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Wilsdruffer Tageblatt : 17.02.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-02-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192202174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220217
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220217
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-02
- Tag 1922-02-17
-
Monat
1922-02
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 17.02.1922
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Opposition gegangen — selbstverständlich mit dem Hinter gedanken, von hier ans durch Anwendung der parlameng --irischen Mittel, über die jede Opposition unter den heu igen Verhältnissen verfügt, unmittelbar zur Macht zu> gelangen. Daß sie dabei auf die — negative — Mitwirkung der äußersten Linken angewiesen ist, ist der schwächste Punkt in ihrer Kalkulation. Die Kommunisten kom men in der parlamentarischen Krisis dieser Tage nur sehr nebenher in Betracht; warum sie gegen Wirth und seine Anhänger zu Felde ziehen, kann man sich ohnedies denken, und daß sie, wie auch immer die Dinge liegen mögen, gegen jede Regierung stimmen werden, der sie selbst nicht angehören, weiß man nicht erst seit heute und gestern. Schwieriger schon ist es, hinter die wahren Meinungen und Wünsche der Unabhängigen zu kommen. Sie dürfen sich nicht den Anschein geben, einer „arbeiterfeind lichen" Regierung gegenüber Milde walten zu lassen, sie fühlen sich aber doch nicht so frei von jeder Verant wortlichkeit für den Gang der Ereignisse, wie ihre Brüder zur Linken. Dieses Gefühl der Verantwortlichkeit wird ihnen auch von rechts her, von der Mehrheitssozi- aldemok^atie, dringend nahegelegt, und die Vor stellung, daß, wenn auch noch nicht heute, so doch vielleicht in absehbarer Zeit eine rein sozialistische Regierung auch im Reiche einmal zu haben sein werde, ist ihnen Grund genug, eine Opposition um jeden Preis doch bedenklich zu finden. Das wissen die Regierungsparteien, und darin ist für sie die Möglichkeit gegeben, beim Versagen der Deutschen Volkspartei sich einer Erweiterung der Regie rungsbasis nach links hin zuzuwenden. Wozu man sich aber doch nur im alleräußersten Falle entschließen möchte, denn gegen ein intimeres Verhältnis mit den Unabbänai- gen haben die beiden bürgerlichen Parteien die schwersten Bedenken. Einmal auf dem Gebiete der Wirtschaktsvolitik, die Heuzutage doch wirklich nicht ernst genug genommen werden kann, dann aber auch, gewitzigt durch die Streik erfahrungen der letzten Zeit, auf vem Gebiete der Be amtendisziplin rmd der Staatsautorität, wo man leicht ins Uferlose fällt, wenn nicht rechtzeitig halt gemacht wird. So erklärt sich der noch in zwölfter Stunde erneut unternommene Versuch der Demokraten, der viel be redeten großen Koalition die Wege zu ebnen — man graut sich vor einem Pakt mit den Unabhängigen, der vom Standpunkt der beiden bürgerlichen Regierungsparteien ungleich gefahrvoller ist als ein Zusammengehen mit der Deutschen Äolkspartei. Da aber die Mehrheitssozialdemo kraten hier nein und abermals nein gesagt haben, bleibt nur noch die eine Entschließung zwischen rechts und links übrig. So weit mußte es schließlich, allen Kompromiß naturen zum T,rotz, einmal kommen. Druck von innen und Druck von außen, das ist und bleibt das Kennzeichen unserer politischen Lage. Die einen wollen sich fügen, um dem Volke noch Schlimmeres zu ersparen, die andern wollen aufbegehren, um nicht immer noch tiefer in Elend und Willenlosigkeit zu versinken. Man sollte diesen wie jenen Motiven menschliches Verständnis nicht versagen — und das Urteil darüber, wo hier Recht, wo hier Unrecht zu finden ist, Ler Geschichte überlassen. Oie entscheidende Reichstagsfihung. (V»n unserm parlamentarischen Mitarbeiter). vl. Berlin, 15. Februar. Nachdem die heutige Sitzung unter ziemlicher Inte resselosigkeit und vor