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MmsserMeblatt Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Postscheckkonto Dresden 2640 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. Verleger «nd Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Hermann Lässig, für den Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide in Wilsdruff. Rr. 80 Dienstag de« 4. April 1922. 81. Jahrgang Kleine Zeitung für eilige Leser. * Der durch Nachtrag ergänzte Reichsetat ergibt einen An leihebedarf von über 198 Milliarden. * Der Reichstag nahm in dritter Lesung die sämtlichen neuen Steuergesetze endgültig an. * Die Sektsteuer soll nach dem Beschluß des Reichstagsaus schusses auf 30 Prozent erhöht werden. * Der bisherige Gesandte für Georgien und ehemalige Reichspressechef Ulrich Rauscher ist zum Gesandten für Warschau ausersehen. * Die Aussprache Lloyd Georges mit Poincarö vor der Ge nueser Konferenz wird in Paris stattfinden. Freie Hand! Wenn man verfolgt, wie die französischen Politiker seit dem letzten Ministerwechsel die internationalen Fragen behandeln, hat man fast den Eindruck als ob sie sich stark genug fühlten, wie die Katze mit der Maus zu spielen. Während in Paris unablässig gearbeitet, gesprochen und geschrieben wird, ist Lloyd George seit Wochen so gut wie verstummt. Das will noch nicht besagen, daß er in Un tätigkeit verfallen sei. Und wenn man lieft, mit welch großem Stabe von hervorragenden Mitarbeitern — rund hundert Personen — er demnächst nach Genua ausbrechen will, so muß man wohl auf Lie Arbeit schließen, dort unter dem blauen italienischen Himmel endlich wieder ein mal wirklich große Politik zu machen. Es kommt hinzu, daß Ler britische Ministerpräsident soeben den Wunsch aus gesprochen hat, auf seiner Durchreise nach dem Süden Herrn Poincars in Ler französischen Hauptstadt zu sprechen. Aber Herr Poincars hat die seit Cannes verflossene Zeit sehr eifrig und sehr geschickt dazu benutzt, um den Gang der Dinge im Sinne seiner Politik von vorn herein ausschlaggebend zu beeinflussen. Nachdem er durch die ihm nur zu willfährige Repa- rationskommission zunächst Deutschland wieder einmal in eine ganz unmögliche Lage gebracht hat, nahm er in der Kammersitznng vom Freitag Gelegenheit, nun auch rasch noch mit Rußland eine Art verkürzter Abrech nung vorzunehmen. Er tat dies in Form von Zwischem bemerkungen gelegentlich der Jnterpellationsdebatte über die äußere Politik, die seit Tagen schon das französische Parlament beschäftigt. Der Aufforderung eines Redners, England mit der genügenden Festigkeit gegenüberzutreten, hätte es bei diesem Ministerpräsidenten «wahrlich nicht be durft; er hat sich in dem diplomatischen Spiel der letzten Monate seinem britischen Kollegen unzweifelhaft über legen gezeigt. Mit den russischen Staatsmännern von heute gar macht er noch viel weniger Federlesens. Er er klärt rund heraus, daß er nicht nach Genua gehen würde, falls Lie Sowjetregierung die ihr auferlegten Vorbedin gungen für die Zulassung nach Deutschland etwa ablehnen wollte. Und wenn etwa von dieser Seite eine bestimmte Erklärung vermieden würde, so würden die Franzosen alle Maßnahmen treffen, um sich aus Genua zurück er ziehen, da sie ja wüßten, was sie von der Aufrichtig keit von Sowjeterklärungen zu denken hätten. Und über haupt: Frankreich bewahre seine volle Freiheit des Handelns gegenüber Genua, auf die es nie verzichtet habe. Ja, Herr Poincars scheute sogar vor einer direkten Kom promittierung der Sowjetregierung vor der ganzen Welt nicht zurück. Er erzählte den Deputierten etwas von Besuchen verschleierterFrauen, die er ziem lich oft erhalten habe, mit Briefen von Radek und Krassin, die ihm