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Wilsdruffer Tageblatt : 29.04.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192204291
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220429
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220429
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-04
- Tag 1922-04-29
-
Monat
1922-04
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 29.04.1922
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Lachen Es würde eine grundsätzliche Einigung herbei- gefiihrt über die Wiederherstellung des beiderseitigen Kon- sularnetzes nach dem Stande vom Januar 1914. In Ber> liner unterrichteten Kreisen werden die Angaben bestätigt Großbritannien. X Der Bürgerkrieg in Irland nimmt außerordentlich heftige Formen an. Nach dem General Adamson wurde General Michel O'Neil durch mehrere Kugeln ge tötet, als er eine Durchsuchung einer Farm vornahm. Zwilchen den regulären Truppen des neuen Freistaates und den republikanischen Rebellen hat gestern in der Um gebung von Lullingar das erste Gefecht stattgefunden. Aus In- und Ausland. Berlin. Der „Reichsanzeiger" meldet die Ernennung des bisherigen Ministerialrats im Reichsarbeitsmimsterium Dr von Olshauien zum Präsidenten des Direktoriums der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. Berlin. Der Ältestenrat des Reichstages ist auf den 29. April unberufen, um über den Termin des Wiederzusammen- trittS des Reichstags Beschluß zu fassen. Reich und WMand gehören zusammen! Französische Vorspiegelungen. Die rheinische Zentrumspartei hielt in Königswinter eine außerordentliche Sitzung des Pravin- zialausschusses in Anwesenheit des Reichsministers Gies- berts ab. Es wurde eine Entschließuna angenommen, in der das völlige Einverständnis mit der Politik des Reichs- kanrlers Dr. Wirth in Genua ausgesprochen wird. Weiter heißt es u. a.: „Reich und Rhein gehören in Kultur, Geschichte und Wirt schaft seit mehr als einem Tahrtansend untrennbar zusammen. Niemals werden wir die Erfüllung bestimmter Wünsche ans der Hand einer fremden Macht annebmen. Mehr als diese Wünsche bat uns stets die nationale Einheit des deutschen Volkes und die unverminderte Festigkeit des Deutschen Reiches bedeutet. Gegenüber der offenen und geheimen Propaganda, welche die rheinische Bevölkerung für die Gründung einer selb ständigen rheinischen Republik unter französischer Ober hoheit durch Vorspiegelung größerer wirtschaftlicher Vorteile oder anderer Erleichterungen in steuerlicher Hinsicht gewinnen will, weist der Provinzialausschuß darauf hin, daß der Be hauptung. eine Änderung der politischen Verhältnisse des Rbeinlandcs werde eine Besserung seiner wirtschaftlichen Sage herbeifsthren, keinerlei Glauben beizumessen sei. „Die im Vor fabre mit den Sanktionen gemachten Erfahrungen haben deut lich gezeigt, daß das wirtschaftliche Gedeihen des Rheinlandes unlöslich verknüpft ist mit seiner Zugehörig keit zum Reiche. Der unaufhaltsam fortschreitende wirt schaftliche Niedergang des Saargebietes, dessen hartes Geschick wir mit tiefster Anteilnahme beklagen, läßt in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel auskommen.