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Plan eines kontinentalen Blocks gegen England besiehe nicht. Es sei im Gegenteil wahr, daß die italienische Re- gierung Frankreich geraten hat, so viel als möglich den militärischen Charakter in der Rnhrfrage zu be- schränken und in dieser Hinsicht nicht die Möglichkeit von Übereinkommen zurückzuweisen. Wenn eine derartige Entente, di« Europa den Frieden geben würde, zustande käme, so würde sie nach Ansicht Italiens doch nicht zum Ziele gelangen können ohne die Teilnahme und die Zustimmung Englands. Italien habe keine Kohle und könne sich nicht den Luxus von Ver zichtleistungen oder Isolierung gestatten. Die italienische Regierung sei der Ansicht, daß die Möglichkeit von Über einkommen vorhanden ist, und die italienische Negierung arbeite in diesem Sinne. Es würde ein schwerer Fehler von Deutschland sein, wenn es eine solche Möglichkeit zurückwiese. Es schein«, daß die Arbeitermassen den Kon trollmaßnahmen keine übermäßig großen Schwierigkeiten bereiten. Eine Annäherung Frankreichs an den in London vorgelegten italienischen Plan über die Reparationsfrage sei nicht unwahrscheinlich. Die Schandtaten der Sesatzungstruvsen Ein Sündenregister aus dem Rheinland. Das Neichsministertum des Innern hat dem Reichs tage eine neue Denkschrift über die Untaten der Besatzungs- truppen zugehen lassen. Aus dieser geht hervor, daß im besetzten Gebiet bisher 437 Personen, und zwar 232 Frauen und 205 Männer, Opfer der Untaten der Be satzungstruppen geworden sind. Getötet wurden 22 Frauen und 54 Männer; schwer mißhandelt wurden 33 Frauen und 98 Männer; Sittlichkeitsverbrechen der Besatzungstruppen fielen zum Opfer 177 Frauen und 53 Männer. An diesen Untaten sind, soweit sich hat feststellen lassen, die französischen Truppen in insgesamt 291 Fällen beteiligt gewesen, und zwar in 100 Fällen weiße Franzosen und in 191 Fällen farbige Franzosen als Angehörige der Kolonial regimenter. In 43 Fällen haben sich belgische, in 27 ameri kanische und in 25 Fällen englische Soldaten Verbrechen gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete zuschulden kommen lassen. Bei dm vorsätzlichen Tötungen waren in 33 Fällen französische Soldaten die Täter, und zwar in 18 Fällen weiße und in 15 Fällen farbige Franzosen. In 13 Fällen werden nach dem vorliegenden amtlichen Material belgische, in 14 Fällen amerikanische und in 9 Fällen englische Soldaten der vorsätzlichen Tötung be schuldigt. Nach der Denkschrift sind Mißhandlungen in 131 Fällen vorgekommen, uW zwar wurden 98Männer und 33 Frauen mißhandelt. Auch bei den Mißhandlungen stehen die französischen Soldaten wiederum als Täter an erster Stelle, und zwar haben sich in 68 Fällen französische Sol daten an diesen MißhandUmgen beteiligt, darunter 39 weiße und 29 farbige Franzosen. Auf das Konto der Belgier kommen 15, der Amerikaner 5 und der Engländer 8 Mißhandlungen. Sittlichkeitsverbrechen haben 147 farbige und 43 weiße Franzosen, 15 belgische, 8 englisch« und 8 amerikanische Soldaten verübt. Nach der vorliegenden Denkschrift ist nur in ganz wenigen Fällen über die Gewährung einer Entschädigung an die betroffenen Personen und über die Bestrafung der Schuldigen an den deutschen amtlichen Stellen trotz aller Nachforschungen etwas bekannt geworden. In 291 Fällen ist eine Entschädigung entweder abgelehnt oder nicht bekannt geworden. Bei den meisten übrigen Fällen ist die Entschädigung so niedrig von den Besatzungsbehör- dcn festgestellt worden, daß sie nicht den Namen einer Ent schädigung verdient. In 251 Fällen ist Wer eine Be strafung der Schuldigen den amtlichen deutschen Stellen trotz aller Nachforschungen nichts bekannt