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Wilsdruffer Tageblatt : 31.03.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-03-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192203318
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220331
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220331
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-03
- Tag 1922-03-31
-
Monat
1922-03
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 31.03.1922
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Pinn, große unv unbestimmte Summen von Deutschland zu erlangen, von Anfang an zum Mißlingen verurteilt war, — „Dailv Herald" schreibt, die Rede des deutschen Kanzlers stelle bi? Alliierten am Vorabend von Genua einer neuen Re parationskrise gegenüber. Für die sich wiederholenden Krisen gebe es kein-n anderen Ausweg als die Revision deS Frie densvertrag's Heftiger und drohender ist das Echo aus Frank reich, was zum Teil schon in den Überschriften zum Ausdruck kommt. „Echo de Paris" bringt die Überschrift: „Wirth ver- ieeigert die Unterschrift unter die Beschlüsse der Reparations- kommission!" Das „Journal" hat die Überschrift: „Die glatte Weigerung des Kanzlers." Das „Petit Journal": „Deutschland kann nicht 60 Milliarden neue Steuern bezahlen, sagt der Reichskanzler." Der erste Schlachtruf erschien im „I n- t r a n s i g e a n t". Wieder einmal wird zur Anwendung ener gischer Mittel aufgernstn. Kein Schritt in die Zukunft sei möglich, ehe nicht die Vergangenheit liquidiert sei. Frank reich habe das Recht, die Bezahlung der Rechnung zu fordern. — „Homme Librs" sagt: Was auch kommen möge, Frank reich könne nicht mehr zugcstehen und sollte Deutschland auch eine neue Revolution machen. Diesmal solle es bezahlen. — Dem „Radieal" bereitet die Rede keine Überraschung. Der Reichskanzler Wirth möge sich über die Möglichkeit klar wer den. niemals habe die Reichsregierung die Grundlagen einer Politik der Vertragserfüllung gelegt. Wirth lege Wert darauf, mit Hugo Stinnes und „seiner Bande" behutsam nmzugehen. Dieser Unterschied zwischen den englischen und fran zösischen Stimmen war vorauszttschen. Man muß ab- warten, ob er sich in Genua auswirkt, oder wieder,-wie so oft, nur leerer Theaterdonner ist. Oie Parteien zur Kanzlerrede. Politische Debatte im Reichstage. (187. kituntw Berlin. LS. März. Vor einem Hause, daS erheblich schwächer besetzt war alS ain Tage zuvor, wurde heute die Besprechung der Erklä rung der Reichsrcgierung im Reichstage fortgesetzt. Präsident Loeve gab einen Antrag der Deutschnationalen be kannt, in dem das „Unannehmbar" des Reichskanzlers gebilligt, im übrigen aber dem Reichskanzler -qD Vertrauen ver sagt wird. Hieraus sprach der Abg. Marx (Zentrum): Wohl hat ein Sieger das Recht, so erklärte er, Schadenersatz vom Besiegten zu fordern, aber er darf nicht in dem Augenblick, in dem er sein Recht geltend macht, dem besiegten Volle den Todesstoß versetzen und ihm den Wiederaufstieg unmöglich machen. Nicht mehr oder weniger tut die Note der Repa rationskommission. Die Erfüllung der Ententeforderungen würde nicht eine Entschädigung der Entente mit sich bringen, vielmehr würde sich gerade die Unmöglichkeit ergeben, diesen Forderungen infolge der Geldentwertung gerecht zu werden. Diese Forderungen sind ohne jede Rücksichtnahme aus das Wirtschaftsleben Deutschlands aufgestellt. Sie sind widerrecht lich und sinnlos. Wir find besiegt, aber nicht unfrei. Wir verlangen Anerkennung