Volltext Seite (XML)
länder höher besteuert seien als die Deutschen, aber er hält dafür, daß sie zu hoch besteuert sind; und jedenfalls würden noch mehr Steuern in Deutschland gewiß keinen größeren Ausfuhrüberschuß ergeben. Der Verkauf von Mark an das Ausland sei eine unvermeidliche Folge der Bezahlung von Reparationen, während die deutsche Regierung die notwendigen Auslandsdevisen nur durch Inanspruchnahme des Exportverkehrs sich zu beschaffen vermöge. Dazu komme weiter der Verkauf deutschen Geldes durch Deutsche, die der Festigkeit ihrer eigenen Währung nicht trauen könnten, und mit alledem erklärt sich das erstaunliche Fallen des Wertes des deutschen Geldes in vollkommen genügen der Weise. Nur wenn man den Druck der Reparations zahlungen endlich beseitigt, werde sich der Stand der Mark sofort bessern. Nur wenn man Deutschland für längere Zeit mit weiteren Forderungen verschone, würde seine Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt werden. Es liege ihm nicht daran, etwa die gerechten Forderungen der Alli ierten gegen Deutschland zu verkleinern, aber wenn Europa nicht dem Ruin überliefert werden solle, müßten politische Empfindungen den wirtschaftlichen Notwendigkeiten unter geordnet werden. Einzig und allein darauf dürfe es an kommen, was Deutschland zahlen könne. Davon müsse man ausgehen und sich so zu vernunstsmäßigen neuen Erwägungen über die Reparationsfrage entschließen. Den Gläubigerstaaten hielt er vor, daß sie von der Wohlfahrt des Handels, die durch das Londoner Abkommen gefährdet sei, größere Vorteile zu erwarten hätten als von der zweifelhaften Bezahlung der Kriegsschulden, und sein Vor schlag ging schließlich dahin, auf einer vollkommen frei mütigen Konferenz zwischen Gläubigern und Schuldnern die wahre Höhe Ler Ausfuhrüberschüsse der Schuldner staaten von beiden Parteien feststellen zu lassen. So und nurso könne man vorwärtskommen. Diese Weisheit hören wir hier ganz gewiß nicht zum erstenmal, auch nicht zum erstenmal von Leuten, die im Lager unserer ehemaligen Feinde stehen. Vielleicht, daß eine Autorität wie Mac Kenna gehört werden wird, zumal ja sein Vorschlag an sich die Mächte noch zu nichts ver pflichten würde. Aber Prüfungen, Untersuchungen, ja selbst Feststellungen allein können uns nicht mehr helfen; sie haben wir bisher schon in Hülle und Fülle genossen. Man müßte sich endlich dazu ausraffen, aus ihnen auch unmittel bare Folgerungen zu ziehen, und das mit aller Beschleuni gung, sonst kommen auch die besten' Ratschläge zu spät. Reichspräsidentenwahl am Z. Dezember? (Von unserem ständigen Mitarbeiters Berlin, 5. Oktober/ Es scheint, als ob die Neuwahl des Reichspräsidenten, über die in längeren Zwischenräumen schon mehrfach leb haft debattiert wurde, nun endgültig angesetzt werden soll. Bekanntlich ist Präsident Ebert bereits im Februar 1919, in den ersten Tagen der Weimarer Nationalversammlung, zum Reichspräsidenten gewählt worden, und zwar pro visorisch, während die im Sommer 1919 geschaffene Reichsverfassung die Wahl durch das ganze Volk vorschreibt. Obwohl der Reichspräsident selbst inzwischen oftmals den Wunsch geäußert hat, zur Neuwahl zu schrei ten, da er nicht länger in einem „vorläufigen" Amte bleiben wolle, so hat die dauernde Spannung der innen- oder außenpolitischen Lage doch immer verhindert, diese Wahl durchzuführen. Zuletzt war es der Wunsch der Regierung, erst die Entscheidung über Oberschlesien abzuwarten, um nicht einen TeU der Bevölkerung von der Wahl ausschlie ßen zu müssen. Nunmehr hat das Reichskabinett, da alle drese Hinderungsgründe weggefallen sind, beschlossen, den 3. De zember als Wahltag vorzuschlagen. Bestimmt wird der