosen seit acht Tagen keine Kohlen bekommen; die Gerichts- Verhandlung hat auch nichts erbracht, wodurch die finan ziellen Nöten Frankreichs gelindert werden. Und oben drein werden sie auch noch ausgelacht. Das alles ist doch recht schmerzlich fivc die „granäs Nation". * tz Zusammenstöße mit den Franzosen. Im Anschluß au die Verdrängung der Menschenmenge vor dem Mainzer Zentralhotel durch französische Kavallerie kam es zu einzelnen Zusammenstößen zwischen dieser und Teilnehmern an der Kundgebung. Mehrere Personen sollen verhaftet worden sein. Kavalleriepatroulllen durchzogen wäh. reud der ganzen Nacht die einzelnen Stadtteile. Der Platz- kommandant der französischen Truppen in Mainz gab durch Maueranschlag bekannt, daß die Truppen Befehl erhalten hätten, eventuell von der Waffe Gebrauch zu machen. polnische Hilfe für Frankreich. Werbungen, für die RuhrbeseHunH. Trotz der amtlichen Ableugnungen der polnischen Minister scheint es mit der angeblichen Neutralität Polens gegenüber dem französischen Einfall in deutsches Gebiet nicht weit her zu fein. Aus halbamtlicher Berliner Quelle wird gemeldet: Nach einer aus Warschau stammenden Nachricht hat das polnische Kriegsministerium angeordnet, datz solche ge dienten Mannschaften des polnischen und früheren deut schen Heeres sich sofort durch ihre vorgesetzte Dienstbehörde der französischen Regierung zur Verfügung stellen sollen, die dem Post-, Eisenbahn-, Bant- sowie berg- und hütten männischen Dienst angehören. Die Mannschaften! sollen in kleineren Trupps über Sosnowicze, Warschau, Danzig verladen werden, von wo Verschiffung nach dem Ruhrgebiet erfolgt. Verlangt wird volle Kenntnis der deutschen Sprache. Äußerst hohe Ent lohnungen sind zugesichert. L)er neue Neichshaushati. Minister Dr. Hermes vor dem Reichstag. (M. Sitzung.) es. Berlin, LS. Januar. In der heutigen Sitzung verlas Präsident Löbe zunächst SvmPa thieteleg ramme des Tiroler Landtags, der Stadtverwaltung Graz und der deutschen Abgeordneten des italienischen Parlaments. Den Anlaß dazu bot das Eindrin gen der Franzosen in Las Ruhrgebiet. Hierauf wurde das deutich-amerikanische Ab kommen über die Einsetzung einer Kommission zur Prüfung der Ansprüche Amerikas an Deutschland aus dem Versailler Vertraa ohne AuseinanderieKuna tn allen drei Lelunoen an« genommen. Die Novelle, durch die die Wohnungsbau abgabe verfünfzehnfacht wird, wurde dem zuständigen Ans chuß überwiesen. Ferner wurde in dritter Beratung ein Gc- etzentwurf angenommen, der die versichevungstechnische Fest- etzung der Durchschnittslöhne der Landarbeiter der Geldentwertung anpaßt. Nun kam man zur 1. Beratung des Reichshaushalts für 1923. Sie Wurde, wie üblich, eingeleitet durch eine Rede des Neichsfinanzministers. Minister Dr. Hermes führte aus: Der Haushalt des Reiches steht unter dem Druck der Tatsache, daß die Ausgabe posten der MarkLnIwertunH viel schneller folgen als die Einnahmeposten. Weiter wird er gekennzeichnet durch die Un- sicheriheit der Zahlen. Der Haushaltsplan kann des halb nur den Wert eines Programms haben. Der außerordentliche Haushalt schließt aber mit einem ungedeckten Fehlbeträge von 66 Milliarden ab. Bei der Postverwaltung sind die Ersparnismaß- nabmen tn vollem Gange. Sie bestehen in der Verminderung des Personals, in weitgehender Dezentralisation und Verein fachung. Bei der Post bleibt ein Anleihebedarf von 82 Mil liarden. Die Eisenb ah nverwa ltu ng hosft ihren Fehl betrag durch eine Anpassung der