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MsdmfferTageblatt Fernsprecher Wilsdruff Ar. 6 Wochenblatt für UNd ^MgtgMd Postscheckkonto Dresden 2640 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrat» zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. Verleger «nd Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Hermann Lässig, für dem Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide in Wilsdruff. «r. 78 Sonnabend de« 1. April 1S22. 81. Jahrgang Amtlicher Teil. Krümel-, Mütter- und TOeMchn-VerutuWstelle. Die bisher an bestimmten Tagen durch daS Wohlfahrtsamt eingeführlen und beim Herrn SanitälSrat Dr. Bartcky abgehaltenen besonderen Beratungsstunden fallen insofern weg. als die Hilfe- und Ratsuchenden deS hiesigen Pflegebezirks von «NN au i« je»« ordentliche Sprechstunde de» FürsorgearzttS, Herrn SanitälSrat Dr. Bartcky, die wochentSglich vormittag» 8 »i» S Uhr und mittags 12 bis 1 Uh» statt- finden, gehen können. "" Wilsdruff, am 28. März 1922. Der Stadtrat — Wohlfahrtsamt. Kleine Zeitung für eilige Leser. * Die Reparattonskommission hat die drei SachleistungSab- kommen mit Deutschland ratifiziert. * In Oberhausen wurde eine Schupowache durch belgische Truppen verhaftet. * Der durch den früheren Abgeordneten Sepp Oerter bloß gestellte Ministerpräsident Junge ist zurückgetreten. * Der Präsident deS WiederherstellungsauSschufseS DuboiS hat in Paris eine Rede gehalten, in der die Alliierten aufge- fordert werden, gegebenenfalls mit Kanonen und Bajonetten gegen Deutschland vorzugehen. * Die französische Delegation für Genua soll an der Be- ratung aller Fragen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in wei- testem Umfange teilnehmen, aber jedes übergreifen auf die An erkennung Sowjetrußlands oder die Wiedergutmachung ab- lehnen. * Die Belgier verlangen eine Ausdehnung ihres Besatzungs gebietes am Rhein. Ruffengefahr. /„In, Rußland herrscht der Absolutismus, gemildert durch Meuchelmord." Dieses ironisch-tragische Urteil über die inneren Zustände des Zarenreiches früherer Jahrhun derte scheint heute noch seine, wenn auch abgewandelte und veränderte Bedeutung für gewisse Geistesrichtungen unter den Angehörigen des großen Slawenreiches zu besitzen. In Berlin haben einige russische Flüchtlinge, ehemalige Offiziere und Anhänger der gestürzten zaristischen Regie rungsform, die ihnen gewährte deutsche Gastfreundschaft mißbraucht, um ein scheußliches Attentat zu begehen und dadurch die an äußeren Verwicklungen wahrlich nicht armen deutschen Behörden mit einer neuen Verlegenheit belastet. In einem Augenblick, wo die Auseinandersetzung mit unsern Gegnern aus dem Schachbrett der äußern Politik vielleicht am kritischsten Punkte angelangt ist, erlauben es sich ein paar Russen, von denen die Offiziere Scha- belski-Bork und Taboritzki festgestellt sind, unter dem Ruf „Rache für den Zaren!" einen Revolverangriff auf den früheren russischen Minister des Auswärtigen Miljukow zu unternehmen. Dabei kommt dieser glück licherweise unverletzt davon, aber sein Begleiter Dimrtr-i- jew Nabokoff , als juristischer Gelehrter von Rus, in der ersten Duma bereits Abgeordneter, als Politiker in der Ära Kerenski an mehreren Verantwortlichen Stellen und Minister der Krimregierung, bleibt auf dem Platze. Das alles vor einer großen Menge in einem der bekanntesten Versammlungssäle Berlins, in dem Miljukow einen Vor trag gehalten hatte. Miljukow wie Nabokoff waren keine Vertreter der jetzigen Machthaber in Petersburg und Moskau, sondern „Kadetten", also Anhänger der im Gegen satz zu den Bolschewisten als Sozialrevolutionäre oder Menschewisten bezeichneten gemäßigten Sozialisten. Beide ebenfalls Flüchtlingei > Da der größte Teil der Versammlungsbesucher aus , Russen bestand, das Attentat von Russen gegen Russen ausgeübt wurde, könnte oberflächliche Betrachtung zu dem Resultat kommen, es handele sich auch nur um eine rein russische Angelegenheit, die der Inländer, abgesehen von dem kriminellen Moment, sich nicht allzu sehr zu Herzen Zu nehmen brauche. Das wäre natürlich grundfalsch. Wenn man schon auf dem Standpunkt steht, daß inner politische Streitigkeiten des Auslandes für uns keinen Gegenstand überschäumender Erregung zu bilden hätten, solange sie unsere eigenen Interessen nicht einschneidend berühren, darf nicht vergessen werden, daß n?