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Wilsdruffer Tageblatt : 05.08.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192208053
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220805
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220805
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-08
- Tag 1922-08-05
-
Monat
1922-08
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 05.08.1922
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Regie vmig gerichtet, in der sie ihrer Befriedigung über den EnrsäMiß der japanischen Regierung, ihre Truppen «tS dem russischen fernen Osten znrückzuziehen, Ausdruck ver leihen. Sie seien bereit, mit Japan in Veryandlungen über die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu treten. Aus Lrr- und Ausland. Berlin. Das VerbotdeSBerli n er Lokalan Zei gers ist voni preußischen Minister des Innern nach einer Ver ständigung zwischen ihm und der Redaktion des verbotenen Blattes in der Weise eingeschränkt worden, daß der Lokalanzeiger am Sonntag früh wieder erscheinen kann. München. Der GeschästsorÄnungsausschuß des Landtages hat beschlofssn, die Strafverfolgung des Abgeordneten Gan- dorfer wegen Meineides zu genehmigen. Es handelt sich nm eine Zeugenaussage, die Gandorfer in einem Strafrechts- Prozeß gemacht hat. Nürnberg. Der Stadtrat hat beschlossen, die Gemeinde- beamtanordnung der Stadt Nürnberg aus Grund des Reichs gesetzes für die P sl i chten d e r B eamte n zum Schutze der Republik einer Durchsicht zu unterziehen und die diesbezüg lichen Bestimmungen des Reichsgesetzes mit aufzunehmen. Oie Antwort Bayerns. „Bürgschaft für die Hoheitsrechte der Länder." Die bereits viel besprochene und in München lange und yvünidlich vorberatene Antwort des bäuerischen Ministerpräsidenten auf ben bekannten Brief des Nöichs- präsidctÄen Ebert, durch den Äer Konflikt zwischen Ber- kn und München tvegen Äer Schutzg-ösetze und der besonde ren bayerischen Verordnung beigelegt werden sollte, ist nunmehr in Berlin vom bayerischen Gesandten v Pre ger hem RÄchspräsWeMen ü-berg-sben worden. Dgs Schreiben ist, wie bereits bekannt war, in versöhnlichem Geiste gehMen rmd gipfelt in der Forderung nach beson deren Bürgschaften für bie Hoheitsrechte der Länder. Es hat in fernen wesentlichen Teilen folgenden Wortlaut: Euer Hochwohlgeboren gefälliges Schreiben vom 27. Juli 1922 regt eine Verständigung über die schnelle Beilegung des Streitfalles zwischen dem Reicha und Bayern aus Anlaß der gesetzgeberischen Maßnahmen zum -Schutze der republikaui- Staatsverfassung an. Zum Wohle unseresdeutschen Volkes und Landes wünschen Sie, die Au fheb ung d e r b a v ar is ch e n Verordnung vom 24. Juli 1922 auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung v erm i ed en zu s eH en. Für diese aus staatsmännischen Erwägungen entspringende Auffassung weiß Ihnen die bayerische Regierung aufrichtigen Dank; denn auch sie erblickt in der Ausschaltung des Zwanges die einzige Möglichkeit, den Streitfall ohne Schaden für das deutsche Vaterland zu schlichten. Wenn das Schreiben vom 27. Juli 1922 den Standpunkt vertritt, daß die bayerische Verordnung -er verfassungs mäßigen Grundlage entbehre, so vermag ich dem nicht boizupflichten. Die Verordnung ist eine Abwehr maß n a h m e, zu der die bayerische Regierung durch die klare Erkenntnis eines staatlichen Notstandes gezwungen worden ist. In der Tat sind trotz ihrer Vorstellungen und Warnungen