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vayertjchen Koalitions-Parteien sind zusmumengetteten, um über die Person des neuen Ministerpräsidenten zu ver handelns. Dr. Meyer soll übrigens gebeten haben, von seiner Wahl abzusehen. Ermordung eines Deutschen durch Marokkaner In Rödelheim, an der Grenze des besetzten Gebiests, ist ein zwanzigjähriger junger Mann namens Ried aus Sossenheim von einem marokkanischen Soldaten durch einen Bauchschuß so schwer verletzt worden, daß er noch in der Nacht seinen Verletzungen erlegen ist. Die Marok kaner kamen betrunken vom Posten in eine Wirtschaft und verlangten Schnaps. Als ihnen dieser verweigert wurde, überfielen sie ihren Unteroffizier, nahmen ihm die Mu nition weg und beschossen die Wirtschaft. Dabei erhielt Ried den tödlichen Schuß. Mussolini in Nom. DaZ neue Kabinett genehmigt.—Zusammenstöße in der Provinz. — Demobilisierung der Faszisten. — Der neue politische Kurs. Unter großem Jubel der Bevölkerung hat Mussolini seinen Einzug in Rom gehalten, ist vom König zu einer längeren Unterredung empfangen worden, hat in kürzester Zeit eine neue Negierung gebildet und dazu nicht nur die Zustimmung, sondern auch die Glückwünsche des Königs empfangen. Von den neuen Ministern gehören vier zur Partei der Faszisten, zwei zu den Populari, drei zu den Demokraten, Ein Liberaler, ein Nationalist und ^ei Parteilose. Mussolini selbst führt außer dem Vorsitz im Mi- nisterrat auch die Ressorts des n ZM Äußern und des Innern. Nach- D dem der Schwarzhemdenführer I also auf der ganzen Linie einen raschen Sieg errungen hat, ist aus Rom der Befehl zur Demobilisierung der faszistischen Armee ergangen, Musioltnt. von dessen Durchführung nach all gemeiner Ansicht die Beruhigung des Landes abhängig ist. In Rom selbst, wo der Verkehr unterbrochen war, ist die Ordnung und das normale Ge- schästsleben wieder hergestellt. Die Stadt hatte geflaggt und die Begeisterung der Römer kannte nach allen Be richten keine Grenzen. Wesentlich ernster ist die Lage in der Provinz. Hier ist es mehrfach zu blutigen Zusammenstößen mit dem Militär gekommen, auch Reibereien mit den Kommunisten werden gemeldei. Eine Anzahl Tote und Verwundete waren das Opfer dieser kleinen Gefechte, die besonders die Stadt Mailand heimsuchten, wo die Faszisten entgegen ihren Befehlen die Zeitungen „Avanti" und „Secolo" stürmten und oie Einrichtung demolierten. Auch die Kaserne der Bersaglieri wurde von ihnen eingenommen. Mussolini selbst mahnte in einer Ansprache an die Menge in Rom alle zur Ruhe und Ordnung und erklärte, Italien werde nun nicht ein Ministerium, sondern eine Regierung haben. Er schloß mit einem Hoch auf Italien, den König und den Faszismus. Vor dem Königspalast fanden Massenkund gebungen für den König statt. Der König zeigte sich wiever- holt. * Die Politik Mussolinis wird, wie er selbst erklärte, nach außen hin auf eine feste Freundschaft! mit den Alliierten gegründet sein. Im Innern setzte eine scharfe Bekämpfung der Sozialisten ein. Man sagt, daß bereits Hunderttausende von Arbeitern zu den Faszisten Lbergogangen seien. Die kommunistische Partei in Italien ist überhaupt aufgelöst worden. Die kommunistischen Abgeordneten werden wahrscheinlich ihre Mandate niederleaeu. Der Kaiser und Deutschlands Zukunft. Der Ausklang der Kaiser-Erinnerungen. Irr diesen Tagen ist das seit langem angekündigte und in seinen interessantesten Teilen bruchstückweise durch die Presse bereits bekanntgewordene Erinnerungsbuch des Kaisers vollständig imBnchhandel erschienen und ermöglicht nun einen lückenlosen zusammenhängenden