Tarife an die Geldentwertung und durch Verminderung des Personals ausgleichen zu können. Die große Erhöhung der Ausgaben für die Beamtenbesoldung ist eine Folge des Marksturzes, und dieser wieder ist ei n e Folge der Ruhrbesetzung. Es besteht die große Ge- sahr, daß durch diesen brutalen Eingriff der subtile Mechanis mus der Ruhrindustrie und damit das Herz der deutschen Wirtschaft ins Stocken gerät. Der Grund für das Vorgehen Frankreichs sind die Pläne der französischen Wirtschaftsimperiallstcn, mit Gewalt eine Vereini gung von Eisenerz und Kohle unter französischer Führung zu erzwingen. Wir werden diesem Gewaltakt unseren Wid er st andmital len Mitteln entgegensetzen. (Beifall.) Wer schon der französische Versuch bringt schwere Schäden für die deutsche und die europäische Wirtschaft. Die Regierung wird demnächst dem Reichstage eine größere Kreditforderung unterbreiten zur Beseitigung der Wirtschastsschädcn der Ruhr besetzung. Die ohnehin schon knappen Lebensmittel sind dort von dem französischen Militär vielfach mit Beschlag belegt worden. Unser Volk wird zu einer Einschränkung der Lebenshaltung und zur Abkehr vom Luxes genötigt sein. Die Regierung wird dieser Notwendigkeit durch ein Not« gesetz Rechnung tragen. Wir werden Mittel auswerfen müssen, um die ausländische Hilsstätigkeit für unsere hungernde Bevölkerung weiter zu ermöglichen. Den ausländischen Helfern sagen wir unseren wärmsten Dank. Wir werden den unter der Geldentwertung zusammenbrechenden Kleinrentnern Hilfe leisten müssen. Eine weitere Ver schlechterung der Ernährung unseres Volkes darf nicht ein- treien. Die Behauptung, Deutschland verschlechtere absichtlich den Markkurs, wird schon dadurch als B-erleumdung ge kennzeichnet, daß bei jeder Hoffnung auf eine Verständigung sich der Kurs gebessert hat. Mit größerem Recht können wir vom Lösen Willen Frankreichs sprechen, das durch seine Gewaltpolitik jede Möglichkeit der Reparation zerschlagen hat. Die deutschen Erfüllungsangebote sind von der französi schen Regierung brüsk zurückgewiesen, Lie letzten gar nicht ein mal mehr beantwortet worden. Frankreichs Politik verfolgt Ziele, bei denen ihm die Reparationsleistung Deutschlands gleichgültig ist. (Lebhafte. Zustimmung.) Der Reichsfinanz minister ging dann näher auf Die Besetzung des Ruhr- gevieles ein und betonte dabei: Wir bekräftigen aufs neue, daß wir dieser Gewaltpolitik den schärf st enWiLer st and entgegensetzen werden. Es wär« eine Schmach sonder gleichen, wenn es,dem Druck militärischer Gewalt gelingen sollte, Frankreichs Pläne zu verwirklichen. Die bisherige Er- Nlllungspolitik hat den Erfolg gehabt, daß Frankreich ganz allein steht, und daß das ganze deutsche Volk einig in der Abwehr französischer Gewaltpolitik ist. Es geht jetzt um Sein oder Nichtsein der Ration. . Einheit und Geschlossenheit ist jetzt das Gebot der Stunde. Kein einziger Zwist darf jetzt DieAbWohr stören. Es darf aber jetzt auch lerne Auspeitschung des Volkes zu Un besonnenheiten geschehen. Je besonnener wir artstreten, um so stärker werden wir in den Beweisen sein, daß Bajonette und Maschinengewehre als Verhandlungsinstrumente in wirt schaftlichen Fragen von uns ein für allemal abgelehnt werden. (Lebhafter Beifall, Händeklatschen auf den Tribünen.) Hierauf sprach der Abg. Wels (Soz.). Er behauptete, mit- schuldig an der Ruhrbesetzung sei unsere verbrauchsfeindliche Steuerpolitik. Er bekämpfte die geplante Aufhebung des Depotzwanges. Sodann verlas er eine Anweisung für die französischen Propagandisten im Ruhrgebiet, die sich besonders an die Sekretäre der Gewerkschaften wenden sollen. Darin werde als wirksamstes Werbemittel die ungerechte Steuerpolitik der deutschen Regierung angeführt. Der Versuch Frankreichs, durch eine Zollgrenze das Ruhrgebiet vom übrigen Deutschland zu trennen, bedeutet weit schlimmeres, als was in OLerschlesien geschehen ist. Wollen die übrigen Entente mächte auch dem noch tatenlos znfehen oder wollen sie endlich rufen „Hände weg!"