wichtige b und essta atli che H o h e i ts r ech t e durch die neuen Gesetze beeinträchtigt worden. Diese Notlage ergibt sich aber auch aus der tiefgehenden Er regung Weitester, von treuer deutscher Gesinnung erfüllter Kreise des bayerischen Volkes über den Vollzug dieser Gesetze. Sollte die Verordnung, sei es schlechthin beseitigt, sei es durch eine unbefriedigende, den Keim neuer Verwicklungen bergende Regelung ersetzt werden, so würde in ganz -Bayern ein Zu - stand der Beunruhigung eintreten, für den die baye rische Regierung auch vom Standpunkt des Reichswohles dis Verantwortung nicht übernehmen könnte. Vielmehr erfordert es der Ernst dieser Lage vom Stand punkt der politischen Betrachtung, daß eine Rechtslage ge- -chaffen wird, die auch unseren Staatsnotwendigkeiten ent spricht. Hierzu die Hand zu bieten, ist die bayerische Regie rung jederzeit bereit; sie hat den dringenden Wunsch, über die Zsilegung des jetzigen Falles hinaus die Wurzel künf tiger Konflikte zu beseitigen und damit den Bezie hungen zwischen Reich und Ländern dauernd zu dienen. Die Stimmung des bayerischen Volkes wird hauptsächlich von der Besorgnis geleitet, die Weimarer Verfassung könnte so ausgelegt werden, als ermögliche sie die schrittweise Beseitigung der Hoheitsrechte, ja der Staat lichkeit -er Länder. Das bayerische Volk vertraut, daß sich mit Ihrer tatkräftigen Hilfe ein Weg finden möge, um eine entsprechende Sicherheit für die Zukunft zu erhal ten und zwar durch Vorschriften, die eine dauernde Bürgschaft dafür bieten, daß Hoheitsrechte der Länder nicht ohne deren Zustimmung beseitigt oder einge schränkt werden könnten. Zum Schluffe darf ich der Überzeugung Ausdruck verleihen, daß gerade die Not der Gegenwart und des staatlichen Lebens gebieterisch dazu führen sollten, das ganze deutsche Volk in seinen einzelstaatlichen Gruppen und aus eigener Gesinnung heraus zu freudiger Mitarbeit an den Aufgaben des Staates heranzuziehen. Regierung und Volk in Bayern sind auch ihrerseits ernstlich gewillt, das deutsche Reich vor Erschütterungen zu bewahren, die zu vermeiden gerade in dieser Zeit außenpolitischer Spannung gemeinsame Pflicht ist. Weitere Verhandlungen in Berlin. Unmittelbar wach der Übergabe dieses Schreibens äu den Reichspräsidenten hat der Reichskanzler den Präsiden ten ausgesucht, um mit ihm über diesen Brief zu beraten. Der Reichspräsident wird im Einvernehmen mit dem Reichskanzler dein bayerischen Ministerpräsidenten bitten, alsbald zu Verhandlungen nach Berlin zu kommen. Wie verlautet, hat Graf Lerchenfeld seine Bereitwilligkeit zu solchen Verhandlungen bereits zu erkennen gegeben. Der Weg bergab. Das langsame Zusammenjacken der deutschen Wirtschaft. Den drohenden Niedergang des deutschen Wirtschafts lebens schildert in leider nur zu wahrer Deutlichkeit ein Ar tikel A. Heinrichsbauers in der „Deutschen Industriezeitung". Es heißt da u. a.: „Daß wir uns die wirklichen Verhältnisse nicht klar machen, rührt größtenteils daher, daß der wirtschaftliche Zu sammenbruch, von dem seit Jahren die Rede ist, in der früher geglaubten Gestalt nicht eingetreten ist. Man dachte sich ihn, als einen allgemeinen Staats- und Wirtschastsbankrott, der eine' unvermittelt und plötzlich eintretende Verelendung aller Schichten der Bevölkerung und Arbeitslosigkeit größten Umsanges zur Folge haben müßte. Ein plötzlicher Zusammenbruch ist zwar nicht eingetreten, dasür aber ein allmählich und langsam