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Wilsdruffer Tageblatt : 16.08.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192208164
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220816
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220816
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-08
- Tag 1922-08-16
-
Monat
1922-08
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 16.08.1922
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L)Zs Haupimann-KeLer in Gchsesien. m. Breslau, 14. August. Die Hauptmann-Tage trugen natürlich in erster Linie Aussühnmgen der Stücke des Dichters, des „Florian Geyer" in der Jahrhunderthalle, des „Biberpelz" im Lobe-Theater, des „Fuhrmann Henschel" und des neuen Stückes „Das Opfer" im Sladtti>eatcr usw. Dieses letztgenannte Stück hat der Dichter selbst in Szene gesetzt. Das Haus war dicht besetzt. Mit an- dachtvoller Spannung folgte das Publikum der glänzenden Auf führung. Begeistert wurde der Dichter schon nach dem dritten Akt herausgerufen und nach -dem Schlüsse der Vorstellung rief nicht endenwollender Beifall Dichter und Darsteller vor die Kampe. Eine besondere Note empfing das Fest durch die Teilnahme des Reichspräsidenten, der mit den Ministern Bauer, Köster, Gröner, Severing, Boelitz und anderen Würdenträgern in Breslau eingetroffen war. Der Empfang durch die schlesischen Behörden sand im Remter des Rathauses statt. Der Oberbürgermeister von Breslau und die Oberpräsi- dentcn von Nieder- und Oberschlesien begrüßten den Reichs präsidenten. Präsident Ebert erwiderte in längerer Rede, worin er auf die Bedeutung Hauptmanns für den republikanischen Gedanken hinwics. "Das Volk, führte er aus, ist heute selbst Träger seiner Geschicke; das staatliche Leben hat dieselbe Wandlung voll zogen, die der Dichter in seinen hauptsächlichsten Dramen durch geführt hat; bei ihm, insbesondere in seinen „Webern", ist das Volk nicht der Chor der antiken Tragödie, der die Handlung nur verfolgt und begleitet, bei ihm ist das Volk in seinem Leiden und Sehnen selbst der Mittelpunkt, der Handelnde des Dramas. Wenn heute die Republik und ihre berufenen Führer nach Fühlung zu den geistigen Kräften des Volkslebens suchen, aus dessen keimenden Trieben die Zrtkunft ersprießcn soll, — zu welchen geistigen Betätigungen Wohl mehr als denen eines Dichters, der in seinem Sinn aeunffermaßen das Volk als Handelnden entdeckt und. meisterhaft mit ebenso hoher histo rischer wie poetischer Wahrheit geschildert hat? Dann wird der neue Staat keine Maschine sein, die im ewigen Gleichlauf nur Rcgicrungsgcschäfte besorgt, sondern ein lebendiger Or ganismus, dem die geistigkulturellen Güter, dem Kunst und Wissenschaft unveräußerliche Bestandteile seiner lebendigen Kraft sind. Nach einer Ansprache des Nniversttätsprofessors Kühne mann kam dann Gerhart Hauptmann selbst zu Worte. Er dankte für die ehrenden Worte, die ihm gewidmet worden seien und die ihn in Einklang setzen mit seiner großen Aus gabe, die ihm aber auch persönlich eine Bestätigung dafür geben müßten, daß er kein unnützes Glied der deutschen Volksgemeinschaft gewesen sei. Der Reichspräsident und Gerhart Hauptmann traten nach Beendigung des Festaktes in Remter auf die Freitreppe des Rathauses hinaus, wo sie von einer zahlreichen Menge