überblick über die Stellungnahme seines Verfassers zu den politischen und kulturellen Streitfragen der Vergangenheit. Diese nehmen selbstverständlich den weitaus breitesten Raum des Gesamtwerkes Gr, wie es ja von einer „Er innerungsschrift" nicht anders zu erwarten ist. Von den Tagen Bismarcks an durchwandert der Leser dieser Buches die jüngste deutsche Geschichte bis zu den Novembertagen von 1918 an der Hand eines Beobachters, der, obwohl er nach außen hin an der anscheinend am meisten maßgeben den Stelle gestanden hat, doch vielfach — wie gerade dieses Buch sehr deutlich zeigt — eben nicht mehr als ein Beob achter, nicht immer als ein nur auf sich selbst gestellter Führer, sondern als ein von den Ereignissen, von über mächtigen Gewalten Getriebener gewesen ist, und, wenn man alle sachlichen und persönlichen Begleiterscheinungen berücksichtigt, oft wohl auch nicht mehr fein konnte. Mit wenigen Ausnahmen bietet dieses Buch keine neuen wich tigen Aufschlüsse über die politische Geschichte Deutsch lands in den letzten drei Jahrzehnten, aber gerade nach der persönlichen, mehr noch nach der rein menschlichen Seite hin findet man eine Fülle charakteristischer Einzel heiten, die für das Gesamtbild, das man sich im deutschen Volke und in der feindlichen Welt von der Person des Kaisers macht, zahllose neue Züge und Ergänzungen, die dieses Bild klarer und vollständiger erscheinen lassen, als es vorher möglich war. Man wird letzten Endes daraus Verständnis sür viele Handlungen -des Kaisers gewinnen, die bisher von der historischen Kritik auf das heftigste um stritten wurden, Mit dem Mick in die Vergangenheit allein wäre je doch das Erinnerungsbuch eines noch unter den Leben den weilenden Mannes nicht vollständig abgerundet und abgeschlossen. Der Lebende kann an der Gegenwart und der Zukunft ebensowenig vorübergehen, wie das ganze Volk seine geistige Existenz nicht von der Trauer um Ver lorenes, sondern nur von der Hoffnung auf Kommendes fristen kann. So schließt auch das Kaiserbuch mit einem Ausblick auf Deutschlands Zukunft. Hier offenbart sich noch einmal die Persönlichkeit Wilhelms U. in allen ihren charakteristischen Wesenszügen. Er haftet in seiner ganzen Gedankenwelt restlos in den Begriffen, in denen er ausgewachsen ist, und noch bis auf die letzte Seile seiner Schrift läßt ihn die Bitterkeit gegen diejenigen nicht los, die in Deutschland den politischen Umschwung herbei führten. Die großen, umfassenden Allgemeinideen sind es immer gewesen, die ihn während seiner Regierungszeit erfüllten, und zu seinem eigenen tragischen Geschick hat er wohl nur selten vermocht, hinter dem glänzenden Vorhang dieser Gedankenkomplexe mit dem scharfen Auge des Real politikers die für den Beobachter vielleicht kleiner erschei nenden, in Wirklichkeit aber mächtigen und für den Augen blick oft ausschlaggebenden Kräfte zu erkennen, die dem wirklichen, täglichen Gang der Ereignisse ihre Bahn vor schrieben. Die gleiche geistige Einstellung mit allen ihren Vorzügen und Nachteilen zeigt er auch bei seiner abschlie ßenden Zukunstsbetrachtung. Aus denselben Wurzeln, aus denen in seiner Jugend Deutschlands Größe erblühte, möge, so wünscht er, auch Deutschlands neue Zukunft en'porwachsen. Nationales Empfinden, Vertrauen auf niemand anderes als nur auf sich selbst, das Gefühl sür deutsche Würde und Einheit und schließlich die unerreichte Leistungsfähigkeit deutscher Arbeit, Wissenschaft und Kunst find die Lichtpunkte, aus die sich das Auge des Kaisers richtet. Der Glaube an die künftige Beseitigung des Ver sailler Vertrages, an die friedliche Mission des deutschen Volkes und schließlich der Glaube an Edith Bürkners Liebe. 