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Wilsdruffer Tageblatt : 01.02.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-02-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192202010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220201
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-02
- Tag 1922-02-01
-
Monat
1922-02
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 01.02.1922
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buyren yrmer der Geldentwertung. Der Person al be stand ist von 266 400 auf 426 100, also um 159700 Köpfe gestiegen. Die Zunahme hat schon im Kriege begonnen. Ferner machte der Minister verantwortlich für die „Aufblähung des Personalbestandes" die Ausdeh-. nung des Urlaubs, die Zunahme der durchschnittlichen Krankheitsdauer, vor allem aber die „schematische Durch führung des Achtstundentages". Die Verwaltung habe schon umfangreiche Entlassungen vorgenommen. Der Ar beitswille des Personals habe sich gehoben, aber den alten Stand noch nicht wieder erreicht. über die Wirkungen der neuen Gebührenord nung teilte der Minister mit, daß in einzelnen Verkehrs zweigen ein Rückgang eingetreten sei, der sich aber nicht -gleichmäßig äußere. Im Fernsprechverkehr ist eine Ent lastung der stark belasteten Fernlinien bis jetzt nicht einge treten, die Abnahme im Orts- und Nahverkehr entspricht Ken Erwartungen. Die Zahl der Kündigung von An schlüssen ist sehr gering. Der Minister verbreitete sich dann über die getroffenen Maßnahmen zur Vereinfachung und Verbilligung der Ver waltung. Auf dem Gebiet des Personalwesens sei das Ziel die volle Inanspruchnahme der Arbeitskräfte. Seit September 1921 wird die Dienstbereitschaft nur zur Hälfte auf die Arbeitszeit angerechnet. Höher bezahlte Kräfte werden fortgesetzt durch Beamte mit einfacherer Vorbil dung und geringerer Bezahlung ersetzt. Bei dem ganzen Werke der Vereinfachung und Verbilligung soll der kauft männische Geist voll zur Geltung kommen.- PEische Rundschau. Deutsches Reich. Kundgebung der Rhein- und Saarländer in Berlin. Am Sonntag hatten die Berliner Verbände der Rhcm- und Saarländer ihre Mitglieder und Landsleute in den Rheingoldsälen zusammenberufen, wo sie eine machtvolle Demonstration gegen die Drangsale ihrer besetzten Heimat veranstalteten. Abgeordnete aller Parteien traten als Red ner auf und bekannten einmütig die Treue ihrer Stammes- genossen zum deutschen Vaterlande. Den Vorsitz der Ver sammlung hatte Neichstagspräsident Loebe übernommen. Großbritannien. X Ägypten unabhängig? Das Auswärtige Ministerium veröffentlicht eine Erklärung, in der es heißt, die britische Regierung habe sich bereit erklärt, das Parlament aufzu- sordern, das Protektorat über Ägypten zu beenden, Ägypten als souveränen Staat anzuerkennen und der Bil dung eines ägyptischen Ministeriums für auswärtige An gelegenheiten zuzustimmen, wenn Ägypten folgende Bedin gungen gewährleistet: Die britische Regierung muß volle und wirksame Garantien haben, erstens, daß die Reichsver bindungswege gesichert sind, zweitens, daß Großbritannien das Recht und die Macht zum Schutz der ausländischen Ge meinschaften in Ägypten behält, und drittens, daß Ägypten gegen jede unbeteiligte oder unmittelbare Einmischung oder gegen einen Angriff von außerhalb geschützt wird. X Asquith für allgemeine Schuldenherabsetzung. Asquith erklärte in einer Rede, seiner Ansicht nach müsse im gemein samen Interesse der