öen der Ver letzung der allgemeinmenschlichen Ethik durch einen wüsten Mord in diesem Falle der Blick in einen Gefahren abgrund gelenkt wird, dem wir ohne eigene Verschuldung zwangsläufig näher gebracht werden. Die Umwälzungen und Erschütterungen in der ehe maligen Riesenmonarchie der Romanows.bilden heute eine Wellsrage von überragendem Maßstab. Ohne eine Stabi lisierung in dem Ostreiche kein Frieden in Europa, keine Beruhigung der Welt, kein gründlicher Aufbau, keine Ba lancierung der wirtschaftlichen Kräfte nach der Zertrüm merung durch die Kriegskatastrophe. Deutschland aber steht dicht neben dem brodelnden Kessel Rußland, strömt er über, ergießen sich die brennenden Fluten zuerst über unsere Glieder. Ob das nun wirtschaftliche Verheerung oder blutiger Kriegsgreuel ist, auf jeden Fall sind wir die Mitleidendcn. Deutschland hat den russischen Emigranten bereitwillig Ashlrecht gegeben. Das war Menschenpflicht, die sich zu gleich deckt mit der zeitgemäßen Auffassung, die den ge- ni eine n Verdreckter der Sühne nicht entziehen will, dem weg«: politischer Meinungen Verfolgten, dem Armen und Bedrängten aber überhaupt Schutz zubilliat. ungeachtet »u- ,«arger «s-raatsangehörigkett oder wohl Nationen, nicht aber Menschen trennender Grenzlinien. Doch dieser Grund satz hat seine Schranken, die treffend charakterisiert werden durch das englische Sprichwort „Okarit^ beginn st Lome" — Wohltmr beginnt zu Hause. Berlin ist heut« eine halbrufsische Stadt. Russische Theater, russische Buchhandlungen, russische Zeitungen, russische Vereine und Körperschaften find in Masse entstan den, die Physiognomie der Straße und der gesamten Öffentlichkeit ist stark slawisch beeinflußt. Solange diese Überfremdung sich ruhig verhält, ihr Wesen als das eines nachsichtig und barmherzig geduldeten Gastes offenkundig macht, läßt sie sich ertragen. Schon wird aber geklagt über Anmaßung, über unverhüllt in die Erscheinung tretendes mit unseren Sitten kontrastierendes Gebaren. Reiche Russen, die ihre Schätze trotz aller Bolschewistenaufmerk- samkeit anscheinend leichthin über die Grenze tragen konn ten, jagen ungehindert dem Einheimischen Wohnungen und sonstige Lebensnotwendigkeiten ab. Unter den einge wanderten übrigen Russen bildet die Zunft der Beutel schneider, der Schieber, der Übeltäter jeder Klassifizierung einen recht hohen Prozentsatz. Die Kriminalchronik der letzten Jahre gibt dafür vielfältige Belege. In anderen Zentralpunkten des Reiches liegen die Dinge möglicher weise nicht ganz so schlimm, jedoch ähnlich. Aus Breslau, Dresden, Leipzig und München lauten die Berichte über einstimmend. Gerade im vorliegenden Falle führen die Spuren des unter so häßlichen Begleitumständen verüb ten Mordes nach München. Einige Zeitungen bezeichnen München als den Verwaltungsmittelpunkt eines über ganz Deutschland verzweigten Netzes russisch-monarchistischer Propagandavereinigungen, aus denen das Attentat gegen Miljukow hervorgewachsen sei. Es mögen dabei Übertreibungen unterlaufen, jeden- j falls kann die öffentliche Beunruhigung durch das Russen wesen nicht mehr länger geleugnet werden. Ob diese so wieso wachsende Beunruhigung und Beeinträchtigung der Rechte der Einheimischen durch bolschewistische Werbetätig keit oder durch entgegengesetzte