Suche löschen...
Wilsdruffer Tageblatt : 23.04.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192204231
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220423
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220423
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-04
- Tag 1922-04-23
-
Monat
1922-04
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 23.04.1922
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
April auch zu einer Erhöhung der Löhne und Gehälier ge führt Haven. Durch Ersparnisse allein können diese neuen Ausgaben, Ne etwa 5 Milliarden Mark betrügen, nicht ein- gebracht werden. Sie müßten auch durch Tariferhöhungen gedeckt werden. Nach dem vorgelegten Entwurf sehen die reuen Gebührenvorlagen folgendes vor: Geringe Ermäßigungen für Orts- und Nahverkehr: Die Gebühr des Brieses der untersten Stufe (bis 20 Gramm) soll im Ortsverkehr von 1,25 Mark auf 1 Mark herab gesetzt werden. Auch die Gebühr sür Pakete von 15 bis 20 Kilogramm in der Nahzone wird von 30 Mark auf 25 Mank er mäßigt. Unverändert bleiben die Gebüren für Postkarten im Ortsverkehr, für Briefe im Ortsverkehr von 20 bis 100 Gramm, für Drucksachenkartcn, für Drucksachen bis 20 Gamm, für An sichtskarten mit fünf Grußworten, sür Pakete von 10 bis 15 Kilogramm in der Nahzone, für Zeitungspakete bis 5-Kilo gramm in der Nahzone. Die Postanweisungsgebühren und die sogenannten Nebengebühren bleiben bei der Erhöhung gleich falls außer Betracht. Von einer Verteuerung der Einschrei bung, Wertversicherung und Eilbestellung wird abgesehen. Starke allgemeine Erhöhungen. Erhöht wird die Gebühr für die Postkarte im Fernverkehr auf 2 Mark; sür den Brief im Ortsverkehr von 100 bis 250 Gramm auf 3 Mark; für den Brief im Fernverkehr bis 20 Gramm auf 3 Mark, über 20 bis 100 Gramm auf 4 Mark, über 100 bis 250 Gramm auf 5 Mark, für dienstliche Aktcnbricfc über 250 LiS 500 Gramm auf 0 Mark; für Drucksachen über 20—50 Gramm auf 75 Pf., über 50 WO Gramm auf 1,50 Mark, über 100—250 Gramm ans 3 Mark, über 250 bis 500 Gramm auf 4 Mark, über 500 Gramm bis 1 Kilo gramm auf 5 Mark; für Geschäftspapiere bis 250 Gramm auf 3 Mark, über 250—500 Gramm aus 4 Mark, über 500 Gramnr bis 1 Kilogramm auf 5 Mark; für Warenproben bis 250 Gramm ans 3 Mark, über 250 bis 500 Gramm auf 4 Mark, über 500 Gramm Lis 1 Kilogramm auf 5 Mark, sür Mischsendungen bis 250 Gramm auf 3 Mark, über 250 bis 500 Gramm auf 4 Mark, über 500 Gramm bis 1 Kilogramm auf 5 Mark; für Päckchen bis 1 Kilogramm auf 6 Mark. Paket- und Postfchcckgebühren. Als Gebührensätze für Pakete sind vorgesehen: für Pakete in der Nahzone bis 5 Kilogramm 7 Mark, über 5 bis 10 Kilo gramm 14 Mark, über 10 Lis 15 Kilogramm unverändert 20 Mark, über 15 bis 20 Kilogramm 25 Mark (anstatt 30 Mark); für Pakete in der Fernzone bis 5 Kilogramm 14 Mark, über 5 bis 10 Kilogramm 28 Mark, über 10 bis 15 Kilogramm 40 Mark, über 15 bis 20 Kilogramm 50 Mark. Das Verhältnis zwischen der Gebühr für den einfachen Jn- landsbrief und der sür den einfachen Ausländsbrief wird nach wie vor 1:2 betragen. Der einfache Ausländsbrief bis 20 Gramm wird also künftig 6 Mark kosten. Die gesetzlichen Postscheckgebühren sollen folgendermaßen geändert werden: Für jede von der Zahlstelle eines Postscheck amts durch Überweisung auf die Rcichsbank und für jede in den Abrechnungsstellen beglichene