voneinander abhängigen Nationen der Welt einesehrgroßeHerabsetzung des Betrages der Forderungen erfolgen, die an die früheren Feinde ge stellt werden. Desgleichen sei eine völlige Strei chung der Schulden zwischen den europäischen Alliierten und Wiederherstellung der offenen Märkte und freien Beziehungen zwischen allen Ländern der Welt not wendig. Rußland. X Eine kaukasische Union. Von den Vertretern der kau kasischen Republiken (Georgien, Armenien, Abserbeidschan, Nordkaukasus) ist den Regierungen der Entente mitgeteilt Die Grafen von Freydeck. 55f Roman von A. Ostiand. uueruver zwischen zwei Fenstern stand ein altes, kleines Sofa, doch waren so viele der einfachen, hübschen Leinenpolsterchen, die man derzeit um billiges Geld erhielt, darauf verteilt, daß es für zwei Personen einen höchst be haglichen Ausruheplatz bot. Daneben stand ein Tischchen, bedeckt von einer bunten Decke, der große, kupferne Samowar stammte bestimmt aus dem Hausrat der Urgroßmutter der Försterin, so altertümlich war seine Form. Aber er war blitzblank geputzt, und das Licht der einfachen Hängelampe spiegelte sich darin in hundert glitzernden Reflexen. Unter dem freihängenden Kesselchen glühte die blaue Spiritusflamme, und das Brodeln des Wassers bildete einen feinen, heimlichen Grundton zu dem wilden Auf rauschen der Waldbäume, welches hier und da hereindrang. Ein weißes Körbchen voll feinen Backwerkes, ein Paar bemalte Tassen, die silberne Zuckerdose — alles stand auf einem zweiten Tisch bereit für einen kleinen Imbiß. In schlanken, geschliffenen Gläsern blühten einige herrliche Rosen. Und zwischen all dem hantierte das junge Mädchen mit ihren feinen, weißen Händen, und ihre reizende Gestalt fügte sich schön und harmonisch in diese Umgebung. Fritz Wentheim saß in der Sofaecke, und seine Augen ließen nicht von ihr, nicht einen einzigen kurzen Moment. Es war, als könne er sich nicht satt sehen an dieser Er scheinung voll von einer seltenen Lieblichkeit, als könne er den Frieden dieser Stunde gar nicht genug aus kosten. Hilda hatte sofort nach Georg gefragt. Aber er hatte sie bittend angesehen. „Kind, ich habe mich so über alle Maßen nach dir ge sehnt. Die erste Viertelstunde — nur diese — schenke mir! Dann sollst du alles, alles hören!" Fritz Wentheim saß ganz still da und sah Hilda zu, und er dachta immer wieder, daß dies ein einziger, kurzer, schnell verfließender Augenblick des Glückes sei „Liebling l Mein Liebling i" Er sprach das Wort immer und immer wieder hinein in die Stille ringsum. Und jedesmal kam das junge Mädchen ein wenig scheu und zögernd heran, schmiegte sich einen Augenblick zärtlich an ihn und huschte dann wieder fort, wie ein zarter, leichter Schmetterling. Aber jetzt, da sie sich endlich still gegenübersaßen, jetzt hielt sie es nicht länger aus. „Hast du — hast du Georg selbst gesehen?" fragte sie beklommen. Ein flüchtiges, fast mitleidiges Lächeln glitt um seinen Mund. Wie weltunerfahren -och dieses Kind war l Er hatte es ihr doch schon oft gesagt, daß er unter fremdem Namen worden, daß diese vier kaukasischen Staaten sich zu einer „Union" zusammengeschlossen haben. Sie richten die For derung an den Obersten Rat, in das System des wirtschaft lichen Wiederaufbaus Europas die vier kaukasischen Re publiken als wirtschaftliche Einheit einzuschließen, als ein Ganzes, das völlig abgesondert ist von Rußland. Aus Zu- und Ausland. Berlin. Nach einer Mitteilung der Vossischen