27) Roman von Fr. Lehne. „Thankmar möchte es doch so sehr gern. Er hat von feinem Stundengeben etwas Geld auf der Spar kasse. Edith will ihn auch unterstützen, sobald sie eine Stelle hat! Was wir entbehren können, geben wir ihm selbstverständlich, und wenn er Stipendien be kommt " „Wenn — wenn — wenn!" schnitt der Bruder ihr kurz das Wort ab. „Seid ihr naiv! Das sieht euch ja ähnlich. Rechnet da mit einem paar hundert Mark, wo es in die Tausende geht! Und wenn euch was zustoßt, he? Was wird dann? Wenn ihr krank wer det und euren letzten Notgroschen geopfert habt, was dann? Der Herr Sohn sorgt da nicht für euch, der kann noch nichts verdienen. Ihr, die armen, alten El tern, müßt ihn noch erhalten! So 'ne Kurzsichtigkeit!" Aufgeregt ging er im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd. „Nichtig ärgern kann man sich, wenn man solche Unüberlegtheiten hört! Aber ihr habt in eurem gan zen Leben nichts Gescheites gemacht, du und dein su perkluger Herr Gemahl —" Bei diesen schonungslosen Worten traten in Frau Bürkners Augen Tränen, die sie jedoch heldenhaft un terdrückte. Sie hoffte ja, den Bruder zu erweichen. Leise sagte sie: „Wir haben ernst und eingehend mit Thankmar dar über gesprochen und haben ihm alles vorgestellt. Aber er glaubt doch mit einer, wenn auch nur kleinen Un terstützung auskommen zu können. Und da — da dachte ich — daß du, lieber Bruder, — ihm unter die Arme greifen würdest — dir ist es doch ein Leichtes —" Nun war es heraus, und ängstlich sah sie zu dem Bruder auf, der bei ihren letzten Worten vor ihr ste hen geblieben war, beide Hände auf den Tisch ge stützt und sich zu ihr neigend. „So, weißt du denn das so genau? Mir ein Leichtes? Natürlich, als ob ich das Geld auf der Straße gefunden hätte! Aus einer kleinen Unterstützung wird eine große und dann hat man den sauberen Nef fen ganz auf dem Halse! Er wird wohl wissen, wa rum er dich hergeschickt hat!" „Thankmar weiß nichts davon, daß ich hier bin! Ach, Bruder, willst du denn nicht? Du verdienst dir einen Gotteslohn!" „Püh — Gotteslohn! Auch so 'ne schöne Redens art! Nicht 'nen Pfennig kriegt er, und damit basta!" »Ich bitte dich, Otto, sei bvrmherzig! Erleichtere meinem Sohn seine Lage," flehte sie, „wir wollen es ja nicht geschenkt haben. Wenn er erst verdient, wird er dir alles zurückzablen." „Woyt am Nimmermehrstage? Das kennen wir! Nee, das gibt's nich! Eines will ich dir noch sagen, Lina, schicke mir den Burschen, den Thankmar, mal her, damit ich ihm die großen Rosinen aus dem Kopf treibe! Studieren will er — hat keinen Pfennig Geld dazu — man muß wirklich lachen —" er stieß ein kur zes, trockenes, höhnisches Gelächter aus. „Und wer hat ihm das dumme Zeug in den Kopf gesetzt? Ihr! Ihr allein seid schuld! Warum schickt ihr euren Jun gen auf das Gymnasium? Das war gar nicht nötig! Wie ich neunzehn Jahre alt war, verdiente ich schon Geld!" „Wir haben doch kein Schulgeld zu zahlen brau- Ten, und Thankmar lernte so gut —" „Ach, papperlappap — alles Unsinn! Als ob man in praktischen Berufen nicht auch kluge Leute gebrau- chen könnte! Wenn er sich nicht aufs Studieren er> picht hätte, da wäre man auch kein Unmensch! Als er sein Einjähriges hatte, konntet ihr ihn von der Schule nehmen und in eine ordentliche Lehre bringen: da hätte ich euch gern mit Rat und Tar zur Seite ge- standen, da dein Mann doch nun mal wenig davon ver steht. Schon um deinetwillen hätte ich das getan, Lina. Aber hier solchen Unsinn noch unterstützen sol len, das wäre