Auszahlung ein Fünftel v. T. des Scheckbetrags, für jede Barauszahlung durch die Zahlstelle eines Postscheckamts sowie für die Übersendung eines Schecks durch das Scheckamt an eine Postanstalt und für die weitere Behandlung des Schecks bei dieser 1 v. T. des Scheckbetrags. Die Gebühren für Auszahlungen werden auf volle 10 Pfennig abgerundet. Telegramme und Fernsprecher. Die gesetzlichen Telegrammgebühren sollen bei gewöhn lichen Telegrammen auf alle Entfernungen 1 Mark 50 Pf. für jedes Wort, mindestens 15 Mark betragen, im Ortsverkehr je doch 1 Mark für jedes Wort, mindestens 10 Mark, bei Prcsse- telegrammen wie bisher die Hälfte dieser Gebühren. Die Nohrpostgebühren im Ortsverkehr werden um je 50 Pfennig ermäßigt, sie sollen betragen bei Postkarten 4 Mark, bei Briefen 5 Mark, im Fernverkehr bei Postkarten 6 Mark, bei Briesen 7 Mark. Die in den 88 3, 4 und 8 des Fernsprechgebühren gesetzes bestimmten Gebührensätze sollen um 160 Prozent statt wie bisher 80 Prozent erhöht werden. Vorläufig wird im Verkehrsbeirat noch weiter über Ne Gestaltung der Gebühren beraten. Dann hat der Reichstag auch zuzustimmen. Immerhin darf man auf eine weitere schwere Belastung und Erschwerung des Post- gebührentavifes un!d der damit verbundenen Verkehrs mittel, wie Fernsprecher usw., gefaßt sein. Nah und Kem. O Deutscher Chirurgenkongreß. Unter außerordentlich starker Beteiligung deutscher und ausländischer Arzte farm im Langenbeck-Virchow-Hause in Berlin der deutsche Chirurgenkongreß statt. Den Vorsitz fübrte Geb. Medi- zmairat Prof. Dr. Hildebrand-Berlin. Die Professoren Marschall-Leipzig, Rehn-Frankfurt a. M., E. Küster-Berlin und John Berg-Schweden wurden zu Ehrenmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie ernannt. O Verschärfte Postzensur im besetzten Rheinland. Wie aus Mainz gemeldet wird, werden demnächst im Zu sammenhang mit den angekündigten neuen Maßnahmen der interalliierten Besatzungsbehörden zur Sicherung der Besatzungstruppen neue verschärfte Bestimmungen über die Postüberwachung herausgegeben werden. Den ein zelnen Postämtern des besetzten Gebietes sollen besondere Offiziere beigegeben werden, zu deren Ausgabe es gehört, die durchlaufende Post zu kontrollieren. O 1800 Personen durch eine Explosion getötet. Bei der Munitionsexplosion in Monastir (Mazedonien) sollen, nach einer Belgrader Meldung, mindestens 1800 Personen^ größtenteils Soldaten und Kinder, umgekommen sein. Die ganze Stadt glich einem Flammenmeer. Die gesamte Be völkerung von über 40 000 Personen flüchtete in die um liegenden Berge und Wälder. Insgesamt sind 400 Waggon Munition aller Art in die Luft geflogen. Die jugoslawische Regierung bewilligte als erste Hilfe für die Verunglückten eine Million Dinar. Man vermutet, daß die Katastrophe durch einen verbrecherischen Anschlag bulgarischer Revolu tionäre verursacht worden sei. O Todessturz vom Straßburger Münster. Von der Höhe des Straßburger Münsters stürzte sich am Oster montag eine achwndzwanzigjährige Dame aus Antwerpen. Der Körper kam in furchtbar zermalmtem Zustand auf dem Schloßplatz zur Erde. In einem Brief an die Polizeiver waltung gab die Selbstmörderin an, daß sie an einer schweren Nervenschwäche gelitten habe. 4c Lieferungsverträge für Kartoffeln. Im Reichsministe rium für Ernährung und Landwirtschaft sand eine Besprechung mit den Regierungen