geworden. Di- chuldigen sind nicht ermittelt oder die Beschuldigten frei- gesprochen worden. In ganz wenigen Fällen nur ist ern- zureichende Strafe für die verübten Verbrechen erfolgt. Mehl- und Broiverieuerung. Roggen 197 000, Weizen 212 000 M k. dieTonne. Ähnlich wie anfangs Dezember 1922, erscheint jetzt von „zuständiger Stelle", also vom Reichsernährungsministe rium, eine Ankündigung, nach rvelcher der Preis für die Tonne Roggen vom 15. Januar 1923 ab auf 197 OVO Marl und für Weizen auf 212 000 Mark festgesetzt wird. Der Doppelzentner Roggenmeh! wird auf 27 000 Mark, für Weizenmehl auf 29 000 Mark erhöht. In der beigegebenen Begründung wird der Hinweis auf die Verteuerung des Auslandsgetreides durch die Markverschlechterung wiederholt und außerdem mitgeteilt, daß der Preis für den inländischen Umlageroggen auf 165 000 Mark pro Tonne erhöht sei, also für das dritte Drittel der Umlage. Das erste Drittel der Umlage wurde mit 28 000 Mark pro Tonne bezahlt. Die Abgabepreise der Reichsgetreidestelle, wie sie vom 4. Dezember 1922 ab galten, hätten infolge der Geldentwertung nicht mehr bei behalten werden können. Deutscher Reichstag. (268. Sitzung.) Berlin, 16. Januar. Di« heutige Sitzung begann damit, daß der Reichstag einem Anttage des Geichäftsordnungsansschusses entsprechend die Genehmigung zur Strafverfolgung der sozialistischen oder kommunistischen Abgeordneten Mittwoch, Hoelleiu, Remmele, Dr. Moses, Koenen, Froelich und Zubeil verweigerte. Es sotten kleinere Vorlagen. Der Ausliefernngsvertrag mit der Tschechoslowakei wurde in allen drei Lesungen ange nommen. Das Gesetz zur Vereinfachung der Allgemeinvevbmd- üchkeitöerktärung von Tarifverträgen wurde in dritter Beratung ohne Auseinandersetzung angenommen. Desgleichen eine Novelle zum Weingesetz, das sich auf den Gebrauch fran zösischer und portugiesischer HerkunstSnamen bezieht. Nun kam mau zum Hauptstück der heutigen Tagesordnung, zur ersten Beratung Ler Novelle zum Prefsenotgesetz. Danach soll die AusstchraLgab« zugunsten der Rückvergütungen für die Presse mit Wirkung vom 1. Januar d. Js. ab von 5» auf 1N erhöht werden. Aba. Fischer (Soz.) machte für die Not der Presse in erster Reihe die übermäßige Steigerung der Holzpreise und di« Preispolitik der kartellierten Papierindustrie verantwortlich. Übrigens sei von den Staatsforsten derselbe Wucher getrieben worden wie von den Privatsorstbesitzern. Naturalabgabe an Holz. Die sozialdemokratische Reichsiagsfraktion hat einen Gesetz entwurf eingebracht, der dem Waldoesitz die Pflicht zu monat lichen Lieferungen von 90 000 Raummetern Papierhotz vom 1. April 1923 ab auferlegt. Die Länder find berechtigt, die von ihnen zu leistenden Holzmengen bis zu einem Drittel aus die nichtstaatlichen Waldungen umzulegen. Abg. Kuelz (Dem.) bedauerte, daß im Reichsrai die Ver- tretcr der meisten Länder nicht die Notwendigkeit anerkannt hätten, die Unterstützung der notleidenden Presse zur Reichs sache zu machen. Der Reichsrat habe sogar 16 2L von der Re gierungsvorlage gestrichen. Der Redner beantragte dagegen die Erhöhmig der Holzabgabe auf 2 A. Der sozialdemokratische Antrag auf Naturalabgabe sollte dem volkswirtschaftlichen Aus schüsse überwiesen werden. Abg Dr. Pieper (D. Volksp.) führte Klag« gegen die hohen Holzpreise der Landesforstverwaltung. Ein kleines Land be nutze die großen Einkünfte aus dem viel zu teuren Holz zum Aufbau eines kostspieligen Verwaltungsa-pparateS mit einem ganz überflüssigen Pressechef. Abg. Bruhn (Deutschnatt.) unterstützte den Antrag Kuelz auf Erhöhung der Abgabe auf 2 A. Weiter beantragte er, daß auch religiöse Wochenblätter Unterstützungsberechtigung lmben sollten. Darauf wurde der Antrag auf 