unserer Bürgerrechte auch im Aüslande. Weiter sprach sich der Redner gegen eine Kontrolle unseres Haushalis durch die Entente aus, wobei er auf die unglaubliche Verschwendung hinwieS, di« mit dem deutschen Geld« von den Besatzungstruppen getrieben wird. Der Redner wies ferner darauf hin, daß man bei dem Steuerkompromiß eingesehen hat, auch die indirekten Steuern bewilligen zu müisen. Der Reichstag solle geschlossen die Politik der Regie rung stützen. DaS Zentrum habe von jeher seine Politik nach diesen Gesichtspunkten eingestellt. Gerade daS Unannehmbar des Reichskanzlers Wirth, dessen Ersüllungswillen bekannt ist, wird Eindruck auf die Entente machen. Siegt in Genua die Vernunft, nicht der Haß Frankreichs, sondern die Klarheit Englands und der kaufmännische Geist Amerikas, so wird Genua der Stern sein, der Europa auS der schweren wirt schaftlichen Bedrängnis hinausführt. Hierauf sprach der Abg. Stresemann (Deutsche Vp.): Die Note ist übcrhebend und beleidigend. Deutschland bat nicht bedingungslos die Waffen niedergelegt. Frankreich will Deutschland verstümmeln und ihm unerträgliche Lasten auf erlegen. Alles zielt auf die Verstümmelung Deutschland» hin. Das Saargebiet und Oberschlesien zeigen ein und dieselbe Linie der französischen Politik. Der ganze Reichstag nd die Regierung sind darüber einig, daß die Forderungen >er Note nicht erfüllt werden können. Das Ansland aber essreitet die Not des deutschen Volkes, indem es darauf hin- eist, daß wir die geringste Arbeitslosigkeit haben. Dabei Wird ber übersehen, daß das deutsche Volksvermögen ewaltig zurückgegangen ist und unsere Arbeiter im .icfe.ttlichen für die Reparation arbeiten. Die amerikanischen Konkurse zeigen, daß auch das stärkste und reichste Land den Zusammenbruch des Welthandels zu spüren beginnt, der durch en Versailler Friedensvertrag verursacht worden ist. DaS tz t e u e r k o m p r o m i ß Mit der Zahlungsanleihe, ist das öchstmaß dessen, was Deutschland leisten kann, vielleicht ist eses Höchstmaß sogar schon überschritten. Die wirtschaftlichen edingungen des Versailler Friedensvertrages müssen revi- iert werden, sonst ist die Ausnahme einer Anleihe bei den 'eutralen unmöglich, die nur einem wirtschaftlich gleichberech- gten Deutschland gewährt werden kann. Jetzt, da die Regie- ng „Nein" sagt, muß der Reichstag sich mit großer Mehrheit nter die Regierung stellen und alle unnötigen Be enden zurück st eilen. Die Parteien, die dieses Nein nterstützen, müssen aber auch dabei bleiben und es in Genua ertreten zum Wiederaufbau Europas und der Weltwirtschaft. «Lebhafter Beifall.) Reichsminister des Äußeren Dr. Rathenau. Die von mir vorausgefehenen Nachtfröste sind eingetreten ud haben die junge Saat des Friedens bei den Verhandlun gen in Cannes geschwächt. Die uns in Cannes auferlegten Dekadenzahlungcn konnten wir, wie ich es voraussagte, nicht ange leisten. Die Valuta mußte dadurch aufs schwerste er- chüttert werden. Von uns ist nichts versäumt worden. Die Note der Entente hat joden enttäuscht, der die Hoffnung auf wirftichen Frieden und auf eine mögliche Regelung des Repa- raionsverhältnisses hegte. Im Laufe von zwei Monaten sind nicht weniger als 100 Noten von interalliierten Kommissionen auf unS herniedergeprasselt, deren Beantwortung die Behörden nahezu lahmlegt. Hinsichtlich der Weichseldörfer haben wir nichts unterlassen. Wir haben wenigstens erreicht, daß die Botschasterkonferenz zunächst ihre Entscheidung zurückgestellt hat. Frankreich