Herz- lichst begrüßt wurden. Der Reichspräsident hat der Aufführung des „Florian Geyer" in der Iahrhunderthalle beigewohnt und ist inzwischen von Breslau wieder abgereist, um sich zunächst nach Glatz zu begeben und eine Anzahl industrieller Anlagen zu besichtigen, u. a. das Kraftwerk Mittelstein. Von Glatz fuhr der Reichs präsident in Begleitung des Reichsverkehrsministers nach Schreiberhau. Diese Strecke ist bei dieser Gelegenheit zum ersten Male dem elektrischen Betriebe üb re geben worden. In Schreiberhau besichtigte der Reichspräsident Lie Lungen heilstätte der preußischen Arbeiterpensionskasse. Weiter begab sich der Reichspräsident nach Warmbrunn. Lord Norihcliffe 1*. Aus dem Leben des englischen Zeitungskönigs. Der schon seit längerer Zeit schwer erkrankte Führer der deutschfeindlichen Ententepresse, Alfred William Harmsworth, der seit dem Jahre 1905 den Namen Lord North cliffe führt, ist in London gestorben. Seine Laufbahn ist eine der glänzendsten gewesen, die man unter den zahlreichen Fällen findet, in denen weltbekannte Männer aus kleinen Anfängen emporgekommen sind. Er wurde als Abkömmling einer Londoner Buchhändler- familie im Jahre 1865 in Irland geboren, ist aber in England ausgewachsen. Schon als Schüler gründete er eine Zeitung, schrieb als Student Artikel für Tageszeitungen und errang mit 22 Jahren durch die Gründung der billigen Wochenschrift „Answers" seinen ersten aroken Erkola. Den wichtiakten Schritt kitt er 1896 mit der Gründung des ersten Hals- pennyblattes, der „Daily Mail". Sie brachte es in kurzer Zeit zu einer Ab nehmerzahl von über einer Million. Von 1896 ab verging saft kein Jahr ohne eineHarms- worthsche Zeitungsgrün dung. 1906 kaufte Harms worth die „Times", deren Auflage er auf über 300 000 brachte. Mnnen zehn Jah ren war er der mächtigste Mann Englands, der seine unbedii^te Macht über sei- neu Leserkreis, der in die Millionen geht, zu politi schen Zwecken skrupellos ausrmtzte. 1904 wurde er in den Adelsstand erhoben, 1905 zum Lord Northclissc und Baron of Thanet ernannt. Nach dem Abschluß der englisch- französischen Entente trat er in engste Verbindung mit dem „Matin". In Rußland kaufte er die „Nowoje Wremja" und gründete eine russische Ausgabe der „Times". In allen diesen Blättern wurde systematisch Deutschenhetze betrieben und Millionen von Lesern in allen Weltstaaten der deutsche Staat als Land der Tyrannei, der Beamtenwillkür, des Mili tarismus und als Feind der ganzen Kulturmenschheit hinge stellt. Dieses Treiben erreichte während des Krieges seinen Höhepunkt. Die Northcliffepresse brachte die scheußlich sten Berichte über angebliche deutsch» Kriegsreuel. Der mächtige Zcitungskönig stürzte Asquith, um Lloyd George ans Ruder zu bringen, und wurde schließlich zum Minrster für Propaganda in den feindlichen Ländern ernannt, dessen Tätigkeit darin bestand, das deutsche Staats wesen zu untergraben. 