ja notorische Verrücktheit!" Er hatte sich so ereifert, daß er ganz blaurot im Gesicht geworden war. „Otto, rege dich doch nicht so auf," bat da seine Frau. „Gott, dann lasse es dir doch nicht auf einen monatlichen Zuschuß anlommen." Er lachte höhnisch auf. „Nich 'nen roten Pfennig, sage ich nochmals! Aus Prinzip nich! Die Leute sollen nicht zu hoch hinaus wollen, nicht über ihre Verhältnisse! Also nich 'nen roten Pfennig!" „Bruder, ist das dein letztes Wort?" „Mein letztes Wort und keins weiter!" Und zur Bekräftigung schlug er mit der Hand zwei mal auf den Tisch. Frau Bürkner brach in Tränen aus. „Wenn ich nun damals auch so gesprochen, als du ore fünfzehntausend Mark'haben wolltest? Da konntest du schön bitten, daß ich dir aus der Verlegenheit hel fen sollte! Und ich hab's auch gern getan, und von da an ging es dir gut! Aber freilich, daß vergißt sich, und wie —" „Was?" schrie er sie da an. An jene Zeit wurde er nicht gern erinnert. „Was? Habe ich dir das Geld nicht zurückgezahlt bei Heller und Pfennig? Sogar mit fünf Prozent! Ueberall hätte ich das Geld mit drei undeinhalb kriegen können! Und das hältst du mir jetzt vor? Da sieht man, was für eine Gesellschaft ihr seid. Und wo ist denn jetzt das Geld, he? Das könnt ihr ja euren Thankmar verstudieren lassen! Vielleicht viesedeutfche Nation selbst sind es, auf die er vertraut. Mit dem letzten Satze der ganzen Schrift weist er noch mals die Schuldlüge zurück, die die Quelle unseres ganzen Elends ist. Von sich selbst spricht er am Schlüsse fast gar nicht mehr. Nur die Reinheit seines Gewissens und dle Ergebenheit in fein persönliches Schicksal betont er noch einmal. Alle Zukunstsgedanken aber widmet er dein deut schen Volke. Möge fein Buch dazu beitragen, daß neue Lichtstrahlen in die Finsternis des Hasses und der Ver blendung gegen Deutschland fallen, dann wird er, dessen ehrlichen Friedenswillen nach den jetzt vorliegen- ven Bekenntnissen niemand mehr bezweifeln kann, mit die ser Schrift vielleicht dazu beigetragen haben, daß der Friede Deutschlands künftig auf festeren Grundlagen ruhen kann. —w. Nah und Fern. O BrcSlauer Messe. Die Breslauer Frühjahrsmesse findet in der Zeit vom 11. bis 14. März 1923 statt, d. h. im unmittelbaren Anschluß an die Leipziger Messe. Fast sämtliche Aussteller der Herbstmesse haben ihre Beteili gung für die Frühjahrsmesse angemeldet, so daß mit der gleichen Beteiligung von etwa 2000 Ausstellern gerechnet werden kann. O Der Staatsanwalt in der Kunstausstellung. In der Jurys:eien Kunstausstellung in Berlin erschien ein Staats anwalt mit mehreren Kriminalbeamten und beschlag nahmte sieben Bilder. Es handelt sich um ein Ölgemälde des Malers Otto Dix und um Zeichnungen von Georg Kobbe und Godal. Die Beschlagnahme soll aus die Anzeige eines Mannes, der an den Halbakten Anstoß genommen hat, zurückzuführen sein. O Die Eifenbahnlatastrophcnserie. Auf dem Bahnhof Grevenbroich stieß ein ausfahrender Güterzug mit einem ans der Richtung München-Gladbach einfahrender Per sonenzug zusammen. Zwölf Personen, darunter 5 Eisen bahner, erlitten leichte Verletzungen. O Vulkane im Meissner Gebirge. Im Meißner Ge birge zwischen Werra und Fulda machen sich Erscheinun gen bemerkbar, die darauf schließen lassen, -daß es sich um wiedererwachende Vulkane handelt. Die Felsmassen sind in letzter Zeit in Bewegung geraten, so daß sich ein rich- tiger Felssturz vorbereitet. Aus dem Berginnern steigen gelbe Dämpfe auf. Dir Forstverwaltung hat in den Gegenden, wo die Dämpfe aussteigen, die Bäume fällen lassen, um Forstbeschädigungen vorzubeugen. O Für 1 