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Das Reich und Sas Rheinland. Der Kanzler gegen die Autonomiegerüchte. Reichskanzler Dr. Wirth sprach mit einem Pressever treter über die Fragen, die das Rheinland gegenwär tig in besonderem Maße bewegen. Ans die Fragen: Be stehen Anhaltspunkte zu einer besonderen Beunruhi gung der rheinischen Bevölkerung? Wird die Reichs regierung die rheinische Bevölkerung schützen? antwortete der Reichskanzler: „Was uns noch bevorsteht, wissen wir nicht. Was aber auch kommen mag, eins ist immer Ziel Unserer Politik und Hauptbeweggrund auch für das Schwerste gewesen, was wir auf uns genommen haben: der Gedanke an die Einheit des Reichs, an die Leiden und Gefahren der Greuzbevölkerung und insbesondere des Rheinlandes. Nie und nimmer werden wir die Interessen des Rhsinlandes im Stich lassen; m i t keinem Gedanken ist von der Reichsregie rung jemals die Preisgabe rheinländi scher Interessen erwögen worden. Ein ein- ziges Band der Liebe und Treue verbindet die deutschen Stämme des Ostens und Südens mit denen am Rhein und an der Mosel. Hierin gibt es kein Wanken und Weichen, welche Maßnahmen auch immer ausgeklügelt werden mögen, um den einen oder anderen Teil der deutschen Be völkerung zu treffen." Auf die weitere Frage: Ist der Reichsregierung bekannt, daß im Rheinlande von einzelnen Leuten Gerüchte verbreitet worden find, wonach man in Berlin bereit sei, dem Auslande Konzessionen in der Errichtung einer rheinischen Autonomie außerhalb oder innerhalb des Reiches zu machen? er widerte der Reichskanzler: „Von solchen Gerüchten ist mir nichts bekannt, sie find Wohl auch zu unsinnig, um ernstlich einer Widerlegung zu bedürfen. Auch eine Auto nomiefrage existiert nicht oder nur in den Köpfen einzeln.! völlig bedeutungsloser Personen, sowie in der Vorstellung schlecht unterricht?! Ausländer." Die Feier des Berfaffungsiages. m. Berlin, 12. August. Da die Erinnerung an die in Weimar vor drei Jahren beschlossene deutsche Reichsverfassung noch nicht ein offi zieller Feiertag ist, so kam die Teilnahme weiterer Kreise der Berliner Bevölkerung an den für diesen Dag vorge sehenen Festlichkeiten erst in den Abendstunden in Betracht. Es war vor allem die Berliner Jugend, und unter dieser wieder die Arbeiterjugend, die sich in großen Scharen abends zu einigen Versammlungen einfand, von denen aus dann Fackelzüge veranstaltet wurden. Meh rere Reichsminister traten als Redner in den Massenver sammlungen aus, deren Teilnehmer sich dann alle nach dem großen Matze vor dem Staatstheater begaben. Hier hatte der Reichspräsident Ebert Einladungen zu einer künstle rischen Feier ergehen lassen. Vor träge aus Gerhart Hauptmanns Jahrhundertfestspiel und Symphonien von Brahms und Beethoven gaben die Stimmung des Tages mit den Ausdrucksmitteln des Wortes und der Töne wieder. Nach diesem feierlichen kurzen Festakte betraten der Präsident, der Kanzler und ihre Umgebung Lie große Freitreppe vor dem Theater. Jetzt trafen von mehreren Seiten kommend die Fackelzüge ein und im Nu war die große Treppe von Fackelträgern besetzt. Der Reichspräsident sprach mit lauter, über den riesigen Platz mit den vielen Tausenden von Zuhörern hinfchallenden Stimme einige Worte der Erinnerung und der Ermahnung. Der freiheitlich und republikanisch ge sinnten Jugend erstehe die Aufgabe, das Werk, das in Weimar begonnen, das Werk, das uns den Weg aus dem Chaos gewiesen hat, zu schützen und weiter zu fördern. Einiakeit. Bewußtsein des Recbts. aber auw Bewußtsein " Pflichten am BakerlanLe mögen alle« dabei zur Seite sichen. Brausende Hochrufe schallten über den Platz, und ^ann trat auch der Reichskanzler ver. Er stimmte