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Wilsdruffer Tageblatt : 13.06.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192206136
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220613
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220613
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-06
- Tag 1922-06-13
-
Monat
1922-06
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 13.06.1922
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wirtschaftliche Sache ansieht. Noch hält sich aber Amerika abseits, denn die amerikanische Volksseele war in wildem Haß bis zu 90 Prozent gegen das deutsche Volk entfacht. Der Kanzler appelliierte zum Schluß an die freudig« Mit arbeit aller für Vaterland und Volk. Alle Glieder des Volkes müssen hinter das demokratische Deutschland für ein selbständiges unabhängiges deutsches Volk eintreten. Das ist die Wiedergewinnung jener nationalen Festigkeit, die uns zu niemandes Herrn und zu niemandes Knecht zwingt, sondern die neben den anderen Völkern auf fried lichen Wiederaufbau Europas zielt und darin ihre große politische Aufgabe sieht. Reichsminister Dr. Rathenau verbreitete sich im Anschluß an die Kanzlerrede über Finanzfragen. Früher wurde von uns Gold verlangt, das wir nicht erzeugen. Später erkannte man an, daß unser Zahlungsmittel nur in Waren bestehen könne. Im Herbst dämmerte in England die zweite Erkenntnis ans, daß, wenn ein Land im Übermaß Arbeit leistet, dadurch andere Völker geschädigt werden, daß eine Zerrüttung der Märkte der Erde folgen muß. So ist denn schließlich trotz allem auch in Genna die Frage besprochen worden: Kann ein Kontinent gesunden, wenn jeder jedem tief verschuldet ist? Kann eine Nation sich regen, wenn sie gleichzeitig Gläubiger und Schuldner von so und so vielen anderen ist? Bei uns lebt noch immer der Wille zur Arbeit, zur Disziplin, zur Organisation, zur Forschung üsw. Noch immer sind große ideale Kräfte un gebrochen und unberührt. Schreckensherrschaft in Oberschlesien. Viele Personen erschossen. Das unglückliche Land hat zurzeit ebensosehr unter dem ungebändigten Terror der polnischen Banden wie unter dem Übermut der französischen Besatzung zu leiden. Das Dorf Dziergowitz wurde von einer etwa 28 Mann zählenden stark bewaffneten Bande überfallen. Die Bande umstellte die Wachtstube der Gemeindewache, bemächtigte sich dreier Wachtleute und des Gemeindevorstehers Mi- trenga. Darauf stellte die Bande alle vier Personen vor der Wachtstube an einen Zaun und schoß sie durch eine Salve nieder. Die drei Gemeindewachtleute waren sofort tot. Der Gemeindevorsteher, der nur durch einen Streif schuß verletzt wurde, stellte sich tot und kam so mit dem Leben davon. Darauf unternahm die Bande einen Plün derungszug durch das ganze Dors. In Beutben wurde ein italienischer Offizier von einer französischem Patrouille ohne Grund belästigt!. Als meh rere Zivilisten für ihn Partei nahmen, führten die Fran zosen den Italiener ab. Kurz darauf wurden Zivilperso nen von derselben Patrouille belästigt. Die Patrouille be gab sich in eine Haus und schoß von einem Fenster aus auf die Straße. Der völlig unbeteiligte Friseur Koh aus Bismarckhütte wurde durch einen Halsschuß getötet. Ein ähnlicher Vorgang ereignete sich zwischen französischen Offizieren und Zivilisten. Zwei französische Offiziere schossen auf die Arbeiter Nissok und Karmernsli. Der eine Arbeiter erhielt einen Gesichtsschuß und erlag bald sei nen Verletzungen, der zweite wurde schwer verletzt, fort während hört man in der Stadt und Umgebung Gewehr- und Nevolverschüsse, in der Nacht das Knattern von Ma schinengewehren und explodierenden Handgranaten. Die vereinigten deutschen Parteien wenden sich in einem Auf ruf an die Bevölkerung und bitten, keine Vergeltungsmaß nahmen gegen den polnischen Terror zu ergreifen, aber baldige Übergabe an die beiden Negierungen zu fordern, damit diese für die Sicherheit und Wohlfahrt ihrer Staats angehörigen Sorge tragen können. Der Kreiskontrolleur hat den Belagerungszustand über Berthen Stadt und Land verhängt. Die Vergnügungs stätten, Gasthäuser usw. haben um nenn Uhr abends zu schließen, der Verkehr auf den Straßen ist bis zehn Uhr gestattet. Gräfin Latzbergs Enkelin. 