Million Platin gestohlen. Einbrecher stahlen aus dem Laboratorium der Union-Fabrik chemischer Pro dukte in Stettin vier Platintiegel im Werte von einer Million Mark. 100 000 Mark sind als Belohnung aus gesetzt. O Das Verbrechen eines Zwölfjährigen. Der zwölf jährige Schüler Brader in Stallupönen fiel aus gering fügigem Anlaß über den siebenjährigen Schüler Brom berger her und schlug auf ihn mit einem eisernen Haken ein, so daß Bromberger bewußtlos zusammenbrach. Nun lud Brader den Bewußtlosen auf einen Handwagen, fuhr mit ihm zum Torfbruch und warf ihn hinein. Bromberger, der das Bewußtsein wiedererlangt hatte, kam dreimal an die Oberfläche und versuchte verzweifelt, sich zu retten, was Brader aber verhinderte, so daß Bromberger ertrank. O Das Brautgeschenk Wilhelms II. Berliner Blätter Wollen wissen, daß der frühere Kaiser seiner Braut am Hochzeitstage einen Schmuck — Brillantdiadem, Anhänger und Ohrringe — im Werte von mehreren hundert Millio nen schenken werde. Nach einer anderen Meldung handelt es sich um alten Familienschmuck, der nur eine neue Fassung erhalten hat. Den Text der Trauerrede, die der frühere Hofprediger Dr. Vogel bei der kirchlichen Trau ung in Doorn hallen wird, hat der Kaiser selbst bestimmt; er lautet: „Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ibnen." wird er gar gleich Professor! Gebt's ihm doch! Wozu braucht ihr mich denn? Aber natürlich ist nischt mehr da — durchgebracht habt ihr alles — pleite seid ihr!" Vergebens suchte Frau Hildebrandt ihren Mann, der mit den beiden Händen in der Luft herumgestiku lierte und dem die Stimme überzuschnappen drohte, zu beruhigen. Frau Bürkner erhob sich; sie konnte sich kaum noch aufrecht erhalten, so Hämmerle vorAusregung das arme, kranke Herz. Mit zitternden Händen band sie die Hutbänder zu. „Ich will dir nichts Schlechtes wünschen trotz dei ner Härte," sagte sie mit schluchzender Stimme, „aber hoffentlich kommt einmal der Tag, der dir zeigen wird, wie unrecht du uns getan hast. Wir haben nichts durchgebracht und verschwendet; das Brot, das wir essen, ist sauer verdient! Und ebensowenig wie du dafür kannst, daß es dir güt geht, können wir dafür, daß wir kein Glück haben! Wir sind auch in unseren bescheidenen Verhältnissen zufrieden; du aber hast ganz vergessen, wie —" „Nu höre aber auf, sonst —" unterbrach er sie, vollendete aber nicht, was er sagen wollte, da seine Frau ihm einen warnenden Blick zuwarf. Er brummte noch einige undeutliche Worte vor sich hin. Frau Bürkner wankte zur Tür. Ihr Bruder drehte sich nicht einmal nach feiner Schwester um, son- dein trommelte an den Fensterscheiben herum. Sollte man da nicht außer sich fein, wenn man so etwas hörte — nichts zu beißen haben und dann noch an Studieren denken! Vielleicht lag aber der Grund zu seinem Groll noch tiefer! Denn er trug in seiner Tasche einen Brief von dem Direktor des Instituts zur Vorbereitung auf die Reifeprüfung, worin ihm mitgeteitt wurde, daß es rat- sam sei, wenn sein Sohn Kurt vom Examen zurücktre- ten würde, da er keine Aussicht habe, die Prüfung zu bestehen. Da soll doch gleich! Einmal war Kurt schon durch, gefallen und nun noch einmal! Und da sollte man nicht die gute Laune und Geduld verlieren? 10. „Mütterchen, du bist so still und siehst so bleich aus! Fühlst du dich nicht wohl?" fragte Edith besorgt die Mutter, die am Abend schweigsam, vor sich hinstar rend, am Ofen saß. Während des Abendessens war ihr das nicht so aufgefallen; aber jetzt merkte sie das veränderte Wesen der Mutter, die sonst von einer ge wissen Redseligkeit war. (Fortsetzung folgt.)