schwach besuchtem Hause begonnen hatte, füllten sich, als die Stunde der Abstimmung für oder gegen den Reichskanzler herannaht«, Saal und Tribünen mehr und mehr. Einig« Tribünen konnten kaum die Menge der erschienenen Besucher fassen. Endlich erklärt« Präsident Loeb«, daß die Beratung über daS Reichs- mietengesetz abgebrochen und man zu dem nächsten Punkte übergehen werde. Vorher aber trete eine Pause von zehn Minuten ein. Diese Pause wurde von mehreren Fraktio nen benutzt, um nochmals Besprechungen abzuhalten. Ms Vie Sitzung wieder eröffnet'wurde, war jeder Platz im Saal wie auf den Tribünen besetzt. Die Minister erschienen, an ihrer Spitze der Reichskanzler, nur der Minister des Auswärtigen Dr. Rathenau sehlte. Der deutschnationale Abgeordnete Hergt richtete die Frage an den Reichskanzler, ob das von den Mehrheitsparteien ein gebrachte Vertrauensvotum „der Reichstag billigt die Er klärungen der Reichsregierung" dem entspreche, was der Reichskanzler fordere. Der Reichskanzler antwortete kurz, eine Reihe von Erklärungen schloß sich an, * Sitzungsbericht. (170. Sitzung.) ' eL. Berlin, 15. Februar. Der Anfang der heutigen Verhandlungen verlief retn ge schäftlich. Die demokratische Interpellation über den Verkehr von Waren aus dem besetzten ins unbesetzte Gebiet, die an der Spitze der Tagesordnung stand, soll, wie ein Rcgierungsver- treter mitteilte, in der geschästsordnungsmäßigen Zeit beant wortet werden. Alsdann wurde die zweite Lesung des Reichsmietengesetzes fortgesetzt. Abg. Bahr (Dem.) erklärte, die Verschlechterung der Va luta trägt zur Verschlimmerung des Wohnungselends erheb lich bei. Es wird in Deutschland erst besser werden, wenn man zur Einsicht kommt, daß wir nicht mehr verbrauchen dür fen, als wir selbst erzeugen. In etwa zehn Jahren wird viel leicht ein Gleichgewicht zwischen Wohnungsbedarf und Woh nungsbestand erzielt sein. Früher wird keinesfalls eine Besse rung eintreten. Abg. Jaud (Bayer. Volksp.) bemerkte, das vorliegende Ge setz ist außerordentlich bureaukrattsch. Es ist undurchführbar. Alle Gesetze, die aus dem Reichsarbeitsministerium heraus kommen, gehen darauf aus, eine Unmenge von Beamten hier und da unterzubringen. Wenn diese Gesctzmacherei so weiter geht, so haben wir bald keine Arbeitslosen mehr in Deutsch- Nach Abbruchder Besprechungen über daS Neichsmteten- gesetz sollten die Abstimmungen für ot^er gegen de« Kanzler beginnen. Der Kanzler Dr. Wirth war mittlerweile am Ne gierungstisch erschienen, mit ihm das gesamte Kabinett, außer Dr. Rathenau. Abg. Hergt (Deutschs richtete an den Reichskanzler die Frage, ob das von den Mehrheitsparteien eingebrachte Ver trauensvotum: „Der Reichstag billigt die Erklärungen der Reichsregicrung" dem positiven Vertrauensvotum entspreche, das er, der Reichskanzler, verlangt habe, ob diese Erklärung „Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung" die jenige Klarheit schaffe, auf die der Reichskanzler gedrungen habe. Abg. Crispien (U.-Soz.) führte in längerer Rede aus, daß die Erklärung der Reichsregierung sich auf die Streitfrage bezogen hätte und daß es sich bei diesen Streikfragen nm eine Bedrohung der Grundrechte der Arbeiter und Beamten gehan delt habe. Weiler ging der Redner auf die Maßreglungen ein, die gegen die Arbeiter, Angestellten und Beamten der Eisen bahn vorgenommen oder eingeleftet worden sind. Er verlangte eine Nachprüfung der Maßreglungen, eine Aufhebung der Kündigungen und verschiedenes andere. