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Wilsdruffer Tageblatt : 12.04.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-04-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192204128
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220412
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220412
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-04
- Tag 1922-04-12
-
Monat
1922-04
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 12.04.1922
- Autor
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Für Gierwitz dürste die ExplosionSkamftroph« noch Löse Folgen haben, denn es würde unter den Besatzungs- truppen natürlich sofort behauptet, daß es sich um einen mit Vorbedacht ausgeführten Anschlag Handl«. Der Kreis kontrolleur traf sogleich Sonder maßnahmen: sämt liche Theater mußten schließen, ebenso die Kinos und die öffentlichen Lokale. Die Interalliierte Kommission ordnete ferner eine öffentliche Trauer an. Man rechnet auch be reits mit der Verhängung des verschärften Belagerungszustandes für Gleiwitz - Stadt und -Land. Neueste Meldungen. Teuerungsmaßnahmen für Militäranwärter. Berlin. Dem Reichstage geht demnächst ein GesehensMirs zu, der eine Änderung der Bezüge für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene vorsteht, ist in Aussicht genommen, für Kriegsbeschädigte mit mehr als 80 Prozent Erwerbsun fähigkeit monatlich 450 Mart, bis zu 80 Prozent 320 Marl, für Kriegerwitwen 320 Mark und für Waisen 200 Mark, für eine vaterlose Waise 160 Mark Teuerungszuschüsse zu zahlen. Außer dem soll jeder Schwerbeschädigte, der für Kinder zu sorgen hat, für jedes Kind 100 Mark erhalten. 105 000 Mark Belohnung. Halle a. S. Die Angehörigen der in einem Zuge auf der Halle—Hettstedter Eisenbahn von Eisenbahnräubern ermorde ten drei Personen haben auf die Ermittlung der Verbrecher Hobe Belohnungen ausgesetzt, die zusammen mit der von der Eisenbahndirektion versprochenen Summe von 5000 Mark den Betrag von 105 000 Mark erreichen. Die Katastrophe in Gleiwitz. Breslau. Noch immer herrscht keine Klarheit über die Ur sachen der Explosionskatastrophe. Eine von den interalliierten Behörden sofort vorgenommene Haussuchung bei einigen Deutschen in Gleiwitz ergab keinerlei Verdachtsmomente und förderten auch keine Wassen zutage. Für die Durchführung der Untersuchung über die Ursache des Gleiwitzer Unglücks ist nicht die deutsche Regierung, sondern die Interalliierte Kom- mitssion zuständig. Polen für beschleunigte Zuteilung Oberschlestens. IM Paris. Polen hat beim Botschafterrat den Antrag ge stellt, die Zuteilung Oberschlesiens möglichst zu beschleunigen. Infolgedessen will der Botschafterrat die Entscheidung Catou- ders noch in dieser Woche zur Kenntnis nehmen. Der amerikanische Botschafter für Deutschland. London. .Times" melden, unter den am Samstag mit dem Dampfer „Olhmpie" eingetroffenen Paffagieren habe sich auch der amerikanische Botschafter für Berln, Begilow Hough ton, befunden. Ein neuer Prätendent für Ungarn? London. Dem .Exchange Telegraph" wird gemeldet, daß nach einer Meldung aus Budapest Prinz Nikolaus, der zweite Sohn des Königs von Rumänien, auf den ungarischen Königs thron Anspruch erhebt. Englisch-russischer Zwischenfall im Nördlichen Eismeer. IM London. In den Murmangewässern im Nördlichen Eis meer haben russisch« Patrouillenboote zwei englische Fisch dampfer, .Magnet" und „St. Hubert", ungehalten und be schlagnahmt mit der Begründung, daß diese Dampfer ohne Berechtigung die territorialen Gewässer der Sowjetregierung befahren hätten. Die englische Regierung hat ein Kanonen boot zur Aufklärung der Sachlage abgesandt. Polen will ein Handelsmarineamt in Danzig errichten. Oll Danzig. Die polnische Regierung ist mit dem Danziger Senat in Verhandlungen darüber eingetreten, in Danzig ein polnische» Handel-marineamt zu errichten, das die Registrie