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Wilsdruffer Tageblatt : 30.06.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192206300
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220630
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220630
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-06
- Tag 1922-06-30
-
Monat
1922-06
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.06.1922
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Deutscher Reichstag. (^8. Sitzung.) Berlin, 28. Junß- Die heutige Sitzung begann mit einer Veileidskundge- bung. Präsident Loebe gedachte des furchtbaren Eisen bahnunglücks auf dem Nord ring und sprach den Verwundeten und Hinterbliebenen der Getöteten das Beileid des Reichstages aus. Von den Abgeordneten wurde diese Kundgebung stehend angeb-ört. Hierauf wurden in rascher Folge verschiedene Vorlagen erledigt. Der Nachtragsetat für 1922 wurde ohne Aussprache in allen drei Lesungen angenommen, dazu eine Entschließung, in der die Regierung ersucht Wird, die sozialen Zustände sür die Beamten der Geldentwertung anzupassen. Weiter wurde der Gesetzentwurf über Erhöhung der statistischen Gebühren für den Warenverkehr mit dem Auslande ebenfalls ohne Aussprache in allen drei Lesungen angenommen, desgleichen die Vorlage, durch die das Ermächtigungsgesetz zur vorüber gehenden Herabsetzung oder Aushebung von Zöllen bis zum 30. Juni 1923 verlängert wird. Das Gesetz über Abweichun gen vom Bierstcucrgesetz wurde dem volkswirtschaftlichen Ausschuß überwiesen. Ein Zusatzabkommen zu dem deutsch-polnischen Abkommen über Oberschlefirn wurde in allen drei Lesungen angenommen. Abg. Schultz- Bromberg (Deutschnat.) beantragte hierauf, die übrigen deutsch-polnischen Abkommen über Erleichterung des Grenz-» Verkehrs und über berg- und hüttenfiskalisches Eigentum dem Ausschuß für auswärtige Politik zu überweisen. Ein Vertreter des Auswärtigen Amtes bat dagegen dringend, die sofortige Ratifizierung der Abkommen zu er möglichen. Die Ausschußüberweisung wurde abgelehnt. Abg. Schultz-Bromberg (Deutschnat.) bedauerte, daß die späte Vorlegung der Abkommen es den Parteien unmöglich gemacht habe, zu den Verträgen Stellung zu nehmen. Er verzichtete aber auf einen Widerspruch gegen die sofortige Vornahme der dritten Beratung. Darauf wurden die Ab kommen in allen drei Lesungen angenommen. Nunmehr kam man zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs über die Arbeitszeit im Bergbau unter Tage. Der Ausschuß hat das Gesetz, das ursprünglich nur für den Steinkohlenbergbau bestimmt war, auf alle Gruben ausge dehnt. Die allgemein durch Tarife festgesetzte Arbeitszeit soll danach gesetzlich bindend sein. Überstunden können durch all gemein verbindliche Tarifverträge vereinbart werden. Abg. Stöcker (Komm.) begründete mehrere kommunistische Anträge. Danach sollte das Gesetz auch auf Salinen ausge dehnt werden. Die Schichten sollten längstens 7 Stunden be tragen und an besonders heißen Arbeitsstätten kürzer sein. Reichsarbeitsminister Brauns stimmte den Ausschußbe- schlüsscn zu, bekämpfte -aber die kommunistischen Anträge, die zu einer Erzeugungsminderung führen und die Durchführung Les Gesetzes verzögern müssen. Abg. Pieper (U.