? Die furchtbare Teuerung, versicherte der Redner zum Schluß, ist nicht allein auf die Markentwertuug zurückzuführen, sondern auch auf Wucher und Preis treiberei. Auf gesetzgeberischem Wege muß dagegen rück sichtslos eingeschritten weiden. Es ist zu wenig bekannt daß die deutschen Arbeiter Lie schlechtest entlohnten der ganzen Welt sind. Erklärung der bürgerlichen Parteien. Alsdann gab der Abg. Koch-Weser (Dem.) im Namen des Zentrums, der Deutschen Volkspartsi, der Demokratinnen Par tei und der Bayerischen Vollspartsi eine kurze Erklärung ab, in Ler es hieß: Zu den Einzelheiten des Reichshaushaltes Stellung zu nehmen, ist zwecklos. An Ler finanziellen Gesundung des Staates zu arbeiten ist unmöglich in einer Zeit, in der diesem Staat die Flanke durch einen rechtswidrigen Überfall zer fleischt ist. Noch mehr ist Zurückhaltung im Anstragen inne rer Streitigkeiten geboten, weil innere Geschlossenheit not wendig ist. In der auswärtigen Politik ist es wichtiger, ein mütig zu handeln als zu roden. Hier ist Lie Regierung be rufen, zu führen, sonst niemand. Die Haltung der Regierung in der äußeren Politik hat unsere Billigung. Allein in der Kraft und Einheit des deutschen Volkes liegt seine Hoffnung. Nachdem diese Erklärung vom Hause mit großem Beifall ausgenommen Worden war, wurde die Sitzung vertagt. Neue Bsrgarheiierlöhne. Erhöhung der Kohlenpreife bevorstehend. Bei den Lohnverhandluugen in Essen wurde eine Eini gung über Lie Neuregelung der Bergarbeiterlöhne erzielt. Danach wird für die Zeit vom 16. bis 31. Januar eine einmalige Ausgleichszulage von 9000 Mark für Arbeiter über 20 Jahre gezahlt. Drese Zulage ver mindert sich um je 1000 Mark in Len verschiedenen Alters klassen bis zu 15 Jahren. Die Mindestzulage beträgt für eine« 15jährigen Arbeiter 4000 Mark. Ferner wird eine einmalige Kinder- und Hausstandszulage von je 1000 Mark ausgezahlt. Am 1. Februar tritt eine Erhöhung der Löhne um 3066 Mark je Mann und Schicht sowie eine Erhöhung des Hausstands- und Kindergeldes um je 130 auf 280 Mark ein. In welcher Höhe und in welcher Art dadurch eine neuerliche Steigerung der Kohlenpreise veranlaßt werde« wird, soll sich in den nächsten neuen Verhandlungen in Berlin ergeben. Von interessierten Kreisen wird behaup tet, es werde eine Kohlenpreiserhöhung von 100 A ein treten. Neueste Meldungen. Die Hilfe des Auslandes. Berlin. Eine wirksame politische Hilfe Ler Engländer und Amerikaner Hal noch nicht eingesetzt. In Amerika hat allerdings das Auftreten Les Senators Borah, Ler dem amerikanischen Volke vorhielt, daß dies« Politik des „Beob achters" für Amerika unwürdig ist, großen Eindruck gemacht, und in England hat die Arbeiterpartei von der Re gierung in aller Form eine energische Interventions- Politik in Mitteleuropa gefordert. Tatkräftige Hilse ist in zwischen jedoch nur ans den neutralen Ländern zu verzeichnen. So haben die Vorstände der im Niederländischen Ge werkschaftsbund znsammengeschlossenen