Zeitung gedenkt der Ernährungsminister Dr. H erme s auf seinem Mi- nisOrposten zu bleiben und nicht, wie kürzlich verlautete, als Botschafter nach Washington zu gehen. Berlin. Die Demokraten brachten im Reichstage einen An- rrag ein, den 11. August, den Tag des Ink rast trete ns der Reichsversassung, zmn Nationalfeiertag zu erheben. Paris. Nach dem „Malin" wird Frankreich Österreich Denselben Betrag als Darlehen gewähren wie England. Insgesamt solle Österreich einen Kredit von fünf Millionen Pfund Sterling erhalten. Madrid. Die frühere Kaiserin Zita wird mit ihren Kindern gemeinsam die Reise nach Lissabon und Madeira antreten. Belgrad. Um eine ständige Kontrolle über den ent- ttuonten Karl von Habsburg zu ermöglichen, wenden die Nachfolgestaaten für den Unterhalt des Verbannten Herrscher- paarcs gewisse Beiträge leisten, jedoch nur für die tatsächlichen ilnterhaltskosten, um Karl und Zita von Habsburg außer Stand zu fetzen, mit dem Gekde der Nachfolgestaaten gegen die geschaffene Ordnung zu konspirieren. Moskau. Die Sowjetregierung wird demnächst neue Geheimdokumente der zaristischen Regierung ver öffentlichen, aus denen die Schuld Poincarss am Weltkriege hervorgeht. Newyork. Auf Veranlassung des amerikanischen! Justiz departements ist der während des Kapp-Putsches bekannige wordene Lincoln Trebitsch verhaftet worden, weil er ohne Genehmigung der zuständigen Stellen im November ver gangenen Jahres nach den Vereinigten Staaten gekommen sei. Deutscher Reichstag. (163. Sitzung.) cs. Berlin, 30. Januar. Nachdem der Reichstag seine kleineren Ausgaben aufge» arbeitet hatte, begann heute die Etatsberatung. L)te erste Lesung des Reichshaushaltsplans für 1922 leitete Reichssinanzminister Dr. Hermes ein. Vor allem wieS der Minister darauf hin, es sei das erstemal seit Kriegsau sang, daß dein Reichstage der Entwurf eines Haushalts planes so zeitig vorgelegt werde, daß seine Verabschiedung vor Beginn des Wirtschaftsjahres möglich sei. Der Haus haltsplan für 1921, bemerkte der Minister, stehe ganz unter den ungeheuren Lasten, di« Lem deutschen Volke durch Er füllung des Friedensvertrages auferlegt sind. Während der Haus!)all für die innere Verwaltung einen Überschuß von 1614 Milliarden ergibt, erfordert die Ausführung des Frie densvertrages 171 Milliarden. Der Versuch, die ungeheuren Lasten des Friedensverttvges im Jahre 1921 -u erfüllen, hat zur Zerrüttung des Mark-urses und unserer gesamten Wäh rung beigetragen. Bevor die Reparationsfraae nicht in geeig neter Weise geregelt ist, kann von einer Gesundung der Fi nanzwirtschaft Deutschlands nicht gesprochen werden. Der Haushaltsplan der allgemeinen Reichsverwaltung weise Steu ern tu einem Umsange aus, der tn Der Finanzgeschichte einzig dastehe. Denn fast 100 Milliarden Steuern im Rechnungsjahr 1922 sollen aus der deutschen Volkswirtschaft herausgsholt werben. Angesichts dieser Riesenzahlen dürsten sich auch die Staaten der Entente nicht der Erkenntnis verschließen, daß Deutsch land die höchsten Anstrengungen mache, um alles nur mögliche aus seiner Wirtschaft herauszuholen. Wenn in den Eutente- ländern behauptet wird, der Deutsche habe weniger Steuern zu zahlen als der Franzose und der Engländer, sei das irrig. Ein unverheirateter Deutscher, der ein Einkommen von 30 000 Mark hat, hat allein 2200 Mark Einkommensteuer zu zahlen, während ein entsprechendes Einkommen in England und Frankreich überhaupt einkommrnsteuerfrei