1921 unternahm Northcliffe eine Welt reise nach dem Fernen Osten, überall gegen angebliche „neue deutsche Gefahr" hetzend. Er ist jetzt nach einer Propagaudareise am Rhein, von der er krank zurückkehrte, an Gehirnerweichung gestorben. Als einer der Männer, die Deutschland am meisten geschadet haben, wird er in der Geschichte verzeichnet werden. Die Erhöhung der Broipreise. Amtliche DarlegungenüberdieGründe. Die außerordentliche Steigerung der Brotpreise, die mit dem Beginn dieser Woche eingetreten ist und im einzel nen bis zu 80 Prozent beträgt, hat natürlich ziemliche Er regung bei den betroffenen Kreisen hervorgerufen. Be sonders in den volkreichen Städten und in den Industrie zentren, wo der großen Masse der Bevölkerung das wich tigste und unentbehrlichste Nahrungsmittel in so starker Weise hochgeschraubt wird, ohne daß sie in der Lage ist, im Augenblick eine Abwehrmaßregel zu treffen, hat die plötzliche Erhöhung niederdrückend gewirkt. Von amtlicher Seite wird nun eine ausführliche Dar legung veröffentlicht, in der die Gründe für die Notwen digkeit der Preiserhöhung angegeben sind. Im wesent lichen ist die allgemeine Geldentwertung als Ursache zu be trachten. Die Höhe des BrotPreises ist abhängig von dem Preise, zu dem die Reichsgetreidestelle das Getreide an die Kommunalverbände abgibt. Dieser Abgabepreis, der seit F-brrrar eine Änderung nicht erfahren hat (obwohl das Brot seit dieser Zeit teurer wurde) und im Durchschnitt für die verschiedenen Getreidearten 5462 Mark betragen hat, ist jetzt auf 11000 Mark erhöht (10800 Mark für Roggen und 11300 Mark für Weizen). Die Erhöhung hat vorgenom men werden müssen, weil die Preise für das in die öffent liche Hand gelangende Getreide, für inländisches Umlage- getrcide. und für das aus dem Auslände eingeführte Ge treide stark gestiegen sind. Die Preise für das inländische Umlagegetreide betrugen im vergangenen Jahre für Rog gen 2100 Mark, für Weizen 2300 Mark; sie sind jetzt erhöht worden auf 6900 Mark für Roggen und 7400 Mark für Weizen. Diese Erhöhung bleibt noch weit zurück hinter den Preisen auf dem freien Markte oder auf dem Welt markt. Bei der Festsetzung Ler Preise für dieses Jahr, im Juli, betrug der freie Marktpreis für inländischen Roggen etwa 13 000 Mark, für Weizen ungefähr 18 000 Mark, und der Dollar stand auf etwa 400. Der Preis für ausländi schen Weizen lag npcb höher. Mittlerweile sind die Preise noch stark gestiegen. Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß der Mischpreis der für Abgaben der Reichsgetreidestelle an Lie Kommunalvcrbände errechnet werden muß, eine sehr be trächtliche Erhöhung erfahren mußte. Die Erhöhung, sagt die Veröffentlichung, sei mithin über das notwendige Maß nicht hinausgegangen unv die Umlage ermögliche es, den Abgabepreis der Rcichsgetreidestclle wenigstens für einen gewissen Zeitraum auf gleicher Höhe zu halten, und damit das Brot den großen Schwankungen der täglichen Markt preise zu entziehen. Soweit gut und richtig. Wenn der Getreidepreis sich verdoppelt, muß der Brotpreis Nachfolgen. Was aber ebenso richtig ist und in direktem Zusammenhang mit die ser Lebensverteuerung steht, ist der Umstand, daß wohl die Erklärung für die Steigerung gegeben, nicht aber eine Möglichkeit angedeutet wird, wie derjenige Teil der deut schen Bevölkerung, dem sie auferlegt wird, sie tragen soll. Der Legalionsselretär als Vücherdieb. u. Berlin, 14. August. Vor einigen Wochen sind in Ley Berliner Staats bibliothek eine Anzahl wertvoller Werke verschwunden. Da diese Werke nicht nach Hause entliehen werden können, be obachtete man zunächst den Lesesaal, in dem die Einsicht in das Material gestattet wurde. Man entdeckte dann bei einem Berliner