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Wilsdruffer Tageblatt : 05.03.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-03-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192203050
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220305
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220305
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-03
- Tag 1922-03-05
-
Monat
1922-03
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 05.03.1922
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Annahme des Reichsmietengefetzes. Hierauf kam man zur dritten Lesung des Gesetzentwurfes über Regelung der Mietzinszahlung (Reichsmietenge- s e tz.) Die ersten Paragraphen des Gesetzes wurden im allge meinen in der Fassung der zweiten Lesung angenommen. Beim ausschlaggebenden 8 10 (Festsetzung der Hundertsätze) blieb das Abstimmungsergebnis zweifelhaft, weil das Zentrum und die Demokraten geteilt stimmten. Die Auszählung des Hauses ergab die Annahme des 8 10 mit 183 gegen 152 Stimmen. Ge schlossen stimmte die Rechte gegen und die Linke für den Paragraphen. Nach einem Zentrumsanirag tritt das Gesetz am 1. Juli 1926 außer Kraft. Als bei der Bekanntgabe dieses Beschlusses von der Tri büne Händeklatschen gehört wurde, rief der Abg. Kuhnt (U.-Soz.): „Hausbesitzergesindel!", und Präsident Loebe er klärte, falls sich derartige Kundgebungen wiederholten, müßten die Tribünen geräumt werden. Vor der in namentlicher Ab stimmung erfolgenden Gesamtabstimmung erklärten die Kom munisten beider Richtungen, daß sie für das Gesetz stim men würden. Abg. Beythien (D. Volksp.) erklärte sich gegen das Gesetz, das gegen die Grundlage der Vertragsfreiheit verstoße. Abg. Kuhnt (U.-Soz.) bemerkte, die kurze Befristung biS 1926 sei eine Überrumpelung. Dieser Antrag des Zentrums wäre eine Handlung gegen Treu und Glauben. In der Gesamtabstimmung wurde das Reichsmicten- gesetz darauf niit 2V2 gegen 168 Stimmen angenommen. Dagegen stimmten die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartci, die Mehrheit der Demokraten und ein Teil des Zentrums. Alsdann wurde das Gesetz über vorübergehende Rechts- pslegemaßnahmen im Hinblick auf das Saargcbiet mit Zwei drittelmehrheit angenommen. Das Gesetz tritt am 20. d. M. in Kraft. Darauf folgte die Abstimmung über die von dem Abg. Herzfeld (Komm.) «ingebrachte Entschließung, in der die Rück gängigmachung der Auslieferung der Mörder des spanischen Ministerpräsidenten Dato ge fordert wird. Diese Entschließung wurde gegen die Kommu nisten abgelehnt. Abg. Dr. Rosenfeld (U.-Soz.) erklärte dazu nachträglich, daß auch seine Fraktion die Auslieferung für unzulässig halte. Die Forderung der Rückgängigmachung sei aber hinfällig, da die Spanier nicht mehr in deutscher Verwahrung sind. Nun mehr wurde in die weitere Beratung des Haushaltsplanes des Rcichsfchatzministcriums eingctreten. Die Ausschußanttäge auf Vorlegung von Denk schriften über die Vereinfachung der Verwaltung wurden ange nommen. Dagegen wurde ein deutschnationaler Antrag aus Auslösung des Reichsschatzministeriums am 1. April nächsten Jahres abgelehnt. Abg. Wienbeü (Deutschn.) wünschte Auskunft von der Ne- aierung darüber, wie die Konkurrenz der Deutschen Werke gegen das mittlere und Kleingewerbe vermieden wer ben soll. Wir hoffen, bemerkte er, daß die Reichsregierung alles tut, um bei Ausdehnung dieser Reichsbetriebe das selb ständige Gewerbe zu