bleibt. Durch die Kohlensteuer und Verbrauchssteuer ist das deutsche Volk auss stärkste vorbelastet. Die Reichsregieruna ist auch seit langer uno nur zu nucyttgem Aufenthalt vier wieüer ausgetaucht sei, daß ihn niemand erkennen dürfe und solle. Nun glaubte sie, er werde sich selbst mit Polizei und Geeicht in Verbindung setzen! „Selbst sehen konnte ich Georg Günther nicht," sagte Fritz Wentheim und legte seine Zigarre beiseite; „dazu müßte ich mich legitimieren, und das — das muß ich zu umgehen trachten. . Aber ich lernte zufällig in einer Gesellschaft seinen Verteidiger kennen. Dieser erzählte mir, daß es Georg körperlich nicht gut ginge. Gott, Kind, erschrick doch nicht so sehr! Es ist ja nichts von Bedeutung. Die Haft, die furchtbaren Aufregungen erklären das doch zur Genüge, nicht? Uebrigens hoffte der Verteidiger, ihn durchzubringen. Freilich bei einem Geschworenen gericht ist die Sache stets sehr unsicher; denn da entscheidet die Ueberzeugung des einzelnen. Deinen Brief habe ich heute an Georg gesendet „Du hast selbst nichts dazugeschrieben?" „Aber Kindl Du vergißt immer und immer wieder, daß ich schwerwiegende Gründe habe, hier in Oesterreich nicht erkannt zu werden. Du vergißt, daß dein Vater eigentlich längst tot ist und auch tot bleiben soll für alle jene, welche ihn dereinst kannten." „Und warum, Vater?" Hildas Stimme zitterte ein wenig, als sie die Frage stellte. Sie fürchtete beinahe die Antwort. „Warum?" fragte er und strich sich mit der zittern der Hand das spärliche Haar aus der Stirn. Diese Frage hatte er kommen sehen und hatte sie gefürchtet. Aber er blieb äußerlich ruhig. „Du weißt doch, Liebling, daß die Familie Freydeck uns — deine Mutter und mich — stets mit ihrem Hasse verfolgte. Wir flohen dann vor ihnen bis in die Neue Welt und haben sorgsam alle Spuren hinter uns verwischt. Da ich aber noch im militärpflichtigen Alter war, be deutet dies ein Vergehen gegen das Gesetz, welches streng stens bestraft wird. Begreifst du das, Kind? Als unser Schiff Jahre später scheiterte und in der Bermißtenliste auch mein Name stand, atmete ich auf. Wieder nach Amerika zurückgekehrt, verschaffte ich mir Dokumente mit anglisiertem Namen, was drüben nicht schwer ist; denn fast alle Einwanderer passen sich mit der Zeit den Schreibgebräuchen der neuen Heimat an. Immerhin ist die Sache für mich sehr gefährlich, und niemals darfst du mich verraten, nie gegen deine Ver wandten meinen Namen nennen! Du weißt jetzt, was für mich auf dem Spiele steht: meine Freiheit — meine Ehre — alles!" — Hilda antwortete nicht. Das Bangen kam wieder über sie, das Bangen vor diesem seltsamen Manne, dessen Leben so vieles Geheimnisvolle und doch auch manches Unreckt bara. Zett mit verschiedenen auswärtigen Regierungen in Verbin dung getreten, um Steuerflucht und Doppelbesteuerung zu ver meiden. Die schwebenden Schulden betragen heute 250 Mil liarden. Mit Steuern allein werden wir also nicht auskom men. Es wird eine Aufgabe der nächsten Zeit sein, festzu stellen, tn welchem Maßstabe und in welcher Form Lie Zwangsanleihe ausgeschrieben werden soll. Die dreijährige Unverzinslichkeit ist ein Opfer Les Besitzes und ein Beweis, daß das Reich unter Einsetzung aller Kräfte bemüht ist, an dem Wiederaufbau der Welt mitzuarbeiten. Aber auch mit Hilfe der Zwangsanleihe wird es nicht gelingen, auch nur 'den Repavationshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen. Wir weiden