Bestrebungen verstärkt wer den, ist gleichgültig. Rußland mag seine inneren Streitig keiten nach alter oder neuer Manirr auf seinem Boden aus machen, wir wollen in unserem Hause von Meuchelmördern nichts wissen, mögen sie ihre Geschäfte unter der Flagge mit dem Sowjetstern oder unter dem Zarenbanner betrei ben. Wir haben in den eigenen Stuben genug aufzuräu men und wollen uns von Desperados dieser oder jener Art dabei nicht stören lassen. Dem Hilfsbedürftigen Barm herzigkeit, dem sich überhebenden, Schmutz ins Land tra genden Eindringling die feste Hand der Abwehr und unter Umständen den gebührenden Tritt. Das ist die Forderung, die angesichts des Berliner Mordes gegenüber Ler Russen gefahr erhoben werden muß. H. G. Das Prshsem der großen Anleihe. Vorbereitungen in Paris. Der Gedanke einer großen internationalen Anleihe zur Durchführung der deutschen Zahlungen, der bereits in der letzten Ententenote erwähnt und in der Kanzlerreds aufgegriffen wurde, scheint in Paris weiter verfolgt zu werden. Die Reparattonskommission hat die Bildung eines Sachverständigenausschusses beschlossen, der Studien machen und der Reparattonskom mission einen Bericht einreichen soll über die Bedin gungen, zu denen die deutsche Regierung eine oder mehrere AnleihenimAuslande aufnehmen könnte, deren Ertrag für den teilweisen Rückkauf der Reparations schuld verwendet würde. Es würden zu diesem Zweck be sonders sachkundige Persönlichkeiten aus verschiedenen Län dern berufen, auch aus solchen, die bei der Neparations kommission nicht vertreten seien. Sehr vorsichtig bemerkt hierzu der „Temps", daß es sich um einen englischen Plan handle, den die Reparattonskommission geprüft habe. Man sieht also, daß die Franzosen diesem Plan nicht besonders freundlich gegenüberstehen. 4: Das Sachlieferungsabkomme«. Me Reparationskommission hat nach längeren Beratungen die vier Abkommen über die deutschen Sachlieferungen grundsätzlich angenommen. Es handelt sich um das am 6. Oktober 1921 unterzeichnete Wiesbadener Abkommen über die Sachlieferungen, sowie das am Tage danach beschlossene Pauschalabkommen über die Restitution, an deren Stelle das Substitutionsverfahren treten soll. Ferner um das Bemel- mans-Abkommen vom 27. Februar 1922 und die in Berlin am 18. März 1922 paraphierte sranzösisch-deut- sche Ergänzung zum Wiesbadener Abkommen, die das Bemelmanssche Sachlieferungsverfahren aus Frankreich aus- dehnt. Deutscher Reichstag. NV8. kftwng.) OL. Berlin. 30. März. An den Anfang der heutigen Sitzung mußten einige kleinere Gegenständ« gestellt werden, um bis -um Abschluß der Debatte über die auswärtige Politik und die Reparationsnote Zeit zu gewinnen. Man war in der Mittagsstunde noch nicht darüber vinig, wie und in welcher Form Lie Abstimmung vorge kommen werden sollte. Nachdem die Volkspattei erklärt hatte, sie würde sich beim Mißttauensantrag den Deutschnationalen Ker Stimme enthalten, wünschte der Kanzler einen ausdrück lichen Vertrauensantrag der Regierungspatteten. Dem wollte toieder die Voltspattei nicht zustimmen, weil sie zwar die Er klärungen der Regierung zur Note, nicht aber die gesamte .Ersüllungspolitik" des Kabinetts billigt. Schon tauchte wir rer die Gefahr einer kleinen Krisis auf, als das Zentrum mit rem Einverständnis des Kanzlers schließlich einen Anttag ein- uachte, der nur die Billigung der Regierungserklärung aus- pricht. Damit war die Volkspattei einverstanden. Die Un abhängigen Verhalten sich dazu neutral und die Mehrheit für den Kanzler erschien damit ausreichend gesichert. — Ein ge- setzenttvurf, der elsaß-lothringische Rechtsangelegenheiten be trifft, d. h. die Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Zwangs vollstreckungen usw., in elsaß-lothringischen Rechtsstreitigkeiten regelt, wurde in allen drei Lesungen angenommen. Daraus