Len Gedanken nahelegen sollten, in Sonderbe sprechungen mit Moskau einzutreten zu zweckentsprechen der Vorbereitung der Konferenz von Genua. Poincars, die vollendete Unschuld, die er ist, hat all diese Versucherin nen selbstverständlich weit von sich gewiesen, mit der tugendhaften Begründung, daß er nur mit den Verbün deten Frankreichs verhandele und mit niemand sonst. Er hat sogar Lloyd George von diesen Bemühungen der russi schen Damenwelt in Kenntnis gesetzt, mit anderen Worten also Lenin und Tschitscherin in London denunziert, daß sie eine gegen England gerichtete Verständigung über Genua anstrebten. Und um das Maß seiner Loyalität voll zu machen, hat er sogar noch hinzugefügt, daß die Sowjet vertreter in London, in Berlin und in Prag diejenigen Vermittler gewesen seien, die mit solchen unsittlichen An trägen an ihn herangetreten seien. Vor so viel Sitten reinheit wird schließlich auch Lloyd George die Segel strei chen müssen. Und Poincarö kann mit einem erheblichen Vorschuß auf Belohnungen und Freundschaftsgeschenke demnächst seine Schritte nach Genua lenken. Aber man sieht auch hier wieder einmal, wie wenig man die Geheimdiplomatie entbehren kann, auf deren Walten — mit vielen anderen weltfremden Leuten — die Bolschewisten seit jeher das Unglück der Völker erklärt haben. Sie selber bedienen sich jetzt ihrer, natürlich nicht bloß in Paris, und jeden Vorteil, den sie auf diese Weise gewinnen könnten, würden sie, in der furchtbaren Lage, in Ler sich das ehemalige Zarenreich befindet, wie ein wahres Himmelsgeschenk in Empfang nehmen. S i e wären gern bereit, auf ihre freie Haisy in Genua zu verzichten, aber Herr Poincars weiß gan? genau, was er tut, wenn er sich die freie Hand Frankreichs für den Kongreß unter allen Umständen bis zum allerletzten Augenblick zu sichern sucht. 1198 Milliarden Anleihebedarf- Der Etat für 1922. Das Reichsfinanzministerium hat dem Reichstag einen überblick über den Reichsetat für 1922 mit Berück sichtigung des Nachtragsetats zugehen lassen. Dieser Ge samtabschluß ist in drei Teile gegliedert. Beim ersten-, der allgemeinen Reichsverwaltung, ergibt sich im ordentlichen Haushalt ein Überschuß von 16^ Milli arden, im außerordentlichen Haushalt ein Ausgabebedarf von 3 Milliarden 110 Millionen. Der zweite Teil betrifft die Betriebsverwaltungen, also Post und Eisenbahn. Hier ergibt sich ein Anleihebedarf von 19 Milliarden 442 Millionen. Bei weitem den größten Teil unserer Ausgaben ver ursachen die im dritten Teil behandelten Maßnahmen zur Ausführung des Friedensvertrags, also die verschiedenartigen Leistungen an die Entente. Sie erfor dern die im Vergleich mit den ersten beiden Teilen er drückende Summe von 176 Milliarden 31 Millionen Mark. Der gesamte durch Einnahmen nicht gedeckte Ausgab e- bedars, der also auf Anleihe übernommen werden muß, beläuft sich somit aus allen drei Teilen zusammen auf 198 Milliarden 584 Millionen Mark. Kritische Stimmen. Helfferich — Stegerwald — Stresemann. Die in vielerlei Hinsicht höchst problematische politische Lage ruft naturgemäß manchen Politiker von Namen und Bedeutung aus den Plan, um von seinem Standpunkte aus das zu sagen, was er zur Warnung, zur Kritik oder zur Mahnung für notwendig erachtet. Helfferichs Kritik an der Regierungspolitik. Im Anschluß an die Reichstagsdebatte zur Nepara tionsnote übt der deutschnationale Abgeordnete Dr. Helffe rich scharfe Kritik an der Politik Ler Reichsregierung, die er als eine „Politik der offenen Hintertür" bezeichnet. Er wirft Lem Kanzler vor, daß er dem Reichstage kein unge schminktes Bild unserer wirklichen Lage gegeben habe und faßt daun selbst unsere Situation wie folgt zusammen: Erfüllung der