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Degischer Michsisg. (227. Sitzung.) OL. Berlin, 16. Juni. Nachdem mehrere kleine Anfratzen erledigt waren, bean tragte der Abg. Dittmann (U.-Soz.) eine Umstellung der Tagesordnung. Der Reichstag müsse sich in erster Linie mit den immer mehr anwachsenden monarchistischen und milita ristischen Treibereien beschäftigen (Gelächter und spöttische Zurufe rechts), die in der Maske von Regimentsfeiern der Vorbereitung eines neuen Rechtsputsches dienten. Er bean tragte deswegen, daß schon heute die verschiedenen Interpel lationen über die Königsberger und bayerischen militaristischen Kundgebungen zur Verhandlung kommen sollten. Dieser Antrag wurde jedoch abgelchnt. Hierauf erhob der Abg. Hoellein (Komm.) gegen den An trag der Rechten Einspruch, auch die Erbschafissteuer- anträge auf die Tagesordnung zu setzen, damit sie gemein sam mit der Zwangsanleihe und den Anträgen auf Änderung der Einkommensteuer behandelt werden könnten. Infolgedessen konnte die Erbschaftssteuer heute nicht mit der Zwangsanleihe und der Einkommensteuer verbunden werden, und daraufhin beantragte der Abg. Schultz-Bromberg (Deutschnat.), die Zwangsanleihe nebst dem Antrag auf Ände rung der Einkommensteuer von der heutigen Tages ordnung abzusetzen und auf Sonnabend zu verschieben. Dieser Antrag wurde angenommen. Hierauf wurde der Gesetzentwurf, durch den die Bezüge aus der U n f a l l fü rs o r g e für Gefangene verzehn facht werden, in allen drei Lesungen angenommen, ebenso der Gesetzentwurf, durch den die Vergütungen für Quartier leistungen an die Reichswehr erhöht werden. Nun kam man zur ersten Beratung des Entwurfs einer Schlichtungsordnung. Abg. Giebel (Soz.) erhob dagegen Einspruch, daß die Vorlage fast unmittelbar vor dem allgemeinen deutschen Ge werkschaftskongreß eingebracht würde. Bevor die sreie Ge werkschaft Stellung zu der Vorlage genommen habe, sollten sich auch die Parteien nicht sestlegen. Gegen die scharfen Zwangsbestimmungen des Entwurfs seien viele Bedenken vorzubringen, grundsätzlich aber stimme die Sozialdemokratie dem Gedanken dieser Schlichtungsordnung zu. Durch die Schlichtungsordnung würden die Gewerkschaften als recht mäßige Vertretungen der Arbeiterschaft anerkannt. Reichsarbeitsminister Brauns: Die Vorlage bildet den Abschluß einer langen Entwicklungsreihe, die mit dem Ge- werbegerichtsgesetz von 1890 begonnen hat. Das Ziel der Vorlage ist es, den Wirtschaftsfrieden im Interesse der Be teiligtem und der Gesamtheit zu fördern und zu sichern. Die Streiks in gemcinwirtschastlichen Betrieben richten sich mehr gegen die Arbeiterschaft als gegen das Privatkapital. Wir sind heute gezwungen, die Wirtschaftskämpfe auf ein Mindest maß zu beschränken und an ihre Stelle die friedliche Ver - ständigung zu setzen. Das bezweckt die Vorlage. Am Streikrecht will die Schlichtungsordnung keineswegs rüt teln. Ihr Ziel ist die Verhinderung der auch von den Gewerk- schäften bekämpften wilden Streiks. Was wir mit der Vorlage wollen, ist durchaus vereinbar mit gewerkschaftlichen Grundsätzen. Im Gegensatz zu dem ersten Entwurf enthält die jetzige Vorlage keine Streikbestimmungen. Abg. Ehrhardt (Zentrum): Für das deutsche Volk ist dls Sicherung des gewerkichastlichen Friedens in der heutigen Zeit eme Lebensnotwendigke-t. Heute hat jeder große Wirtschafts. für die Volksgesamtheit verhängnisvolle Folgen. Da mit soll das Recht aus Streik nicht bestritten werden, aber der Kamps darf nicht Selbstzweck sein, wenn er nicht zum Ver- Werden soll. Eine Schlichtungsordnung ist für unser« Wirtschaft ein Bedürfnis. Soll sie aber ihren Zweck erfüllen, dann