schützen. Abg. Stückten (Soz.): Der Leitung der Deutschen Werke ge bührt für die geschickte Lösung der bei ihrer Gründung in Be tracht gekommenen schwierigen Fragen unser Dank. Auch wie wollen die Erhaltung des Handwerks, aber die Reichsbetriebe dürfen darunter nicht leiden. Reichsschatzminister Bauer erklärte, daß die Reichsbetriebe, mit Ausnahme vielleicht der Deutschen Werke, dem Gewerbe keinen Wettbewerb bereiteten, besonders nicht die orthopädi schen Werkstätten, die noch während des Krieges vom Kriegs ministerium ins Leben gerufen wurden. Das Arbeitsministe- rium hat diese Werkstätten dann übernommen und ausgebaut, und später sind sie der Verwaltung des Rcichsschatzministe- riums übergeben worden. Die Arbeiten in den orthopädischen Werkstätten werden vielfach von Kriegsbeschädigten ausgeführt. Die Errichtung dieser Werkstätten war eine dringende Not wendigkeit. Das orthopädische Gewerbe hat Hochkonjunktur und wird noch 30, 40 Jahre lang Hochkonjunktur haben, denn es kann den Anforderungen der Kriegsbeschädigten nicht ent fernt entsprechen. Nachdem noch der Abg. Hoch (Soz.) sich über die Deutschen Werle geäußert hatte, war der Haushalt des Reichsschatz ministeriums in zweiter Lesung erledigt. Das Haus trat hier aus in die Beratung des Haushalts des Reichsschatzmini- steriums für Wiederaufbau ein. Abg. Riedmüller (Soz.): Es handelt sich hier um einen mit ungeheuren Schwierigkeiten verknüpften Gegenstand und durch nm ungeheure Summen. Das allein schon begründet das Be stehen dieses Ministeriums. Die Entschädigung der AuSland- und Kolonialdeutschen ist besonders dringend und Wichtig. Ministerialirektor v. Brandt erklärte, daß die Entschädi- Die Grafen von Freydeck. ' 83) Roman von N. Ostland. 20. Kapitel. Ein Fund und dessen Aufklärung. Das einfache Leichenbegängnis war vorüber. Fritz Wentheim war begraben, und seine Tochter kam von der Trauerfeier mit einem Gefühl so unsäglicher Verlassen heit in ihr derzeitiges Heipi zurück, daß sie darüber bei- nahe alles andere vergaß. Sie war sich bisher noch nicht recht klar darüber ge worden, was sie nun in Zukunft beginnen würde. Ihr ganzes Sehnen ging zurück nach der deutschen Heimat. Ihre Barschaft hätte wohl für die Ueberfahrt gereicht und ihr vielleicht auch noch eine Zeitlang ein einfach geführtes Weiterleben erlaubt. Aber sie fürchtete sich grenzenlos, durch ihr plötz liches Austauchen Vergangenes wieder aufleben zulassen. Sie hatte, da ihr Vater jede deutsche Zeitung sorgsam vor ihr verborgen hielt, keine Ahnung, wie eigentlich der Prozeß Günther ausgegangen sei. Und ihre Tante, die Baronin Berghaus! Ob sie noch lebte? Und wenn, ob ihr Haß gegen die Entflohene nicht neuerlich aufleben würde, wenn sie die näheren Ein zelheiten dieser Flucht erfuhr? Und doch drängte es das junge Mädchen, Georg und seinen Vater von den seltsamen Erklärungen ihres Vaters bezüglich jener schemenhaften Gestalt Mitteilung zu machen. Aber wie sollte sie all dies anfangen. Sie fühlte sich vollkommen unfähig, darüber allein zu entscheiden, und doch scheute sie sich davor, irgend jemand von all den halb, fremden Leuten, welche sie umgaben, in» Vertrauen zu ziehen. Es war Nachmittag. Hilda Wentheim hatte begonnen, ihre Sachen zu packen, denn sie mußte sich eine weniger kostspielige Wohnung suchen. Das war vorderhand der erste Entschluß, zu dem sie sich aufgerafft hatte. Ein Klopfen an ihrer Tür schreckte sie auf aus ihrer