jährlichen Kontributionsraten durch Steuer leistung in Höhe des ganzen LeutschenVolksein- kommens oder durch Zwangsanleihen eines Teiles des privaten deutschen Volksvermögens; daneben Abtragung eines Teils des Kapitals -der uns auferlegten 1A Milliar den Goldmark durch eine auswärtigeAnleihe,die bei der Kreditunfähigkeit des Reichs nur durch Ver pfändung der deutschen Wirtschaft und ihres Besitzes an Produktionsmitteln zu erhalten sein wird, oder aber mals unmittelbare Zwangsvollstreckung in Has deutsche Privatvermögen an Produktionsmitteln. Helffe rich meint, der Kanzler sei über diese Lage sehr Wohl unter richtet, aber er scheue sich, ein offenes Wort darüber zu sagen. Stegerwald über die Koalitionssrage. Der frühere preußische Ministerpräsident Stegerwald legt in seinem Blatte „Der Deutsche" dar, daß die gegen wärtige Koalition im Reiche sich für die Gegenwart und Zukunft immer mehr als ein großer staatspolitischer Fehler erweise. Sie schließe eine Reihe positiver und kenntnisreicher Kräfte von- der Staatsführung aus und lege diese brach, während deren Mitwirkung am deutschen Wiederaufbau nicht entbehrt werden kann. Die jetzige Koalition im Reiche gefährde schließlich die Geschlossenheit und Entfaltungskraft der christlich-nationalen Arbeiter bewegung. Diese sei aber für den deutschen Aufbau min destens ebenso notwendig wie irgendeine politische Partei. „Im Geiste Bismarcks." Bei einer Gedenkfeier für Bismarck, die am 1. April in HaOburg stattfand, hielt der Abg. Dr. Stresemann eine Rede, in der er sagte: „Wir hören heute immer wieder den Ruf nach dem starken Mann. Wir wollen nicht war ten, bis ein Bismarck uns ersteht, es heißt vielmehr, die Fundamente schaffen im Volke, damit der kommende Staatsmann etwas vorfindet, das ihn stützt. Wenn die Deutsche Volkspartei sich heute entscheiden würde, mit der Sozialdemokratie zusammenzugehen, weil vorläufig nicht ohne sie zu regieren ist, dann handelt sie zweifellos im GeisteBismarcks, weil das Staats- interesie ibr Handel bestimmt." Zer Were Kaiser Karl f. London, 1. April. Reuter meldet aus Funchal, daß der frühere Kaiser Karl gestorben ist. Der letzte Herrscher der österreichisch-ungarischen Doppel monarchie ist in Funchal auf Madeira, wohin ihn die Entente verbannt hatte, gestorben. Nur ein Alter von 34 Jahren hat Kaiser Karl erreicht. Am I7. August 1887 wurde er als Sohn des Erzherzogs Otto Franz Josef zu Persenburg geboren. Seine Mutter war die Erzherzogin Maria Therese, eine Schwester des Königs Friedrich August von Sachsen. Nach der Eiwordung des Erzherzogs Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 ging die unmittelbare Thronfolgerschaft auf Erzherzog Karl über. Als Kaiser Franz Joseph II. am 21. November 1916 seine Augen für immer schloß, bestieg Erzherzog Karl in sturmbewegter Zeit den Thron der Habsburger. W Wien, 3. März, (tu.f An den hiesigen Hofburg- Pfarrer Dr. Seidl ist heute folgendes Telegramm der Ex kaiserin Zita eingetroffen: „Der Allmächtige hat feine Majestät, den Kaiser zu sich gerufen. Ich bitte Sie, Messen für das Seelenheil des Verstorbenen lesen zu lasten." Zum Vormund seiner Kinder hat Karl seinen Bruder Max bestimmt. Es gilt als ausgemacht, daß die Exkaiserin Zita in absehbarer Zeit mit ihren Kindern Madeira verlasten wird. Gras Andrasty erklärt in einem Zeitungsartikel, Otto sei jetzt König. Die tschechische Presse wendet sich mit aller Schärfe gegen die Zulassung eines Habsburger» auf den ungarischen Thron und er klärte, die tschechische Presse sei auch weiterhin fest ent schlossen, nicht zuzulasten, daß jemals wieder Habsburger den ungarischen Thron besteigen. politische Rundschav. Deutsches Mich. Die deutsche