rung und Prüfung d«r polnischen Schiff« auf Seetüchtigkeit neben weiteren ähnlichen Aufgaben übernehmen soll. Berurteilung eines Frauenmörders. Warschau. Der 85jährige Landwirt Stefan Pasnik, der nach dem Vorbild« LandruS siHen Frauen unter Vorwänden auf sein Besitztum gelockt hatte und sie dort in räuberischer Absicht unbarmherzig ermordet hat, und seine 40jährige Frau Josefin«, welche der Mithilfe bei diesen Mordtaten geständig war, wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die Budapester Bombenattentäter verhaftet. IM Budapest. Di« Polizei hat die Urheber des Bombenan schlages im Elisabethstädter-Klub verhaftet und dem Gericht ausgeliefert. ES sind dies zwei Individuen, die mit Hilfe kineS Ingenieurs die Höllenmaschine konstruierten und nach Verübung der Tat in die Provinz flüchteten, wo sie nun ge faßt worden sind. „Wem nie dm- Liede Leid geschah..." Roman von Erich Friesen. 20s (Nachdruck verboten.) Vielleicht eine Botschaft von Felicie? . . . Seit jenem Abend hatten Mutter und Tochter einander nicht wleder- gesehen. Vielleicht war das Kind krank? Großer Gott — So schnell, wie ihre schwachen Beine es erlaubten, humpelte Frau Giesecke die Treppe hinunter. Ein Polizist stand vor der Tür. „Sind Sie Frau Mathilde Giesecke?" „Ja, mein Herr!" „Dann habe ich Ihnen dies hier zu übergebM." Er langte in seine'Brusttasche und zog ein amtliches Schreiben hervor. ^Frau Giesecke zitterte am ganzen Leibe. „Was — was soll ich — —" stotterte sie. „Das werden Sie schon aus dem Dings Da ersehen." Ter Polizist deutete auf das geschlossene Schreiben. „Sie sind als Heugin geladen. Guten Morgen!" Frau Giesecke preßte die Hand auf das wildpochendc Herz. Wie die meisten einfachen Menschen hatte sie eine heillose Angst vor allem, was Polizei oder gar Gericht hieß. Und nun gar jetzt, da Fellcie Fast versagten ihr die Knie den Dienst, als sie, das amtliche Schriststüa in der zitternden Hand, nach ihrem Zimmer humpelte. Lange suchte sie nach ihrer Brille — sie war auch heute nicht zu finden! Und als sie die Brille endlich aufgestoöert hatte, begann sie hastig die trüben Gläser zu putzen — sie waren heute ganz besonders trübe! Dann säwb sie die Brille aus die Nase — sie wollte heute gar nicht festsitzen, diese unverschämte Brille! Und . nun endlich las sie fos. Drei-, vier-, fünfmal las" sie das kurze amtliche Schriftstück, bis sie es ganz auswendig wußte Dröhnende brutale Männerschritte vor der Tür schreckten sie auf. Hastig packte sie das Schriftstück zu- fannnen, sclgw es samt dem angefangenen Hemdchen in ihren Arbeitskorb, schloß ihn in die Kommode ein und eilte hinaus in die Küche. „He, Alte! Wo steckste denn?"' schrie er auch schon bru tal daher. „Bier her! Und Käse! Und ein paar Eier! Hab' verdammten Hunger und Durst!" Thomas Giesecke ließ sich's schmecken. Als er gesättigt war, flegelte er sich behaglich aufs Sofa und Deäugelte zwinkernd seine Frau, die am Tisch saß, den grauen Kopf, .tret Wer die klappernden! .Stricknadeln gebeugt. Ans Stadt und Land. Wilsdruff, am 11. April. LH Leidenschaft. Ein eigentümliches Merkmal der mode« nen Menschen ist der übermäßig« Kraftaufwand, mit dem jedes an sich harmlose Vergnügen auf die Spitze getrieben wird. Man hat früher auch geraucht, getanzt, gespielt, aber dies und noch manches andere zrrm beschämenden Laster werden zu lassen, das ist den heutigen Menschen Vorbehalten. Das Nichts wird ihnen zur Leidenschaft, und vor ernsten Aufgaben stehen sie unfähig, mit erschlafften Nerven. Auch Gewinnsucht, Ehrsucht, Ruhm sucht und Herrschsucht sind Leidenschaften, aber sie erstreben doch wenigstens Werte, sie verbrauchen die besten Kräfte nicht ziel- und zwecklos. Daß jedoch ein körperlich gesunder Mensch das Zigarettenmuchen oder das Tanzen oder sonst eine ausge fallene Sache als seine hauptsächlichste Lebensaufgabe ansehen könnte und sich an ihr in