daher auch Versuche machen, eine freiwillige Anleihe auszunehmen. Hierauf wandte sich .der Minister gegen ver schiedene Angriffe des jetzigen französischen Finanzministers, der beispielsweise unsere Politik auf dem Gebiete der Lebens- mittelzuschüffe gerügt hat. Die Regierung ist an den Abbau Ler Zuschüsse gegangen und hat die bestimmte Absicht, sie bis Ende 1922 gänzlich äbzubauen. Me Zahl sämtlicher Beam ten, Angestellten und Arbeiter mit allen Hilfskräften beträgt heute im Deutschen Reiche rund 740 000 gegen 201 000 im Jahre 1914. Das Mehr von 540 WO Köpfen erklärt sich aus Lem Übergang der bayerischen und württembergischen Post- verwaltung auf das Reich, aus der Übernahme der Eisen bahnen und aus der neuen Reichssteuerverwaltung. Dadurch wurden 455 000 neue Reichsbeamte geschaffen, so daß sich gegen 1914 im Grunde nur rin Mehr von 85 000 ergibt. Sodann ging der Finanzminister auf die Fürsorge des Reiches für Lie Beamten, sowie auf die Kohlen förderung ein, betonte die fortwährende Arbeit für die soziale Lage der Beamten und wandte sich gegen die Streikpropagandä. Weiter wies der Minister auf die Fürsorge des Reiches für die Pensionäre, Lie Kleinrentner und Lie Erwerbslosen hin. Dann mahnte er zur Sparsamkeit. Eine scharfe Abgrenzung der Finanzen zwischen Reich und Länder ist dringend nötig. Die Ausführung des Friedensvertrages erfordert 148 Mil liarden ordentliche und 140 Milliarden außerordentliche Aus gaben. Diese Lasten können sich noch steigern. Demgegen über muß festgcstellt werden, daß die Produktion der deutschen Wirtschaft erheblich zurückgegangen ist. Wir wollen den kom menden Dingen, so schloß der Minister, ohne Optimismus mit Ruhe, aber im Vertrauen auf unsere Arbeitskraft ent- gegenschen. Ms erster Debatteredner nach dem Minister Dr. Herme? sprach der Abg. Scheidemann (Soz.). Er schilderte die Lage unseres Volkes als geradezu trostlos. Wir haben die ganze Schwere des „Wehe dem Besiegten" in aller Fürchterlichkeit zu tragen. Im Hinblick auf die innere Politik bemängelte Scheide mann die deutsche Rechtsprechung. Gewisse Urteile unse rer Gerichte, meinte er, machten es uns fast unmöglich, an die Unparteilichkeit unserer Rechtsprechung zu glauben. Aus poli tischen Gründen würden große Prozesse jahrelang hingezogen, während andere mit bemerkenswerter Schnelligkeit erledigt werden. In einer Zeitung wurde behauptet, der deutsche Kron prinz hätte einen Harem in seinem Hauptquartier beherbergt. Als für Lie Wahrheit dieser Behauptung 1050 Zeugen ange boten wurden, unterstellte das Gericht diese Behauptung als wahr. Unerhört sei es, daß Schöneberger Richter ein Urteil mit Ler Überschrift „Im Namen Les Pöbels" herausgegoben hät ten. Weiter erwähnte der Redner verschieden« Vorgänge bei Ler Reichswehr, die nicht zu vereinbaren seien mit der Achtung, die man der Republik schulde. Dann ging er auf das Verhalten der in Leipzig anaeklagten Kapp-Putschführer ein. Herr Kapp habe von der Reichsban! 