folgte die erste Beratung eines Antrages aller Parteien, die Unabhängigen und Kommunisten ausgenommen, über die Unterstützung von Rentenempfänger der Jnvaliden- und Angestelltenversickjerung. Der Antrag will, soweit besondere Umstände es fordern, den Rentenempfängern eine erhöhte Unterstützung gewähren, so daß das Gesamtjahreseinkommen des Empfängers einer In validen- oder Altersrente oder eines Ruhegeldes den Betrag von 4400 Matt, einer Witwen- oder Witwerrente den Betrag von 3300 Mark, einer Waisenrente den Betrag von 2000 Mark erreicht. Abg. Karsten (U.-Soz.) verlangte, daß die Würdigkeit oder Bedürftigkeit außer Betracht bleibe und aus die Unterstützung in allen Fällen ein Rechtsanspruch gewährt werde. Auch die Höhe des Zuschusses sei unzureichend. Mit dem Antrag solle nur plumpe Bauernfängerei betrieben werden. Abg. Meyer-Zwickau (Soz.): Die schleunige Verabschie dung des beantragten Gesetzentwurfs ist notwendig, damit die Einzelländer baldigst die Ausführungsbestimmungen erlassen können. Abg. Adams (Deutsche VP-): Den Invaliden liegt mehr an einer Aufbesserung, die in den Grenzen des rnöglichen liegt,> als an phantastischen Versprechungen. Ministerialdirektor Dr. Ritter: Berechtigter Anlaß, an dem sozialen Empfinden des Reichsarbeitsministeriums zu zwei- seln, besteht nicht. (Zurufe von den Kommunisten: „Aber sehr stark!") Wir müssen uns in den Grenzen des möglichen hal ten. Der Anttag Karsten würde uns 10 Milliarden Mark kosten. Abg. Karsten (U.-Soz.): Die <Amnme von 10 Milliarden würde bei weitem nicht erreicht Wersen, diese Zahl ist aus der Lust gegriffen. Damit schloß die erste Lesung und die Vorlage wurde daraus in zweiter Lesung unverändert angenommen. Die dritte Lesung konnte uoch nicht vorgenommen werden, da der Abg. Karsten Widerspruch erhob. Präsident Loebe stellte dies sest mit dem Bemerken, daß es auf di-V' Weise durch die Schuld der Kommunisten unmöglich gemacht werde, den In validen znm 1. April schon die Zuwendung zu gewähren. (Lebhaftes „Hört! Hört!") Weiterbesprechung der Neparationserklärung. Abg- Dr. Leicht (Bayer. Volkspartei): Von einem wahren Friedenssinnc und dem Wunsche nach einem raschen Wieder aufbau ist bei unseren Gegnern nichts zu spüren. Wir freuen uns, daß der Reichskanzler sofort mit den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder Fühlung genommen hat, und daß Ein mütigkeit sich zeigt in der Auffassung über die Unmöglichkeit der Erfüllung der gestellten Forderungen und über den un würdigen und entehrenden Charakter in Ton und der Zu mutung des Begleitschreibens. Es wäre erwünscht gewesen, daß diese Einmütigkeit sich auch im Reichstage gezeigt hätte. Leider aber ist der Mangel an Einsicht wie bei den Gegnern auch bei uns selbst festzustellen. Abg. Dr. Levi (Komm. Arbeitsgem.) betonte: Uber uns schwebt das Verhängnis, daß zur Zeit von Brest-Litowsk in Deutschland kein Mensch wagte, die Grundsätze der Demokratie zu wahren. Darum werden wir harte Ohren finden. Im übri gen erklärte er, daß seine Patteigenossen gegen das Vertrau ensvotum stimmen würden. Dasselbe tat der Abg. Fröhlich (Komm.), der im übrigen sich darzutun bemühte, daß die ganze Erfüllungspolitik auf Kosten der deutschen Wirtschaft, namentlich auf Kosten der deut schen Arbeiter betrieben werde. Daran seien auch die Mehr heitssozialisten schuld. Die Vertrauenskundgebuug im Reichstage. Der Wortlaut der im Reichstage vom Zentrum eingehrach- ren Vertrauenskundgcbung zu den Regierungserklärungen ift folgender: Der Reichstag verwahrt sich gegen die in der Note der Reparationskommission v»m 21. März dem deutschen Volke an- gesonnenen unerhörten Forderungen und billigt die Erllärm»- gen der Reichsregierung zu dieser Rote. Das Vertrauensvotum wurde mit 248gegen 81Sttma me» bei 43 Stimmenthaltungen angenommen.