Antiquar zahlreiche Werke, die zwar eins» anderen Einband hatten, die aber zweifelsfrei aus den Ve- ständen der Bibliothek stammten. Die Stempel und Ab zeichen waren, was sich leicht feststellen ließ, sorgfältig be seitigt worden. Es gelang, als Verkäufer den angeblichen Legationssekretär Georg de Greif festzustellen, Ler seit Jah ren ständiger Besucher des Lesesaales der Staatsbibliothek -oat. Der Dieb wurde in Eilenberg bei Kassel auf dem Bahnhof festgehalten und von der Gendarmerie verhaftet. Auf Grund seines Geständnisses wurde ein Aussichtsbe amter des Lesesaales der Staatsbibliothek unter dem Ver dacht der Mittäterschaft feftgenvmmen. Er sitzt noch in Hast, Wird aber entlassen werden, weil ihm nur Mangel an Pflichterfüllung vorgeworfen werden kann, da er zu wenig auf den Lesesaalbesucher geachtet hatte. Der Wert der Werke, die fast alle aus dem 17. Jahrhundert stammen, betrug mehr als drei Millionen Mark. Der Staatsbiblio thek ist es gelungen, 90 Prozent der Beute wieder bei Ber liner Antiquaren zurückzuerlangen. Welt- und Volkswirtschaft, Was kosten fremde Werte? Börsenplätze 14. 8. gesucht j angev. 1». 8. gesuchts angev. Stand 1.8. L4l Volland 100GuId. 31885.05 31964,95 30362,00 30438,00 170 Mk. Dänemark lOOKron. 17627,90 17672.10 16828L0 16871,10 112 . Schweden 100 Kron. 21548,00 21602,00 20574,25 20625,75 112 , Ncrw-gen lOOKron. 14182,25 14217,75 13508,05 13541,95 112 , Schweiz lOOFrank 15680,35 15719,65 — — —.— 72 ' Amerika 1 Dollar 828,96 826,04 781,52 783,48 4/40. England 1M. 3670,40 3679,60 3495,60 3504,40 20^0, Frankreich lOOFrank 6741,55 6758,46 — —" Belgien lOOFrank 6342,05 6357,95 6067,40 6082,60 80 . Italien 100 Lire 6743 31 3754,70 3585,50 3594,50 80 , D.-Osterr. lOOKron. 1,45V- 1,49V- 1,38 1,42 85 . Ungarn lOOKron. 56,17 56,33 54,93 55,07 85 . Tschechien lOOKron. 2155,30 2160,70 2072,40 2077,60 Berlin, 14. August. Stand der Polenmark: 11,00 Pf. 4- Der Goldwert. Der Ankauf von Gold für das Reich durch die Reichsbank und die Post erfolgt in dieser Woche unver ändert wie in Ler Vorwoche zum Preise von 2500 Mark für ein Kwanri-Iinarkilllck. 1250 Mart kür ein Kebnenarkitück. Ave Maria. Roman von Felix Neumann. „Aus Wiedersehen, Walter," antwortete sie. Dann ein Händedruck, Walter Grebenstein war allein lm Gewoge der Menschenmenge. Verabredungsgemäß sollte sie schreiben und das neue Zusammensein angeben. Sie hatte sich ausbedungen, daß sie sich zwei oder drei Tage nicht sehen sollten, weil sonst ihr vieles Fernbleiben vom Hause auffällig werden müßte. Er hatte, wenn auch mit blutendem Herzen, eingewilligt, leise schlich er in sein Zimmer. Niemand störte ihn, er war allein mit seinem Glück und seinen Gedanken. Als er am Tische saß, den Kopf in die Hand gestützt, und das einfache Abendbrot unberührt vor ihm stand, fiel ihm der Brief wieder ein. Er öffnete ihn, da lagen vierhundert Mark darin, und einige Zeilen von derselben Hand besagten, daß sie das Honorar für den Bettelknaben darstellten, der von einem Kunstfreunde angekauft worden war. War das Geld etwa von Maria selbst oder hatte wirklich ein Kenner das Werk erworben? Er dachte eine Weile darüber nach, dann aber schweiften seine Gedanken wieder nach der Höhe am Tegernsee. Das andere, das ihn früher erregt haben würde, trat jetzt in den Hintergrund. Sie liebte