21) Roman von Fr. Lehne. (Nachdruck verboten.) „Um Vergebung, gnädigste Gräfin, wenn ich mich etwas verspätet habe/ Es wollte bei Tisch keine rechte Stimmung aufkom men. Gezwungen nur hielt sich das Gespräch in den oberflächlichsten Bahnen. Mit Erleichterung wurde das Ende des Mahles begrüßt. Yvonne wurde nicht er wähnt. Die Baronin brach bald auf. „Du bist nervös, liebste Mama; deshalb ist es besser, wir lassen dich für heute allein, damit du deine Ruhe bekommst/ Kurz nachdem die Gäste Burgau verlassen hatten, sagte der Diener: „Komtesse Yvonne lassen Frau Gräfin um eine Un terredung bittens/ „Heute abend nicht mehr, morgen/ lautete die Ant wort. Und am andern Morgen, schon in aller Frühe, stand Yvonne vor der alten, strengen Frau. Auf ihrem süßen, blassen Gesichtchen prägte sich eine feste Entschlossenheit aus. In diesem Augenblick und mit diesem Ausdruck glich sie der Mutter ihres Vaters mehr als der eigenen. Sie hatte doch viel von den Latz bergs, und das fiel der Gräfin jetzt auf, als sie die Enkelin so gelassen und selbstbewutzt vor sich stehen sah. „Was wolltest du mir gestern abend noch sagen? Jedenfalls wohl, datz Gtaf Lichtensels mit bestem Er folg bemüht war, dir Lutz zu ersetzen?" fragte die Grä fin mit eisigem Hohn. Einen Augenblick starrte Yvonne die Gräfin ver ständnislos an — dann begriff sie die ungeheuere Belei- digung. Wer wohl wieder der Großmutter Dagoberts teil- nehmendes Verhalten in solchem verzerrten Licht dar gestellt? Wer hatte sie belauscht? Sie bog verächtlich die Mundwinkel herab. Das traf sie nicht. „Auf solche Verleumdung auch nur ein Wort zu meiner Verteidigung zu sagen, wäre für mich eine Selbsterniedrigung'/ entgegnete sie stolz. „Aber Graf Lichtenfels will ich vor dieser Beleidigung schü tzen, weil er ein Edelmann im wahrsten Sinne des Wor tes ist. Er hat Mitleid mit meiner Verlassenheit ge habt und hat mir deshalb ein Heim bei seiner Mutter angeboten — er hat längst gesehen, unter welchen un haltbaren Verhältnissen ich lebe/ — „Und Wenn die Verhältnisse nun so unhaltbar für dich sind, warum hast du ihnen denn damals nicht ein Ende gemacht, als es dir geboten wurde?" Zornig sah Yvonne auf die Grotzmutter, die sie so »u quälen verstand. „Du weißt recht gut, warum! Auch heute denke ich nicht anders!" Der Crzberger-Prozeß. Fortsetzung der Zeugenvernehmungen. § Offenburg, 10. Juni. Die Besichtigung der verschiedenen Orte, die bei der Er mordung Erzbergers „eine Rolle spielten", wurde gestern am späten Nachmittag beendet. In Oppenau hatten Schulz und Tillcssen im Gasthans ,Zum Hirschen" gewohnt. Ein paar Tage nach ihrer Abreise kam der Sohn der Gastwirtin auf den Gedanken, daß die beiden jungen Leute irgendwelche Gegenstände zum Fenster hinausgsworfen haben könnten. Mau suchte den am Gasthause vornbersließenden Bach, der bei der damaligen Hitze nur wenig Wasser führte, ab und fand eine Anzahl Zettel und Papierschnitzel, die wertvolles Material für die Untersuchung lieferten. Von Oppenau ging die Fahrt der Gerichtskommission nach dem Kurhaus in Griesbach, wo Erzberger gewohnt hatte. Es wurde festgestellt, daß man von einer Bank auf dem dem Kurhaus gegenüberliegenden Höhenwege bequem in die von Erzberger bewohnten Zimmer sehen konnte. Auf der neuen Kniebisstraße fuhr man dann zu der Mord stelle, wo ein Polizeibeamter zeigte, wie die Schüsse abgegeben worden sein müssen. Der Vorsitzende des Gerichtshofes unterrichtete die Geschworenen von dem Sttuationsplan. Der Bekanntenkreis der Täter. Die heutige Verhandlung begann mit der Vernehmung des 