Tag nicht von der Regierung, sondern vom Reichstag, der sich bald nach dem 17. Oktober, dem Tage des Beginns seiner Winterarbeit, mit dieser Frage befassen wird. Zu- näckst haben nur Besprechungen mit den Parteiführern stattgefunden, unter denen allerdings sehr abweichende Meinungen darüber herrschen. Die vereinigten Sozial demokraten treten unter den für sie jetzt sehr günstigen Um ständen lebhaft dafür ein, daß aus dem „vorläufigen" Präsidenten bald ein „endgültiger" Präsident werden möge. Die rechtsstehenden Parteien billigen zwar im Grunde auch die baldige Beendigung des Provisoriums, aber sie wenden ein, daß angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des bevorstehenden Winters die politische Erregung, die durch eine solche Wahl notwendigerweise ins Volk hineingetragen wird, unerwünscht erscheint. Auch genießt ja Herr Ebert persönlich das Vertrauen weitester Kreise auch außerhalb seiner eigenen Partei, so daß die Neuwahl nicht besonders eilig wäre. Die Volksparteiler schlagen daher vor, die Wahl mit der nächsten Reichstagsneuwahl zu verbinden, ganz gleich, wann diese erfolgen wird. Die Demokraten hatten schon vor längerer Zeit bean tragt, das Provisorium um zwei Jahre zu verlängern, doch ist dieser Antrag inzwischen als erledigt zu betrachten. Da die ganze Frage erst in diesen Tagen wieder ange schnitten worden ist, so konnte noch keine Fühlung zwischen den bürgerlichen Parteien darüber genommen werden, ob sie gemeinsam für die Hinausschiebung der Wahl eintreten, oder sich aus einen gemeinsamen Gegenkandidaten gegen Herrn Ebert einigen wollen. Voraussichtlich wird es noch lebhafte Auseinandersetzungen geben, ehe die Frage der Präsidenten-Neuwahl endgültig geregelt ist. Vota. Die Krage -er Beamiengehälier. Abbruch der Verhandlungen. Die Verhandlungen der Regierung mit den Spitzen organisationen über die Neugestaltung der Beamtenbesol- dung sind von der Regierung als aussichtslos abgebrochen worden, über Lie wichtigste Frage, die Neuregelung der Grundgehälter, konnte im wesentlichen eine Verständigung erzielt werden; dagegen wandte sich die Mehrzahl der Organisationen gegen die Absicht der Regierung, die bis her für alle Besoldungsgruppen gleiche Frauenzulage künftig prozentual zu bemessen. Das Bestreben Ler Reichsregierung, durch eine pro zentuale Gestaltung der Sozialzulagen eine wettere Gleich machung der Beamtenbezüge zu verhindern, findet im Reichstage und bei den Einzelregierungen Unterstützung. Die höheren Beamten, die den mittleren und un teren Beamten durch das bisherige System mehr als früher angenähert wurden, treten dafür ein und trennen sich in dieser Frage von den übrigen Organisationen. Sie verlangen höhere Zuschläge und höhere Frauenzulagen für sich. Wenn keine Verständigung durch neue Verhand lungen mit den Gewerkschaften gefunden wird, soll die Negierung beabsichtigen, dem Reichstag eine eigene Vor lage zu unterbreiten. Neueste Meldungen. Fürst Bülow will dem Kaiser antworten. Berlin. In politischen Kreisen, die dem früheren Reichskanzler Fürst Bülow nahestchen, wird erklärt, das? der ,vürst seinen Plan, seine Ledenscrinnerungen erst nach seinem Tode erscheinen zu kaffen, aufgegebcn habe. Fürst Bülow soll die Absicht haben, seine Memoiren schon jetzt zu ncröfsentlichcn. Zu diesem Mcinungswechsel soll er durch die Memoiren des Kaisers veranlaßt worden sein. Die Erinnerungen Kaiser Wilhelms enthalten so viele Vorwürfe und Angriffe gegen Bülow, das? dieser nunmehr auch jede Rücksicht auf die Person des Kaisers fallen lasten will. Begrüßung Brockdorff-Nantzaus in Moskau. PO Moskau. Die Zeitungen begrüßen die Ernennung des ersten deutschen Botschafters