ihn, das wußte er nun. Ihr roter, junger Mund hatte es ihm nur zu deutlich bekundet, da gab es kein Zweifeln mehr, wie aber würde sich die Zukunst gestalten? Wie steile, trotzige Berge, die in Nebel getaucht sind, lag sie vor ihm. Er wollte versuchen zum Gipfel des Glückes zu steigen. Er wollte schaffen, um etwas Großes zu leisten und sie sollte seine Führerin, sein Hort und Schutz engel sein. Er stand auf, bettachtete das alte Madonnenbild, dos ihm Monsignore übergeben hatte, und stellte es verächtlich in die Ecke. Er wollte die Aufgabe auf anderem Wege lösen und die Welt sollte staunen! 4. Kapitel. Vierzehn Tage später, es war Mitte Juli! — In Walters Atelier ging es in diesen Vormittagsstunden lebhaft zu. Zwar saß Jean Farmer, die Geige unter dem Arm, regungslos auf einem Stuhl, aber die klugen Augen folgten un- ablässig dem jungen Maler, der aufgeregt hin und her lief. Wie hatte sich doch der einfache Raum verändert. Waller hatte die Miete erhöht, dafür lieferte die Wirtin ein Paar Mullgardinen für das Fenster. Auch ein kleiner abgetretener Teppich lag in der Mitte der Stube, eine Chaiselongue mit un möglichem Stoffbezug war vorhanden, und zwei weitere Stühle vervollständigten das ehedem so dürftige Mobiliar. Soweit hatte die gute Frau gesorgt, die an Waller und dem Geiger Mutter stelle vertrat. Der Blumenflor aber, der über den ganzen Raum ausgeschüttei war, stammte von den beiden Künstlern. Jean Farnier hatte sich an der Ausschmückung und dem Einsammeln der holpen Kinder des Feldes beteiligen müssen, wenngleich er murrte und behauptete, daß die ganze Sache das ja gar nicht wert sei. Aber die Ruhe war nur äußerlich. In Wirklichkeit war er ebenso erregt wie der Maler, denn heute nachmittag um 4 Uhr sollte Maria zum ersten Male das Zimmer betreten. Was war vorgefallen, was haste dazu geführt, daß dieses junge Mädchen es über sich gewann, alle Tradition über Bord zu werfen, nach Schwabing zu gehen und das Zimmer eines Künstlers ohne mütterlichen Schutz aufzusuchen? An allem war Monsignore Umpfenberg schuld, der vor einigen Tagen wieder bei Walter gewesen war. Der rundliche geistliche Herr mit dem lockigen Haarkranz, der dem Gesicht etwas Altfrauenhastes ver lieh, hatte dem Künstler die Pistole auf die Brust gesetzt. Ent weder werde der Auftrag, der des Malers Glück machen könne, zurückgezogen oder das Bild müße in sechs Wochen fertig fein. Er gehe jetzt vertretungsweise auf einige Zeit nach Köln und müße Antwort haben, da das Bild — hier flüsterte er geheim nisvoll — für die neue herrliche Kapelle in Andernach bestimmt sei. Wenn Walter nicht wolle, dann würde ein Dutzend junger Künstler begierig zugreifen, denen sich auf diesem Wege Aus sicht böte zu Geld, Ehren und neuen Aufträgen seitens der Kirche zu gelangen. Da hatte Walter in seiner Herzensnot Maria um Bei stand angefleht. Unten an der Isar war es gewesen, an derselben Stelle, wo sie sich zum ersten Male sahen, und schließlich hatte Maria sanft und liebevoll das weiche Haar des großen Jungen gestreichelt, der vor ihr kniete und sein Antlitz in ihrem Schoße barg. „Ich habe dir bis hierher geholfen, Walter, ich werde dich auch jetzt nicht verlaffen, aber das Opfer, das du von mir ver langst, ist riesengroß. Vergiß das nie und verkenne nicht, warum ich als junges Mädchen