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß wir für die Erklärung der Mehrheits- Parteien, die sich auf die Behandlung des Streiks beziehen, nicht stimmen können. Reichskanzler Dr. Wirth nahm nun das Wort und beschränkte sich auf eine kurze Er klärung. Er betonte, daß das Vertrauensvotum der Mehr- hettsparteien „Der Reichstag billigt di« Erklärung der Reichs- regierung" sich auf alle Erklärungen der Regierungen beziehe, und daß bei diesen Erklärungen besondere Rücksicht auf die auswärtige Politik genommen werden müsse, die gegenwärtig di« Hauptrolle spiele. Reichsverkehrsminister Groener wurde von der äußersten Linken mit Zurufen „Hundsfott" empfangen. Der Rufer war der Abg. Hoffmann (Komm.). Er erhielt dafür einen Ord nungsruf. Der Minister beschränkte sich auf eine kurze Er klärung über die Absicht seiner Maßnahmen gegen die Strei kenden. Nichtführende im Streik würden in ihre bisherigen Rechte eingesetzt. Mitläufer würden nicht bestraft. Abg. Dr. Petersen (Dem.) gab eine Erklärung ab, wonach die Demokratische Volkspartei es ablehne, ihre Stellung durch haltlose Kombinationen beeinflussen zu lassen. Sie hält es für Pflicht der Partei, sich an die Erklärung der Regierungs vertreter im Varlament tu kalten. der gen nes politische Rundschau Deutsches Reich. Avg. Koenen (Komm.) begründete die ablehnende Haltung äußersten Linken. " ?^-«D'ttm°nn (U.-Soz ) wandte sich gegen die Erklärun. des Reichsverkehrsmimsters. Abg. Leicht (Bayer. Volksp.) betonte, d^. seins Partei kei- der vorliegenden Voten billigen könne, ms, daß sie daber der Stimme enthalten werde. " sich Abg. Marx (Zentr.) betonte, daß seine Partei Ver trauensvotum der Mehrheitsparteien zustimme, uny wie» die ungemeine Bedeutung der bevorstehenden Abstimmung namentlich in außenpolitischer Hinsicht hin. Damit war die Auseinandersetzung beendet und es begann die Abstimmung, Sie ergab die Annahme der Vertrauensvotums, für den Kanz^ ler. Die deutschen Zahlungen für 1922. Aus Paris wird gemeldet, es sei eine Entscheidung in der Reparationsfrage getroffen worden. Die Repara tionskommission solle, wie Frankreich es verlangt habe, damit beauftragt werden, den Be^ag der deutschen Zah lungen für das Jahr 1922 sestzusetzen. Alsdann würden die alliierten Finanzminister gemäß einem britischen Vor schlag in London zusammenkommen, um sich über die Ver teilung der deutschen Zahlungen zu einigen. Die deutsch-polnischen Verhandlungen in Gens. Unter dem Vorsitz des Präsidenten Calonder haben die Arbeiten der Konferenz begonnen. In dem Ausschuß für Minderheitsschutz überreicht« die deutsche Abordnung dem Vertreter des Präsidenten, Herrn Colban vom Völ- kerbundssekretariat, einen ausführlichen Entwurf, in dem das Minderheitenproblem im Hinblick auf Sprach«, Schule und Kirche in seinen Einzelheiten behandelt wird. Reform des Ehe- und Strafrechts. Im Hauptausschuß des Reichstages machte Reichs justizminister Dr. Radbruch Angaben über die Bestrebun gen zur Reform des geltenden Rechts. Die große Reform des Strafrechts und Strafprozesses werde auf das mög lichste beschleunigt, die Aufstellung des neuen Strafgesetz buches, die der einer neuen Strafprozeßordnung und des Strafvollzugsgesetzes vorangehen soll, werde im Justiz ministerium voraussichtlich im Sommer dieses Jahres be endet sein. Das Recht der außerehelichen Kinder unter liege einer Neuregelung; auch die Frage der Änderung des Ehescheidungsrechts werde geprüft. Schließlich fei die Reform der juristischen Vorbildung in Angriff genommen. Auf der Suche nach Erzbergers Mördern. Wie aus Budapest gemeldet wird, hat die Budapester Oberstadthauplmannschaft auf Ersuchen des Offenburger Landgerichts einen Steckbrief gegen die der Ermordung Erzbergers. Beschuldigten, des Münchener Kaufmanns Heinrich Schulz und des ehemaligen Oberleutnants Hein rich Tillessen, die sich in Ungarn aufhalten sollen, erlassen. Auf die Ergreifung ist eine Belohnung von 2000 Mark ausgesetzt. Für die Auffindung der Genannten sind auch deutsche Geheimpolizisten nach Budapest gekommen, die vor drei Tagen ihre Nachforschungen abgeschlossen haben und wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Die Stärke der englischen Truppen in Deutschland. Im Unterhaus hat der englische Kriegsminister auf ein« Anfrage erklärt, daß die englischen Truppen am Rhein gegenwärtig