der Länder über die Regelung der Kar- toffelversorgung im Wirtschaftsjahr 1922 statt. Dabei wurde in Aussicht genommen, den Abschluß von Liefe rungsverträgen mit großen Verbrauchergruppen zu för dern und auf eine vermehrte Wagengestellung zwecks schleu niger Abbeförderung der Kartoffeln im Herbst hinzuwirken, um auf diese Weise eine Besserung in der Versor gung der Bevölkerung herbeizuführen. Abschließend erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, daß hiernach von der Vorlegung eines Gesetzentwurfes über die Ausschreibung einer Umlage zurzeit abzusehen sei und daß die Verhandlungen mit dm Beteiligten über den freiwilligen Abschluß von Lieferungsver trägen mit größter Beschleunigung auf-mommm werden würden. dreusste Meldungen. Rückgang des Postverlehrs. Berlin. Infolge der unaufhörlich sich folgenden Postge bührenerhöhungen soll ein starker Rückgang des Postverkehrs eingesetzt haben. So berichten Berliner Blätter, daß ein ge radezu katastrophaler Rückgang sich in der Telegraphie gezeigt hat, und daß auch in der Briefbeförderung ein erheblicher Rück gang zu verzeichnen ist. Im Bereich -der Oberpostdirektton Ber lin hat sich der Rückgang des Postbetriebes in einer Art und Weise geltend gemacht, daß schon vor einigen Wochen sehr ernst haft erwogen worden ist, die noch tätigen Hilfskräfte zu ent lasten, da bei der ständigen Abnahme des Verkehrs eine aus reichende Beschästigungsmöglichkeit nicht mehr vorliegt. Die neuen Erhöhungen werden nun voraussichtlich einen abermali gen Rückgang des Postverkehrs bringen. Börsenpanik in Paris. Paris. Wie „Populaire" mitteilt, ist Donnerstag gegen Ende der Börse in Paris eine Panik dadurch herbeigeführt worden, daß das Gerücht verbreitet wurde, die deutsche und russische Delegation seien von Genua abgereist. Es sei eine wesentliche Baisse eingetreten. Nach Schluß der Börse aber habe sich das Gerücht als falsch erwiesen. Der Platinschatz Rußlands. Paris. Der „Temps" veröffentlicht einen Artikel über die ruffuche Handelspolitik, in dem er unter anderem darauf Hin- Weist, daß die russische Golddeckung seit dem 1. November 1917 bis-zum 21. Januar 1922 von 750 auf 10,2 Millionen Rubel ae- sumen fei. Außerdem sei die Sowjeiregierung noch im Besitz von 3690 Kilogramm Platin in einem Werte von 60 Millionen Goldrubel. Dieser Schatz wird als der unantastbare- Platin fonds der Republik bezeicknet. Er nimmt nur ganz unwesent lich zu, im Jahre 1921 nur um 7 Pud. Die Weltkonferenz der Notenbanken. London. Die Konferenz der Notenbanken, die von der Finanzkommission in Genua beschlossen wurde, soll bereits in einigen Wochen in Loudon unter dem Vorsitz des Gouverneurs der Bank von England zusammentreten. Ob Amerika daran teilnehmen wird, ist noch nicht entschieden; jedenfalls verlangt z man dort als Vorbedinauna euroväiicbe AbrMuna. Offiziersrevotte in Posen. VX Posen. In mehreren Garnisonen Pofens und Westpreußens ist es aus Anlaß der Entlassung einer großen Anzahl von Offi zieren aus den dortigen großpolnischm Regimentern und ihrer Ersetzung durch Legionsossiziere zu einer Offiziersrevotte ge kommen. Sämtliche aus der ehemaligen deutschen und russi schen Armee hervorgegangcnen Offiziere haben sich zu einem OffiziersbuUd zusanunengeschlossen und sofortige Abberufung der in den großpolniscken Regimentern stehenden Legionsoffi- ziere