ine Rede aus den Satz ab: „Das republikanische Deutsch land, es lebt, ja noch mehr, das republikanische Deutschland l at die Herzen der deutschen Jugend in weitestem Unifange erobert." Nach dreimaligem Hochruf aus den Reichskanz ler stimmte die Menge Len dritten Vers des Deutschland liedes an: „Einigkeit und Recht und Freiheit!" Es kam sür viele Teilnehmer an der Feier doch recht überraschend, daß nach dem einmütigen Gesänge dieses nationalen Liedes aus der Menge heraus sofort die Internationale angestimmt und von dem nach Tausenden zählenden Chore zu Ende gesungen wurde. Nach weiteren ungezählten Hochrufen marschierten die Fackelzüge zum Lustgarten zu rück und die Menge ging auseinander, während der Prä sident mit einem kleineren Kreis von Gästen noch zu einer Nachfeier im Theater beisammen blieb. * Die Feiern im Reiche sind, wie berichtet wird, ebenfalls fast überall ohne Stö rungen verlaufen. Hsrvorgehobeu sei der Festakt in Weimar. Dort wurde eine an der Vorderfront des Deutschen Nationaltheaters angebrachte Bronze- tafel enthüllt, die die Aufschrift trägt: „Hier gab sich gas deutsche Volk seine Verfassung am 11. August 1919." politische Runvfcha» Deutsches Reich Die kommenden Portoerhöhungen. Wie schon bekanntgeworden, beabsichtigt die Postver waltung, ab 1. Oktober abermals eine bedeutende Er- Höhung der Postgebühren vorzunehmen. Nach den Vor schlägen soll der Ärief im Ortsverkehr 1,50 Mark kosten, über 20 bis 100 Gramm 4 Mark, von 100 bis 250 Gramm 6 Mark. Im Fernverkehr sind die Sätze für die glei chen Gewichte 6, 7 und 8 Mark. Für Postkarten ist im Ortsverkehr eine Gebühr von 1 Mark, im Fernverkehr von 4 Mark vorgesehen. Für Pakete bis zu 5 Kilogramm kommen 12 Mark Portokosten in der Nahzone in Frage. Für die Fernzone betragen die Portosätze bis 5 Kilo gramm 24 Mark. Po st a n w e is u n g e n bis 100 Mark kosten 4 Mark, über 100 Mark bis 250 Mark 5 Mark, über 500 Mark bis 1000 Mark 7 Mark usw. Entsprechend sollen vie weiteren Sätze (Telegraph, Fernsprecher usw.) erhöht gesteigert werden. Weniger Prozesse bei der Eisenbahn. Der Reichsverkehrsminister weist in einem Erlaß an die Reichsbahndirektionen auf die Notwendigkeit einer Entlastung von Prozeßtätigkeit hin. In ihrem Geschäfts gebaren muß die deutsche Reichsbahn die Formen und Gebräuche beobachten, die in der deutschen Wirtschaft üb lich und erprobt sind. Die Privatwirtschaft pflegt den Prozeßweg erst zu beschreiten, wenn alle anderen Möglich keiten, zu einem befriedigenden Ausgleich zu kommen, er schöpft sind. So soll es auch bei der Eisenbahn sein. In erster Linie muß stets im Verhandlungsweg versucht wer- dcw den Prozeß zu vermeiden. Die Reichsbahndirektionen sollen ferner von dem Anwalt unter allen Umständen eigene und sorgfältige Durcharbeitung des Prozeßstoffes verlangen, während bisher vielfach die rechtliche und sach liche Bearbeitung durch die surk belasteter Reichsbahn- direktionen selbst stattgefunden hat. Die Scheidemann-Attentäter geständig. vc. Kassel, 12. August. Die Oberstaatsanwaltschaft in Kassel teilt mit, daß der Anschlag auf den Oberbürgermeister Scheidemann, soweit die Tai in prraae stand, nunmehr völlig aufgeklärt ist. Die auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft in Kassel m Kosel feftgenommenen Angefchuldigten Hustert und Oehlschläger haben gegenüber den nach Kosel ent sandten Beamten der Kasseler Kriminalpolizei ein um fassendes Geständnis abgelegt. Danach haben beide die Tat nach vorheriger Verabredung gemeinsam ausgeführt. Als sie am Pfingstsonntagnachmittag den Oberbürgermei ster in die Straßenbahn steigen sahen, sind sie ihm gefolgt und während des ganzen Weges von Wilhelmshöhe