Körperschaften beschlossen, zunächst 22 H des Vermögens des Niederländi schen Geweükschastsbundes für die deutschen Arbeiter im Ruhr gebiet zur Verfügung zu stellen. Auch sine holländische Firma hat dem Roichswirtifchastsminister einen Scheck über eine halb« Million Mark mit der Bitte zur Verfügung gestellt, das Geld zur Unterstützung der Kohlenarbeiter im besetzten Ruhrgebiet zu verwenden. Gegen den Kohlenraub. Berlin. Der Reichskohlenkommissar gibt bekannt: Da die rechtswidrigen französisch-belgischen Maßnahmen gegen das Ruhrrevier eine Störung der dem Reichskohlen- konrmissar obliegenden Kohlenverteilung bewirten, so wird den im Kohlenhandel tätigen Personen verboten, der Tätigkeit der von feindlicher Seite eingesetzten Stellen durch AuskunfterteilunG Vorlegung von Geschäftsbüchern und Geschäftspapieren, statistischem Material usw. Vor schub zu leisten. Das alte Lied. iS) Roman von Fr. Lehne. „Ich bitte, Herr von Schönstedt —", wies sic ihn :rnst zurecht. Es war, als ob eine eisige Hand nach ihrem Herzen gegriffen hätte, als sie Cesares Bild gewahrte -- gleichsam,, als ob er sich ihr jetzt in Erinnerung brin gen, sie warnen, sie höhnen wollte — damals war cs ja auch eine Stunde zu zweien gewesen! Sie warf einen scheuen Blick nach Gernot, der düster vor sich hinsah. Reginas merkliches Erschrecken beim Anblick die- cs Bildes hatte ihn aus dem beglückenden Wahn ge rissen, daß er ihr etwas sei — gegen diesen Adonis- wps mit den tiefen berückenden Äugen kam er freilich richt auf — uud wer, mit einer schönheitsdurstigen -cele begabt, diesen Mann liebte, war gegen jeden inderen Einfluß gefeit! Und sicher tat sie das, sonst mtte sie nicht so oft so verloren vor sich hingestarrt und väre gegen ihn nicht so unbesangen und — mütterlich icwesen — er war eigentlich ein Tor, alles so tragisch ii nehmen. Da legte sie ihren Arm auf seinen Arm. „Lie hören ja gar nicht, Herr von Schönstedt. Woran wnken Sic? Sie sehen so finster aus!" „Eine Frage, Frau Gräfin. Wer ist jener Mann?" ragte er mit rauher Stimme. Ein kühl verwunderter Blick traf ihn. „Wen meinen Sie, Herr von Schönstedt? Ah so, ich agte es Ihnen doch bereits — Sie hörten aber nicht! Narchese Conechi — der schönste Mann von Rom! Jetzt ft er tot —. und in kurzen Worin erzählte sie von ihm. „Und — und —," er stockte, als suche er nach dem assenden Worte, dann plötzlich, unvermittelt — „und r stand Ihnen nahe, Frau Gräfin?" „Nein, Herr von Schönstedt! — Wie kommen Sie arauf? Jedoch schätzte ich ihn und habe seinen frühen wd von Herzen brdauert." Er atmete auf. Ja, er glaubte ihr. So ruhig onnte keine Frau von dem Geliebten ihres Herzens wechen. Beide schwiegen; gedankenlos nahm er ein juch zur Hand, das auf einem Tischchen neben ihm ng. Er blätterte flüchtig darin, bis sein Auge auf inem Gedicht haften blieb. _ „WaS sehe ich, — Gernot von Schönstedt liest Ge° tuchte — er, der immer jo wegwerfend über „das füge Zeug" sprach?" lächelte sie. „Lassen Sic doch sehen, was — Kuch der Lieder? — nein! — Ein Gedanke — lesen Sie mir etwas vor." „Wirklich, gnädige Frau, wirklich, das, was ich so eben gelesen?" fragte er ernst mit eigentümlichem Blick.' „Ja, warum fragen Sie noch! Ich höre es gern —" Und er begann zu lesen: So soll es enden denn, „Fahr wohl, du süße Frau, Fahr wohl, du traute StaM.. Was doch kein Ende HM Ach in dein blaues Äug gab ich zu„tief geschaut, lud in dein lauschend Herz Svrach ich zu laut, zu laut. Und schloß die Nacht nicht