gefordert. Eine Anzahl Offiziere ist daraushin ans An ordnung des Warschauer Kriegsministeriums verhaftet worden. Hungersnot in Dalmatien. Belgrad. Aus Dalmatien konrrnen ernste Nachrichten über die Ausbreitung einer dort ausgebrochenen Hungersnot, der be reits eine ganze Reihe Menschen zum Opfer gefallen sind. Vcr- kehrsschwierigkeiten stehen der Hilfsaktion der Regierung äußerst hemmend im Wege. Amerikas Schuldnerstaaten. Washington. Die Kommission für die Schulden der Alliier ten hat die Schuldnerstaaten nunmehr benachrichtigt, daß sie be reit sei, die Verhandlungen über die Umwandlung der ver schiedenen Schulden in langfristige Anleihen zu beginnen. BelnKm jiir res SlMW LmsmsSWM. Von Pfarrer Zacharias, Kesselsdorf. Das heutige Evangelium (Joh. 20,24—29) erzählt uns von der Begegnung des Auferstandenen mit Thomas, dem Zweifler unter den Jüngern. Erst als er die Nägelmale in den Händen Jesu gesehen, bekennt er, überwältigt von der Wirklichkeit dessen, z von dem ihm die Jünger erzählt hatten: „Mein Herr und f mein Gott!" Der Evangelist fügt an diefe Thomasgefchichte die Be- j merkung: „Diefe Zeichen sind geschrieben, baß ihr glaubet, Jesus i sei der Christ, der Sohn Gottes, und baß ihr durch den Glauben s das Leben habt in seinem Namen." (Vers 31.) Um diesen Glau ben ist es dem Iohannes also zu tun; um dieses Glaubens willen hat er sein Evangelium geschrieben. Und er konnte das nicht nur, nein, er mußte das tun, denn dieser Glaube beruht auf Wahrheit, er stützt sich auf Tatsachen, er fußt auf dem Zeugnis der Jünger, der von Gott vvrerroählten Zeugen, er hat sich bewährt und be währt sich noch heute tausendfach in unserm Leben. — Freilich bedarf diefer Glaube immerfort der Stärkung. Bei manchen ist er nur schwach vorhanden, bei anderen ist er ganz geschwunden, l von sehr vielen wird er aufs heftigste bekämpft. Daher herrscht ! soviel Unruhe, soviel Verzagtheit, soviel Unzusriedenheit unter « den Menschen, daher soviel Zügellosigkeit, Selbstsucht, Gemein heit. Das alles wäre nicht, wenn überall starker Glaube wäre. Darum ist er notwendig. Er tröstet die Betrübten, er stärkt die Schwachen, er führt die Verirrten zuxecht, er ist in jeder Be ziehung segensreich; solcher Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet, durch solchen Glauben allein werden wir „das Leben haben in seinem Namen", d. h. das Leben in Gott, das Leben in Ewigkeit. Ans Stadt und Land. Mttret Mr viel« ««drik netz«»«, »tr km««« Wilsdruff, am 22. April. CI Mutter Natur. Man erlebt es sehr oft, daß Kinder ihre eigenen Eltern nicht verstehen, daß sie ihnen innerlich fremd bleiben und ihre Herzen gern an fremde Menschen hängen. Sehr ost sieht man aber auch, daß sie sich der Eltern schämen und sie verleugnen. Das empfinden wir als eine unerhörte Gefühlsroheit und Undankbarkeit, -vergossen jedoch, daß die Empfindung für Liebe zwar einem natürlichen Trieb ent springt, also fast bei jedem Kind vorhanden ist. daß aber Dank- „Wem uie durch Liede Leid geschah..." Roman von Erich Friesen. 