2 N Holzverkaussabgabe fast einstimmig angenommen. Der sozialdemokratische Anttag auf Naturalabgabe ging an den volkswirtschaftlichen Ausschuß. Der Alttrag Bruhn wurde gleichfalls einem Ausschüsse über wiese. Aufschub und neue Sitzung«» Die Requisition der Kohlenbestände ist von den Kran- zoscn zunächst um 24 Stunden aufgehoben worden. Zu- nächst ist noch ein« neue Sitzung mit den Vertretern der 12 größten Zechen in Düsseldorf anberaumt worden, der man entscheidende Bedeutung zuschreibt. Kundgebungen im ganzen Reiche. Sowohl in der Reichshanpsitadt wie in allen größeren Städten Deutschlands haben am Trauersonntag, dem 14. Ja«. nuar, überwältigende Demonstrationen stattgefunden, aus denen der einmütige Wille der deutschen Bevölkerung sprach, die Reo gierung bet der Abwehr französischer Gewalttaten mit allen Kräften zu unterstützen. Die Volkskundgebung in Berlin " fand mittags 12 Uhr auf dem Königsplatz vor dem ReichStagS» gebäude statt. Fast eine halbe Million Menschen nahm daran teil. Nach mehreren Reden politischer Führer wurde ein« Reso« lutiou angenommen, die flammenden Protest gegen die fran zösische Vergewaltigung erhebt. Zum Reichskanzler wurde eine Deputation entsandt. Der Kanzler hielt eine An sprache, in der er betonte, daß Volk und Regierung zusammen gehen müßten, um den Weg zur Freiheit zu finden. Die Ver einigte Sozialdemokratische Partei erhob in 13 Massenversammlungen ebenfalls eindrucksvollen Einspruch gegen den Überfall der Franzosen. Im ganzen Reiche fanden ähnliche Kundgebungen statt, so in München, HaM« bürg, Leipzig, Breslau, Karlsruhe, Danzig, Görlitz und an zahlreichen anderen Otten. Dem Reichs präsidenten gingen zahllose Telegramme zu, in denen einhellig der Wille zur Abwehr ausgesprochen wird. Im besetzten Gebiet standen dort, wo englische Truppen sich befinden, die Flaggen aus Halbmast, Franzosen und Belgier hatten jede Kundgebung verboten. Der Halbstuudenstreik. Im Ruhrgebiet wurde Montag der ursprünglich für daS ganze Reich geplante halbstündige Proteststreik dnrchgeführt. Die Franzosen hatten im Gebiete des Brückenkopfes Dnisburg die Arbcitsruhe verboten. Ebenso wurde das Anlassen der Fabriksirenen und Glockenläuten „für immer" untersagt. Trotzdem ertönten die Sirenen Punkt 11 Uhr, überall wurde abgestoppt. Duisburg lag still. Auch die Geschäfte waren zum großen Teil geschloffen, der Straßenbahnverkehr ruhte. Reue,/Verfehlungen"! Nach Berlin! — Englands Zurückhaltung. Poincarö wünscht, daß di« Reparaüonskommission sein militärisches Vorgehen politisch unterstütze. Er hat daher einen Bries an Barthou gerichtet und spricht darin von vier Arten von Verfehlungen, deren sich Deutschland schuldig gemacht habe: 1. Di« Absichtliche Einstellung -er Lieferungen von Kohlen an Fra^reich und Bellen seit einigen Tagen, 2. die Ein- stellung -er Äeßerung von Bieh an dieselben Länder, 3. die Verfehlungen in bezug «uf die Lieferungen von Pflaster steinen und 4. di« Derseylimgen hinsichtlich der Ausführung der großen öffentlichen Arbeiten. Die französischen Radikalen fordern von Poincarö bereits, daß er sich mit der Besetzung des Ruhrgebiets nicht begnügen solle, sondern nach Berlin marschie ren möge. Ferner werden in Paris wieder lebhaft Pläne erörtert, das Rheinland mit dem Ruhrgebiet als einen autonomen Pufferstaat von Deutschland loszu reißen. Aus London kommt immer wieder nur die Nachricht, daß die englische Regierung die weitere Ent wicklung der Dinge abwarte und in keiner Weise zu inter venieren beabsichtige. Was tut Italien? Mussolini überdte Ruhraktion. Im italienischen Ministerrctt erklärte Mussolini über die Besetzung des Ruhrroviers, JtaliM gewähre Frank reich nur seine politische