mehr Die müden Angcn zu: So soll es enden denn Mit langer, langer Nuh! Wohl fließt der Rhein hinab Noch manches tanae Jahr, Eh' ich veraesscn hab', Wie schön, wie schön das war!" Als er geendet, blickte er auf die Frau ihm gegen über. Bleich, mit gefalteten Händen, saß sie da, den blonden Scheitel tief gesenkt, und leise wiederholten ihre Lippen: „So soll es enden denn Mit langer, langer Ruh!" Plötzlich sah sie auf und gerade in die schmerzlich ans sie gerichteten Augen des jungen Offiziers. Und wie eine Erleuchtung überkam sie es: „Sie wollen fort, Schönstedt, fort für immer," schrie sie fast, „ja, lügen Sie nicht, daher der Urlaub, daher —", sie kam nicht weiter; wie ein plötzlicher Krampi überfiel es sie; sie konnte nicht weiter denken. „Ja," sagte er leise, „ich mutz!" „Und warum —?" „Das fragen Sie mich! Heute wollte rch es Ihnen sagen, ich wollte Abschied nehmen -" „Abschied nehmen," wiederholte sie fast unhörbar. „Ja, Abschied! Mein Vater wünscht, daß ich sobald wie möglich das Gut übernehme und dann zum Früh- rayr beträte. Er ist ziemlich gebrechlich geworden, nno ich möchte ihm nicht gern entgegen sein." So ruhig kamen diese Worte von seinen Lippen, als ob er eine ganz gleichgültige Tatsache feststellte, und ebenso ruhig entgegnete sic ihm, sich übermenschlich beherrschend: „Natürlich, Herr von Schönstedt, müssen Sie Ihrem Vater gehorchen und ihm die Stütze sein, die er sür sein Alter nötig hat." „Mein Abschiedsgesuch ist geschrieben, üud meinem Vater habe ich mitgeteilt, datz ich mir setzt zehn Tage Urlaub geben lasse, um in dieser Zeit alles Nötige mit ihm zu besprechen — und — und —er brach ab; sie aber vollendete mit mühsamem Lächeln — „und die Verlobung mit Baronesse Rittner jetzt schon zu ver öffentlichen; nicht wahr, das wollten Sie doch sagen?" „Gräfin!" mit verhaltener Qual rief er das aus. Sie überhörte es jedoch und sprach weiter in ihrer starren Rnhe: „Lesen Sie doch weiter, Schönstedt! Wo waren wir nur stehen geblieben —" „Erlassen Sic es mir, Frau Gräfin, ich kann nicht!" Stumm saßen sie sich gegenüber und wagten nicht, sich anzuschen. Äber, das war nicht zu ertragen: er warf einen Blick auf die Uhr — der Graf mutzte bald zurückkommeu, und ihm in dieser Stimmung eni- gcgentreten, war unmöglich. Er stand deshalb auf. „Wollen Sie mich für hente beurlauben, Frau Grä fin, und dem Herrn Grafen meine besten Empfeh lungen ausrichten. Meinen Dank für die mir erwic- senc Gastfreundschaft werde ich morgen selbst noch aussprechen, da mir jetzt die Zeit fehlt, zu warten, bis der Graf zurückkommi. — Und Ihnen, gnädige Gräfin, kann ich nicht sagen, wie grotz meine Verehrung sür Sie ist, ohne banal zu werden." Er verneigte sich und drückte einen inbrünstigen Kutz auf ihre Hand, die wie leblos in der seinen lag. Noch einmal versuchte er in ihre schönen Augen zu sehen; sie hielt sie aber gesenkt, während es förm lich: „Leben Sie wohl, lieber Schönstedt, bewahren Sie nns ein freundlich Gedenken — und viel Glück —" von ihren Lippen kam. Mt traurigem Blick überflog er die schöne tzlestalt und das in der starren Ruhe fast unheimlich erschei nende Gesicht der jungen Frau — dann wandte er sich zum Gehen. Als er die Hand aus den Diürgritr legte, konnte er nicht anders — er mußte sich noch e> mal umsehen. Regina stand noch so da wie vorbnu nur hatte sie beide Häude auf ihr Herz gepreßt, ihre Auge« trugen einen todestraurigen Ausdruck
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