durch den Wald hinter ihm hergegangen. Oehlschläger trug in einem Blechbehälter die Blausäurespritze. Außerdem führte» sie eine Mehrlabepistole mit sich. Auf dem ein samen Weg nach Möllersrnh hielt Oehlschläger den Zeit punkt zur Aussührung der Tat sür gekommen und übergaS die Spritze dem Hustert mit den Worten „nun mach's". Hustert hat dann in der bekannten Weise dem Oberbürger meister die Blausäure ins Gesicht gespritzt. Oehlschläger hielt sich in unmittelbarer Nähe auf. Als er den Oberbür germeister fallen sah, hielt er ihn für erledigt und ergriA wie Hustert die Flucht, über die Herkunft der Blausäure verweigern beide jede Auskunft. Sie bestreiten entschiede«, in Kastel Mitwisser gehabt zu haben. Die Töirmg des Barons d'Mekem, Erne amtliche deutsche Darstellung. In Belgien sind kürzlich die beiden ehemaligen deut schen Offiziere Freiherr RickoltvonGagern urM Prinz zu Sto lb er g-R o ß la in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden unter der Anklage, am 25. Mai 1915 den belgischen Baron d'Udekem ermordet zu habe». Zur Aufklärung des Falles werden jetzt die deutsche« Akten zu der Angelegenheit veröffentlicht. Danach ist von deutscher Seite der Rittmeister Freiherr von Gager» am 7. Juni 1916 durch Urteil des Feldkriogsgerichts zu Brüssel wegen Totschlags und wegen Meineids wegen des Verbrechens zur Entfernung aus dem Heere und 15 Jah ren Zuchthaus verurteilt Worden. Zugleich ist gegen de» Leutnant Prinz zu Stolberg-Roßla wegen Beihilfe zum Zweikampf mit tödlichem Erfolg auf 6 Monate Festungs haft erkannt worden. Aus den vorliegenden Akten wird klar, daß tatsächlich o. Gagern den Baron d'Udekem getötet hat, nachdem e: ihn durch den Prinzen Stolberg unter einem betrügerische« Vorwand aus seiner Wohmmg in ein Gehölz gelockt hatte. Der Grund zur Tat war ein Liebesverhältnis v. Gagerns mit der Baronin d'Udekem. Die Tötung Les Barons ging unter Formen vor sich, die einen Zweikampf darstellen soll ten, der sich aber in Wirklichkeit nur als Farce erwies. D'Udekem schoß nicht, wahrscheinlich war die Waffe, die man ihm in die Hand drückte, nicht einmal entsichert. Bei der Untersuchung machte v. Gagern unter Eid Angaben, die ihm nachher die Verurteilung wegen Meineides eur- ' trugen. Das deutsche Gericht hat v. Gagern des Totschlags fü< schuldig befunden. Es wies die Darstellung eines Zwei kampfes von sich, verneinte aber Lie Überlegung, weil es zu der Auffassung gelangte, Gagern habe in Ler Erregun« wegen der Weigerung L'Udekems, sich zu duellieren, diesen niedergeschossen. Das Gericht stellte fest, Laß Lie Tat nah« au einer MorLgrrnze lag, erkannte auf 14 Jahre 6 Monat« Zuchthaus gegen v. Gagern und vereinigte diese Strafe mit einer zugleich wegendes Meineides verhängten Zuchthaus strafe zur höchsten zeitigen Zuchthausstrafe von 15 Jahre«. Prinz Stolberg ist nur wegen Beihilfe zum Zweikampf be straft worden, weil angenommen wurde, v. Gagern habt ihn in dem Glauben erhalten, es handele sich wirklich um einen Zweikampf, zumal der Prinz infolge mangelhafte! Kenntnis der französischen Sprache Len Auseinandersetzun gen zwischen Gagern und dem Baron nicht habe folgen können. Dem Prinzen Stolberg ist Lurch die Amnestie von, 27. Januar 1917 Ler nicht verbüßte Nest der Strafe erlassen Ave Maria. Roma« von Felix Neumann. Was sollte dies Schreiben und was enthielt es? Schon wollte er es öffnen, da wehrte Maria ab. „Warten Sie damit, bis Sie wieder zu Hause sind. Sie werden dann erst die rechte Freude daran haben. Das Schreiben enthält ein Lob über Ihr Bild. Mehr kann ich nicht sagen." So steckte denn Walter den Brief wieder ein, um eine Hoffnung reicher, die ihn froh stimmte. Dann gingen sie auf