- Die Entschließung betont endlich die Entschlossenheit der rheinischen Zentrumspartei, im Verein mit allen übri gen vaterländisch gesinnten Parteien die große Aufgabe der nationalen Abwehr zu leisten. Oie Kölner Sänger in Berlin. Ansprache des Ministerpräsidenten Braun. Bei einem zu Ehren des augenblicklich in Berlin wei lenden Kölner Männergesangvereins veranstalteten Fest bankett hielt der preußische Ministerpräsident Braun eine Rede, in der er namens der preußischen Staatsregierung den Kölner Sängern herzlichen Gruß entbot und dann u. a. ausführte: „Man sagt so oft, daß der Norddeutsche, der östlich der Elbe sitzt und der ernster und schweigsamer ist als der Men schenschlag auf dem alten süddeuöschen Kulturboden, aus Gründen eben dieser Wesensverschiedenheit sich nicht gut mit dem Rheinländer verstehe. Ich meine, daß diese Wesensver- schiedenheiten, erklärlich durch die Unterschiede des Klimas, der Bodengestaltung und der Stammesgeschichte, zwar vorhanden sein mögen, daß sie aber nicht so groß sind, um nicht durch das starke Band eines ge mei uswme,n. n ati o " a.len Emp- stnven«, vurch em von auen augeren Atmecymngcn uns inneren Kämpfen nicht zu erschütterndes inniges Zusammen gehörigkeitsgefühl überwunden zu werden. Und gerade aus der Erkenntnis der Stammes- und Wesensunterschicdc, die letz ten Endes unser Volksganzes nicht schädigen, sondern be reichern — denn nichts wäre trostloser und einförmiger als ein in seiner Wesensart und Geistigkeit uniformiertes Volk —, kommt die aufrichtige und große Freude. Menschen, die be drückt und bedrängt werden, rücken enger zusammen, und so sind auch Sie vom Rhein gekommen, um die Bande der natio nalen Zusammengehörigkeit fester und inniger zu knüpfen, da mit Sie den Bemühungen jener spotten, die sie zerreißen möch ten. Das kann niemals, wir- niemals gelingen. Von -er vieltausendköpfigen Festversammlung, unter der sich auch die Minister S e v er i n g und H i r t s i e f e r, ferner der Staatssekretär für die besetzten Gebiete Brugger und andere auf hervorragenden Posten stehende Persön lichkeiten befanden, wurden diese Worte mit freudiger Zu stimmung ausgenommen. * Kuri Eisners Gekreiär. Die „Schuld am Weltkriege" vor Gericht 8 Müml-cn, 27. April. Nor dem hiesigen Amtsgericht begann heute ein politischer Prozeß, in dem es sich um die Frage der Schuld am Weltkriege handelt. Im November 1918 hatte der damalige bayerische Mi nisterpräsident Kurt Eisner, der bekanntlich ein paar Wochen später von dem jungen Grafen Arco auf der Straße erschossen wurde, in einem Berliner Blatt und in der Bayeri schen Staatszeitung ein Bruchstück aus dem bayerischen Ge sandtschaftsbericht über den Kriegsausbruch veröffentlicht. Es wurde jedoch später festgesteltt, daß diese Veröffentlichung in wesentlichen Punkten unrichtig war; vor allem lvar manches, was von großer Bedeutung war, wcggelassen worden. Das veranlaßte den Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte, Professor Coßmann, von einer „bewußten Fälschung Eis ners" zu sprechen und eine angebliche Äußerung der Frau Eis ner, wonach nicht ihr Mann, sondern sein Sekretär Fechen- bach die Fälschung begangen haben sollte, mit ironischen Glossen wiederzugeben. Wegen dieser Bemerkungen hat Fcchenbach gegen Professor Coßmann und gegen die verant wortlichen Schriftleiter mehrerer Münchener Blätter, die Coß manns Äußerungen übernommen hatten, Klage erhoben. Es ist zur Verhandlung, die zwei bis drei Tage dauern soll, eine große Anzahl von Zeugen und Sachverständigen ge laden. Es soll festgestellt werden: 1. ob eine Fälschung des bayerischen Gesandtschaftsberichtes vorliegt, 2. ob diese Fäl schung eine Einwirkung auf die Versailler Friedensbestim- mungen gehabt hat und 3. ob Fechenbach an der Veröffent lichung mitschuldig ist. Einzahlungen zum Michsuoiopfe?'