sich auf 4700 Mann und in Schlesien auf 4800 Mann belaufen. Die Engländer in Schlesien find aus den Garnisonen im Rheinland entnommen worden. Sobald die Aufgabe der schlesischen Garnisonen erfüllt ist, werden die englischen BataNoue aus Schlesien zurückge zogen werden. Aus Zn« und Ausland. Paris. Nach einer Meldung aus Mexiko ist General Antonio Prudena, der wegen Rebellion vom Kriegsgericht zum LodOerurteilt worden war, erschossen worden. Die Grafen von Freydeck 70) Roman von A. Ostland. Mit einer seltsamen Empfindung dachte Freiherr von Ullmingen daran, wie kühl er vor kurzen Stunden selbst Georg Günther und seinem Leid gegenübergestanden. » Nun rächte sich das Schicksal und nahm ihm mit grau samer Hand den letzten goldenen Traum seines Lebens herbster, so wie er dem Jungen, Unerfahrenen gelassen den Traum seiner Jugend raubte. , Diese Stunden hatten ihm das letzte, karge Nestchen Lonne gestohlen, da« noch am Abendhimmel seines Lebens geglüht, und vor ihm lag nun nur noch die lange, dunkle Nacht, eine Nacht, auf die kein Morgen folgt. 16. Kapitel. -a«G Lufenbach» Erlebnis. Käthe Gerlach saß an dem breiten Schreibtisch in ihrem bebaalickem Mädchenzimmer. ... Sie hielt tue Feoer in üer Hand, aber ste schrieb nicht, sondern sah starr auf eins der schönen Bilder, welche di» Wand gegenüber schmückten. Aber ihre Gedanken waren nicht bei dem, was ihre Augen sahen, das merkte man an dem gespannten, wech selnden Ausdruck ihrer beweglichen Züge. Dann und wann hob sie wie lauschend den Kopf, und jedesmal flog ihr Auge eine Sekunde lang durch das angrenzend» Speisezimmer, zu dem die Türen offen standen. Dort war ein hübsch gedeckter Tisch sichtbar, über dem eine schon entzündete Hängelampe schwebte. Die Licht strahlen spiegelten sich in den blanken Tellern, den fein- geschliffenen Gläsern, den geputzten Bestecken. Alles atmet» Frieden, Ruhe und Behagen. Das Gesicht des jungen Mädchens paßte allerdings nicht in diesen Rahmen. Käthe Gerlach war in diesen letzten Wochen noch blasser und durchsichtiger geworden. An ihren Schläfen schimmerten die blauen Aederchen deutlich durch die Haut. Um die schönen Augen lag ein müder Zug, und um den Mund hatte sich eine scharfe Linie festgesetzt, welche von stillgetragenem Leid, von Sorge und Kummer deutlich sprach. Als jetzt die elektrische Klingel im Vorzimmer laut ertönte, schrak Käthe zusammen. Lin Zittern flog durch ihren Körper, al» sie sich erhob. Und doch hatte sie seit zwei endlos scheinenden Stunden auf diesen Ton gewartet. . Erich? Sie hatte die Tür nach dem Vorraum geöffnet, aber enttäuscht wich sie zurück. Nicht Erich Günthers schlanke, jugendliche Gestalt trat ihr entgegen, sondern aus dem Halbdunkel, das hier noch herrschte, tauchte die Fiaur der Baronin von Berghaus auf neben der hageren Ge stalt des Freiherrn von Ullmingen. Den letzteren hätte Käthe kaum erkannt, so alt war er in den wenigen Tagen geworden. Als sie die Tür öffnete, kam er ihr schon entgegen: „Liebes Fräulein, Sie entschuldigen unseren Ueber- fall. Auch die Daronin — hm — sie ist erst seit wenigen Stunden in Wien — ja —" er räusperte sich verlegen. „Ich habe natürlich telegraphiert — da kam die Baronin lieber selbst. Und — sie hat uns einige Mitteilungen zu machen — sehr merkwürdige Mitteilungen —" Der alte Herr verlor den Faden seiner Rede. Und die Frau neben ihm, deren starres Antlitz so blaß zwischen den Falten des Trauerschleiers' hervorleuchtete, diefe weltgewandte, selbstsüchtige Frau, fand so schwer eine Anknüpfung diesem Mädchen gegenüber, das sie vor nicht allzu langer Zeit schroff aus dem Hause gewiesen. Käthe Gerlach dachte im gleichen Augenblick an das selbe. Aber sie begriff, daß die Baronin einen gewichtigen Grund haben mußte, wenn sie ihren Stolz so weit über wand, zu ihr zu kommen. „Veireffen diese Mitteilungen Hilda Wentheim ?" fragte Käthe, indem sie die Baronin vorantreten ließ in