in Rußland seit der Ermordung Mirbachs. Dem neuen Botschafter wird zugestandcn, daß er einer Ler wenigen Diplomaten sei, über die das heutige repu- blikaniscbe Deutschland verfüae. Aus Stadt und Land. Ar «Mo»« »<« Wilsdruff, am 6. Oktober 1922. Oeffentliche Stadtverordnetensitzung Donnerstag den 5. Oktober, abends 7 Uhr. Anwesend sämtliche Mitglieder des Kollegiums außer Herrn Neumann; am Ratstische die Herren Bürgermeister Dr. Kronfeld, Stadträte Wehner und Bombach. Kenntnis nahm man zunächst von einem Dankschreiben des Musikdirektors für Erhöhung seiner Bezüge, von der Geneh migung der anderweiten Verwendung der staatlichen Bau kostenzuschüsse, von der Höhensonnenanlage der Ortskrankenkasse und von einer Einladung des M.-G.-V. „Sängerkranz". Seitens des Stadtrates ist an die Verwaltung der Quäker speisung das Ersuchen gerichtet worden, den Winter hindurch in hiesiger Stadt eine Trinkration einzuführen. Die Zusage steht bisher noch aus. Genehmigt wurde die Erhöhung der Entschädigung des Fürsorgearztes, die Erhöhung des Mitgliedsbeitrages beim Deutschen Zentralkomitee für Tuberkulosebekämpfung, die Er höhung der Entschädigung der Schreiber (gegen 1 Stimme) und die Erhöhung der Entschädigung der Hausmeister. Der Freiw. Sanitätskolonne soll zur Unterbringung der Geräte das Maschi nenhaus des Elektrizitätswerkes zur Verfügung gestellt werden. Von einer Beteiligung am Kindererholungsheim Wieck auf Rügen wird vorläufig abgesehen. Die Abänderung des Regu lativs über Erhebung einer Aussichtsgebühr wird nach dem Ratsvorschlage angenommen, ebenso das Ortsgesetz über Klein- hausbaulen (gegen 1 Stimme). Den Kardinalpunkt der Ver handlungen, bei dem die Meinungen auseinanderplatzten, bildete deck 20. Nachtrag zur Gemeindesteuerordnung, Soziale Abgabe betr. Darunter zu verstehen ist eine Abgabe aller Arbeitgeber in Wilsdruff, die gegen Vergütung Arbeitnehmer jeder Art beschäftigen. Der Steuer unterliegt der gesamte Betrag der Vergütungen. Der Steuersatz beträgt 1 Prozent der auf volle tausend Mark nach unten abgerundeten Gesamtvergütung. In allen Fällen besonderer Härte kann der Stadtrat Ermäßigung oder Erlaß der Steuer eintreten lassen. Der Nachtrag tritt mit dem 1. Oktober d. I. in Kraft. Der Ertrag der Steuer ist für die Zwecke der Fürsorge bestimmt. Die Aussprache über diese Vorlage eröffnete Herr Seurich, der die Vorlage als unge recht bezeichnete, weil sie die Lasten nur aus einzelne Schultern lege. Er beantragte, die Vorlage abzulehnen und den Rat zu ersuchen, eine neue Vorlage auszuarbeiten, die eine breitere Grundlage der Steuerpflichtigen schasse. Er wie alle nachfol- genden Redner betonten die Bereitwilligkeit, sür Minderung der Not der Aermsten in unserer Stadt beizutragen. Die Herren Loßner, Zienert und Lautenbach bekundeten eben falls den besten Willen zu Helsen, fanden aber in der Vorlage eine besondere Härte für Klein- und Handwerksbetriebe, während auf der anderen Seite Personen mit Rieseneinkommen, die keine oder nur wenige Leute beschästigen, nicht betroffen werden. Herr Lautenbach beantragte die Zurückverweisung an den Finanzausschuß, um in hem Lvyalitätsparagraphen festbegrenzte Bestimmungen unterzubringen, die sür Klein- und Handwerks betriebe besondere Erleichterungen gewährleisteten. Herr Schu mann erblickte in der Zurückverweisung eine Verschleppung der Vorlage und beantragte, um allen gerecht zu werden, die Er weiterung des 8 11 dahin, daß der Rat bei allen Erlaßgesuchcn mit tunlichster Milde verfahren möge. Herr Bürgermeister Dr. Kronfeld warnte vor einer Vertagung, da nach den Steuei- gesetzen des Reiches kein anderer Weg beschritten werden könne. Herr Stadtrat Bombach betonte vor allem die unbedingt notwendige Aufbringung von Mitteln sür die Fürsorge, die sosort in die Hand genommen werden müsse. Herr Lehmann trat für Annahme der Vorlage ein und befürwortete außerdem warm die freiwillige Abgabe von Spenden für die Notleiden den, vor allen denen, die von der vorliegenden Steuer nicht ge troffen würden. Die folgende Abstimmung ergab die Ablehnung Edith Bürkners Liebe. 