. Beträge und Erhebungsfristen. Das soeben veröffentlichte neue Vcrmögenssteuergesetz vom 8. April d. I. enthält Vorschriften über den Ab- und Ausbau des Reichsnotopsers. Bei den Vermögen bis zu 1027 000 Marl verbleibt cs bei den bisherigen Vorschriften, es werden 10 Prozent des abgabepflichtigen Vermögens, mindestens aber ein Drittel der Abgabe erhoben. Bei den abgabepflichtigen Ver mögen, die 1027 000 Mark und darüber betragen, erhöht sich der zu erhebende ReichsnotopferLctrag auf 50 Prozent der Ab gabe. Die hiernach neu zu entrichtenden Beträge sind zur Hälfte am 1. Mai d. I., zur anderen Hälfte am 1. November o. I. fällig. Die Erwcrbsgcfcllschaften (Aktiengesellschaften, Gesellschaften m. b. H., Bergwerksgesellschaften usw.) haben aber ihre bisherige Notopferfchuld hinaus noch eine weitere Abgabe in Höhe der Hälfte des bisherigen Reichsnotopfers zu entrichten. Dieser Betrag wird zu den gleichen Fristen fällig. Kriegsanleihe wird auf die neu fällig werdenden Beträgr nicht mehr angenommen, weil die für die Annahme gestellten Fristen längst abgelaufen sind. Damit ist das Reichsnotopser erledigt; es wird für die Zukunft für die Zuschläge zu der neuen Vermögenssteuer ersetzt, über die neu fällig werdenden Notopferbeträge werden den Steuerpflichtigen Anforderungs schreiben zugchcn; bis zum Empfang dieser Anforderungsschrei- ronnen sich die Steuerpflichtigen also abwartend Verhalten. Da gegen sind die bisher schon angeforderten Notovierbeträae in der alten Weise weiter zu patzten. Nur die «Kleinrentner sind von weiteren Zahlungen befreit: als Kleinrentner gelten alle Steuerpflichtigen, die Ende dieses Jahres über 60 Jahre alt oder dauernd erwerbsunfähig sind, wenn ihr steuerpflichti ges Vermögen hauptsächlich aus Kapitalvermögen bestecht, Ende 1920 und 1922 nicht mehr als 500 000 Mark betragen hat und wenn ihr Einkommen 20 000 Mark nicht übersteigt. Wer mehr als die hier erwähnten Notopferbeträge gezahlt hat, kann an sich ihre Zurückzahlung beanspruchen, über die Erstattung hiernach zuviel gezahlter Notopserbeträge wird besondere An weisung des Rcichsfinanzmimsteriums ergehen, sobald die Er wägungen über die Behandlung solcher Beträge bei der bevor stehenden Zwangsanleihe abgeschlossen sind. Wett- und Volkswirtschaft, Was kosten fremde Werte? Die nachstehende Tabelle besagt, wieviel Mark für 100 Gulden 100 dänische, schwedische, norwegische, österreichische, ungarische oder tschechische Kronen, 100 schweizerische, belgische und französische Frank, 100 italienische Lire, sowie für 1 Dollar und 1 Pfund Sterling pezablt wurden. <„Briel" — angeboten: „Geld" ---- gesucht.! Berlin, 27. Avril. (Stand der Polnischen MarkO Polenmark an der heutigen Börse mit 7,10 Pf. bewertet. Börsenplätze 27. Geld> 4. Bries 26 4. Geld f Brief Stand l.8.14 Sollend. . . Guld. 10761,50 10788,50 10586,75 10613,26 I70 Nt. Dänemark . Kron. 6002,45 6017,55 5912,60 5927.4I 112 . Schweden. . Kron. 7305,85 7324,15 7260,90 7279,10 112 . Norwegen . Kron. 5341,31 5356,70 529 !,35 5306,65 112 . Schweiz . . Frank 5523,05 553',95 6578/0 5592,0 72 . Amerika. . . Doll. 281,64 282,36 279,40 280,1! 