schattigen Pfaden in die Einsamkeit hinein. Alle Gebiete des Schönen und der Kunst berührten sie unterwegs, keinen Augenblick stockte die Unterhaltung, es war ihnen, als ob eines nur einen Ton anzuschlagen brauchte, um in der verwandten Seele den gleichklingenden Akkord des Ver ständnisses auszulösen. Und als sie, den Blick auf den See ge richtet, an einer wunderschönen erhöhten Stelle rasteten, kam Maria zum ersten Male auch auf ihre häuslichen Verhältnisse zu sprechen. Eine Geschichte aus Walters Jugendzeit gab den Anstoß. Der junge Maler hatte erzählt, daß er sich als einziges Kind oft so einsam gefühlt habe. „Wir sind zu Hause ganz allein," sagte Maria, während sie über den See blickte, „die Mutter und ich. Mein Bruder starb schon vor langen Jahren, meinen Vater habe ich kaum gekannt. Ich habe niemals auch nur das Geringste zu ent behren brauchen, und trotzdem ist es in meinem Kinderherzen immer leer geblieben. — Meine Mutter liebt mich und versagt mir kaum einen Wunsch, aber —" hier wurde ihre Stimme zum ersten Male traurig und schwer — „ich bin fast immer allein!" Sie blickte Walter an. „Sie muffen das nicht falsch verstehen. Wenn ich wollte, könnte ich täglich drei Freundinnen besuchen, könnte Tennis spielen, an Kränzchen teilnehmen und die Stunden so lotschlagen, wie es die meisten jungen Mädchen tun. Aber mir ist das alles so zuwider. Diese konventionelle Steif heit ekelt mich an. Ich langweile mich zu Tode, und die Lek türe eines schönen Buches ist mir mehr wert als die lauteste Tanzbelustigung." „Ich habe mir so etwas gedacht," sagte Walter. „Woraus schloffen Sie das?" „Aus der ganzen Art, wie Sie AH geben, Fräulein Maria!" Walter wendete sich ihr zu. „Sie haben so etwas Natür liches und Frisches in Ihrer Art." Sie seufzte ein wenig. „Es ist ein Wunder, datz ich mir das bewahrt habe!" Er aber warf ein: „Verwechseln Sie nicht vielleicht Uv« jache »nd Wirkung? Hat nicht vielleicht gerade der konven tionelle Zwang, unter dem Sie leben mußten, bei Ihnen den Geist des Widerspruchs geweckt und Sie der Natürlichkeit in E die Arme getrieben?" Sie nickte ihm zu. „Darüber habe ich noch gar nicht nach gedacht. Aber ich glaube, daß Sie recht haben. Es mag so sein. Meine Mutter — eine sehr kluge und," sie zögerte ein wenig, „sehr sromme Frau, widmet sich so ausschließlich dem Seelenheil armer Menschen, daß für mich fast nichts übrig bleibt. Sie ist in allen Missionen tätig, ist im Vorstand aller Mohltäligkeitsvereinigungen, und im Palast des Erzbischofs geht sie ein und aus. Ich wollte, daß von dem reichen Segen, ben sie überall spendet, auch etwas Wärme und Licht sür mich abfiele." Walter sagte leise und teilnehmend: „Ich hätte nicht ge glaubt, daß auf das Helle Bild Ihres gesegneten Daseins auch nur der leiseste Schatten fiele." „Ich nehme es auch nicht zu schwer!" Sie wurde wieder heiter und fing an, einen Blumenstrauß zusammen zu stellen. „Aber ich gehöre zu den Menschen, die nach gleichgestimmtem Umgang suchen, und da tut es mir zuweilen weh, daß zwischen mir und meiner Mutter kein innigeres Verhältnis besteht. Wenn sie sortgesetzt auf Reisen ist oder in Vereinen wirkt, so wird man sremd. Dazu kommt, datz diese schrecklichen Kriegsjahre, die gerade in meine Iungmädchenzeit sielen, mich um manche Hoffnung betrogen. Unser sonst geselliges Haus verödete, die Neuordnung der politischen Verhältnisse hier in München, dis so viel Blut und Tränen «kostete, erschütterte uns alle, besonders aber meine Mutter schwer. Als der Aufruhr in den Straßen tobte, lag sie Tag rind Nacht in unserer Hauskapelle aus den Knien und betete! — Manchmal mußte ich ihr beispringen und mitbeten. Es waren schwere