ist stets besorgt Wegen eines deutschen An griffes, wegen eines Angriffes eines vollkommen entwaffneten Landes, das kaum so viel Soldaten aufbringen kann, um im Innern die Ruhe zu erhalten. Es ist in tiefstem Maße be dauerlich, daß durch diesen Gedanken die Regelung europä ischer Fragen durch Frankreich eine politische Seite erhalten. Der Minister befaßte sich weiter mit der Note über die Ein schränkung der Schutzpolizei, wobei er bemerkte, daß bei uns sich unter der Oberfläche die, Mächte der Unruhe bewegen, waS bei den Kommunisten Lachen hervorrief. Weiter wies er darauf hin, daß anderthalb Milliarden Goldmark im letzten Jahre für Reparationen bezahlt worden sind, das be deute eine Jahresarbeit von 1 Million deutscher Arbeiter. Die Lebensmitteleinfuhr erfordert 2 Milliarden Goldmark, und das bedeutet abermals die Jahresarbeit von 1 Million. Ferner fallen die Rohstoffe aus unseren Kolonien fort, wir müssen sie jetzt mit Arbeit bezahlen. Drei Millionen Deutsche arbeiten danach Jahr für Jahr kompensationslos. Das bedeutet zwar Beschäftigung, aber keine produktive Beschäftigung. Auch auS dem Blühen der deutschen Industrie werden Trugschlüsse ge- zogen. Die Behauptung, Deutschland habe uicht gezahlt und wolle nicht bezahlen, ist ebenso falsch wie die, daß Deutschland nicht entwas f n e t habe und nicht entwaffnen wolle. Deutsch land hat bisher 45,6 Milliarden Goldmark bezahlt. Rechnet man den Verlust der Kolonien »ich der Landgebiete hinzu, so kommen weit über 100 Milliarden Goldmark heraus. Das ist die stärkste Zahlungsleistung, die seit, dem Beginn der Weltgeschichte dagewesen ist. Auch die Ab rüstung ist eine Leistung von unerhörter Größe. Wenn noch hier und da Waffenfunde gemacht werden, so beweist das gar nichts. Noch nach 100 Jahren wird man, wie man alte Münzen findet, Waffenfunde machen. Deshalb sind alle Bemühungen vergeblich, die darauf hinauslaufen, Kriegsgefahr zu wittern. Wenn man die Dinge ehrlich betrachtet, kann man in der wafsenstarrenden Welt von einem kriegsbereiten Deutschland nicht sprechen. Halb verhungert ging es aus dem Kriege und der Blockade hervor, es hat dann die Revolution durchgemacht und die große Geldentwertung. Die Wissenschaft ist in Gefahr und der Berufswechsel ist nirgends so groß wie bei uns. Die Wahrheitist ein Strom, der sich nicht in Flaschen versiegeln läßt. (Beifall.) Diese Wahrheit wird sich Bahn brechen. Dann kommen wir zum wahren Frieden, Das Kabinett, kann für sich in Anspruch nehmen, daß es ihm möglich gewesen rn, nn Jahre stärkster Gefahr die Einheit und Unversebrt- " e? Reiches zu erhalten. Zweifellos wird Genua für Rußland manches Entscheidende bringen. Wir werden an dem Wiederaufbau Rußlands Mitarbeiten. Deutschland hat aber nicht die Absicht, Rußland gegenüber die Rolle des kapitnllusterncn Kolonisten zu spielen. Deutschland bedarf, um seine Aufgabe des Wiederaufbaues erfüllen zu können, einer Atempause, die nur durch e i n e ä u ß e r e A n l e i h e geschaffen werden kann. Alle Hoffnung auf Amerika zu setzen, wäre ver fehlt. In Amerika herrscht eine starke Europamüdiakeit. Abg. Breitscheid (U.