diesen ungewöhnlichen Schritt tue, dich in deiner Wohnung aufzusuchen. Gelingt es mir, dein Schaffen »» neuem Leben zu wecken, indem ich dir Modell zu deinem Madonnenbilde stehe, dann mag Gott mir das Unrecht ver zeihen, das ich hinter dem Rücken der Mutter begehe." Ernst und mit traurigem Tone sprach Maria diese Worte, aber ihre liebkosende Hand tat Walter wohl. So kam es, daß Maria versprochen hatte, an diesem Nach mittag Walter die erste Sitzung zu gewähren. Und noch ein weiteres war vereinbart worden. Jean Farnier sollte als Freund den Sitzungen ^beiwohnen. Walter hatte für den Geiger die Hand ins Feuer gelegt, daß dieser schweigen werde und nichts von ihm durch irgendwelche Indiskretion zu befürchten sei. Auch war es Maria lieber, wenn noch ein Dritter als Zeuge im Zimmer anwesend war. Monsignore aber reiste mit dem festen Versprechen Walters ab, daß er bei seiner Rückkehr Ende August das fertige Bild vorfinden werde. — „Sieht das Atelier so freundlich aus?" fragte Walter be sorgt den Freund, während er fortgesetzt an den Stühlen rückte und die Staffelei mit der frischen Leinewand von einer Ecke in die andere schob. „Fürstlich!" sagte der Geiger und verzog das Gesicht zu dem bekannten faunischen Lachen. „Klammere dich nicht an Aeußerlichkeiten, mein Junge. Di« Liebe sieht über alles hinweg. Daß ich zugegen sein darf, ist mir eine große Ehre, und — ich werde verdammt aufpaffen und deine Heilige, wie du sie nennst, auf Herz und Nieren prüfen." Er stand auf und rückte einen Blumenstrauß ins Licht. „Taugt sie was, dann werde ich der erste sein, der dir Glück wünscht, ist sie nur fader Durchschnitt, so, was man unter einem hohlen schönen Lärvchen versteht, denn das sehe ich sofort, dann werde U mit meinem Urteil weiß Gott nicht zurückhalten." Und sie kam! Der Himmel meinte es gut mit ihr, daß er einen Regen schauer sandte, der die Straßen rein von Menschen fegte. Walter ! war an die Tür entgegengegangen, damit sie auch den Weg nicht j verfehle, und ohne ein Worl zu sagen, flog sie ängstlich und ver wirrt die steilen Treppen hinauf. Aufatmend trat sie ins Zimmer, wo Jean Farnier ver krümmt und gebückt in einer Ecke stand, das Gesicht verzerrt, als ob er kleine Kinder fressen wollte. Sie schlug den Schleier zurück und sagte leise: „Guten Tag!" Da streckte sich plötzlich des Geigers Gestalt. Mit einem Ruck fuhr er zusammen und unwillkürlich griff seine Rechte , nach der Krawatte, die er zur Feier des Tages umgebunden hatte, um zu prüfen, ob sie gerade sitze. In diesem Augenblick brach die Sonne wieder durch, und es war den beiden Männern, als ob mit Marias Erscheinen ein goldener Lichtstrahl ins dämmerige Atelier gehuscht sei. Jean Farnier räusperte sich trocken. Ihm stieg etwas im Halse hoch, und es war gut so, denn schon lag der Ruf: „Donnerwetter noch einmal!" auf seinen Lippen. So aber hinkte er der Eingetretenen entgegen, und Walter s mußte bei aller Erregung lächeln, als er des stolzen, mürrischen i Meisters tiefe Verbeugung sah. Maria war nicht umsonst die Dame von Welt. So unge- itvvKst ihr bi« Lage war, fand sie die Fassung wieder, und e» deuchte ihr am besten, mit einigen freundlichen, scherzhaften Worten über di» Steifheit der ersten Begegnung hinwegz»- kommen.
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