Tage, die wir durchlebten, bis es nun bester wurde. Aber man ist ein Anderer geworden. Der Drang nach Selbständigkeit ist mächtig erwacht, ich bin in diesen Jahren der Prüfungen, wo es wahrlich nicht viel zu lachen gab, zum Menschen gereist, der aller Bevormundung zu entfliehen sucht. Tue recht und scheue niemand!" Sie zerbiß einen Halm, den sie im Munde hatte, zog das feine Näschen ein bißchen kraus im Trotz und klopfte die Blumenreste von ihrem Rock. Sie stand auf. „Hier! — Stecken Sie das kleine Sträuß chen von Margariten an Ihren Hut! Und nun wollen wir noch ein wenig klettern, ehe wir heimfahren müssen in den ver goldeten Käfig!" Es war etwas kühler geworden. Vom See her schallte Gesang, in einem Nachen saß eine Gesellschaft, die jauchzte, jodelte und wußte vor Ausgelassenheit und Uebermut nicht aus noch ein. Sie wies mit der Hand hinab. „Soll man diese Leutchen nun beneiden? Ich weiß es nicht. Ach — es wäre manchmal bester, der liebe Gott hätte einen oberflächlicher geschaffen und man könnte den Trieb -um Grübeln und Nach denken abt-len!" Sie stiegen höher und höher und kamen an eine Stelle, die voll Geröll war. Von hier aus war der Blick auf öen See und die Berge herrlich. Eine ganze Weile standen sie in stummem Schweigen, und die Stille um sie her stimmte sie feierlich. Nur die Herzen schlugen laut und ängstlich, während die Augen die Sommer herrlichkeit tranken. Sie wandte sich zum Abstieg, und da sie keinen Bergstock hatte, stützte sie Walters Hand. Keiner von beiden wußte, wie es kam, wie es sie plötzlich überwältigte und Herausriß aus der Bahn der geschwisterlichen Neigung. Wie der Föhn über die Berge braust, wie die La wine zu Tal donnert, so ging die Leidenschaft über sie hinweg. Keiner wußte es und hätte nachher getreulich berichten können: Du gabst den Anstoß! Maria strauchelte über einen Stein. Walter griff zu und sein Arm umfaßte die zarte Taille, um einen Sturz zu ver hindern. So lag sie ihm einen Augenblick im Arm. Ihr zurück gebogener Kops lehnte sich an seine Schulter, die beiden Augen paare senkten sich tief ineinander. Ihr Atem ging Heitz und schnell, war es vom Steigen und der warmen Sommersonne, oder weil das stürmisch pochende Herz siedend das Blut durch die Adern jagte. Keiner wutzte, wie es kam, datz plötzlich die beiden jungen Lippenpaare in glühendem Kusse aufeinander gepreßt waren. Walter mußte die Augen schließen, die Sturzwelle voll süßester Seligkeit drohte ihn zu betäuben. Regungslos standen sie einige Sekunden in inniger Umarmung, die ihnen wie Stunden erschienen. Dann prallten sie auseinander und blickten sich erschrocken an. Was würde jetzt kommen? Vorwürse, Reue, Voneinander- gehen? Die Entscheidung war da, vor ihnen taten sich zwei Wege auf, derjenige, der in die Wüste der Entsagung führte, und der, der ihnen das Blütenland der Liebe erschloß. Ein schneller, glutheißer Blick des Verstehens ward gewechselt, da war die Schicksalsfrage geklärt: Sie breiteten noch einmal die Arme aus und sanken lachend Brust an Brust! Hand in Hand stiegen sie nach Tegernsee hinab, um zum Bahnhos zu gelangen. Sie sagten wenig, dafür redeten die Augen eine um so beredtere Sprache. Im Halbdunkel des Ab teils satzen sie aneinander geschmiegt. Walter streichelte Maria- Hand, die er in der seinen hielt, warm und zuckend, wie einen kleinen Vogel. Der erste Rausch war vorüber. Die Einsamkeit hatte ihn ausgelöst. Nun, wo sie wieder unter Menschen kamen, der Traum versank und der Wirklichkeit weichen mutzte, ward Maria wieder unsicher und ein wenig ängstlich. Aus dem Bahn hof ging man mit leise geflüstertem zärtlichen Wort auseinander. „Lebeweh!, d« Sitze!" sagte er nur, tief bewegt.