-Soz.) begann mit dem Hinweis, vap die gestrige Rede des Reichskanzlers anfangs so geklungen habe, als ob alle Verbindungen zur Entente abgeschnitten wer den sollen. In so bewegten Stunden, wie den jetzigen, darf man keine Zugeständnisse an das nationalistische Heldentum machen. Der Redner verurteilte den Ton der Reparations note aufs schärfste und meinte, die Herren in Paris sollten aus die diktatorischen Formen verzichten, das bedeute nur Stärkung des Nationalismus bei uns mit allen seinen Gefahren. Weiter erklärte der Redner, niemand habe damit gerechnet, daß nach einer dreivierteljährigen Erfüllungspolitik eine grundsätzliche Revision des Friedensvertrages erfolgen werde. Die Erleich terungen könnten nur schrittweise erfolgen. Wir sind für die Erfüllung, weil wir nur aus diesem Wege zu einer Revision des Friedensvertrages kommen können. Wenn der Abg. Dr. Hergt Rücktritt der Regierung, des Reispräsidenten und Neu wahlen zum Reichstage fordert, so weiß ich nicht, welche Vor- teile dies haben soll. Wenn jedesmal neu gewählt werden soll, wenn eine Drohnote kommt, so kommen wir in den näch sten zehn Jahren aus den Wahlen nicht heraus. Der Redner ging dann aus die Steuerpolitik ein und sorderte die Erfassung der Sachwerte, besonders die Sozialisierung des Bergbaues. Abg. Haas (Demokrat) trat jür die Politik der Regie rung ein. Barihou geht nach Genna Die Konferenz wird „ernst genommen'. Nachdem die Franzosen gesehen haben, daß die Kon ferenz von Genua sich nicht vollständig beiseite schieben läßt, haben sie ihre bisher auf „Nichtachtung" des Konfe- renzgodankens eingestellte Politik völlig herumgeworfen und betrachten jetzt, wie der „Temps" verrät, die Konfe renz nicht mehr als eine Illusion oder ein bloßes Wahl manöver, sondern nehmen sie sehr ern st. Der „Temps" kommt zu der Schlußfolgerung, daß Frankreich nach Genua gerüstet gehen müsse. Niemand wisse, was in Genua geschehen könnte. Lloyd George werde es vielleicht wie dem Zauber lehrling ergehen, der die Geister nicht bannen konnte, die er gerufen hatte. Die stärkste „Rüstung" haben sich die Franzosen inzwischen bereits in Gestalt der Person ihres Delegationsführers, des Justizministers Barthou, an gelegt, der vom Ministerrat für diese bisher auffallend wenig begehrte Rolle bestimmt wurde. Barthou ist be kanntlich der intime Freund Poincares, den er an natio nalistischer Heftigkeit noch übertrifft. Möglicherweise wird auch Poincars selbst in Genua erscheinen, was bisher in Abrede gestellt wurde. Aber die Haltung der Franzosen gegenüber Genua hat sich stark geändert, und Lloyd George wir- dort nun erst recht kein leichtes Spiel haben — und wir auch nicht. Lloyd George wird am Montag im Unterhaus die angekündigte große Rede über Genua halten und ein Vertrauensvotum fordern. Die englische Presse stellt jetzt bereits fest, daß im englischen Kabinett über die in Genua zu verfolgende Politik k einerlei Spaltung mehr bestehe. Die englische Regierung sei der Ansicht, daß ein vollständiges Chaos in Ost europa drohe, das nur durch die Genuakonferenz verhin dert werden könnte, aus der eine Politik des europäischen Einvernehmens in die Wege geleitet werden solle. Dieses Einvernehmen wird vorher aber schon recht auffällig von einzelnen Teilnehmern untereinander gesucht. So ist jetzt in Paris der polnische Minister des Auswärtigen Skirmunt ein- aetroffen. Er erklärte, er beabsichtige, bevor er nach „Wem nie durch Liebe Leid geschah.. Roman von Erich Friesen. 