müssen die Vorsitzenden der Schlichtuugsämter wirklich ft" 'Zs Amt befähigt fein, und dann müsse vor allem das Schlichtungsverfahren schnell genug arbeiten. . Abg. Graef-Thüringen (Deutschn.): Dieser Entwurf räumt Mit der Ansicht der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf, daß man die Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse dem Kampfe der Interessenten überlassen sollte. Wir haben bei unserer sozialen Einstellung diesen Gedanken nie unterstützt. Deshalb stehen wir dem Grundgedanke« der Vorlage 1Hvlpathlsch gegenüber. Betrübt sind wir aber, wenn wir tue Wege betrachten, die eingeschlagen werden sollen. Wieder einmal soll ein bureaukratischer Jnstanzenzug geschaffen wer- den. Für das neue Deutschland ist der Organisationsfimmel charakteristisch So. war et erst neulich beim Reichsjugend, wohlsahrtsgesetz. ... Abg. Aufhäuser (U.-Soz.) wandte sich in längeren Aus führungen gegen die Vorlage, die keine Schlichtunasoidnung, sondern ein Gesetz zur Niederhaltung der Gewerkschaften sei. Abg. Dr. Moldenhauer (Deutsche Volksp.) erklärte sich im Sinne seiner Partei für die Vorlage, wobei er bemerkte, daß die Vorlage von denen bekämpft werde, die Anbänaer des Gräfin Latzbergs Enkelin. 24) Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verboten.) ^Li VN passor I'birooäells Dans ls ei el xonräu marin—i Lils Lllait, L tire ä'ails Vere I» pnx» oü i Lppelio Ds solsil et l« jnsmin." Als sie geendet hatte, ließ sie die Hanke Von Ken Lasten gleiten und wiederholte mehr sprechend als sin- gend mit wehmütiger und sehnsüchtiger Stimm« die letzten Verszeilen: „Lt f-miLls ronlo «omm« el!» Sairr« l« mLme ellswin!^ Unwillkürlich seufzte sie tief auf und neigte sin nend den Kopf. Ta war ihr, als ob sich noch jemand im Zimmer befände. Sie hatte Milli doch gar nicht eintreten hö- ren. Schnell wandte sie sich um und öffnete schon den Mund zu einer Bemerkung, sprang aber erschrocken auf, als sie an der Tür die Umrisse einer männlichen Ge stalt bemerkte. Der große Raum war ja nur schwach ourch die eine elektrische Flamme am Klavier erhellt. Sie drehte die Deckenbeleuchtung an und erblickte einen großen, breitschultrigen, blondbärtigen Herrn, „Oh!" sagte sie bestürzt und legte die Hand aufs Herz. Er trat auf sie zu und lächelte gutmuttg. „Hab' ich Sie erschreckt durch mein spätes Eindrin gen? Doch ich habe ein wenig Recht darauf, auch hier zu sein, denn ich bin Lothar Steinhagen, und Sie sind wahrscheinlich die neue Hausgenossin meiner Schwester?" „Ja, Herr von Steinhagen, ich bin Yvonne Le gens. Die Damen werden sehr bedauern; sie sind einer Einladung gefolgt. „Ich weiß bereits. Die Donna, die da drüben saß, sagte es mir." Yvonnes Gesichtchen war von einer Röte der Ver legenheit übergossen. Was mußte er von hr denken, in welcher Weise sie sich die Zeit während der Abwe senheit ihrer Brotherrin vertrieb! Sie trat an den Flügel und klappte den Deckel zu. „Schade, daß Sie aufhören wollen. Ich Habs so wenig Zeit und Gelegenheit, gute Musik zu hören, bin selbst auch nickt ausübend." Klässenkampses seien. Aus diesem Grunde yase sich oer Avg. Aufyäuser schärfer über die Vorlage ausgesprochen als der Abg. Giebel, und der später sprechende Kommunist werde Wahrscheinlich noch schärfer gegen die Vorlage austrcten. Texiilrohstoffs über Weltmarktpreis. Bewegung der Großhandelszijfern im Mai. Die Aufwärtsbewegung der Großhandelspreise ist im Monat Mai entsprechend der verhältnismäßig geringen Schwankung der Devisenkurse zu einem gewissen Stillstand gekommen. Die Großhandelsindexziffer (Frisdenszisfer 100) des Statistischen Reichsamts beträgt im Durchschnitt des Monats Mai 6458 