16) Roman von Fr. Lehne. Er war sehr übermütig; die reichlich genossene Bowle machte in der frischen Luft bei ihm und Thank- mar seine Wirkung geltend. Letzterer sing sogar an zu singen: „O wonnevolle Jugendzeit mit Freuden ohne Ende —" Thankmar sang dann weiter in die Nacht mit kräf tiger Stimme: „'s ist mir alles eins, ob ich Geld hab' oder keins." Schließlich ließ ihn aber ein mahnendes Wort des Vaters verstummen, da es wirklich den Anschein hatte, als wolle er das ganze Kommersbuch singen. Mit einem innigen Händedruck verabschiedete sich Lucian von der Geliebten und ging, vergnügt vor sich hinsummend, in sein Zimmer. Schnell hatte Edith in der Wohnstube Licht ge macht und war ihrer Mutter beim Entkleiden behilf lich. Besorgt sah sie ihr Gesicht, das ihr seltsam müde und verfallen schien. ' „Ist dir nicht Wohl, Mütterchen? Du siehst so bleich aus!" Statt aller Antwort fing Frau Bürkner heftig an zu weinen. „Was ist dir nur Mütterchen?" „Ach, ihr armen Kinder," schluchzte Frau Bürkner, „ihr armen Kinder tut mir so leid! Wie gut haben es doch Hildebrandts! Wie fein ist es bei denen — ach, und wir dagegen! — wir könnten es doch auch bester haben." Traurig blickte sie sich in dem schwach von der Pe troleumlampe erhellten, einfachen Stübchen um, das ihr jetzt doppelt armselig erschien, nach all der Pracht, die sie bei dem Bruder geschaut. „Mutter, ich bitte dich, wenn Vater das hörte! Willst du ihn kränken?" sagteThankmar herrisch. „Wenn die ganze Kiste bei Hildebrandts nur bezweckt hat, daß dir solche Gedanken aufgestiegen sind, bedaure ich, daß wir dort waren! Das ist der ganze Zimt nicht wert!" Aerg'erlich ging er im Zimmer auf und ab, die Hände in den Hosentaschen, wie es seine Gewohnheit war. Dann blieb er wieder vor der Mutter stehen. „Sag' mal, hast du uns schon mal klagen hören? Ich bin zufrieden! Gehungert und gebettelt haben wir noch nicht, so viel verdient Vater doch immer noch. Gott, daß wir keine ganze Etage bewohnen können, wie Onkel — das ist doch wahrlich nicht so schlimm. Und daß wir keinen Salon und kein altdeutsch einge richtetes Eßzimmer haben, noch weniger! Wer weiß, j wie lange die Herrlichkeit La dauert! Onkel spekuliert gern — die Katze läßt einmal das Mausen nicht — da kann eines schönen Tages alles futsch sein." Er faßte die Mutter an beiden Schultern. „Also sei gut, Mutterle, gehe zu Bett und schlafe schön und träume von deinem großen Jungen!" „Nicht wahr, Edith, es war doch alles so sein?" Frau Bürkner konnte sich noch nicht beruhigen. „Der Tisch war so schön gedeckt — das Tafelser- Vice war auch neu, das habe ich noch nicht bei Hilde- brandts gesehen — Marlhachen hat uns auch verschie denes mitgegeben — das Paket liegt in der Küche — du packst es Wohl noch aus, Edith! Sie ist eigentlich recht gut! Und die Hummermayonnaise schmeckte aus gezeichnet —" „Das ist wahr, Mütterchen, das Essen war groß- artig. Na, ich habe tüchtig zugelangt! Der Stoff, die Bowle, war tadellos, da hat sich Onkel nicht lumpen lassen." „Hat mein Herr Bruder nicht einen kleinen Schwips?" lächelte Edith. „Es scheint mir so, weil er so viel redet." „Was du denkst! Ich nehme mich sehr in acht u. trinke nur wie das liebe Vieh, das genau weiß, wann cs genug hat! Ich brauche bloß an unsere