10s (Nachdruck verboten.) DaS Bankgeschäft war soeben erst geöffnet woroen. Nis eine der ersten drängte Felicie sich hinein. Der Scheck wurde ihr ohne Anstand ausgezahlt. Man hegte keinen Zweifel an der Echtheit der Unterschrift — zumal man in der Ueberbringerin des Schecks Thomas GieseckeG Stieftochter erkannte. Unerfahren in Geldangelegenheiten, hatte Felicie keine Ahnung, wie sie daS Häufchen Banknoten, daS vor ihr auf dem Tisch lag, an sich nehmen sollte. Der Be amte reichte ihr lächelnd einen Briefumschlag und hall ihr die Scheine unrerzubringen. Dann eilte Felicie weg — hinaus auf die Straße, den kostbaren Schatz fest an die Brust gedrückt. Inzwischen hatte der Himmel all seine Schleusen geöffnet. Das gotz und triefte und rieselte und plät scherte, als ob auf der ganzen Erde kein Fleckchen trocken bleiben sollte. Felicie hatte in ihrer Aufregung vergessen, einen Regenschirm mitzunehmcn. Ganz durchnäßt kam sie Mhause an, um den Schirm zu holen, da der Weg zum Theater ein weiter war. Frau Giesecke empfing sie scheltend. „WaS willst Du nur wieder hier, Kind? Ich denke, Du bist auf der Probe?" „Ich habe meinen Schirm vergessen. Auch fiel mir ein. daß die Probe ja doch eine halbe Stunde später anfängt. Gib mir noch etwas Kaffee, Mutter! Ich habe Durst!" Kopfschüttelnd trollte sich Frau Giesecke nach der' Küche, und Felicie vergewisserte sich mit Herzklopfen, daß ihr Schatz noch wohlverwahrt in ihrer Taille steckte, wo sie ihn, bevor sie die Wohnung betrat, verborgen hatte. AlS Frau Giesecke mit dem Kasfeebrett hereinkam. rannte Felicie unruhig im Zimmer auf und ab. „Hier, trink, Kind!" Felicie stürzte in fliegender Hast eine Tasse des heißen Getränks hinunter. „Warum so eilig, Kind? Laß Dir doch Zeit!" „Ich kann nicht, Mutter. Ich bin so unruhig. Ich möchte ins Theater —" „Säst Sehnsucht nach Holm, wie?" „Ja, Mutter Ach, ich liebe ihn ja so sehr!" Bekümmert schüttelte Frau Giesecke den Kopf. „Armes Kind! Deine Leidenschaft lichkeit, Dein Un acstttm werden Dir noch manche bittere Lehre geben Du wirst noch viel zu le tden haben. Warum nimmst Du das Leben nicht wie ich — still, geduldig, obne Murren?" „Warst Du stets io sanft, und geduldig, Mutter? Ohne ieorn ps-nken von LewensHafi?" ragte Felicie und hielt inen Augenblick in ihrem nervösen Auf- und Abrenneu nne. Wehmütiges Lächeln breitete sich über die gramdurch- s-rchten Züge der grauhaarigen Frau. „Nein, mein Kind. Auch ich war jung und hübsch und - temperamentvoll. Wie hätte ich sonst die Liebe eines Nannes wie Vater Marlofs gewinnen können! O, Dein Bate'- — das war ein Mann! Viele von seinem Schlag gibts nicht auf der Welt!" „Und doch gabst Du ihm einen solchen Nachfolger, Mutter!" Eine heiße Träne tropfte bei diesem Vorwurf auf die bleiche Wange der Frau. Hatte die Tochter nicht Recht mit ihrer Frage? Frau Giesecke begriff jetzt selbst nicht, vie sie den rüden Menschen hatte heiraten können. Frei lich, sie hatte es ja auch nur getan, um sich und die kleine Tochter vor dem Hunger zu retten! Schon bereute Felicie ihre unzarte Bemerkung. Zärt lich umfaßte sie die Schultern der Mutter und drückte den grauen Scheitel an ihre Brust. „Der gute Vater! Ich kann mich kaum mehr besin nen. wie er aussah " .Wie Du, Kindl Wie Du —. Du bist sein Eben bild —" „Salloh!" Wie ein: Bombe platzte die rüde Stimme hinein in bas vertrauliche Geplauder. Thomas Giesecke stand auf ber Schwelle, mit höhnischen Blicken die Gruppe vor sich messend. Er liebte es. die Seinen mit seinem uner- '"'-ftten Anblick zu überraschen. -N Grannen a"k. „Von wem spricht mein Fräulein Tächter in solch lie bevollen Worten?" höhnte er. „Von mir oder meinem braven Vorgänger? Wer ist der — „gute Vater", he?" „Mein Vater ist tot!" rief Felicie schreiend. „Larifari! Aber der „zweite Vater" lebt noch, he?" „Ich habe keinen — zweiten Vater!" „Schnack! Hast