Tätigkeit. Der Arzt, welcher in ihres Vaters letzter Stunde bei ihm gewesen war, trat ein. Nach einigen einleitenden Worten legte er ein schmales Päckchen vor Hilda nieder. „Liebes Fräulein," sagte er, sich schon wieder erhebend, „das hier habe ich bei Ihrem toten Vater gefunden. Das Päckchen war offen. Ich habe den Inhalt nicht angesehen, sondern ihn in einen Umschlag gegeben und versiegelt. gnng gereister werven fone, wenn sich das mit den Interessen des Reiches vereinbaren ließe. Abg. Dauch (D. Volksp.): Es muß nachgeprüst werden, ob bei diesem Ministerium nicht Ersparnisse erzielt werden können. Peter Grupens Ende. Der Selbstmord des MädchenmörverS. Hirschberg, 3. März. Der wegen des Kleppelsdorfer Doppelmordes am 20. Dezember vorigen Jahres zum Tode verurteilte Architekt Peter Grupen aus Oldenbüttel bei Itzehoe in Hol stein hat gestern nachmittag durchSelbstmord seinem Leben ein Ziel gesetzt. Bei einer um vier Uhr vorgenommenrn Revision seiner Zelle war Grupen noch völlig ruhig. Bei der näch sten um Uhr vorgenommenen Revision war er bereits tot. Er hatte sich mit einem Hosenträger an der Zentral heizung seiner Aelle erhängt. Die Wiederbelebungsver suche, die sofort angestellt wurden, waren vergeblich. Da Grupen keine Briefe und keine Aufzeichnungen hinterlassen hat, nimmt er das Geheimnis des Kleppels dorfer Dramas, dem Mei blühende junge Mädchen zum Opfer fielen, mit sich ins Grab. Der Mörder war nach seinem jüngst gemeldeten mißglückten Fluchtversuch in LLnzelhast genommen worden. Er war nach seiner Rück- Ahr ins Gefängnis sehr erregt, benahm sich aber bald wieder so kühl und zurückhaltend wie vorher, so daß die Gefängnisbeamten keinen Grund zur Mage hatten. Es ist wiederholt berichtet worden, daß Grupen sich in absehbarer Zett noch einmal wegen eines Kapitalver brechens zu verantworten haben würde: man wollte ihn in Altona als mutmaßlichen Mörder seiner Fran, die be kanntlich spurlos verschwunden ist, unter Anklage stellen. Seine Lage hätte sich durch diesen neuen Mordprozeß kaum noch verschlechtern können, da er ja ohnehin schon zum Tode verurteilt war und das Reichsgericht seine Revision verworfen hatte. Das merkwürdige war, daß er selbst von der Altonaer Schwurgerichtsverhandlung eine gründ liche Verbesserung und Umgestaltung seiner Lage erhoffte: er glaubte, eure Wiederaufnahme des ersten Prozesses er reichen zu können, und mag erwartet haben, daß andere Geschworene zu anderen Ergebnissen gelangen würden. Der Verteidiger, den er sich für Altona gewählt hatte, der Berliner Rechtsanwalt Dr. Puppe, scheint gleicher Mei nung gewesen zu sein und will, wie es heißt, auch jetzt nach dem Tode Grupens noch alles mögliche tun, um Licht in die immerhin nicht restlos aufgeklärt Kleppelsdorfer Tragödie zu bringem Daß zu diesem Behuf aber auch der Spiritismus herangezogen werden soll, könnte mehr sen- saüon- ass erfolgverheißend erscheinen. Neueste Meldungen. Ausnahmetarif für Kartoffeln. Berlin. Der Reichsrat stimmte einer Entschließung zu, wo- nach die Regierung mit Rücksicht auf die hohen Kattoffelpreise ersucht werden soll, einen wesentlich ermäßigten Ausnahmetarif für die Kartosfeltransvorte bis zum 30. September einzu- mbren. " Die Landungsbrücke in Bad Niendorf eingestürzt. Lübeck. In der Lübecker Bucht ist die große Dampferan- legebrncke in Niendorf eingestürzt, über 120 Meter sind vom Treibeis mit allen Stützbalken eingeriffen worden. Der