18sährigen Fräuleins Osterturin aus Spandau. Der Bru der der jungen Dame, deren Vater Apotheker ist, gehörte auch der Marinebrigade Ehrhardt an und war mit Schulz und Til lessen so befreundet, daß er sie, als die Brigade in Döberitz lag, bei seinen Eltern einführte. Fräulein Osterturm stand dann mit ihnen im Briefwechsel, und einer der in Oppenau am Ufer des Licrbaches gefundenen Papierfetzen entstammte einem von ihr geschriebenen Briefe. Sie erklärte vor Gericht, daß sie, als der Mord geschehen war und die Beschreibung der Täter in den Zeitungen erschien, sich sofort gedacht habe, daß Schulz und Tillessen in Frage kämen. Der Bruder der jungen Dame, der zwanzigjährige ehe malige Marineossizier Dietrich Osterturm, zurzeit Stu dent in München, äußerte sich über seine Beziehung zu Schulz und Tillessen ähnlich wie seine Schwester. Von den Rene- plänen der beiden Freunde habe er nichts gewußt, und er habe sic auch nicht danach gefragt, da er merkte, daß sie darüber nicht sprechen wollten. Auf die Frage, wie er selbst zu Erzberger ge standen habe, blieb der Zeuge die Antwort schuldig. Elektrische Eisenbahnen. Vor der Eröffnung der Strecke Halle—Leivzig. In kurzem soll, wie gemeldet wurde, der elektrische Zugverkehr zwischen Leipzig und Halle ausgenommen wer den. Alle Vorbereitungen dafür sind bereits getroffen, und die Probefahrten sind durchaus günstig ausgefallen. Die Elektrifizierung der Eisenbahnen ist in der neuesten Zeit ein Weltproblem geworden. Die großen Kosten des Brennstoffs, das zunehmende Wachstum des Verkehrs, das steigende Bedürfnis nach Schnelligkeit und Zugkraft haben in allen in Betracht kommenden Ländern in der gleichen Richtung gewirkt. Wenn auch das bereits Geschaffene, so fern man es in seinem ganzen Umfang betrachtet, noch ver hältnismäßig gering ist, so kann doch mit Sicherheit vor ausgesagt werden, daß das Tempo des Fortschritts in die ser Beziehung sich während der nächsten Jahre erheblich beschleunigen wird. Das Problem ist sowohl ein finanzielles als auch ein technisches. Der Übergang vom Dampfbetrieb zum elektri schen beansprucht, wenn er in einigem Umfang geschehen soll, sehr große Kapitalien; andererseits bestehen unter den technischen Sachverständigen noch erhebliche Mei- nungsverschiedenHeiten über die Frage der Stromzufüh rung und die geeignetsten Modelle für Lokomotiven. Der Übergang zu der neuen Betriebsweise kann daher nur stufenweise erfolgen- Dazu kommt, daß die Dampflokomo tive, die uns ein Jahrhundert lang treu gedient hat, immer noch mancher Verbesserung fähig ist, und daß noch zahl reiche unausgenutzte Möglichkeiten zur Erhöhung ihrer Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit bestehen. Für Vorortbahnen ist der elektrische Betrieb von jedem Gesichtspunkt aus anerkanntermaßen vorteilhafter; in der ganzen Welt nimmtdmher auch die Elektrifizierung von den großen Mittelpunkten des Verkehrs und der Industrie ihren Ausgang. Ständig macht man hier praktische Er- fahrungen, untersucht und vergleicht die Ergebnisse und prüft von da aus das Problem nach allen seinen tech nischen und Verkehrsgesichtspunkten. Bei dem Internatio nalen Eisenbahnkongreß, der in diesem Sommer in Rom stattfinde» soll, wird die elektrische Eisenbahn nicht den unwichtigsten Verhandlungsgegenstand bilden; ausführ liche Berichte über die Verhältnisse in den Hauptländern sind dafür schon ausgearbeitet worden. Abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen, die sich aus dem Übergang zum elektrischen Betrieb für die staat lichen oder privaten Eisenbahnunternehmer ergeben, und die sehr bald der Industrie im ganzen zugute kommen wer den, sind die Wohltaten, die dieser Fortschritt auch der All gemeinheit bringen wird, natürlich sehr beträchtlich. Die Landschaft wird reinlicher werden, die Verteilung der Be völkerung gleichmäßiger und gesünder. Im einzelnen betrachtet, sind die