gegen 6355 im Durchschnitt des Monats April. In den einzelnen Warengruppen war die Bewegung nicht einheitlich; und zwar sind Getreide und Kartoffeln, zum Teil gleichlaufend mit dem im Monatsdurchschnitt ebenfalls um ein Geringes gewichenen Dollarkurss, von 6169 auf 5802 zurückgegangen, wogegen Fette, Zucker, Fleisch und Fische von 5049 auf 5148 anzogen. Eine kleine Senkung haben die Kolonialwaren von 8708 auf 8621 zu verzeichnen. Im ganzen ging die Sammelgruppe der Lebensmittel von 6086 auf 5847 zurück. Demgegenüber sind die Warengruppen der Jndustriestoffe durchweg gestiegen; und zwar führten die insbesondere für Baumwolle, Jute, Kupfer, Zink, Zinn und Blei wieder anziehenden Weltmarktpreise auch zu Preissteigerungen im Jnlande. Ferner erlitten Kohle Eisen weitere Preis heraufsetzungen, die zum Teil erst im Berichtsmonat rechne risch voll einzusetzen waren. Häute und Leder sind von 6957 auf 7040, Textilien von 9505 auf 10 604, Metalle von 6378 auf 6489, Kohle und Eisen von 6241 auf 7061, Jndu striestoffe zusammen von 6858 auf 7602 gestiegen. Die vorwiegend im Jnlande erzeugten Waren (Ge treide, Kartoffeln, Fette, Zucker, Fleisch, Fisch, Kohle, Eisen) zeigen eine Erhöhung von 5985 auf 6026, die vor wiegend aus dem Auslands eingeführten Waren von 8203 auf 8617- DieTsxtilroh stosse haben nunmehr das Weltmarkniveau (10 463) noch um 1,6 Prozent überschritten. Wer dem Goldniveau (6911) stehen Ko lonialwaren, Häute und Leder, Textilien, Kohls und Eisen. Die UfhsiisZeii im Bergbau. Die kürzesten Schichten in Deutschland. Die deutschen Bergarbeiter haben bekanntlich deck Qberschichtenabkommen abgelehnt. Aus diesem Anlaf werden aus Bochum Vergleichszahlen über die Arbeitszeit im deutschen und -ausländischen Bergbau veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß im Auslands teilweise län gere Arbeitsschichten üblich sind. Die Arbeitszeit des englischen Bergmanns be trägt 7 Stunden, wobei aber die Ein- und Ausfahrt nicht mitgerechnet werden. Dafür sind im Durchschnitt des gan zen englischen Kohlenbergbaus 37 Minuten erforderlich so daß die tatsächliche Arbeitsdauer des englischen Berg manns unter Tage durchschnittlich heute noch 7 Stunden und 37 Minuten beträgt. Im Ruhrbergbau sind dagegen bei der 7 Stundenschicht Ein- und Ausfahrt eingerechnet. Im übrigen Ausland liegen die Verhältnisse ähnlich, wie aus einem Aufsatz von Bergrat Dr. Ing. H. E. Böker her vorgeht. Hiernach währt z. B. die Arbeitszeit des Berg manns in Belgien und Deutsch-Osterreich täg lich 8 und wöchentlich 48 Stunden. In den Nieder landen, in Polen und der Tschechoslowakei wird täglich 8 Stunden, Samstags aber nur 6 Stunden gearbeitet, so daß eine wöchentliche Arbeitszeit von 46 Stunden entsteht. In der Tschechoslowakei wird bei dieser Arbeitszeit die Ein- und Ausfahrt nicht eingerechnet, so fern sie nicht mehr als eine halbe Stunde dauert. Die Vereinigten Staaten kennen keine gesetzliche Rege lung der Arbeitszeit, wie die meisten europäischen Staaten. Der eigentliche Kohlenhauer ist dort nicht verpflichtet, eine bestimmte Zeit an seinem Arbeitsplatz auszuharren, son dern der Bergwerksbesitzer hält für ihn die Grube eine be stimmte Zeit lang offen. Die frei gewählte Arbeitszeit die ser Bergarbeiter beträgt 8, 9 oder 10 Stunden. Der deutsche SteinkoyleNbergmann steht also, abgesehen von Oberschlesien, wo die Schichtzeit 7^ Stunden beträgt, in bezug auf die Arbeitszeit zweifellos am günstigsten in der ganzen Welt da. * Ein neuer Schiedsspruch. In den schwebenden Arbeitsfragen des Ruhrkohlenberg« baues wurde zur Regelung der Lohnsrage ein Schieds spruch gefällt, der den durch Abbruch der