4,40. England. . . Pfd. 1248,40 1251,60 1240,90 1244,16 20,20. Frankreich . Frank 26^1,70 2628,30 2636,70 264',30 80 . Belgien . . . Frank 2297,00 24 !3,00 2491,95 2 MO' 80 . Italien . . . Lire 1508,10 1511,90 1528,05 1531,95 80 . Dt.-Osterr. . Kron. 3,d3 8,67 3,55 V- 3,59 V- 85 . Ungarn . . . Kron. 36,45 36,56 36,20 36,3 85 . Tschechien. . Kron. 649,80 661,20 648,30! 549,76 Nab uncl fern. O Zeitungssterben. Nach der soeben erschienenen amt lichen Zeitungsliste für den vergangenen Monat Haber 177 Zeitungen und Zeitschriften ihr Erscheinen eingestellt I Unter den Blättern, die in jüngster Zeit zu erscheinen auf gehört haben, befindet sich die Wehlauer Zeitung. End« Mai stellt das Frankfurter Mittagsblatt sein Erscheinen ein. O Der Städtetag gegen eine 13jührige höhere Schule Der Schulausschuß des Deutschen Städtetages faßte eine Entschließung zur Beschränkung der höheren Schule (ein schließlich der Grundschule) auf 12 Jahre. An ihr soll auch festgehalten werden, nachdem die Grundschule aus vier Jahre festgelegt ist. Voraussetzung dabei ist, daß den von. der Grundschule zur höheren Schule übertretenden Schülern während des letzten Schuljahres die Möglichkeit zum Erwerb eines Teiles Les Sextalehrftoffes gewährt wird. O Neuschnee im Schwarzwald. Seit den Ostertagen fällt in den höheren Lagen des gesamten Schwarzwaldes ununterbrochen Schnee. Im Gebiete des 1500 Meter hohen Feldberges dauerte der Schneefall über hundert Stunden hintereinander an, und die durchschnittliche Schneehöhe auf den Bergkämmen ist stellenweise bis eineinhalb Meter ge stiegen. An den Ost- und Nordhängen lagern noch zwei bis drei Meter hohe, stellenweise sogar bis zu fünf Meter hohe Schneemassen. Derartige Schneemassen hat man in dieser Jchreszcit im Schwarzwald noch nicht gesehen. O Aufhebung der Brotkarte in Österreich In Öster reich wird mit dem 29. April die Ausgabe der Brotkarten eingestellt. Die staatliche Mehlversorgung tvird voraus sichtlich noch Lis zarm 15. Juli Lau-ern. Die Mehlkarte 'st bereits seit Mitte April nicht mehr in Geltung. „Wem nie durch Liebe Leid Muh..." Roman von Erich Friesrn. 33f (Nachdruck verboten.) Das hitzige Fieber hatte die Erinnerung an ihr Kind in ihrem Gedächtnis fast ausgelöscht. Jetzt erwachte es wieder zu neuem Leben. Ihr war, als würde ihr ihr Kind aufs neue geschenkt. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen all dieser kostbaren Nachrichten, als (wollte sie jedes Wort hinuntsrschlürfen. Sie sah ihr Kind im Geiste auf dem Schoß des Va ters, sab es in seinen lockigen, dunklen Haaren wühlen, sah es vor Freude zappeln und strampeln. Einmal ertappte sie sich sogar bei ein-m kleinen Anfall von Eifersucht auf ihn. Aber gleich daraus lä chelte sie darüber. Vater und Sohn waren ja eins. Sie liebte sie beide gleich leidenschaftlich. Es tröstete sie sogar, die beiden beieinander zu wissen. Kaum hatte sie den Brief zu Ende gelesen, als eine der Pflegeri,men sie ries, sie möge ihr, wie schon seit mehreren Tagen, seit Felicis sich körperlich Wohler fühlte, beim Äusteilen der Suppe behilflich