28) (Nachdruck verboten.) Sv: nassen »sie den Kleinen noch einmal! Und dann geben Sie ihn mir!" Damit ritz sie das Kind beinahe aus den Armen der Mutter und verlietz mit ihm in größter Eile die Zelle. Aber anstatt die Treppe emporzusteigen, wo Felicie sich mit Walter gewöhnlich, tagsüber aufhielt, eilte sie den langen, düstern Korridor entlang und öffnete eine Tür zur rechten Seite — zum Besuchszimmer. Sofort erhoben sich zwei Damen von ihren Sitzen, die augenscheinlich hier auf die Hausmutter warteten. „Ta ist das Kind! Gott wird mir verzeihen, datz ich der armen Mutter vorlog, sie werde es heute abend zu rückerhalten. Ich konnte nicht anders!" Die ältere der beiden Damen schluchzte leise auf. „Und sie weiß nicht einmal, datz ihre Mutter das Kind pflegen und bewachen wird?" stammelte sie. „Nein! Glauben Sie, das hätte dem armen Ding über den Trennungsschmerz hinweggeholfen? Sie kön nen ihr morgen alles schreiben. . . Nun ziehen Sie den Kleinen rasch um und schaffen Sie ihn weg! Ich stehe für nichts, wenn die Mutter ihn noch mal zu Ge sicht bekommt." Die jüngere der beiden Damen nahm das (kleine Ge schöpf aus den Armen der Hausmutter und drückte sein rosiges Gesichtchen, an ihre Wange. Ihre Lippen zitterten vor Erregung. Kurze Zeit danach schon befanden sich die beiden Da men mit dem Kinde außerhalb der Gefängnismauern. Wenige Minuten, nachdem snan Felicie Holm ihr Kind weggenommen hatte, erschien die Wärterin wieder in der Zelle, um die Gefangene fortzuführen. Felicie folgte ihr, ohne ein Wort zu sprechen. Hin ging's durch enge Korridore, treppauf, trepp ab, bis in eine geräumige Halle, in der bereits eine Anzahl weibliche Gefangene ausgestellt war. Felicie schloß die Reihe. Eine Wärterin rief sämtliche Namen auf und ver las eine Liste, aus der das Verbrechen jeder Einzel nen, sowie die Dauer der Strafzeit vermerkt war. Unter Leitung einiger Wärterinnen marschierte die ganze Gesellschaft durch einen schmalen, dumpfen Gang in einen engen Hof, wo einige grünangestrichene Trans- portwagen sie erwarteten. Ein Zeichen Ler Oberwärterin — langsam bewegte sich der traurige Zug vorwärts. Felicie nahm von dem üblichen Flüstern, Husten und anderen Anstrengungen der einzelnen Mitgefangene sich unter einander bemerkbar zu machen, nicht die geringste Notiz. Ihr ganzes Herz war von der Sorge um iyr geliebtes Kind erfüllt. . . Wird es sicher bei ihr ankommen? Wird es sich bei dem niederprasselnden Gewitterregen auch nicht erkäl ten? Wird es die Mutter bis heute abend sehr ver missen? — Als die grünen Wagen auf dem Bahnhof anlangten, wurden sämtliche Gefangene nach dem Hinteren Bahn steig geleitet, von wo aus der Zug abgehen sollte. Klopfenden Herzens blickte Felicie um sich. Vielleicht, daß die Hausmutter den kleinen Walter bereits mit dem selben Zuge bringen ließ? In ihrer Erregung vergaß sie ganz ihre erniedrigende Lage. Eifrig drängte sie sich vor, um besser um sich blicken zu können. Eine Menge Publikum umringte die Schar gefangener Frauen. Feli- cies Jugend und Schönheit, die selbst der unkleidjame Gefüngniskittel, sowie eine unförmliche Haube nicht zu verdecken vermochten, erregten bald allgemeines Auf sehen. Dreiste Blicke, rüde Späße fanden den Weg zu ihr. Sie kümmerte sich nicht darum. Ihre traurigen Augen wanderten den Bahnsteig auf und ab — nichts von ei nem kleinen Kinde war zu sehen. Herbe Enttäuschung malte sich in ihren Zügen, als sie ihren Mitgefangenen in ein Kupee 3. Klaffe folgte. Nach einer halben Stunde hielt der Zug bereits wie der. Und wieder standen ein paar grüne Wagen bereit. Und wieder setzte sich der Zug langsam in Bewegung, dem großen Fraueu-Hauptgefängnis zu. Nach etwa einstüudigem