Anleiheverhand- lungcn veränderten Verhältnissen Rechnung trägt. In den Fragen des Manteltarifs konnte über eine Reihe wei terer Punkte die Verständigung zwischen den Parteien ge fördert werden. Die beteiligten Verbände werden sich Lis zum 29. Juni darüber schlüssig machen, ob sie den Schieds spruch und den Manteltarif in seiner geänderten Form an nehmen wollen, und ob dann der Abschluß eines Uber stun den ab kommens möglich ist. Wett- und Volkswirtschaft. Was kosten fremde Werte? („Dries" -- angeboten. „Geld" -- gesucht.) Börsenplätze 16. Geld 6. Brief 15. 6. Geld s Bries Stand 1.2.14 Holland 100 Guld. 12309,50 12340,40 12084,80 12115,10 170 Mk. Dänemark 100 Kron. 6816,40 6883,6 6761,50 6778,5!- 112 , Schweben 100 Kron. 8189,75 8210,25 8019,95 8040,05 112 . Norwegen Ik.OKron. 5413,20 5426,81 5323,30 53 -6,70 112 . Schweiz 100 Frank 6022,45 6037,55 .927,55 5942,45 72 . Amerika 1 Dollar 316,35 317,15 310,80 311.64 4,40. England 1 Psd. 1413,20 1416,80 1390,75 1394,25 20^0. Frankreich 100 Frank 2776,50 2783,50 2751,55 2788,45 80 , Belgien 100 Frank 2596,75 2603,95 2571,75 2578,25 80 , Italien 100 Lire 1583,00 1587.0 1570,50 1574, 0 80 . D.-Ostsrr. 100 Kron. 1,7 1,79'/- 1,73 1,77 85 . Ungarn 100 Kron. 31.66 81,74 30,71 30.79 85 . Tschechien 100 Kron. 605,20 606,80 597,25 598,75 Berlin, 16. Juni. Polenmark an der heutigen Börse 7,25 Pf. Aah und Kern. O Der regelmäßige Flugdienst von Bremen nach den Nordseebädern Norderney und Wangeroog wird am 21. Juni d. I. eröffnet. Die zwischen Bremen und Nor derney verkehrenden Flugzeuge haben direkten Anschluß an das vormittags 11 Uhr von Berlin in Bremen eintref fende Flugzeug, so daß Fluggäste, die um 8 Uhr vormit tags von Berlin abslicgcn um 12,45 Uhr mittags in Nor derney landen können. O Keine Kartenbriess mehr. Kartenbriefe werden von der Poft wegen der geringen Nachfrage künftig nicht mehr hergestellt werden. Die noch vorhandenen Bestände sollen ohne Erhebung des Papierpreiszuschlages von 10 Pfennig verkauft werden. O Tod einer berühmten amerikanischen Schauspielerin- In Pittsburg ist die berühmte amerikanische Schauspielerin und Sängerin Lillian Russell an den Folgen eines- Stur zes, den sie bei ihrer Rückreise von Europa an Bord eines Dampfers erlitt, gestorben. Lillian Russell galt lange Zeit für die größte Schönheit, die über die angloamerikanische Bühne gegangen ist. O Der Kindermord von Neuland-Stöckicht. Die Frau des Gutsbesitzers Krause in Neuland-Stöckicht (Kreis Löwenberg) hat ihre vier Kinder nicht, wie ursprünglich angenommen wurde, in geistiger Umnachtung, sondern mit ruhiger Überlegung ermordet. Sie wurde verhaftet und erklärte vor dem Untersuchungsrichter, daß sie die Tat be gangen habe, weil ihr von ihrer Schwiegermutter fort gesetzt Vorwürfe darüber gemacht worden sein, daß sie zu viel Kinder habe und sich schon wieder in gesegneten Um ständen befinde. O 600 Meter unter dem Everest-Gipfel. Die englische Expedition zur Besteigung des Mount Everest, des höchsten Erdgipfels, hatte nach einem in London eingetroffenen Telegramm am 13. Juni eine Höhe von 8268 Metern er reicht. Es fehlten nunmehr nur noch 571 Meter bis zur Spitze des Bergriesen. W! „Das war doch keine gute Musik!" „Für mich ja. Von schwerer, klassischer Musik habe ich nichts, da ich so wenig davon verstehe. Aber eine weiche, süße Frauenstimme, die ein kleines zu Herzen gehendes Lied singt, ist mir ein hoher Genuß. Und ich bitte Sie herzlich, singen Sie mir noch ein Lied, ein ganz einfaches, ohne viel Schnörkel und Verzierungen, und wenn es nur ist, „Kommt ein Vogel geflogen!" Unwillkürlich mutzte sie in sein Lachen mit ein stimmen, aber noch immer