erstaunlich kurzer Zeit ruiniert, das ist nicht nur eine Schande für ihn, sondern auch für uns, die wir um ihn sind und nicht die moralische Kraft aufbringen kön nen, ihm unsere tiefste Verachtung zu zeigen. Es ist Wohl kein Zufall, daß immer die härtesten Zeiten die schlappesten und un fähigsten Menschen vorgefunden haben; solche erbärmlichen Schwächlinge wie heute gab es aber Wohl doch noch nicht, ob gleich schon schlimmere Nöte als jetzt auf die Menschheit drück ten. Im ursprünglichen Begriff „Leidenschaft" liegt ein ge wisser Unterton von Größe; manchmal hat eine starke Leiden schaft einen unbedeutenden Menschen emporgerissen, hat ihm Inhalt gegeben. Aber die neuen Leidenschaften lassen ihre Opfer verlöschen wie schlechte Kerzen, ohne Licht und ohne Wärme. — An die Schulentlassenen! Von den vielen Jugend lichen, die jetzt die Schule verlassen haben, treten nun die meisten an die Arbeit des Lebens. Sie stehen an Schreib und Arbeitstischen, in Fabriken, Kontoren und Werkstätten zu einseitiger BerufSbeiätigung. Dafür muß der junge Körper einen Ausgleich Haven, soll Gesundheit, Arbeitslust und Arbeitsfähigkeit nicht verkümmern. Turnen und Sport sind die beste Erholung für den Körper, die beste Erfrischung für den Geist. Im engsten Anschluß an die Natur, in frischer Bewegung, im friedlich«» Wettstreit der Kräfte, im Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftssinn bildenden Mann- schaftskamvf finden die Jugendlichen die dem Druck des Alltags erliegende Lebensfreude wieder. Darum deutsche Jungens und Mädels, tretet ein in die Turn- und Sport vereine, damit Ihr Eure Ftische, Eure Unternehmungslust und Eure Reinheit bewahrt, damit Ihr gesunde, starke und aufrechte Menschen werdet. - Die Lage des ArbeitZmarkteS im März. Im März Hal die überaus günstige Entwicklung auf dem ArbeitS- markr angehalten. Der Bestand an Arbeitsuchenden hat gegenüber dem Vormonat um 2810 abgenommen. Mit 3593 (5827) männlichen und 2162(2738) weiblichen Arbeit suchenden weist der ZentralarbeitSnachweiS zur Zeit den niedrigsten Grand der Arbeitslosigkeit seil Kriegsende auf. — Veraustaltungen am Karfreitag und am Sonn abend vor Ostern! Tanzvergnügen an öffentlichen Orten sowie in Räumen geschlossener Gesellschaften und in Privat- Häusern sind am Karfreitag und am Sonnabend vor Ostern verboten. Theatralische Vorstellungen, einschließlich Vor führungen in Kabaretts und Lichtspielhäusern, sind am Karfteiiag und am Sonnabend vor Ostern gestattet, wenn der Inhalt drr Aufführungen ein angemessener und ernster ist und namentlich die Aufführung von Posten und unge- eigneren Lustspielen unterbleibt. Wirkliche Konzerte mit dem Ernste d,S Tages entsprechenden VortragSfolgen sind an diesen Tagen zulässig. O Die llLiigendecken der vahuvcrwaltung. Die ReichS- bahnverwalttmg teilt mit, daß sie mit Rücksicht ans ihre schwierige finanzielle Lage ihre Bestände an Wayendecken wegen der außergewöhnlich hohen Kosten für Neuanschaf fungen künftig nicht mehr vermehren, sondern nur noch auf der heutigen geringen Höhe erhallen wende. Es fei Sache der Verkehrtreibenden, sich die nötigen Decken selbst — gegebenenfalls leihweise — zu beschaffen. — Eiseubahngüterverkehr. Annahmesperres^.^ .^c- stückgut nach Chemnitz-Kappel ist aufgehoben. Annahme von Frachtgutladungen nach Dresden-Friedrichstadt Ort und Uebergang ist verboten. — DaS Ende deS Dresdner Zentraltheaters? Einen bedauerlichen Entschluß hat die Bank für Bauten, die Be sitzerin des Dresdner Zentraltheaters gefaßt. Sie will diese gut geleitete und beliebte Operettenbühne eingehen tasten und erwartet sich von der Umwandlung in ein Kabarett ein besseres Geschäft. Dem Personal des Theaters ist zum 15. Juni gekündigt worden. In Dresden hofft man, daß es noch gelingen werde, diese Degradierung zu vermeiden, allein die Hoffnungen sind nicht groß. — Meißen. Die Uebergabe der bisher