Delegatton für Genua Wird, außer dem Kanzler, dem Finanz- und dem Außen» Minister auch den Wirtschaftsminister Schmidt umfassen. Soweit der Reichskanzler an der Teilnahme behindert sein sollte, wird die Delegation durch den Außenminister ge führt werden. Der Delegation wird ferner eine Anzahl beamteter Berater angehören, von denen die ersteren von den beteiligten Reichsressorts und Länderregierungen ent sandt, letztere nach Fühlungnahme mit dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat als Vertreter des Wirtschaftslebens berufen werden. Alle Teilnehmer, deren Anwesenheit nicht sofort unbedingt nötig ist, sollen unter Umständen später nach Genua berufen werden. Die Zahl Ler begleitenden Beamten wird ebenfalls auf das äußerste eingeschränkt, ebenso die Zahl der -Sachverständigen. Die deutsch-belgischen Zwischenfälle. Der belgische Minister für nationale Verteidigung Hal Lem Bürgermeister von Duisburg, Ler um Aufhebung des Belagerungszustandes gebeten hatte, geantwortet, die Maßnahme werde erst aufgehoben werden, wenn Belgien Genugtuung erhalten habe. Der Minister hat Lie sofortige Entsendung von zwei Kompagnien Radfahrer und einer Radfahrer - Maschinengewehrkompagnie nach Duisburg angeord-net. 30 Prozent Sektsteuer. Der sozialdemokratische Antrag auf höhere Besteue rung des Schaumweins wurde im Reichstagsausschuß für Verbrauchssteuern beraten. Man kam zu dem einstimmigen Beschluß, unter Fortfall der jetzigen Banderole den Sekt wie den übrigen Wein erst bei der Übergabe an den Ver braucher zu besteuern. Während aber die Weinsteuer 20 Prozent beträgt, soll sie beim Sekt auf 30 Prozent festgesetzt werden. Jugoslawien. X Falsche Kriegsgerichte. Nach den Berichten einiger Warschauer Blätter aus Charkow kündigen Sowjetzeitun gen eine bevorstehende Offensive Frankreichs, Polens, Rumäniens und Serbiens gegen die Sowjets an. Ziel der Offensive sei, König Alexander auf -den russischen Thron zu fetzen. Die Regierung in Belgrad erklärt hier zu, eine- solche Auslegung der Gastfreundschaft, welche Süd- slawien den russischen Flüchtlingen gewährt, sei sehr über raschend. Südslawien wünsche Len Frieden und werde sich in abenteuerliche Unternehmungen nicht einlassen. Aus Zn- und Ausland. Berlin. Nach Angaben der B.-S.-Korrespondenz soll im parlamentarischen Untersuchungsausschuß mitgeteilt worden kein, daß Reichsminister Dr. Hermes zu Len bisher bekannten Weinsendungen noch zwei weitere empfangen habe, wobei die Preise der ELelgewächse sich auf 5 und Mart pro Flasche belaufen hätten. Berlin. Im Hauptausfchuß des Reichstages erklärte der Zentrumsabgeordnete Allekotte, bei der Postverwaltung seien 81 000 Beamte und Hilfskräfte überzählig, die an öie Finanzverwaltungen abgegeben werden sollten und dort zweckmäßig verwendet werden könnten. Deutscher Reichstag. (200. Sftmm.) <7L. Berlin, 1. April. Die Vermögenssteuer, die Vermögenszuwachssteuer, die Körperschaftssteuer und die Kapitalertragssteuer wurden gestern abend endgültig angenommen. In der heutigen Sitzung wurde zuerst der Gesetzentwurf über die AutonomiederReichKt bank dem Hauptausfchuß überwiesen. Alsdann wurde die dritte Lesung des Steuergesetzes fortgesetzt, und zwar bei det Umsatzsteuer. In der allgemeinen Aussprache darüber erklärte der Abg. Soldmann (U.-Soz.), Laß die Besteuerung der Genossenschaften eine Ungerechtigkeit gegen die Arbeiterschaft fei. Abg. Heijde» mann (Komm.) bemerkte u. a., die tragfähigen Schultern würden durch diese -Steuern nicht genügend -belastet. Es handele sich hier um eine ungeheure Ausplünderung der großen Massen. Durch Lie Umsatzsteuer würden die kleinen Leute, die ihren Bedarf in kleinen Menaen decken mükten. weit schwerer ae«