-Soz.) stimmte ebenfalls den Ausschuß- beschlüsfen zu, wandte sich aber gegen das Bestreben, die übcr- schichten zu einer dauernden Einrichtung zu machen. Abg. Janschcü (Soz.) lehnte gleichfalls Lie kommunisti schen Anträge ab. Nach Ablehnung der kommunistischen Anträge wurde die Vorlage in der Ausschußfassung in zweiter und dritter Be ratung angenommen, dazu eine Entschließung des Ausschusses, in der eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit auch für die Angestellten verlangt wird. Hierauf begann die zweite Be ratung des Arbeitsnachwcisgesctzes. Der Ansschutz hat die Regierungsvorlage in mehreren Punkten geändert. So will der Ausschuß keine gewerbsmäßi gen Stellenvcrmittler mehr konzessionieren und will die vor handenen der Aufsicht der Arbeitsnachweisämter unterstellen. Im übrigen bringt die Vorlage den Zwang zur Errichtung öffentlicher Arbeitsnachweise und sür die meisten Arbeitgeber den Zwang zur Anmeldung offener Stellen. Als Arbeits nachweisämter werden eingerichtet die öffentlichen Arbeits nachweise, die Landcsämter sür Arbeitsvermittlung und als Spitze das Anssichtsanit sür Arbeitsvermittlung. Neichsarbcitsminister Brauns wies den in der Öffentlich keit erhobenen Vorwurf zurück, daß die Vorlage einen neuen großen Beamtenapparat schaffe. Der Apparat sei schon vor handen, durch die gesetzliche Regelung werde die Zahl der Arbeitsnachweise nicht vermehrt, sondern eher vermindert. In der Verwaltung des ArbeitsnachweiswescnS sei maß gebend der Grundsatz völliger Gleichheit zwischen Arbeitge bern und Arbeitnehmern und der Schutz der Minderheit. Der Minister empfahl die Annahme der Vorlage, die zwar nicht alle Wünsche erfüllen kann, aber doch einen wesentlichen Fort schritt bedeutet, zumal die Arbeitsvermittlung unentgeltlich Werde. Für die im Herbst zu befürchtende Arbeitslosigkeit sei ein solches Gesetz unentbehrlich. Abg. Kaiser (Soz.) trat sür rasche Verabschiedung Les Ge setzes ein. Wir dürfen damit nicht warten bis zur Erledi gung der Arbeitslosenversicherung. Abg. Esser (Zentr.) erklärte, daß seine Partei dem Entwurf in der Form, wie sie in der zweiten Ausschußlssung angenom men worden sei, .zustimmen werde. Abg. Slnfhänscr (U.--Soz.) bemängelte die Vorlage in ver schiedenen Punkten. Aah und Fern. O Wieder ein verstecktes Waffenlager. Der braunschwei gische Minister Nönncbürg erhielt dieser Tage die Mittei lung, daß sich in Uthmöden, Amt Kalvörde, ein verstecktes Waffenkager befinde. Der Minister begab sich sofort mit einer Schuhabteilung an Ort und Stelle. Bei Durch suchung der Genossenschastsbrennerei wurden auf dem Boden ein Paket mit neuen Gewehrriemen, ein Gewehr, ein Seitengewehr und Munition gefunden. In der gegen überliegenden Werkstätte wurden Maschinengewehrteile, Gewehrschlösser und andere Gewehrteile entdeckt. In einem Schrippen lagerten etwa 120 Seitengewehre, auf dem Boden etwa die gleiche Anzahl. Gesunden wurden ferner eine Kiste mit 8-Munition, Gewehrriemen und Ladestrei fen sür Maschinengewehre. Endlich wurden in einem Schuppen des Brennereiverwalters unter dem gestampften Lehmfußboden 198 Gewehre zutage gefördert. Auch an anderen Stellen des Dorfes wurden Stahlhelme, Seiten gewehre sowie Unisorm- und Ausrüstungsstücke gefunden. Vom braunschweigischen Staatsministerium sind umfassende Sicherungsmaßnahmen getroffen worden. O Schwedische Stiftung für ehemalige deutsche Kriegs gefangene. Elsa Brandström, die voriges Jahr wegen ihrer Perdienste um die deutschen Kriegsgefangenen/ namentlich um die kriegsgefangenen Studenten, von der Universität Halle zum Ehrenmitglied ernannt worden ist, hat in Schweden für die ehemaligen deutschen Kriegsge fangenen 2 Millionen Mark gesammelt. Sie hat für das Geld das Heilbad Marienborn bei Kamenz gekauft und wird das alte Moor- und Schwefelbad zu einem „Arbeits- sanalorium lür ehemalige deutsche Kriegsgefangene" aus- bauen lassen. - - O Mexikanisches Räuberleben. Der mexikanisch« Ne- bellenführer Groreza-be hat 40 Angestellte einer amerikani schen Petroleumgesellschaft gefangengenommen und 850 000 Dollar, die der Gesellschaft gehörten, geraubt. Er verlangt für die Freilassung der Gefangenen ein Löfcgeld. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat ihren Bot schafter in Mexiko und den Generalkonsul in Tampico be auftragt, von den mexikanischen Behörden Maßnahmen zum Schutze der amerikanischen Bürger und ihres Eigen tums zu verlangen. Unsere Postbezieher ersuchen wir, soweit es noch nicht geschehen ist, den rest lichen Bezugspreis sür das 2. Vierteljahr — 9 Mark nunmehr umgehend in unserer Geschäftsstelle zu begleichen oder auf unser Postscheckkonto Dresden 2640 einzuzahlen. Ferner empfiehlt sich die sofortige Erneuerung des Abonne ments für den Monat Juli 1922, damit eine Unterbrechung in der Zustellung des „Wilsdruffer Tageblattes" nicht eintritt. Wir bitten unsere geschätzten Postbezieher, ihrem lieb gewordenen Heimatblatt, dem „Wilsdruffer Tage blatt" auch weiterhin die Treue wahren zu wollen. Hochachtungsvoll Verlag der Wilsdruffer Tageblattes. Vermischtes. Johannes Reuchlin. (Zur 400. Wiederkehr seines Todestages.) Am 30. Juni jährt sich zum vierhundertsten- mal der Tag, an dem Johannes Reuchlin, das Haupt des deutschen Humanismus, gestorben ist. Die Wissenschaft verdankt der Vielseitigkeit und Neuheit des Wissens und dem literarischen Wirken des großen Humanisten unend lich viel. Reuchlin, der der erste Lehrer des Griechischen und Hebräischen in Deutschland war, wurde 1455 in Pforzheim geboren. Rach juristischen Studien bekleidete er ein hohes Richteramt in Württemberg, widmete sich aber seit 1513 ganz seinen Studien. Von der Reformation hielt er sich fern. Altgriechische Gräberfunde. Der römische Archäologe Quagliati berichtet in einer italienischen Zeitschrift über die Ausgrabungen, die unter seiner Leitung in Tarent ge macht wurden, und die allerlei Neues für die Kenntnis der bei antiken Leichenbestattungen benutzten Geräte er bracht haben. Im Mai des Jahres 1917 hatte Quagliati in der Nähe des Matrosenhospitals der Stadt eine athe nische Amphora gefunden, ein prächtiges Stück der archa ischen Periode, deren Höhepunkt in Griechenland etwa um 500 v. Ehr. war. Es stellte sich heraus, daß es sich um den Siegespreis handelte, den Athen einem tarenlinischen Wagenlenker gegeben hatte, der mit seiner Quadriga an Wettspielen teilgenommen hatte. Zusammen mit der Amphora wurden verschiedene andere Gegenstände, wie Schalen, Milchkrüge und Becher, ans Licht gefördert. Der Archäologe mußte dann aus verschiedenen Gründen von weiteren Ausgrabungen Abstand nehmen und konnte sie erst im März dieses Jahres wieder ausnehmen. Jetzt stieß er auf vier im Rechteck angelegte, aus Blöcken errichtete Mauern, die sich in ein Eingangstor öffneten. Man hatte es mit einem großen Grabgewölbe zu tun, das sorgsam gepflastert war. Im Innern erhob sich eine aus einem einzigen Steinblock herausgehauene Säule. Längs der Wände fand man sieben Sarkophage. Das Grabgewölbe war bereits in alter Zeit wahrscheinlich von Römern be raubt und zerstört worden. Die Plünderer hatten alle Kost barkeiten weggeschleppt und, was sie nicht mitnehmen konnten oder wollten, zerschlagen und bei der Tür aufge häuft. Aus den Bruchstücken gelang es, noch einige Stücke von