fertiggestellten Bauten de? neuen Bahnhofes an die Beiriebsdweklion erfolgte am Freitag vormittag. Uebergeben wurden die neue Maschinenhalle, die Stellerei, das Dienstwohngebäude sowie die dazu gehörigen Anlagen. — Eine neue Glocken münze aus braunem Böttcher-Porzellan hat Paul Börner für die hiesige Lulherkirch« geschaffen. Die Münzen werden in braunem und weißem Porzellan hergestellt. — Dresden. Ab 19. April kostet in Dresden eine Straßenbahnfahrt 3 Mark. — Frankenthal. Ein wildgewordener Stier war hier seinem Führer entlaufen und hatte seinen Weg nach dem Kirchhof genommen. Das Tier bedrohte die Kirchen- desucher, die um diese Zeit gerade den Gottesdienst ver ließen. Nach aufregender Jagd über die Gräber konnte es schließlich bewältigt und gefesselt werden. — GerSdorf. Ein recht bedauerlicher Unglücksfall ereignete sich am Freitag früh auf dem Steinkohlenwerk „Kaisergrube". Der 22 Jahre alte Bergpraktikant Hertling aus Freiberg wurde in der Grube von einem Kohlenhunt derartig gequetscht, daß der Tod auf der Stelle eingetreten ist. In 14 Tagen hätte er sein praktisches Studium hier beendet gehabt; daS Schicksal wollt es anders. — Meerane. Der Kirchenvorstand hat eS abgelehnt, mit den städtischen Vertretungen wegen Uebernahme des Friedhofes in städtische Verwaltung in Verhandlungen zu treten. Aus dem Gerichtsfaal. Die Erschießung der Gutsbesitzer» Kaiser vor Gericht. Am 13. August 1S20 wurde der Guttdesttzer Albert Kaiser auS Oberpesterwitz von einem unbekannt gebliebenen Felddiebe erschaffen, erst Anfang Januar dieses Jahres konnte der Fall durch Festnahme des früheren Sattlers, jetzigen GlasfabrikarbeiterS Orta Ernst Egon Hähnig, ge boren 1837 zu Oberpesterwitz, daselbst auch wohnhaft, aufgeklärt werden. DaS schwere Verbrechen sollte vor der Strafkammer gesühnt werden, er gab aber in der Ver handlung eine wesentlich andere Darstellung wie bisher in der Voruntersuchung, werhalb die ganze Strafsache und Angelegenheit eine ungeahnte Wendung nahm, die Anklage war ja nach den bisherigen Angaben erhoben worden. Im Zusammenhangs führte Hähnig vor Gericht folgendes auS: Am 1b August 1S20, einem SonntagSmorgen, sei er gegen 4 Uhr aufgestanden, um «uf dem Felde seines Nachbars, des Gutsbesitzer» Albert Kaiser, Klee zu stehlen. Im Hosen steckte da» geladene, und ungesicherte Armee pistol. Auf dem Feldt waren schon zwei andere Kleedirde an der Arbeit, der eine in Zivilkleidung, der zwecke in feldgrauer Uniform. Alle drei haben dann zusammen Klee gerupft, bis plötzlich ein Mann mit einer Sense kam. Schimpfend über die Spitzbuben sei er auf sie zug-kommen, da will Hähnig erst bemerkt haben, daß es Kaiser sei. Alle drei Diebe haben sich mit ihren Säcken nach der Pflaumenallee zurückgezogen. Kaiser kam hinterdrein den Berg herab. Die beiden, dem Angeklagten unbekannten Diebe gingen plötzlich vor, sie wollten den Gutsbesitzer „HM'S der Kuckuck, Alte! Siehst griesgrämig aus, als wäre Dir 'ne Laus über die Leber gelaufen! Wcw hat sich Tein dummer Schädel wieder mal zurecht gebraut, he?" Noch tiefer beugte sich der graue Arauenkopf über den Strickstrumpf. „Aha, ich rieche Lunte!" grinste der Mann. „Hast Wohl Wind davon gekriegt, daß Dein sauberer Sprüßling übermorgen abgeurteilt wird, was? Na, schreck' nur nicht gleich zusammen! Sie hat's mehr als verdient! Aber weil Du so dumm bist und noch immer nicht ver gessen kannst, daß Du die Mutter von dem nichtsnutzigen Ding bist, will ich Dir einen kleinen Luftwechsel zu kommeu lassen. Galanter Ehemann, was, Alte? Kannst nwrgcn Deinen Koffer packen und abdampfen. Wohin, kriegst Du morgen zu wissen, verstanden?" Frau Giesecke antwortete nicht. Der brutale Kerl do. vor ihr schien noch gar nicht zu wissen, daß sie als Zer: gin geladen war! Sollte sie es ihm sagen? Erne innere Stimme warnte sie. Und so schwieg sie und strickte nur überemsig weiter. „Dir