sein. Rasch steckte sie beide Briefe in die Tasche ihrer groben Lei- ncnschürze und folgte der Pflegerin in die verschiede nen Krankenabteilungen. In einem größeren Raum neben verschiedenen an deren Patientinnen lag ein junges Mädchen von eini gen zwanzig Jahren schwer krank an der Auszehrung darnieder. Die Gefangene Ella Mensing mußte sehr hübsch ge wesen sein, als noch gesundes Rot die Wangen gefärbt, als noch frische Lebenslust aus den jetzt übergroßen, krankhaft glänzenden Augen geleuchtet hatte. Felicie fühlte sich merkwürdig zu diesem Mädchen hin- aezoaen, uno Ella Mensing vergalt diese Zuneigung durch fast demütige Anhänglichkeit. Heute, als Felicie der armen Kranken die Suppe brachte, da öffnete diese ihre übergroßen Augen noch weiter. „Was hast Du, Felicie? Mu flehst ganz verändert aus — so glückstrahlend!" „Ich bin auch heute sehr glücklich," lächelte Felicie. „Ich habe Nachricht von meinem Mann und von mei nem lieben Keinen Kinde. Soll ich Dir heute abend da von erzählen?" „Ach ja, bitte!" Schon reichte Felicis einer anderen Kranken ihre Suppe. So ging es der Reihe nach, bis alle befriedigt waren und Felicie sich wieder mit ihren Briefen in ihre Ecke zurückziehen konnte. Noch einmal las sie Winfrieds Bries von Anfang bis zu Ende durch. Dann fing sie wieder von vorne an - diesmal langsamer, bedächtiger. . . Lie konnre sich fein Leben ganz genau Vörstetten. Er war wieder bei Direktor Tauscher engagiert, wie da mals. Natürlich spielte er allabendlich mit Sigrid Ar- noldsen; aber Felicie war nicht mehr eifersüchtig — o nein! Im Gegenteil, sie war Sigrid dankbar; denn sie sorgte für den kleinen Walter. Und außerdem war ja die Mutter dort. Wie gemütlich mußte das Zusammen leben sein! „Holm!" rief auf einmal die Stimme der Pflegerin. „Lassen Sie mal schnell die Flasche da in der Anstalts- apotheke füllen! Der Mensing geht es schlechter!" Den ganzen Nachmittag über blieb Felicie am Bett des kranken Mädchens. Als es Ella abends etwas bes ser ging, fragte sie die Gefährtin nach ihrem Kinde. „Ich wollte schon längst mit Dir darüber sprechen, Felicie, aber ich dachte, es würde Dich aufregen." „So war es auch. Jedoch jetzt — nach dem Briefe meines lieben Mannes —" in fast kindlicher Freude klopfte Felicie auf ihre Rocktasche, — „jetzt ist.das etwas anderes." „Wie heißt Dein Kind^" „Walter." „Nach dem Vater?" „Nein, nach dem Großvater." „Erzähl' mir etwas von Deinem kleinen Walter!" Felicie setzte sich auf den Bettrand, legte den Arm um die kranke Gefährtin und. begann, ihr ein Bild von ihrem Kinde zu entwerfen. Sie tat es so plastisch, mit solch lebenswahren Farben — Ella meinte, den klei nen Buben vor sich zu sehen mit seinen runden Glie derchen, den blonden Härchen, dem herzigen Lächeln. „Ich wünschte, er wäre hier!" murmelte sie seuf zend. „Ich möchte ihn so recht von Herzen lieb haben. Ach, es ist so schrecklich öde hier — besonders, wenn man krank ist!" Mitleidig streichelte Felicie die abgezehrten Hände des kranken Mädchens. „Du mutzt mir bald wieder von ihm erzählen," fuhr Ella leise fort. „Es macht mich so wunderbar ruhig. Aber bald, recht bald! Lange habe ich nicht mehr Zeit!" „Wie meinst Du das, Ella? Du sprichst doch nicht vom Sterben?" Die Kranke schüttelte den Kopf. „Eigentlich nicht, obgleich der Doktor sagt, daß