großer Schönheit zusammenzusetzen. Die Kapelle als Frachtgut. Ein Amerikaner hat die Trümmer der berühmten, aus vem Jahre 1350 stammen den Kartäuserktanse von Bell-Croix angekauft, die eine An höhe in dsr Nähe des bei Avignon belegenen Städtchens Villeneuve krönt, und gedenkt die Ruine demnächst auf einem Schiff zu verfrachten, um sie nach den Vereinigten Staaten zu überführen. Das kostbarste Stück dieser Ka pellenruine besteht aus einem mit reichem Schnitzwerk ver sehenen Torbogen, der wahrscheinlich das ursprüngliche Eingangstor der verfallenen kleinen Kirche geziert hatte. Trotz der energischen Proteste der Einwohner hat der Käufer eine Anzahl Sachverständiger nach Villeneuve ge schickt, die den Auftrag haben, für ordnungsmäßige Auf nahme und Verpackung der Ruine zu sorgen. Zu diesem Zweck wird jeder einzelne Stein photographiert und nume riert; Hunderte von Kisten stehen bereit, um das eigen artige Frachtgut aufzunehmcn. Branntweinirinkcn als Religion. Eine große Spi- rituosenfirma in London erhielt kürzlich von einem Ge schäftsfreund aus San Franzisko ein Schreiben, aus dem ersichtlich ist, welche Geschmacklosigkeiten und Roheiten unter dem amerikanischen Alkoholverbot möglich sind. „Ob gleich unser Land trockengelegt ist," so heißt es in dem Briefe, „erlauben es die Gesetze doch, Whisky unter Zoll verschluß zu halten und nach Bedarf aus dem Zollager für kirchliche und medizinische Zwecke Alkohol zu entnehmen und in den Handel zu bringen. Auf Grund dieses Zuge ständnisses hat man in Kalifornien jetzt eine neue Religion § gestiftet, deren Anhänger mehreremal in der Woche sich zu einer Abendmahlsfeier zusammenfinden, bei der sie ge halten sind, so viel Whisky zu trinken, wie sie schicklicher weise zu sich nehmen können. Es erübrigt sich, zu bemer ken, daß jedermann Mitglied dieser neuen Religionsge meinschaft werden will, und die Folge dieses Andranges von Gläubigen kommt daher in einer scharfen Steigerung der Nachfrage nach Whisky für kirchliche Zwecke zum Aus druck. Die Polizei ist dieser „kirchlichen Feier" gegenüber machtlos, da die Gerichte zu ihren Gunsten entschieden haben, so daß der Polizei nichts weiter übrigbleibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen." Die Geschichte klingt etwas — amerikanisch; jedenfalls könnte es den Ge richten nicht schwer fallen, gegen eine solche Umgehung des Gesetzes einzuschreiten, wenn sie den Willen dazu hätten. Neueste Meldungen. Plötzlicher Tod auf der Flucht. Frankfurt a. M. Ausständige der Adlerwerke besetzten die Fabrikeingänge Ler wegen des Streiks Ler Techniker und Werkmeister stillgelegten Werke und nahmen eine drohende Haltung an. Der kaufmännische Direktor Wiegand flüchtete mit seinem Kollegen über einen Bretterzaun, er erlitt hierbei einen Herzschlag und brach tot zusammen. Die Münchener Tagung des deutschen Kartoffelhandcls. Oki München. Die in München abgehaltene und von Vertre tern aus allen Teilen Deutschlands stark besuchte Generalver sammlung des Einheitsverbandes Deutscher Kartoffelhändlcr hat eine Entschließung angenommen und richtet darin an den Reichstag die Bitte, baldmöglichst die geltende Preistreiberei- Verordnung dahin zu ändern, daß jedenfalls die unter Mit wirkung der amtlichen Organe des Handels oder der Land wirtschaft notierten Marktpreise als maßgebend für die Preis- augcmcssenheit anerkannt werden. Letzte Drahtberichte des »Wilsdruffer Tageblattes". Die neuen Gesetzentwürfe. Berlin, 29. Juni, (tu.) Der Reichskanzler hat am