Scha den ist sehr hoch. Es ist kaum damit zu rechnen, daß die Brücke in diesem Sommer wiederhergestellt sein wird Jugendliche Räuberbande. Oldenburg. Hier wurde in diesen Tagen eine Einbrecher- und Diebesbande von 23 Köpfen verhaftet. Die meist aus jugendlichen Personen bestehende Gesellschaft hatte seit Wochen Oldenburg unsicher gemacht. Unter anderem hatte sic im Elek trizitätswerk für 40 000 Mark Kupfer gestohlen, auf dem Bahn- dw hatte sie für 2S000 Mark Sachen geraubt und auch viele Konfektions- und sonstige Geschäfte erlitten fchweren Schaden. Russische Wiederaufbaupläne. Baris. In dem französischen Ausschuß zur Ausarbeitung der Pläne für die Konferenz von Genua sind Vorschläge finan zieller Art gemacht worden, die darauf zielen, die finanzielle Lage in Polen und Rumänien zu verbessern. Ganz besonders scheint der Vlen einer Wicderflottmachnna Rußlands im Vor dergrund zu fieyen. Diese Arbeit könne, wie vertäutet, zuerst im Gebiete von Archangelsk und von Petersburg unternom men werden, wo bereits die Bildung einer französisch-englisch- deutschrn Transportgesellschaft zur Ausbeutung der Waldreich tümer im Gange sei. Poincarös römischer Besuch. Paris. Aus Parlamentskreisen wird berichtet, Poincarö habe bei seiner Besprechung mit dem neuen italienischen Außen minister Schanzer diesem mitgeteilt, daß er anläßlich seines Be- suckes in Rom auch dem Papst Pius Xl. einen Besuch abstatte« wolle. Ministerpräsident de Facta über sein Programm. Fiailand. Der neue Ministerpräsident de Facta erklärte gegenüber Pressevertretern, daß es sein Bestreben sei, endlich drei Jahre nach Beendigung des Krieges eine normale Arbeit des italienischen Parlaments herzustellen. Als eine seiner Auf gaben betrachte er es ferner, für die ordentliche Wiederher stellung der Finanzen und den sofortigen Wiederaufbau der Jndustrietättgkeit zu sorgen. Die politischen Budgets müssen rasch verhandelt werden. Letzte Drahtberichte des „Wilsdruffer Tageblattes". 4V0V Arbeiter entlasse«. Rüsselsheim, 4. März (tu.) Die Firma Oppel hat eine Erklärung erlassen, in »erste mitteilt, »atz die streiken den Metallarbeiter der Firma Oppel, etwa 4000 Mann, sich als entlassen betrachten und ihre Papiere in Empfang nehmen könnten. Französische Verluste in Marokko. Pari», 4. März (tn.) Der Exchange Telegraph meldet aus Tanger, daß 3 sranzöfische Offiziere, die sich mit einem Kavallerie-Detachement von Eingeborenen aus Patrouille befanden, in einen Hinterhalt gerieten und getötetwurden. BelttchlWS sör 3iMM. Matth- 4, 10. Du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen. Das Evangelium von der Versuchung steht am Anfang der Passionszeit. Jesus schlägt die letzte und gefährlichste Versuchung, nämlich daß er ohne Leiden zum Herrn der Welt weiden könne, zurück mit diesem Hinweis auf seine unbedingte Gebundenheit an Gott. Außer Gottes Willen gibt cs für ihn keinen, auch nicht den eignen. Und deshalb muß der Satan weichen. Welch einfaches und sicheres Mittel, fertig zu werden mit allem, was uns aus der Bahn des Rechtes, der Frömmigkeit, der Reinheit und der Bruderliebe treiben will: Du sollst Gott allein dienen! Und wenn jetzt die ganze Welt versinkt in Anbetung des eigenen Ich, in Anbetung des sinnlichen Fleisches, in Anbetung des Geldes und alles dessen, was man sich dafür an Genüssen leisten kann, dann steht der Christ freudig vor dem gestrengen Wort: Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten, und