sich vollziehendes Zusammensacken, das noch schlimmer ist. Die Scheinblüte der deutschen Industrie. Wie weit dieser Prozeß auch bei äußerlich noch glänzend dastehenden Gewerben gediehen ist, mag die Lage der rheimschk- westfäkischen Eisenindustrie zeigen. Bei ihr beträgt die Aus fuhr nur noch 25 Prozent der Vorkriegszeit, während die Ein- suyr ausländischen Eisens (die srüher, abgesehen von einigen ganz unwesentlichen Spezialartikeln, überhaupt nicht in Be tracht kam) im letzten Monat zum erstenmal größer als die Ausfuhr gewesen ist. In den bisherigen Zeiten des ständigen Fallens der Mark haben wir davon gelebt, daß wir die Roh stoffe verhältnismäßig „billig" einführten und nach weiterer Verschlechterung der Mark „teuer" aussührten. Ferner haben wir auf Goldmarkwerte verhältnismäßig sehr niedrige Papier geldgewinne ausgeschüttet (große Werke zahlen Dividenden von weniger als 1 Prozent des Goldkapitals), oder wir hoben die Goldmarkkapitalien allmählich durch Umwandlung in Papier geld ausgezehrt (bei Deutsch-Luxemburg z. B. betrug das Frie- 'denskapital 120 Mill. während es jetzt nur 18 Mill. ousmacht), oder wir haben Goldhypotheken in Papier zurück gezahlt und dadurch unsere Konjunktur hochgehalten usw. Das alles hat aber schließlich einmal ein Ende, sobald das Vermögen des einzelnen und die Volkswirtschaft aufgezehrt sind, was in Gestalt der allmählichen Umwandlung des Kapitals in Papiergeld erfolgt; vollzogen ist dieser Prozeß bereits bei den Leuten, die nur über verhältnismäßig gering- fügige Kapitalien verfügten, bei denen dieser Prozeß also ver hältnismäßig schnell vor sich gehen mußte (z. B. Pensionäre, Rentner, freie Berufe usw.). Bei allen anderen Schichten wird er eines Tages auch zum Abschluß kommen, wenngleich die dazu erforderliche Zeit etwas länger dauert .. Deutschland auf diesem Wege zum unausbleiblichen Ab grund aufzuhalten, gibt es aber nur ein einziges Mittel, das ist die Revision des Versailler Friedensvertrages. Solange dieser Vertrag in seiner jetzigen Form besteht, ist jedes andere Ret tungsmittel aussichtslos. Wett- UNS BottSVMHM Was kosten fremde Werks? („Brief" — angeboten. „Geld- — gesucht.) Börsenplätze ». 8. »Geld j Brief 2. 8. Geld s Brief Stand t.8.14 Holland lOOGuld. Dänemark 102 Kron. Schweden 100 Kron. Norwegen 100 Kron. Schweiz 100Frank Amerika 1 Dollar England 1 Vfd. Frankreich 100 Frank Belgien 100 Frank Italien 100 Lire D.-Osterr. lOOKron. Ungarn lOOKron. Tschechien lOOKron, 32859,28 18227,15 22072,35 14531,80 828,96 3755,30 6491'85 3765,25 1.33 33,70 2057,40 32640,75 18275,85 22127,65 14568,20 831P4 3754,70 6508A5 3774,75 1,37 33,80 2062,60 29962.50 16479,35 20174,75 12983,75 14981.25 776,32 3445,85 6267,15 8938,55 3615.60 1,23 81,96 1872,65 30037.5.0 16520,65 20225,25 13018,25 15018,75 778.48 3454,35 6282,85 5947,45 3524,40 1,27 32,64 1877.35 170 Mt. 112 , 112 , 112 , 72 _ 4,40, 20,20. 80 , 80 , 80 , 85 . 85 . Berlin. 3. August. Volenmark an der heutigen Börse 12,45 Pf. H Berliner Produttenbörse vom 3. August. Die amtlich no tierten Preise waren an der Berliner Börse Pro SO Kilogramm ab Station: Weizen, märkischer 1650—1700. Steigend. Roggen, märkischer 1370—1390. Steigend. Sommergerste —. Winter gerste 1275—1300. Fest. Hafer, märkischer 1525—1560. Sehr fest. Mais ohne Proveuienzangabe prompt 1340—1360 ab Hamburg, loko Bersin 1400—1425. Sehr fest. Weizenmehl per 1W Kilogramm frei Berlin 4100—4300, feinste Marken über Notiz bezahlt. Meigend. Roggenmehl per 100 Kilogramm frei Bertin 3000—3200. Steigend. Weizenkleie frei Berlin 950 bis 985. Steigend. Roggenkleie frei Berlin 950— 985. Steigend. Raps 2750—3000. Steigend. Leinsaat 2900—3000. Steigend. Erbsen, Mkt.