Fortschritte der ver schiedenen Länder, wenigstens was die Fernbahnen aw langt, recht verschieden. Die Schweiz, in der die seit langom übliche Verwendung der Elektrizität zum Bergbahnbetrieb fördernd wirkte, hat gegenwärtig das ausgedehnteste elek trische Bahnnetz unter allen europäischen Ländern; ein er heblicher Teil der Schweizer Bundesbahnen ist elektrisiert. Auch in Italien schreitet man in der Verwirklichung der - Elekirifizierungsprojekte rasch vorwärts; zurzeit sind 4000 Kilometer Schienenweg einbezogen. Die Einführung des elektrischen Betriebs auf den belgischen Eisenbahnen erfolgt in drei Abschnitten; in Holland wird die Elektrifizierung der Eisenbahnen und die Kraftversorgung des Landes im Zusammenhang bearbeitet. Die Ausnutzung der Wasser kräfte steht auch in Skandinavien bei der Beschäftigung mit dem Problem im Vordergrund; ebenso ist es in Österreich und bei uns, vor allem in Bayern und Baden. Die fran zösische Regierung hat eine technische Kommission eingesetzt, die nach umfassenden Studien in andern Ländern und vor allem in Amerika einen Bericht ausgearbeitet hat, der die Einführung eines Systems, das dem für England vorge sehenen verwandt ist, ins Auge faßt. Lebhafte Tätigkeit auf diesem Gebiet herrscht auch in Australien, Südafrika, Japan und Südamerika. Ein vom Departe ment des Innern in den Vereinigten Staaten beauftrag ter Ausschuß empfiehlt die Elektrifizierung der östlichen Zone der nordamerilanischen Eisenbahnen, die etwa 32 000 Kilo meter Schienenweg umfaßt. Die Mount-Everest-ExpediiLszr. Auf dem Wege zum Höch st en Erd gipse l. Englische Blätter berichten, daß Morfhead, Somer ville, Mallory und Norton, Mitglieder der neuen Mount Everest-Expedition, am 20. Mai ohne Anwendung von Sauerstoff bis zu einer Höhe von 8147 Metern ge langt sind. Zwei Tage später sind sie zu ihrem Lager, das in einer Höhe von 6384 Metern liegt, zurückgekehrt. Man darf nach diesen Meldungen mit einiger Be stimmtheit darauf rechnen, daß der zum Himalaya-Gebirge gehörende höchste Berg der Erde in absehbarer Zeit „rest los" erobert sein ivird. Die neue Expedition steht unter der Leitung des Generals Bruce. Da sie sich die Er fahrungen der vorjährigen Expedition zunutze machen konnte, brauchte sie nicht erst mühselig die beste Annähe rung an den Berg zu suchen, sondern konnte im raschen Zug bis an den Berg selbst herankommen. Mit der Er klimmung einer Höhe von 8147 Metern hat die Expedition Me bisherigen Höhenrekorde weit überboten. Bisher ge hörte der Weltrekord dem Herzog der Abruzzen, der im Himalaya eine Höhe von 7400 Metern erreichte. Von dem Gipfel des Mount Evsreft trennten die Expedition nur noch etwa 800 Meter. Es ist durchaus möglich, daß sie in zwischen auch diese Höhe erreicht hat. „Trotz des glänzenden Angebots vom Grafen Lich- tenfels?" fragte die Gräfin lauernd. „Das läßt doch nur eine Deutung zu —" „Eben deshalb habe ich es abgelehnt/ „Abgelehnt?" Frau von Laßberg war doch ver wundert darüber; jeder andere würde sich da keinen Augenblick besonnen, würde zugegriffen haben, wenn eine so glänzende Zukunft winkte." „Ja, Großmama, weil — weil ich nicht Ursache einer Enttäuschung sein wollte. Außerdem möchte ich auch niemand mehr zu Dank verpflichtet sein. Ich will fortan auf eigenen Füßen stehen!" — „Und wie denkst du dir das?" „Ich will fort von Burgau, und auf keinen Fall lasse ich mich zurückhalten!" „und wohin, wenn ich fragen oarx?