Mittwoch die Parteiführer empfangen und mit ihnen zwei An gelegenheiten besprochen, die mit in den Vordergrund des politischen Interesses stehen, die Getreideumlage und das Gesetz zum Schutze der Republik. In der Besprechung haben sich die Gegensätze in den Forderungen in der Preisfrage nicht aus- gleichen lassen. Die Sozialdemokraten, deren Fraktion sich Mittwoch abend neuerlich mit der Getreideumlage beschäftigten, erklärte, die übertriebenen Ansprüche der Agrarier unter keinen Umständen bewilligen zu können. Zentrum und Demokraten wollten in neue Besprechungen mit der deutschen Vvlkspartei eintreten. Der Gesetzentwurf zum Schutze der Republik hat am Mittwoch drei Sitzungen des Reichskabinetts passiert, und wird am Donnerstag den Ministerpräsidenten der Freistaaten, die hier zu einer Sitzung zusammentreten, zur Kenntnis gebracht und darauf in den Reichsrat und den Reichstag gebracht werden. Ans Stadt und Land. «««! ««« »> »c^« rdlkral Mr t»»« »,«»»« «m»«««. Wilsdruff, am 29. Juni. LH Besserung. Der große Irrtum, der durch unsere B«" geht, liegt in der Meinung, daß man die Masse bessern müßte und könne. So lange diese Ansicht maßgebend bleibt, kom men wir nicht aus unserer Not heraus. Tausend und aber Tausend berufene und unberufene Volkserzieher reden zur Masse, aber ihre Worte treffen auf taube Ohren und auf kalte Herzen. Masse sind immer die andern, der Einzelmcnsch stellt sich über sie und bezieht nicht auf sich, was der Masse gilt. Dadurch schwindet das Gefühl persönlicher Verantwortlich keit immer mehr, und übrig bleibt Trägheit und Verbitterung. Die Gesundung des Ganzen kann nur durch bewußte, schöpfe- —rische Persönlichkeiten erreicht werden, die bereit sind, die Probe auf das Excmpel an sich selbst zu machen, die selbst treu, ehrlich und fleißig sind und dies den Leuten vormachen, nicht listig davon reden und abwarten, bis sich die andern bessern. Am Beispiel liegt es. Worte hörten wir genug. Wie steht es etwa mit Ler Berufsfreudigkeit, die so ziemlich ver lorengegangen ist? über den Wert oder Minderwert von Berufen zu streiten, ist müßig. Die praktische Wertschätzung bestimmter Arbeit hängt, wie bei Ware, von dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ab. Gegenwärtig bedürfen wir dringlich der Handarbeit jeder Art, folglich wird sie hoch bewertet gegenüber der Geistesarbeit, für die sich die Nach frage in ruhigeren Zeiten wieder bessern wird. Jeder Beruf, der ehrlich und tüchtig ausgeübt Wird, ist so viel wert, wie irgend ein anderer. Zwar kommt es bei der Arbeit auf den Lohn an, den sie bringt, aber ihr höherer Wert besteht oder sollte doch bestehen in Lem Nutzen, den sie für die Allgemein- hcit schasst. Aus diesem Nutzen entspringt das Bewußtsein, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein und an ihrer Besserung mitznarbeitcn und in weiterer Folge persönliches Verantwortlichkeitsgefühl. Wer ohne Rücksicht auf die andern seine Arbeit in Geld umsetzt, der hat. kein Recht, sich über die Gleichgültigkeit der Masse zu erregen, denn er ist selbst aedankenlose unverbesserliche Masse. — Tumult im Landtage. Zu Beginn der Mittwochssitzung kam es zu Tumulten. Als Präsident Fraßdorf sich erhob, um dem Minister Rathenau einen Nachruf zu widmen, verlangte die Linke, daß der deutschnationale Vizepräsident Dr. Wagner seinen Platz verloste. Der kommunistische Abg. Schneller rief: „Der Kerl will ja bloß Dresche haben!" Der Mehrheitssozial- demokrat Müller erklärte, wenn Vizepräsident Wagner seinen Platz