zögerte sie. „Oder können Sie keine deutschen Volkslieder sin gen?" „O doch, Herr von Steinhagen. So will ich es denn versuchen!" Ohne längere Ziererei setzte sie sich vor das Instru ment. „Was möchten Sie nun hören?" „Das ist mir gleich, wie ich Ihnen schon sagte, ir gend ein Volkslied." Yvonne sann einen Augenblick; dann begann sie mit ihrer lieblichen Stimme: „Es zogen drei Bur schen wohl über den Rhein!" Als sie geendet, schwieg er, sagte kein Wort. Sie stand auf und schloß das Instrument. Durch den leisen Ton des zuklappenden Teckels schreckte er auf. Es war als ob er die soeben gehör ten süßen Töne noch in sich verklingen lassen wollte. s „Merkwürdig, merkwürdig," sagte er nur. Verwundert sah sie ihn an. „Sie sind doch Französin, Ausländerin, Fräulein Legene?" „Meine Eltern waren Franzosen; ich aber bin in Italien, in Florenz geboren," entgegnete sie mit nieder geschlagenen Augen. Es widerstrebte ihr, ihm die Un wahrheit, zum Teil wenigstens sagen zu muffen. „Und doch können Sie ein deutsches Volkslied mit so echt deutschem Gemüt vortragen?" „Aber Herr von Steinhagen, die Kunst ist doch in ternational! Für sie gibt es keine Landesgrmzen." Er beachtete ihren Einwurf nicht. „Ich möchte fast glauben, daß ein guter Teil deut schen Blutes in Ihnen steckt." Fast erschreckt blickte sie zu ihm empor. Sollte er etwas ahnen? Hatte man etwas ersahren? Hastig warf sie deshalb ein: „Von meinem dreizehnten Jahre an bin ich in Deutschland und fühle mich auch wohl hier." „Und doch: ,M j'emeis vonlo ooinms eile LMvrs ls moms ebswlnW Darin lag so viel Sehnsucht, Heimweh!" und »orschend blickte er in ihre samtenen, voll aufgeschlagenen Augen. Um ihren feinen Mund zuckte es schmerzlich. „Ich darf keine Heimat haben, weil ich keine Hei- mat habe, kein Heim, nur eben das, worin ich gerade bin." Es klang ihm so herzerschütternd traurig, wie sie das sagte, daß er davon ergriffen wurde. „Armes Kind" kam es leise von seinen Lippen. In diesem Augenblick meldete Milli, daß serviert sei, die Tür des Speisezimmers öffnend. „Ah, danke! Ist gut! Ich habe mir nämlich ei nen kleinen Imbiß zurechtmachen lassen, Mademoiselle. Vielleicht sehe ich Sie nachher noch einmal." Er ver neigte sich und ging. „Na, die Gnädige wird froh sein, daß der Herr sie nicht angetroffen hat. Für gewöhnlich gibt's jedes mal Krach, wenn er sich mal blicken läßt." „Oh, nicht doch, Milli!" wehrte Yvonne. Sie wollte so etwas nicht hören; auf Dienstbotenklatsch ließ ge sich nicht ein. Gedankenvoll begab sie sich zurück ins Wohnzimmer, aß das Obst, das Milli ihr geschält, und nahm dann ihre Arbeit wieder auf. Das war also der Herr! Sie hatte sich ihn eigentlich ganz anders vorgestellt; Pho tographien von ihm hatte sie bisher noch nicht im Hause gesehen, im Gegensatz zu den Damen, von de nen es Dutzende in allen möglichen Größen und Stel lungen gab. Lothar von Steinhagen war breit und groß, sehr groß; kaum bis zur Schulter reichte sie ihm. Sie hatte zu ihm aufsehen müssen, als er mit ihr sprach. Das Gesicht war tief gebräunt und trug einen sehr ernsten, doch gütigen Ausdruck. Das ziemlich kurz gehaltene Haar zeigte an den Schläfen einen silbernen Schimmer. Ein wohlgepflegter dunkelblonder Bart verdeckte sein Kinn. Nach ungefähr einer Viertelstunde trat er zu ihr ins Zimmer. „So, nun bin ich gesättigt und will mich emp fehlen." Sie hatte sich erhoben. „Ist der gnädigen Frau et- was zu bestellen?" „Bitte, mein Fräulein, behalten Sie Platz!" Er zog, trotzdem er doch gesagt, daß er gehen wollte, ei nen Sessel näher an den Tisch und ließ sich bequem hineinfallen. Seine Blicke fielen da auf Yvonnes Arbeit. (Fortsetzung folgt.)