- „Vorläufig zu meiner Lehrerin nach L., sie wird mir behilflich sein, eine Stellung zu finden. Deshalb bitte ich dich, mir von meinem Gelds 300 Mark zu ge ben." „Tas ist mir nicht möglich. Du weißt, daß es fest gelegt ist." Sie starrte Yvonne an; es war ihr saft wie ein Traum, daß die Enkelin so klar und überlegen sprach, als ob niemand da wäre, der ihr Geschick in den Händen hielt, nach dessen Bestimmungen sie sich zu richten hatte! „Dann bitte ich dich, mir diese Summe zu,seihen." „Und wenn ich es nicht tue?" „Die Verlobungsringe meiner Eltern sowie Ma mas Brillantbrosche sind noch in meinem Besitz. Dann werde ich diese Schmucksachen versetzen!" entgegnete das junge Mädchen gelassen. Das war doch zu stark! Die Gräfin mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht zu vergessen. „Du bist ein Teufel!" stieß sie hervor. „Danke, Großmama, es ist nicht allein meine Schuld, daß ich so geworden bin. Ich bin jetzt sieben Jahre in deiner Hand. Ich habe viel ertragen; doch >ch bin am Ende. Ich kann nicht mehr. Wie dankbar wäre ich dir für ein wenig Freundlichkeit gewesen! Mit einem Herzen voller Liebe kam ich armes, el ternloses Kind hierher, mit den besten Vorsätzen, Pa pas letztem Wunsch nachzuleben, dir stets treu und ge horsam zu sein. Doch du wolltest mein Werben um deine Liebe nicht bemerken, stießest mich zurück! Immer und immer wieder! O, wenn ich an den ersten Tag hier zurückdenke — von Schmerz erfüllt um den Verlust meines ' Vaters — und du hattest kein teilnehmendes Wort für das verwaiste Kind! Wie sehnte ich mich da, an dein Herz genommen zu werden — ich war ja durch so viel Liebe verwöhnt! Aber du konntest nicht ver gessen. woran ich schuldlos war. Für dich war ich nicht das einriae Kind deines Sobnes — sür dick war ick nur die Tochter von Yvonne Legene! Hattest nur Nicht achtung, Geringschätzung, ungerechte Strenge für mich und — Verachtung gegen meine Mutter, die das Un glück gehabt hat, von deinem Sohn geliebt zu werden! Du hast die Sonne aus meiner Kindheit genommen! Und wenn ich mir trotzdem ein fühlend Herz be- wahrt habe, so ist es nur, weil die Erinnerung an mei nen lieben Vater zu mächtig in mir war, sein Beispiel zu lebendig! Das wollte ich dir zum Abschied noch sagen, Groß mama! Und Lutz hast du mir auch genommen, du glaubst zu seinem Besten! Ach, du kennst nicht das schöne Ge fühl, andere zu beglücken — immer nur du —dein Ich. Dein Familienstolz hat dich der besten Freunde beraubt, hat dich einsam gemacht — und wer weiß, welche Opfer er noch von dir verlangt! Du vergißt, daß wir anderen auch Menschen mit eigenem Empsin- dungsleben, eigenen Ansichten sind, die nicht alle in eine Form passen, daß wir auch—genau wie du — unser Persönlichkeitsgefühl haben! Und so liebt dich keiner — so fürchten dich nur alle und schmeicheln dir aus Eigennutz! Und ich hätte dich so gern geliebt, Großmama!" Yvonne hatte ganz ruhig gesprochen, keine Bewe gung zitterte aus ihrer weichen Stimme, und ein tiefer Ernst lag auf ihrem süßen Gesicht. Sie hatte auch keine Furcht vor der großen, statt lichen, imposanten Frau, neben der sie mit ihrer zier lichen Gestalt beinahe noch einem Kinde gleich erschien. Tie Gräfin war förmlich erstarrt. Im Anfang hatte sie versucht, der Enkelin Schweigen zu gebieten, doch die hatte sich nicht unterbrechen lassen. Frau von Latzberg vermochte kaum das Ungeheuer liche zu fassen, das für sie in der Respektlosigkeit Yvon nes lag. So hatte doch wohl noch niemand zu ihr ge sprochen, so schonungslos. O doch, einmal schon! Aber das lag mehr als zwanzig Jahre zurück — und wer damals den Mut gehabt hatte, ihr in der glei chen Weise wie Yvonne entgegenzutreten, war niemand anders als die junge Französin gewesen, um die der Sohn alles hingegeben! Auch sie hatte furchtlos und frei vor ihr gestanden und ihre Liebe behauptet wie jetzt Yvonne ihre Frei heit! Gallenbitter stieg die Erinnerung daran in ihr auf. Schweigend, ohne aus Yvonnes Anklage zu ant worten und die Enkelitt zurückzuweisen, schritt sie zu ihrem Schreibtisch* schloß ein Fach auf und warf drei Hundertmarkscheine auf den Tisch. „Ich danke dir, sagte Yvonne. „Ich werde dir das Geld so bald als Möglich zurückzahlen. — Darf ich jetzt gehen?" Die Gräfin stützte beide Hände auf den Schreibtisch — so fest, als wollte sie sich halten.
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