und technische Solidarität. Der Das alte Lied. 12) Roman von Fr. Lehne. Die Väter fanden, daß ihre Kinder gut zueinander paßten, uuo wir wurde» miteinander verlobt — das heißt of fiziell noch nicht; das soll erst sein, wenn Armgard ihren achtzehnten Geburtstag feiert. — Mein guter Vater kann die Zeit kaum erwarten, mich als soliden Ehemann zn sehen. So muß ich ihm zuliebe meine goldene Freiheit opfern! — Ja, ja!" „Haben Sie ein Bild der Baronesse?" fragte Re gina. „Wenn es Sie interessiert, gnädigste Gräfin," er entnahm seiner Brieftasche di« Photogrcrphie eines sehr hübschen, etwas nichtssagenden, noch sehr kindlich ausschenden Mädchens das Regina aufmerksam be trachtete. „Ein süßes Gesichtchen! Ihm zu Liebe kann es Ihneu doch nicht schwer fallen die goldene Freiheit zu opfern," meinte sie, vermied aber seinem Ange zu be- gegnen, das die ihren beharrlich suchte. „Dahin kommt man noch früh genug," sagte er, „nun, meine Zukünftige, ist ja noch sehr jung. Und ein innges Franchen kann man sich nach seinen, Willen ziehen, da gibt cs keinen Widerspruch." „Nicht so siegcssichcr reden, lieber Schönstedtob jung oder alt — die Frauen sind sich alle gleich." scherzte Graf Rodenberg, „ganz uumerklich wissen sic die Herrschaft an sich zu reißeu — und schließlich fühlt mau sich doch ganz wohl dabei." So wnrde hin und hcrgeredet und gescherzt, auch etwas musiziert, bis es Zeit für die Anwesende« war, zu geheu. * * * „Nuu, Regina, Du hast mir gar nicht gesagt, wel chen Eindruck der junge Schönstedt auf Dich gemacht hat," fragte der Graf, als er noch eine Tasse Tee vor dem Schlafengehen trank. Regina hatte sie ihm wie üblich zurecht gemacht und sagte nuu in gleichgülti gem Ton, zn dem sie sich aber zwingen mußte: „O, ganz gut! Er ist sehr amüsant und unterhal tend. Aber warum hast Du mir eigentlich nie vou der Familie erzählt?" „Warum nicht? Du hättest doch kaum Interesse ge habt und offen — gestanden — hab ich auch nicht daran gedacht. Sein Vater war mein bester Freund; nur standen in einem Regiment, bis er, als er einige Jahre Rittmeister gewesen, durch ein Leiben gezwun gen wurde, den Dienst zu quittieren. So bebaute er t ''eine Scholle in Kirchbach. Er bat viel durchwachen müssen — die Frau uud zwei blühende Kinder in .kurzer Zeit verloren — es sind schon viele Jahre her. Er war damals in Verzweifluna — wochenlang durfte mau ihn nicht allein lassen, aus Sorge, er würde Hand au sich legen. — Mit grenzenloser Liebe hing er an Gernot, dem Einzigen, der ihm geblieben. Ich finde es sehr begreiflich, daß er sich nicht von ihm trennen will. Jeden Wunsch hat er dem Jungen er- füllt; er ließ ihn in eines der vornehmsten Kavallerie- Regimenter in Berlin treten. Es muß wirklich zwin gend gewesen sein, sonst hätte Schönstedt seinen Jun gen das Regiment nicht wechseln lassen. Ein biß chen sehr toll scheint es danach der Gernot getrieben zu haben, denn der alte Schönstedt kann schon eine ganze Menge vertragen, ehe es ihm zu viel wird. Es lut mir jetzt eigentlich leib, baß wir so außer Verbin dung gekommen sind — aber wie -as so manch«'-'! geht! Dennoch haben wir ein starkes freundschaft liches Gefühl für einander behalten, wie bas ja von seiner Seite deutlich gezeigt ist dadurch, daß er mir seinen Sohn geschickt hat. Im Briesschreiben sind wir beide nicht groß gewesen." „Also daher die Bekanntschaft, Adalbert," meinte Regina, unö dann, in dem Wunsch, allein zu sein, „ich bin doch etwas ermüdet und möchte schlafen gehen. Gute Nacht Adalbert." Sie reichte ihm die Hand und wollte gehen. Er ließ sie aber nicht frei und legte den Arm um ihre Taille und wollte sie küssen. „Ach, laß mich doch," sagte sie ungeduldig und sah ihn