ihr Zim mer. „Hat man eine Spur von ihr gefunden?" Die alte Frau ließ sich schwerfällig in einen Sessel nieder. Sie schüttelte den Kopf. „Nichts." Das eine Wort kam rauh von ihren Lippen; es klang fast so, als sei ihre Selbstbeherrschung vollkommen zu Ende. Käthe fühlte etwas wie Mitleid. „Vater hatte bis Mittag auch keinerlei Nachrichten," jagte sie stockend, „obgleich er überall nachforschen ließ. Auch von dem Fremden fehlt jede Spur. Eine Haus durchsuchung hat gar kein Resultat ergeben. Seine Papiere scheinen bei der polizeilichen Meldung vollkommen in Ordnung gewesen zu sein. Uebrigens sagt der Portier des Hauses aus, daß der Herr häufig verreise, ohne irgendeine Adresse anzugeben. Der Mann nimmt an, dies sei auch diesmal der Fall. Er hat niemand aus- und eingehen sehen. Nirgends ist eine Spur, welche darauf hinweist, ob das Verschwinden Hildas mit der Abwesenheit jenes Herrn wirklich in Zu sammenhang steht." Freiherr von Ullmingen ging mit unruhigen Schritten im Zimmer auf und ab. „Und sonst —fönst brachte Ihr Vater keine Nachricht?" „Keine!" „Aber ich," unterbrach die Baronin die Stille, welche sekundenlang geherrscht hatte, „ich muß Ihrem Vater — auch Ihnen — Fräulein Gerlach, etwas gestehen. Des halb bin ich hier. Ich — ich muß Ihnen sagen, daß — daß Hildas Eltern nicht — nickt tot sind!" „Hildas Eltern?" Das junge Mädcken hatte die Worte jäh hervorge- stoßen. Und noch zwei Stimmen sprachen sie nach. Im Rahmen der schweren Portiere standen Doktor Gerlach und Erich Günther. Man hatte ihr Klingeln überhört. „Was wollen Sie damit sagen, Mau Baronin?" fuhr Gerlach rasch fort, seinen Hut ohne alle weitere Zeremonie auf den Tisch werfend, während Erick wie zu Tode ermüdet sich niederlieh. „Ich nehme natürlich an, daß nur triftige Gründe Lie zu uns führen. In allen den seltsamen Phasen dieses anzen Prozesses und seiner Folgen war ja Rat Stegmann Ihr treuer Berater. Es sollte mich wundern, we m Sie, Frau Baronin, nun hierher kämen, ohne daß ein zwingender Grund vorliegt." Die alte Mau war zusammengezuckt bei dem kalten Ton, in dem G^rloch diese Worte sprach. Aber ihr Stolz ließ sie diesmal vollkommen im Stiche. Sie fühlte es, er hatte ein Recht, so zu sprechen. „Die Eltern Hilda Wentheims sind, soviel ich weiß, nicht tot", wiederholte die Baronin. „Sie haben nur die Gelegenheit jenes Sckiffbruches benutzt, um zu verschwin den und — für idre einstigen Kreise — nicht mehr auf- zutauchen. Sie hatten ja wohl auch ihre triftigen Gründe hierzu. Mein Neffe Hugo hat vor Jahren auf Umwegen da von erfahren, daß Wentheim in Amerika lebt. Er ver schwieg dies seinem Vater, um den alten Herrn nicht noch einmal allen möglichen Aufregungen auszusetzen. Lucie soll sich von ihrem Mann getrennt und eine neue Ehe ge schloffen haben." EAck> -Lünther war aufgesprungen. „Und alles dies sagen Sie erst heule, Frau Baronin? Und Hilda? Hatte sie eine Ahnung von alledem?" Die alte Frau atmete schwer. „Nein; Hilda glaubte, sie sei eine Waise. Und ich sell st — ich hatte nie mehr an jene Mitteilung gedacht welche uns von einem Freunde Hugos, der n Amerika leiste, zuging. Mochten Wentheim und Lucie leben — mochten sie gestorben sein — für uns, für die Familie der Freydecks, waren sie sowieso längst tot!" Das war wieder der alte, unsäglich kalte, hochmütig« Ton, den Käthe so genau kannte. Und die Züge, in denen erst ein Schiminer von Weichheit aufgeblitzt war, wurden wieder hart und undurchdringlich. Doktor Gerlach schritt aufgeregt hin und her. „Erich," sagte er dann schwer atmend, „denkst du noch an das Abenteuer, welches ich dir erzählte, als ich nach Heidenheim kam? Erinnerst du dich noch jenes Mannes, der sich von dir die Hand verbinden ließ? Ich habe dir die Szene im Eisenbahn-Coupä genau ge schildert. Wie hieß doch das junge Mädchen —jene kleine Geigerin?" „Angela Varninil"
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