eine saubere Art und Weise, mit Dei nem Stiefvater zu verkehren . . . Komm übrigens mal her, Du Range!" Widerwillig gehorchte Felicie. Sie hätte dem Manne da ins Gesicht rufen mögen: „Laß mich in Ruh! Ich hasse und verabscheue Dich!" Aber die Furcht, daß er etwas ahnte, trieb sie dazu, sei nem Gebrst ru folgen. „Nimm Dich in Acht! Ich weiß, warum Du heui Nacht im Haus herumichlichst wie eine Diebin!" raunte er ihr mit diabolischem Lachen ins Ohr, „Der geheim- nsvolle Kasten — he?" Felicie zuckte zusammen. Wuß:e er bereits ? Ohne ein Wort zu erwidern, griff sie zu Hut und Mantel und stürzte zur Wohnung hinaus, nach dem Theater, obgleich die Probe erst in einer halben Stunde beainnen sollte. Bon dcn Solo-Mitgliedern war noch niemand anwe send. Nur ein paar Statistinnen standen wartend vor der kleinen Eingangs.ür, die für die Schauspieler be stimmt war. Einige von ihnen grüßten Felicie, andere riefen ihr ein paar gleichgültige Bemerkungen zu. Mit kurzem Gruß gina Felicie an ihnen vorbei. Es widerte sie an. in das alberne Lachen und geistlose Ge plauder der jungen Dinger mit einzustimmen. Die Hand fest auf die Brust gepreßt, wo ihr kostbarer Schatz steckte, so giug sie in dem schmalen Gang, der hinter die Kulissen führte, auf und ab und wartete voll Ungeduld auf Winfried. Nach und nach versammelten sich die Schauspieler, Auch Sigrid Aruoldsen erschien. „Wissen Sie schon, Felicie? Wehlau ist wieder zu rück. Da wird er wohl heute abend wieder den Faust spielen, nicht Holm — leider!" Damit legte Sigrid den Arm um Feltcies Schulter und schritt mit ihr weiter. „Was die Arnoldsen nur an dem dürren schwarzen Dina findet!" machte die rothaarige Soubrette Rosl Pickelhuber, die sich durch starke Fülle und ein böses Mundwerk auszeichnete, achselzuckend. „Komischer Ge schmack!" „Sie wird wohl wissen, daß die Marlofs bald ihre Konkurrentin wird, und da will sie sich gut mit ihr stel len — haha!" spottete die lange Betty Brettschneider, von ihren Kollegen „die Hopfenstange" genannt. „Pfui. Betin! So von Sigrid Arnoldsen zu spreckien!" siel Suse Großmann, die „zweite Naive", ein. „Sie ist die liebenswürd'aste Kollegin. Nickst ein bißcben stolz —" „Ja, schämen solltest Du Dich, Betty!" bellerte Ermia Nertinetti, die mir ihrer unheimlichen Korpulenz und ihren feisten Wangen, in denen die kleinen Schweins- äuglein fast verschwanden, nicht nur an^ der Bühne die „komische Alte" war, sonst aber bei jeder Gelegenheit ein gutes Herz zciate. „Gestern schenkte sie Dir noch zwanzia Mark, weil Du vorgabst, Handschuhe zu brau chen. Widersprich nicht! Leugnen hat keinen Zweck — sch sah es mit meinen eigenen Augen. Und heute machst Du sie schlecht! Pfui Spinne!" Die „Hopfenstange" schnitt eine Grimasse und stol zierte, aufaeblasen wie ein Truthahn, davon. Inzwischen waren Sigrid und Felicie vor Sigrids Garderobe anaekommen. Felicie wollte sich zurück - ziehen, aber Siarid bat sie, -einzutreten. „Wie Sie zittern, liebes Kind!" meinte sie besorgt, die Hände der kleinen Kollegin zwischen die ihren neh mend. „Sie müssen lernen, sich zu beherrschen. Sic- werden rasch altern, wenn Sie sich jeder Gemütsbewc- aunq so ganz hingcben — und bas können wrr Schau spielerinnen nicht gebrauchen." Felicie hörte kaum, was die andere sagte. Ihre Sinne waren bespannt bis zum äußersten nnd gipfelten m dem Begriff ..Winfried". Wo er nur blieb? Die Probe sollte gleich beginnen. Und ^Hamlet" fehlte noch.
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