- u. kl. Spesieerbs. o. Angebot, Futtererbs 140-1450, Peluschken 1400—1450, Ackerbohnen 1409—1450, Wicken ohne Angebot, Lupinen, blaue 825—875, do. gelbe 1050—1250, Raps kuchen 1010—1025, Leinkuchen 1380—1410, Trockenschnitzel 920 bis 950, vollwertige Zuckerschnitzel 1000—1050, Torfmelasse 30-70 640—655 M. Rauh futter. (Nichtamtlich.) Großhandels preise Por 80 Kilogramm ab Station: drahtgepr. Roggen- und Wvizenstroh 225—255, desgl. Haferstroh 225—255, bindfadengs- preßtcs Roggen- und Weizenstroh 210—240, gebündeltes RoggeNlangstroh 225—255, loses und gebündeltes Krumm- stroh 190—210, Häcksel 295—310, handelsübliches Hcu 470-520, gutes Heu 520—580 M. 4- Außerordentliche Höhe der Kohlenpreise. In den Groß städten haben die Kohlenpreise zurzeit eine derartige Höhe er reicht, daß eine einigermaßen genügende Deckung des Haus brandbedarfs unmöglich erscheint. Nach einer Bekanntmachung des Berliner Magistrats betragen die Kohlenpreise in Berlin vom 3. August ab: Küchen- und Qfenbrand ab Lager bezw. frei Keller: Briketts 105,10 Mark bezw. 106,10 Mark je Zentner, Gaskoks 187 Mark bezw. 183 je Zentner. Bei suhrenweifer Lieferung: Briketts 106,05 Mark jo Zentner, Gaskoks 187 Mark je Zentner, Westfälischer Schmelzkoks 191,05 Mark je Zentner, Lichtenberger Schmelzkoks und Berliner Kammerofenkoks 199,35 Mark je Zentner, OLerschlestscher Schmelzkoks 207,65 Mark, Niederschlcsischer Schmelzkoks 219,90 Mark, Sächsischer Hütten koks 217,60 Mark je Zentner. Ein Berliner Blatt bemerkt da zu: Wenn es so weiiergcht und es nicht möglich sein sollte, Abhilfe zu schaffen, so werden die Mittelstands-Berliner, die im kommenden Winder nicht verhungern, erfrieren. Keine Kohlen bei Halle. Die Bohrung auf Steinkohlen in der Flur Deutleben bei Halle, die mit großen Hoffnungen begann, ist bei einer Tiefe von 403 Metern als ergebnislos ein gestellt worden. Der Porphyr steht in einer Mächtigkeit an, -aß es sich nicht errechnen läßt, wann Steinkohle erreicht werden kann. Ave Maria. Roman von Felix Neumann. Der Andere lachte ein bitteres, gequältes Lachen. „Ach — wäre es nur ein körperliches Leiden, das mich bedrückte, ich hätte es mit der ganzen Kraft meiner jungen Jahre bekämpft und medergerungen. Nein — ich bin geistig verarmt und ver nichtet. Ueberall sehe ich Blut und Wunden, Tod und Ver wesung, vor meinen Augen tanzen in tollem Reigen die Er lebnisse draußen im Felde, und ich finde die Ruhe nicht wieder, weil ich verzweifle an allem, was mir bisher schön und wert schien. — Sehen Sie, gnädiges Fräulein, darum ist es aus mit der Kunst, und da ich zu anderem Handwerk nicht tauge, so wollte ich die Welt von einem überflüssigen Esser befreien, wir sind ja ohnedies zu viele in unserem verarmten, unglück lichen Vaterlande!" Es begann leise zu regnen, und da weder Maria, noch ihr Begleiter einen Schirm bei sich hatten, traten sie unter einen der dichten Bäume, die den Weg begrenzten. „Meine Zeit drängt," sagte Maria, „es ist viel später ge worden, als ich von Hause fern zu bleiben beabsichtigte; aber wer ein Werk begann, soll es auch zu Ende führen. Ich habe Sie heute errettet, dem Leben wiedergewonnen und bin stolz darauf. Zeigen Sie mir, daß Sie es ernst meinen, und