weiter nichts und niemanden. An der Stellung zu diesem einfachen, unzweideutigen Wort, das Jesus aus dem Schatz der heiligen Schrift zu seiner Ver teidigung gegen die ihn bedrängenden Mächte aus dem Reich der Finsternis hervorholt, scheiden sich die Menschen: An unserer Stellung zu diesem Wort, das weiter nichts ist als das erste Gebot in anderer Form, entscheidet es sich, ob wir mit Jesus in der Ewigkeit leben oder ob wir mit all dem Millionen Fleischcs- menschen zum Reich des Todes wandern wollen. Die Passions zeit. die uns das erschütternde Bild des Gekreuzigten jedes Jahr wieder mit neuer Wucht ins Gewissen werfen will, damit es darin haften bleibe in allen Stunden unseres Lebens, will uns auch dieses Jahr wieder Gelegenheit geben, uns von neuem zu entscheiden für den unbedingten Willen des Heiligen Gottes. Jesu Bild zeigt uns, daß dieser Weg für den einzelnen durch Nacht und Grauen hindurchführen kann, wenns Gott so für die Erreichung seiner Ziele braucht. Es zeigt uns aber anch, daß Gott niemanden im Elend sitzen läßt, der glaubcnsvoll im Vertrauen auf Gott den Weg beschritten hat, auf den dieser ihn rief. Es gehört viel Glaube dazu, solchen Weg, wie Jesus ihn ging, unbeirrt zu gehen- Unsere Zeit geht ja ihren Passionsweg bewußt ohne diesen Glauben. Sie hat einen anderen Glauben, nämlich den, daß der Mensch aus sich heraus Heil finden und gewinnen könne. Dieser Gla«be ver langt ja viel größere Zuversicht als der Glaube an Gott, Denn der Glaube an Gott hat tausend Beispiele, daß er nicht trügr, daß vielmehr Gott sich in jedem Falle treu erweist und seine Zu sage hält. Aber der Glaube an das Vermögen der menschlichen Natur, Gutes aus sich deraus zu schaffen, hat kein einziges Bei spiel. Dogegcn hat er Millionen Beispiele, daß alle solche Ver suche, ohne Gott der Menschheit den Heilsweg zu erstreiten, immer wieder an der Untauglichkeit der Mittel gescheitert sind. Und auch unsere Zeit ist ja ein lebendiges Beispiel dafür, wohin die Menschen geraten, wenn sie die Bestimmung ihres Schicksals in die eigene Ihr Vater hatte das Päckchen im Unterfutter' seines Rockes verborgen, scheint also Gewicht darauf gelegt zu haben, daß niemand den Inhalt findet!" Noch ein paar Worte hin und her, dann war Hilda wieder allein. Sie wandte sich zurück in das schon vom fahlen Dämmerlicht des Regentages erfüllte Zimmer und nahm das Paket in die Hand. Es schien, als enthielte es etwas Steifes, vielleicht Photographien. Sie riß rasch die Umhüllung herunter. Mehrere große, sehr gut ausgeführte Bilder fielen ihr entgegen. Ein schönes Frauengeficht, dunkle, leidenschaftliche Augen, ein jeingeschnittener Mund, um den ein herber Zug wie fest- gebannt war. — Und hier wieder—derselbe Kopf— etwas gealtert — Hilda sah verständnislos herab auf die Bilder. Um Himmels willen — das war ja Lucie von Freydeck, ihre — Mutter! Hilda setzte sich nieder; ihre Füße zitterten plötzlich sehr. Ein Schwindel faßte sie. Aber gewaltsam nahm sie sich zusammen. Sie wandte die Bilder und fand noch eins, das sie bisher übersehen hatte. Da war wieder jene Frau, und neben ihr stand ein reizendes junges Mädchen, welches im Arme eine Geige hielt. Und darunter standen von ihres Vaters Hand un sicher und zitternd niedergeschrieben die Worte: „Lucie und ihre Tochter Angela Varnini." Und darunter eine Jahreszahl; das Bild war kaum drei Monate alt. Hilda Wentheim stieß einen