mit einem schwer zu beschreibenden Blick an — den Mann da vor ihr küssen? Nein, nimmermehr märe sie dazu heute imstande gewesen — es schüttelte sie vor Grauen, wenn sie daran dachte. „Regina," bat er, „Du bist gar nicht —" „Adalbert siehst Du nicht, wie ich nervös bin? So laß mich doch! Ich bin mtide und möchte schlafen," sagte sie etwas gereizt, und mit einem leisen Seufzer ließ er ihre Hand los. — Endlich allein! Endlich eine Stunde für sich. Sie atmete tief auf und breitete beide Arme aus, wie von einer schweren Last befreit. Dann öffnete sie das Fenster; es duftete zu betäubend in dem kleinen lau schigen Boudoir nach den Hyazinthen und übrigen Blumen, die in verschwenderischer Fülle verstreu! wareu. Sie warf sich auf die Chaiselongue, ver- schränkte die Arme unter dem Kopf und dachte nach. Mit grausamer Deutlichkeit war ihr jetzt schon klar, baß Gernot Schönstedt das Verhängnis ihres Lebens werben würbe, an ihm würde all ihre Festigkeit, ihre sAver angelernte Ruhe scheitern. Gr hatte es ihr von der ersten Minute ihres Sehens angetan — er war der Mann. dem ibr Ser» entgegen- jauchzte — gleichviel, ob er wie sie gepuuden war — seine goldene Freiheit war ihm noch lieber als die Braut, wie sic aus seiueu Worten zu hören gemeint hatte. Und sie hatte ihre hingegeben um ein Nichts, um ein trügerisch glänzeudeS Los, das sie sofort hin- werfen könnte, um mit dem Manne ihrer Liebe, wenn es sein sollte, auch in Dürftigkeit zu leben uud doch reicher zu sein als jetzt, wo sie in vergeblicher Ohnmacht an dem Gitter ihres goldenen Käfigs zn rütteln be gann, das aber doch fester als ihre schwachen Hände war. Ach, sie sehnte sich danach, aus der Fülle ihres Herzeus, ihrer heißeu, leidenschaftlichen Seele zu spen den, und der Durst nach Glück wuchs riesengroß in ihr. O, nur nicht denken müssen, nicht denken! Sie mußte sich ja zusammcunehmen, damit niemand ahnen konte, was in ihr vorging. * Es dauerte gar nicht lange, so war Gernot vou Schön stedt ein häufiger Gast im Hause des Grafen, der ihn sehr gern hatte, denn seine Frische unö Fröhlichkeit, sein heiteres Wesen belebten die sonst allzu große Stille seines Hauses. Regina war ihm gegenüber immer von der etwas automatischen Liebenswürdigkeit, die ihr cigen war seit der letzten Zeit. Meisterhaft verstand sie es, sich zu beherrschen, daß kein Blick, kciu Wort den Zustand ihres Innern ver riet. Und doch wartete sie mit Sehnsucht auf sein Kom men, und das Musizieren mit ihm war ihr eine Quelle des reiusteu Genusses, wenn sie auch schwer dazu zu bewegen war. Denn er spielte die Violine mit großem Talent und Gefühl, und selbstvergessen lauschte sie den süßen Klängen, die so sehnsüchtig und schwermütig, dann wieder so siegesbewußt uud jauchzend durch das Zimmer schwebte«. Manchmal auch, aber sehr selten, begleitete er die Lieder, die sie so innig und herzergrei fend zu singen verstand — manchmal nur — denn was sollte sic singen? Liebeslieder — das konnte sie nicht, das ging über ihre Kraft: deshalb wählte sie mit Vor liebe italienische Sachen, die sie sich damals in Rom zu cigcu gemacht hatte. Je öfter Gernot mit Regina zusammen war, desto mehr fühlte er, wie sehr sie seine Seele beherrschte. Die Tag«, an denen er sie nicht sah, zählte cr zu beu ver lorenen. Niemals wohl hatte er ein schöneres Weib Weib gesehen, und immer von neuem berauschte er sich an ihrem Anblick. Für ihn war alles vergessen, Hei mat, Braut, Vater — nur ein Gedanke lebte in ihm: Regina! Gar oft fragte er sich: wie soll das enden? Er nahm sich vor, das Haus seines väterlichen Freundes zu meiden — «nd wenn der Tag kam, an dem er er wartet wurde, «ar jeder Vorsatz versessen. .... (Fortsetzung folgt.)