erzählen Sie mir morgen die Geschichte Ihres Lebens. Schütten Sie mir Ihr Herz aus, und dann werden wir sehen, was sich tun läßt, um Sie der Kunst wieder zu gewinnen." Maria fühlte plötzlich, wie ihre Hand ergriffen wurde und der Fremde einen Kuß darauf drückte. Sie zog sie langsam und ohne Hast zurück. „Jetzt weiß ich, daß Sie Wort halten und keine neue Torheit begehen werden, ehe Sie nicht mit mir gesprochen haben. Treffen wir uns also morgen um die gleiche Zeit an der Isar. Und nun begleiten Sie mich als mein Ritter und Beschützer bis in die beleuchteten Straßen, wo ich einen Wagen nehmen oder die Bahn benutzen werde. Sehen Sie —" sie lachte leise und atmete auf — „das Wetter ist im Abziehen begriffen; wie im Leben ist es auch in der Natur." Und sie gingen zu sammen durch die Anlagen, bis sie die Stadt erreichten. Als sie ihm die Hand zum Abschiede gab, wollte er sie wieder küssen, aber sie wehrte ab. „Nein, nein, ich liebe das nicht, das sieht so unterwürfig aus, wir wollen gute Kameraden sein, und ich will Ihnen helfen, ein neues Heim zu bauen, in dem Sie Ihrer Kunst leben können. Wir räumen all den Schutt und die Trümmer der letzten Jahre mit ihren Eindrücken aus Ihrer Seele, und dann wollen wir einmal sehen, ob nicht neue Säulen und Portale in Pracht und Herrlichkeit erstehen!" - Ein Händedruck, und Walter Grebenstein sah die schlanke Mädchengestalt im Innern eines Trambahnwagens verschwinden. Ganz wirr im Kopfe wandte er sich zum Gehen. Der kühle Abendwind umwehte seine fieberheiße Stirn. Er faßte sich an den Kopf. Was war denn in dieser letzten Stunde geschehen? War er vielleicht tot und träumte alles nur in einer anderen Welt? Nein — er, Walter Grebenstein, lebte, ging schnellen Schrittes durch die Straßen von München und strebte seiner Klause zu, die draußen hinter dem Englischen Garten in Schwabing drei Treppen hoch lag. Und als er daran dachte, stutzte er. Was würde wohl sein Zimmernachbar, der Geiger Jean Farmer, sagen, wenn er den hinterlassenen Brief fand, las, eine Träne um den verlorenen Freund weinte, und ihn dann plötzlich wieder lebensfrisch vor sich stehen sah? Pah! Das alles war ja so gleichgültig. Ihm, dem vom Schicksal Verfolgten, war ein unerhörtes Glück geschehen. Das liebreizendste Mädchen, das je sein schönheitsdurstiges Auge sah, riß ihn von der Psvrte des Todes zurück, bestellte ihn für morgen in den Hellen Sonnenschein eines Sommertages in die Gärten an der Isar, um seine Lebensgeschichte zu hören. Aber — wenn sie ihn nun täuschte, wenn sie nicht kam? Wie ein kalter Schauer lief es ihm über den Rücken, und schon streckte die Verzweiflung -erneut die Krallen nach ihm aus. Nein, das war unmöglich, diese Augen trogen nicht, dieser Mund hielt das Versprechen, das er kundgab, diese Stimme täuschte nicht, als sie von Anteilnahme sprach. Er reckte sich auf, klappte den Kragen hoch und lies fast, um nach Hause zu kommen. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, aber Hunger verspürte er nicht, nur das Bedürf nis, sich auszusprechen, und das konnte er nur mit dem unglück lichen Geiger, seinem Flurgenossen, den das Schicksal noch ärger schlug als ihn selbst, und der dennoch nicht verzagte. Vor dreißig Jahren war Jean Farmer mit seinem Vater, der einer berühmten Wandertruppe angehörte, nach Deutsch land gekommen. Der zehnjährige Knabe erregte damals durch seine wundervolle Gabe, Geige zu spielen, das Staunen der Hörer, dann aber