ist wohl die Luft ausgegangen?" höhnte Tho mas Giesecke, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug, daß er krachte. „Mir scheint, Du hast die Sprache verloren! Du bist und bleibst 'ne alte Unke! Pfui Deibel!" So spottete und höhnte und schimpfte der Trunkenbold drauflos. Doch auf seine Frau Machte das alles'keinen Eindruck mehr. Sic war seine rohen Spässe und Stiche leien feit vielen Jahren so gewöhnt, daß sie wie leerer Schall an ihrem Ohr abprallten. Endlich erhob er sich, reckte seine stets gewordenen Glieder/ riß Hut und Ueberzieher vom Nagel und stampfte hinaus, die Treppe hinunter. Fran Giesecke stand am Fenster und lugte ihm nach... Jetzt spazierte seine vierschrötige Gestalt quer über die Straße . . . jetzt trampelte sie drüben die Häuser entlang . . . jetzt bog sie um die Ecke . . . und jetzt — jetzt war sie verschwunden. Frau Giesecke atmete auf. Noch ein kleines Weilchen blieb sie auf ihrem Beobachtungsposten, um sich zu ver- gewrssern, ob ihr Mann auch nicht wieder Kehrt machte. Dann schlich sie in ihr Zimmer, öffnete die Kommode und nahm aus dem Arbeitskörbchen das amtliche Schriftstück, das der Polizist ihr vorhin überreicht hatte Und wieder las sie es aufmerksam durch und zer marterte ihren armen Kops.. ^Wenn ich nur wüßte/ warum mach mich'aV "Zeugin LLladM Hst und^oh HM etu autes oder ein schlechtes Zeichen ist ,. . Ob ich wohl gegen Giesecke aussagen soll? Oder weiß man von der Diamantengeschichte über haupt noch gar nichts? . . . Wenn ich vor Gericht etwas davon sage, schlägt er mich halbtot — aber ich, werde 'es doch wohl tun, denn ich hab' nichts mehr für den' Menschen übrig — rein gar nichts. Er hat mich in den Schmutz herabgezogen, in dem er zu leben gewohnt war. Oder vielmehr — er hat es wenigstens versucht. Er hat- fast Ehre und Gewissen in mir getötet . . . Vom ersten Lage unserer Verheiratung an hat er mein .Kind mit .einem Haß verjolgt. Er quälte das arme Würmchen, ioo es nnr anging. . . Und jetzt stahl er ihr das ein zige, was sie besaß: das kostbare Andenken, das ihr .cliger Vater ihr hinterlassen hatte. Und als das Mäd chen auf ihre Weise versuchte, sich wenigstens einen Teil des Gestohlenen zurückzuerobcrn — da überlieferte er sie dem Gerichte. Er, der Stiefvater, der ihr den wirk lichen Vater ersetzen sollte, o Schmach und Schande!... Ja, er ist ein schlecyrep Mensch durch und durch, und ich werde mich nicht von ihm ins Bockshorn jagen las sen ... Ich will gar keine Angst haben und die reine Wahrheit sagen, wenn er mich danach auch braun und blau schlägt. Er weiß nicht, daß ich als Zeugin geladen bin; er meint, ich fahre morgen weg. Ich werde auch so tun: aber dann mache ich, lvas ich für recht halte. Ja, das mache ich!" All diese Gedanken und Erwägungen wirbelten durch Frau Gieseckes Hirn, bis ihr ganz wirr im Kopf wurde. Aber zuletzt hatte sie doch einen bestimmten Plan gesaßt und begab sich sofort zur Ausführung. Flugs ging sie nach Winfried Holms früherer Wohnung, um vielleicht von seiner ehemaligen Wirtin etwas Näheres zu erfahren. Sie tappte ja noch vollständig im Dunkeln. Die Tochter hatte auch nicht em einziges Mal aus dem Untersuchungsgefängnis an sie geschrieben, und der armen Frau hatte der Mut gefehlt, selber die Ini tiative zu ergreifen, nachdem ihr Besuch im Untersu chungsgefängnis ein- für allemal verboten worden war. Frau Schultze, die frühere Wirtin ihres Schwieger sohnes, teilte ihr mit, daß Herr Holm in letzter Zeit meyreremal in seiner alten Wohnung übernachtet habe, daß er zwar heute nicht da wäre, datz sie ihn aber mor gen abend wieder erwarte. Frau Giesecke faßte Zutrauen zu der freundlichen gesprächigen Frau. „Hm ja —" begann sie, noch etwas zaudernd — „ich möchte Sie gern in etwas um Rat fragen, liebe Dame. Ich bin nämlich die Schwiegermutter von Herrn Holm."
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