nicht verlasse, würde seine Partei das Haus verlassen. Die Kommunisten schlossen sich dieser Erklärung an und als Vizepräsident Dr. Wagner erklärte, er habe keine Veranlassung, seinen Platz zu verlassen, verließen die Linksparteien den Sitzungssaal unter schmähende Zurufe auf die Rechte. Als dann Ruhe eingetreten war, gab Präsident Fräßdorf nochmals der Trauer des Landtages über die Mordtat Ausdruck und er mahnte alle Kreise zur Ruhe. Hierauf vertagte sich der Landtag auf eine Stunde. Nach Wiedereröffnung der Sitzung verlangte Abg. Wirth (Soz.) eine erneute Unterbrechung der Verhand lungen, damit die republikanischen Parteien für sich eine Trauer feier im Sitzungssaal der ersten Ständekämmer abhalten könnten. Die Demokraten und der Zenttumsabgeordnete begaben sich darauf mit den Abgeordneten der drei Regierungsparteien in den Sitzungssaal der ersten Ständekammer, wo noch einmal Präsident Fräßdorf und dann der Vorsitzende der demokratischen Fraktion, Abg. Dr. Seyferth, Ansprachen hielten. Nach erneuter Wiedereröffnung der Landtagssitzung gab dann Minister Lipinski namens der Regierung eine Erklärung ab, in der er behauptete, daß der Meuchelmord an Dr. Rathenau ein Glied in der Kette des planmäßig organisierten Terrors sei, durch den die Republik erschüttert werden solle. Er machte die Deutschnationalen für die herrschende Progromstimmung ver antwortlich, teilte mit, daß die sächsische Regierung die Be seitigung des demokratischen Reichswehrministers Geßler ge fordert habe und schloß mit dem Rufe: „Es lebe die Republik!" Ein Antrag der Deutfchnationalen, sofort in die Besprechung der Regierungserklärung einzutreten, wurde von der Regie rungsmehrheit abgelehnt und die nächste Sitzung auf Dienstag den 4. Juli angesetzt. — Die Heuernte ist in vollem Gange. Auf vielen Wiesen hat die Sense ihre Arbeit schon getan. Das lange kalte Früh jahr, das die Entwicklung der Gräser gegenüber normalen Jahren beträchtlich zurückhielt, ließ zunächst nur einen geringen Ertrag erwarten; aber die warmen Gewitterregen der letzten Wochen haben noch vielfach ausgleichend gewirkt. Dazu er möglichte nun auch das Wetter, die Mahd in der qualtativ günstigsten Zeit vorzunehmen, in den Tagen der beginnenden Blüte. Sowohl die Gräser wie die Substanz. Später wird ein Teil davon in den Früchten (Samen) abgelagert, die beim Dörren leicht ausfallen, und die Stengel- und Blattgewebe werden dann bald hart und holzig. Ein früheres Abmähen liefert zwar ein noch eiweißreicheres und zarteres Futter, aber nur geringe Ertragsmengen. — Zum Ferienaufenthalt nach Hüttengrund wurden gestern früh durch Mitglieder des hiesigen Fechtvereins 30 der Erholung dringend bedürftige Kinder gebracht. Wie uns mit geteilt wird, sind alle wohlbehalten am Ziele eingetroffen. — Mittelelbe-Turngau. Der technische Ausschuß hat für Sonntag den 9. Juli beschlosten, erstmalig im Gaue für die männliche Jugend ein Gauturnfest in Leubnitz-Neuvstra ab zuhalten. — Schonet die Wälder! Das Finanzministerium weist erneut darauf hin, daß sich Perfonen, die im Walde oder in gefährlicher Nähe eines Waldes brennende oder glimmende Gegenstände fortwerfen oder im Walde oder in gefährlicher Nähe eines Waldes unbefugt Feuer anzünden, einer Bestrafung aussetzen. Auch ist es ausdrücklich verboten, mit Geräten zum Abkochen Staatsforsten zu betreten. — Fünf Wochen große Ferien auch für die höheren Schulen Sachfens. Kultusminister Fleißner hat feine Zu-
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