10 Millionen haben wollen. Daher sei er um nichts besser gewesen als der Räuber Hölz, der Millio nen zu erpressen suchte. Ludendorff sei im November 1918 mit einer blauen Brille davongekommen, diesmal, bei der Ver handlung in Leipzig sei er mit einem blauen Auge Lavon- gekommen. Weitere Ausführungen des Redner? wandten sich gegen die deutschnationale Presse. Als er erwähnte, bayerische Deutsch nationale hätten sich dafür erklärt, Laß Bayern unter dem Protektorat Frankreichs sich vom Reiche trenne, rief ihm Abg. Helfferich (Deutschn.) zn „Unverschämtheit!". Darauf er widerte der Wg. Scheidemann: „Herr Helfferich, ich habe Sie von dieser Stelle auS als intellektuellen Mörder Erzbergers ge- brandmarkt. Ich nehme Ihnen also diesen Zuruf nicht übel." Der Redner sKoß mit der Erklärung, der Wahn, daß die soziale Frage mit militärischen Machtmitteln gelöst werden könne, sei verflogen, über dem abgeschlossenen Kapitel der deutschen Ge schichte stehe die Überschrift „Ende des PutschismuS". Jetzt sei es Zeit, Len von den Sondergerichten verurteilten Teilnehmern des mitteldeutscken Ausstandes Amnektie zu aewäbren. Seine Die Freydecks waren alle früher Soldaten gewesen, und der dem Kaiser geleistete Treuscbwur galt ihnen als etwas Heiliges. Und ihr Vater war Mititärflücktlinq I Sie hatte ihren Großvater hier und da von den Flucht versuchen Militärpflichtiger sprechen hören. Dies war immer nur im Tone tiefster Verachtung geschehen. Sie begriff auch die große Gefahr, in weicher ihr Vater sich befand. „Du hättest nie nach Oesterreich kommen sollen," sagte sie hastig. Er merkte es aus ihrem Tone, welchen Ein druck sein Geständnis auf sie gemacht hatte, und ein schnei dendes Weh durchzuckte ihn. Dieses Kind, das einzige Wesen, an dem er mit rein ster Liebe hing, sollte an ihn glauben, es sollte nie er fahren, daß sein Vater noch anderes begangen hatte, als die Flucht aus dem Vaterlande, daß er drüben eine schwere Strafe verbüßt hatte, und daß er nun einer von lenen war, welche durch das Spiel leben. In wirrer Hast zogen Bilder aus seiner letzten Ver gangenheit an ihm vorüber. Hatte er nicht erst noch vor wenigen Tagen selbst in Nizza sein Glück versucht am grünen Tisch? O, er kannte die Tricks genau. Er zwang das Glück, auch wenn es nicht kommen wollte! Und er verstand es, aufzuhören, wenn er ge nug hatte, er behielt kaltes Blut, das war seine größte Kunst. So hatte er auch diesmal viel, viel gewonnen. Für eine Weile genügte es wohl, um ihm die Lebensführung zu verschaffen, an die er sich allgemach gewöhnt hatte. „Vater," fragte sie nochmals, „weshalb bist vu zu rückgekommen? Es ist doch eine ungeheure Gefahr für dich!" — Er lächelte bitter. War nicht seit Jahren sein ganzes Leben ein stetes Spielen mit Gefahren? Daran jwar er gewöhnt. Und doch zögerte er mit der Antwort. „Kind," sagte er endlich, „da ist vieles, was du noch nicht begreifen kannst! Was weißt du davon, wie einen Menschen das Heimweh packt? Wie er es einfach nicht mehr aushält in der Fremde? Und dann die Sehnsucht nach dir, Liebling! Die ließ mir nie, nie Ruhe. Ick kannte ja deinen Großvater! Ich habe Hugo von Freydeck seinerzeit hassen und fürchten gelernt. Und ich kannte die Unerbittlichkeit der Baronin von Berghaus. Ich erfuhr von den Plänen deiner Anverwandten, dich in ein Kloster zu geben. Und als ich das hörte, da vergaß ich alle Rücksicht auf mich fett st. Gesehen wollte ich wenigstens mN.n Kind haben, wollte wissen, ob es Liesen schweren Schritt freiwillig unternahm. Ich wußte ja nichts von dir, aber eine Ahnung sagte mir, daß du mich vielleicht brauchtest. „Freilich kann ich nicht offen und frei hervort-eten," fuhr Fritz Wentheim fort, „um dir zu helfen. Aber ich kann dir doch heimlich eine Stütze sein, ich kann dick lieb- haben. Und — wer weiß — vielleicht kann ich dir auch noch einmal wirklich nützlich seini"
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