letzte Kneipe zu denken — den furchtbaren Kater habe ich noch nicht vergessen, den Mir die eingebracht hatte — brrr — das war auch eine elende Sauferei — jedes einzelne Här chen tat mir da weh — gebrannt' Kind scheut das Feuer —" Er gähnte und sah nach der Uhr. „Nun aber marsch zu Bett! Es ist schon zwei vor bei — gute Nacht allerseits!" „Gute Nacht, Thankmar, schlafe gut! Morgen früh brauche ich dich ja nicht zu wecken, da kannst du aus schlafen — zum Glück sind Feridn," meinte Edith. Dann führte sie die Mutter ins Schlafzimmer, suchte danach ihr bescheidenes Lager auf und schlum merte bald mit dem Gedanken an den Geliebten ein. 6. Wie sie gesagt, kam Martha in der Nachmittags stunde des nächsten Tages zu Bürkner. Sie wußte genau, daß sie um diese Zeit die Tante allein antraf; der Onkel war im Geschäft, und Edith gab Unterricht. Das war ihr sehr recht; so konnte sie von der redseligen Frau, Lie sich hochgeehrt fühlte durch den Besuch der verwöhnte, eleganten Nichte, über Waldow erfahren, soviel sie wollte. Sie hatte noch ein kleines Paket mit verschiedenen Delikatessen mitgebracht, wodurch sie die Tante sehr er freute. Beide saßen auf dem Sosa, und durch geschickte Fragen hatte Martha endlich das Thema „Waldow" er reicht. Der junge Künstler stamme aus Süddeutschland, erzählte Frau Bürkner; seine Mutter wohne in Reut lingen, sein Vater sei schon vor sechs Jahren gestor ben, er sei Postsekretär gewesen. Am 18. Dezember würde Waldow 25 Jahre, habe er kürzlich erzählt. Gern würde sie Marthachen einmal sein Zimmer ge zeigt haben, meinte Frau Bürkner weiter, es sei sehr gemütlich; ihre besten Möbel ständen darin, die rot braunen Plüschmöbel, wenn sich Marthachen noch erin nern könne — aber er wäre heute zu Hause geblieben. Das tue er meistens, wenn er am Abend als Solist zu spielen habe. „So? Wie ist ihm eigentlich der Abend gestern be kommen? Hat er ;twas gesagt, ob es ihm ein biß chen bei uns gefallen hat?" Anscheinend gleichgültig stellte Martha diese Fra gen; doch lag ein gespannter Ausdruck in ihrem Ge sicht. „Wir haben ihn heute noch gar nicht gesehen. Ob ich ihn mal 'rüberhole?" bemerkte Frau Bürkner, auch schon aufstehend und nach der Tür gehend. ' „Aber Tantchen, willst Lu dich bemühen! Da würde er schließlich denken, ich sei um ihn gekommen, das geht doch nicht! Lasse es lieber," wehrte Martha. „I bewahre, Marthachen, wie kann er! Ich sage ihm bloß daß du da bist, ob er dich mal begrüßen will." Als sie allein im Zimmer war, eilte Martha schnell an den Spiegel und sah, daß alles noch in bester Ord nung an ihr war, sah, daß das zartgraue Schneider kleid wirklich eine vorzügliche Figur machte. Freudig atmete sie wieder auf. Sollte sie ihn doch Wiedersehen, den sie so lange schon heimlich verehrte! Und den sie, seit sie ihn per sönlich kannte, auch sür sich begehrte! Denn sie liebte ihn, das wurde ihr klar, als sie hochklopfenden Her zens jetzt seine Stimme auf dem Vorsaal hörte. Schnell nahm sie eine möglichst nachlässige, gleich gültige Stellung ein und blickte anscheinend interessiert auf die Straße. „Welch' unverhoffte Freude, gnädiges Fräulein, Sie hier zu sehen!" rief er aus, als er in das Zim mer trat. Sie streckte ihm ihre Weiße, sorgfältig gepflegte Hand entgegen, die reich mit kostbaren Ringen ge schmückt war. „Guten Tag, Herr Waldow! Ich wollte mal se hen, wie Tante Bürkner der gestrige Abend bekommen ist, ob es nicht zu viel sür sie war. Arburgs sind immer so laut! Wegen der Herzbeklemmungen,'an de nen Tante leidet, bin ich doch etwas besorgt um sie. Sind Sie denn nachmittags zu Hause, Herr Waldow? Ich denke. Sie machen den üblichen Stadtbummel?" (Fortsetzung folgt.)