Fahren hielten die Wagen. Der große Gefängnishof war erreicht. Eine Gefangene nach der anderen kletterte heraus. Und wieder standen alle in Reih' und Glied, der Mu sterung gewärtig. Gleich danach erschien der Gefängnisdirektor — ein ältlicher, militärisch aus seh end er Herr — in Begleitung seines Gehilfen und zweier Ober-Gefangenwürtcrinnen. Nachdem alle Formalitäten erfüllt waren, wurde jede Einzelne nach ihrer Zelle abgeführt. Es war gerade Mittagszeit. Felicie erhielt durch die geöffnete Klappe der eisernen Zellentür ihr Mittagessen: Brot und Suppe. Daun fand eine ärztliche Untersuchung statt und die Uebergabe der neuen Anstaltskleidung. Während der ganzen Prozedur hatte Felicie kein Wort gesprochen. Eine der Ober-Wärterinnpn, eine freundlich blickende, noch jüngere Frau, auf welche die ernste Schönheit der jungen Gefangenen Eindruck machte, teilte ihr mit, sie würde dafür sorgen, datz man ihr keine zu schwere Arbeit zuerteile. Auch würde sie es insofern angenehmer haben als im Hilfsgefängnis, weil sie nicht zu'Jsolierhaft verurteilt sei. Zwar schlafe sie in ihrer eigenen Zelle und nehme auch ihre Mahlzeiten dort ein; aber sie arbeite in einem großen Saal in Gemeinschaft mit anderen, sie säße in der Kirche zusammen mit den Mitgefangenen und könne während der Freistunden auf dem Gefängnishof mit einer Kameradin, die ihr zuer- tcilt würde, spazieren gehen. Sie dürfe an den allge meinen Chorgesangübungen sowie an den täglichen Un terrichtsstunden teilnehmen. Auch, erhalte sie auf Wunsch Bücher zum Lesen. Wenn sie sich ordentlich aufführe, wie ihrem verfeinerten Aussehen nach zu erwarten sei, so gehöre die Zeit von fünf Uhr bis zum Schlafengehen ihr; sie könne dieselbe ganz nach Belieben ausnützen. Felicie hatte anfangs gleichgültig zugehört. Doch als die Wärterin bei Aufzählen des" Tagewerkes Has Kind gänzlich unerwähnt ließ — da bemächtigte sich ihrer eine große Unruhe. „Wissen Sie, datz ich verheiratet Pin ?" fragte sie end lich zögernd. „Mein Mann ist ein bedeutender Schau spieler und ich selbst —" „Sie sind wegen Scheckfälschung hier — ich Weitz," fiel die Wärterin ein. „Gehören also zur gebildeten Klasse. Sogleich beginnt der allgemeine Spaziergang unten im Hof. Ich werde zusehen, daß Ihnen eins or dentliche Partnerin zuerteilt wird. Muten Morgen!" „Bitte, noch einen Augenblick —" Doch schon siel die schwere Eisentür krachend hinter der Wärterin ins Schloß. Der Riegel knirschte — Felicie war wieder allein. „Ich muh Geduld haben!" seufzte sie in sich hinein. „Nach dem Spaziergang wird man mir das Kind wohl bringen. Hätte ich nur den Mut gefunden, die freund liche Wärterin darnach zu fragen! . . . Wie hübsch die Zelle ist! Viel geräumiger als im Hilfsgefängnis! Und das Fenster ist auch größer. Gewiß wird die Luft meinem Walterchen gut bekommen!" Fesicies Gesicht heiterte sich etwas aus. Wohlgefällig blickte sie an ihrem neuen Anzug hinunter. Der kurze Rock und die lose Bluse von dunkelblauem bedrucktem Kattun konnten sich keiner besonderen Kleidsamkeit rüh men — aber Felicie meinte, ihrem Walterchen würde gewiß das Muster gefallen. Ihr dickes schwarzes Haar war gänzlich versteckt unter einer grüben weißen Haube — aber Walterchen würde sicher diese vorsintflutliche Mütze Spatz machen . (Fortsetzung folgt.!!
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)