ich. nicht mehr lange zu leben habe." „Wovon sprachst Du also?" „Von meinem Austritt aus dem Gefängnis. Seit beinahe zwei Jahren bin ich hier. Du weißt Wohl uoch gar nichts von mir; denn ich spreche nicht gern über mich und meine Angelegenheiten. Besonders nicht über meinen Fehltritt. Ich war Buchhalterin in einem gro ßen Geschäft und hatte meinem Prinzipal eine Summe Geldes unterschlagen. Meine Mutter war blind; ich f mutzte sie mit ernähren und wollte mich daneben auch - uoch ein bischen amüsieren — Theater nnd dergleichen. Ach, man ist ja nur einmal jung im Leben! ... La I trat die Versuchung an mich" heran — ich unterlag." Cie machte eins Pause. Die Erinnerung griff fie mächtig an. Der trockene Husten, der sie von Tag zu Tag in ehr quälte, stellte sich wieder ein. Felicie stützte den abgezehrten Körper der Kranken und bat sie, sich zu schonen. Doch Ella schüttelte den Kopf. „Laß mich sprechen, Felicie! Es erleichtert mich. Also — ich erhielt zwei Jahre Gefängnis. Und diese fchrcckliche Zeit ist heute in acht Tagen um." „Du Glückliche!" seufzte Felicie auf. Wehmütiges Lächeln umspielte die Lippen der Kranken. „Meinst Du das wirklich, Felicie? Ta irrst Du. Noch ganz abgesehen davon, daß ich schwer krank bin, Weitz nh gar nicht, wo ich hin soll. Arbeiten kann ich nicht - dazu bin ich zu krank. Vermögen besitze ich Nicht. 'Reine Mutter ist während meiner Gefängniszeit ge- oröen. Meine einzige Schwester ist an einen kleinen Beamten verheiratet. Verde werden nicht sehr beglückt Hin über mein WiederaufMchen. Aber das Hilst alles üchts — heraus mutz ich. Sie behalten hier niemanden inen Tag länger als vvrgeschrieben — und wenn er raußen vor den Gefängnismauern liegen bliebe und „ürbe wie ein Hund " Felicie machte der Kranken, die in ihrer Aufregung ichts hörte und nichts sah, ein verstohlenes Zeichen, re LLerwürierin hatte Felicie zu sich herangerufen, ie war auf einem Nundgang durch die Krankenrüume ergriffen und hatte dis beiden schon ein Weilchen bs- > ebachtet. Gleich dem Gesüngnisdirektor, sowie den Aerz en nahm auch sie lebhaftes Interesse an der Gefangenen Mn, die ihrem ganzen Wesen nach von ihren, Mit gefangenen so vorteilhaft abstach. „Es geht Ihnen besser, Holm, nickst wahr?" Frau Breunig." „Wenn Cie so fortmachen, werden Sie bald wieder die Krankenabteilung verlafsen und drüben in Ihre Zelle Nr. 301 zurückmüssen." Ta fiel ihr plötzlich der Brief der Mutter ein. Die verschiedenerlei Beschäftigungen während des Tages hatten sie denselben ganz vergessen lassen. Cie war nicht besonders neugierig auf den Inhalt. Frau Giesecke war nie eine gute Briefschreiberin. Aber vielleicht ent hielt der Brief doch irgend etwas auf das Kind Be zügliches, etwas, was Winfried vergessen hatte! . . . Die Gasflamme verlöschte. In allen Zellen wurde um neun Uhr der Gashahn zugedreht. Da hieß es für die Gefangenen: „Zu Bett oder im Finstern sitzen!" Sollte Felicie mit dem Lesen des Briefes der Mutter bis morgen warten? Etwas, das stärker war als sie, trieb sie plötzlich dazu, ihn unbedingt noch heute abend zu öffnen. Der Mond warf sein mattes Licht durch cis vergitterte Fensterluke herein. Vielleicht, daß sie we nigstens etwas von dem Gekritzel entziffern konnte. Goftsrtzims fotzt.)
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