Laut aus, der seltsam in dem Halbleeren, einsamen Zimmer widerhallte. Es war kein Schrei und kein Aufweinen; es war der Ausdruck ungeheuerster Ueberraschung und eines Glücks gefühles, weiches sie plötzlich so jäh überkam, daß sie sich kaum zu fassen vermochte. Und dann fiel sie auf einmal nieder vor dem Tisch, auf dem die Bilder lagen, und legte ihren Kopf darauf und weinte wie als Kind in längst vergangener Zeit. — „Mutter! Mutter! Du lebst!" Kein anderer Gedanke war mehr in ihr, kein Wunsch, als diejenige zu finden, nach der sie sich so unendlich gesehnt hatte all die endlosen Jahre daher. Sie sprang auf und lief nach ihren Kleidern. Mit fliegenden Händen warf sie das schwarze Trauerkleid über und setzte das Hütchen mit dem dichten, schwarzen Schleier auf ihr schimmerndes Haar. Aber jählings hielt sie inne. Sie mußte ja eigentlich nichts, gar nichts. Es fiel wie Meltau auf die erste jubelnde Freude des jungen Mädchens. Langsam streifte sie wieder die Handschuhe herab. Sie mußte doch erst nachdenken, über- lcacn! Vielleickt war da auck iraend eine Adresse! Nein. Die Bilder gaben keinen weiterem Aufschluß. Aber sie waren alle in einem kleinen Orte nicht sehr weit von Neuyork angefertigt. Hilda mar einmal durchgefahren, sie erinnerte sich. Es war ein Villenort; dort wohnten nur sehr reiche Leute in ihren eigenen Häusern, Leute, welche die Ruhe wünschen oder nicht belästigt sein wollen. Sollte sie dort suchen? Die Nacht verging ihr in einer qualvollen Unruhe. Aber am Morgen hatte sie wenigstens einen festen Ent schluß gefaßt. Sie wollte Klarheit um jeden Preis. Und so fuhr sie denn am frühen Vormittag gegen Neuyork und dann noch eine Strecke weiter. Der Regen schlug an die Fenster, ein warmer, wohl tuender Sommerregen; er sang ein eintöniges Lied, welches sich sonderbar vermischte mit den unruhigen Träumen und Hoffnungen, Wünschen und Befürchtungen des einsamen jungen Geschöpfes, das still am Coupsfenster lehnte und nichts sah von der Gegend, weiche im Fluge vorüberzog. Als sie ankam, brach schon der Abend herein. Auf dem kleinen Bahnhof war es so dunkel und un freundlich. Es regnete noch immer; dazu hatte sich ein heftiger Wind erhoben, der die Bäume rauschend zur Seite bog. Es war trostlos öde überall. Hilda Weutheim stand eine ganze Weile unschlüssig inmitten der Halle. Sollte sie nun direkt auf das Etadt- bureau gehen, sich erkundigen, ob hier jemand wohne, der Varnini hieß? Oder sollte sie lieber gleich auf den nächsten Zug warten, um zurückzufahren? Sie war plötz lich so todmüde und so mutlos. Ein Bahnbedienfteter trat auf sie zu und fragte sie nach ihren Wünschen. Stockend brachte sie die Frage rwr: „Varnini?" Der Mann nickte lebhaft. „O, gewiß! Die Familie hat hier ein altes Stammhaus; sehr reiche Leute, Miß! Und die Tochter ist eine große Künstlerin l Hat eben eine Tournee hinter sich durch Südamerika; sie ist ja eine berühmte Geigerin. Wollen Sie zu ihr?" Der Beamte sah interessiert in das liebliche junge Ge sichtchen, das so tiefblaß aus dem Trauerschleier heraussah. „Ist — ist da auch eine ältere Dame im Hause?" stieß Hilda fast atemlos hervor. Der Mann nickte wieder. „Gewiß, die zweite Frau Mister Darninis — Mistreß Lucie Varnini. Wollen Sie zu der Dame?" „Ja l" Hilda Wentheim konnte kaum mehr sprechen, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. " Aottsetzung folgt.)
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