verunglückte der Ernährer; herumgestoßen in der Welt, geriet der Heranwachsende Jüngling immer mehr in Not und Elend, bis der nun Vierzigjährige verbittert und menschenscheu mühsam sein Leben fristete, indem er in Wirt schaften dritten Ranges zum Tanze aufspielte. An dieses Schicksal dachte Walter Grebenstein, als er durch die regen feuchten, immer enger werdenden Gasfen lief und endlich auf atmend vor seinem Hause stehen blieb. Er blickte zu den- Fenstern hinauf. Oben war Licht. Man ordnete wohl seinen kümmerlichen Nachlaß, oder die neugierige Wirtin kramte in den hinterlaßenen Papieren des „dalketen" Malers. Mutig stieg er die Treppe hinauf. Drauf und durch! Mochte man im ganzen Viertel über ihn lachen, in drei Tagen war alles überstanden, Schwabing vergißt schnell! Leise überschritt er den- Flur und lauschte an der Kammer- tür. Es blieb ganz still im Zimmer. Gott sei Dank! Er war auf eine Ansammlung widerwärtiger Menschen gefaßt gewesen. Behutsam drückte er die Klinke nieder und blickte durch den Spalt in den ärmlichen, nur durch eine kleine Lampe erleuch teten schräg bedachten Raum. Da saß Jean Farmer auf dem brüchigen Stuhl in einer Ecke, die Geige hielt er auf dem Schoß und starrte vor sich hin. Auf dem Tische lag der Brief, den Walter vor seinem Fortgänge geschrieben hatte, daneben- der erbrochene Umschlag. Die Tür knarrte ein wenig und der Geiger fuhr empor. In den stahlgrauen Augen leuchtete es für einen Augenblick wie ein Wetterstrahl auf, die.knochige, magere Rechte fuhr durch den- wallenden Haarschopf, und den schmalen, meistens fest zu- sammengenkiffenen Lippen entfuhr nur der kurze Ruf: „Na?" Jean stützte die Geige auf das Knie und musterte den Ein tretenden fcharf, sonst sprach er nichts -weiter. „Da bin ick) wieder, Meister! — Ich sehe, du hast meinen Brief gelesen, und dieses „na", das du mir soeben wie einen Brocken dem Hunde vor die Füße warfst, soll soviel heißen, daß du mich für einen schlappen Kerl, einen weichlichen Schwächling hältst, der erst große Reiseanstalten für die Fahrt ins Jenseits trifft und dann angstschlotternd zurückkehrt! — Nicht wahr, so denkst du jetzt und kündigst mir wohl gar die Freundschaft!" Furnier stand auf, legte die Geige behutsam auf den Tisch und ging auf Walter zu. Dabei hinkte er ein wenig. „Du hast mich mitten aus meinen Gedanken herausgerissen, und du weißt, daß ich das nicht liebe. In diesem absonderlichen Falle aber soll dir in Gnaden verziehen sein." Er legte ihm die Hand auf die Schulter, und als er dem Errötenden in die Augen blickte, sagte er leise: „Du armer Kerl." „Das war ich, Meister, der ärmste Kerl, der unter Gottes Sonne verzweifelt umherlief und sich keinen Rat mehr wußte. Ob ich es auch fernerhin bleiben werde, hängt von ver schiedenen Umständen ab. Haft du Zeit, mich anzuhören?" „Du kannst nachher solange reden, wie du willst! — Vor her aber will ich dir sagen, was ich dachte, als ich- da so allein auf dem Stuhle faß." Walter Hängfe seine Mütze an einen Nagel, nahm aus einem Eckschränkchen ein- Stück Brot und begann zu eßen, denn der Magen forderte sein Recht, nachdem der Sturm der Seele ausgetobt hatte. „Es wird nichts Angenehmes sein, was du mir zu verraten hast, aber lege dir keinen Zwang auf. Du warst bis heute nachmittag der einzige Mensch, dem ich Vertrauen schenken konnte, da räume ich dir auch das Recht ein, mir den Kopf zu waschen."
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