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Wilsdruffer Tageblatt : 18.01.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192201181
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220118
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220118
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Wilsdruffer Tageblatt
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-01
- Tag 1922-01-18
-
Monat
1922-01
-
Jahr
1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 18.01.1922
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bisherigen Abgabepreise von dem Reiche an Verbilligung?. Zuschüssen etwa 16,4 Milliarden Mark für das ganze am 15. August 1922 abgelaufene Wirtschaftsjahr aufzuwenden sein würden, so daß außer den bereits bewilligten 3,27 Milliarden Mark noch weitere 13,15 Milliarden Mark erfor derlich würden, bei einem Kursstände des Dollars von 250 Mark sogar 20,2 Milliarden Mark! Abgesehen von der Finanz lage des Reiches, welche die Ausbringung derartiger Mittel als ausgeschlossen erscheinen läßt, zwingt der dauernde Druck der Entente zum Abbau dieser Zuschüsse als Voraus setzung für Erleichterungen unserer Verpflichtungen. Das Reichskabinett hat daher beschlossen, die Abgabepreise der Reichsgetreidestelle sür Mehl und Getreide mit Wirkung vom 16. Februar 1922 abzuerhöhen. Diese Erhöhung wird eine Steigerung des Brotpreises zur Folge haben, die nach den angestellten Durchschnittsberechnnngen auf etwa drei Viertel des jetzigen Preises zu veranschlagen ist, wobei sich je nach den örtlichen Verhält nissen in den einzelnen Kommunalverbänden Abweichungen ergeben können. Auch bei dieser Erhöhung der Mehl- und Brot- Preise wird das Reich bei einer Zugrundelegung des derzeitigen durchschnittlichen Dollarkurses für die Abdeckung der Auslands einkäufe immer noch 10,6 Milliarden Mark und selbst bei einem Dollarkurse von 100 Mark noch 6,25 Milliarden Mark aufzn- wenden haben, also selbst im letzten Falle noch etwa das Dop pelte von der bisher bewilligten Summe. Die Erhöhung der Mehl- und Brotpreise bedeutet zweifellos eine schwere und sehr bedauerliche Belastung der Lebenshaltung der Bevölkerung. Angesichts der Gestaltung der politischen und finanziellen Ver hältnisse ist sie aber nicht zu vermeiden. Politische Rundschau Deutsches Reick. Die Teilung Oberschlesiens. Nach Mitteilungen aus den Kreisen der alliierten Bö- Hörden in Oppeln verlautet, daß mit einer Übergabe des polnisch werdenden Teiles Oberschlesiens an Polen nicht vor Mitte März zu rechnen ist. — Dieser Tage wurde wieder der Ausbruch eines neuen Putsches erwartet. Alle Polizeistattonen erhielten demzufolge den Besehl, sich alarmbereit zu halten. Es ist jedoch bis jetzt zu Ausschrei tungen nicht gekommen. Das deutsche Eigentum in Amerika. Der Verwalter des beschlagnahmten deutschen Eigen tums in den Vereinigten Staaten sprach über einen Plan, der dieses Eigentum bezw. seinen Erlös in den Vereinigten Staaten belassen und zur Unterstützung und Belebung des Handels mit Mitteleuropa verwenden will. Man weist in Washington darauf hin, daß bei einer Rückgabe der größte Teil der Summen durch die Kriegsgewinnbesteuerung in Deutschland aufgezehrt würde, so daß damit nur fiskali schen, nicht den Handelsinteresscn gedient wäre. Sozialdemokratische Wünsche. Der sozialdemokratische Reichstagspräsident Loebe schreibt tu einem Breslauer Blatte in einem Nachwort zum un abhängigen Parteitag u. a.: „Jetzt ist der Zeitpunkt ge kommen für die Aufstellung eines großen Finanzpla - Nes mit kräftiger Heranziehung des Besitzes. Fetzt ist die Stunde gekommen für den stets aktiven Reichs kanzler, durch Wiederheranziehung Rathenaus ins Wiederaufbauministerium, durch Übertragung des Finanz- ministeriums an einen Mann mit weitausschauenden Plä tten, vielleicht Georg Bernhard, und durch Bestellung eines energischen sozialdemokratischenAnßenmini- sters , der politischen Desorganisation jenseits des Rheins durch eine gefestigte Regierung mit festen und weitreichen den Plänen auf unserer Seite zu begegnen." Das Ergebnis der Option. Die Zahl der in Neupolett ansässigen Deutschen, die in Danzig für Deutschland optiert haben, wird nach den bisherigen Ergebnissen auf 7000 bis 8000 geschätzt. Die Zahl der Danziger Staatsbürger, die für Deutschland op tierten, ist dagegen verhältnismäßig gering. Sie stellt sich auf nur 4300 Personen, was ungefähr 1,2 Prozent der deutschen Danziger Bevölkerung ausmacht. Beim deutschen Generalkonsulat in Posen erschienen in den zehn Tagen der Oyttousfrist 45 000 bis 50 000. um sich in der Ovtions- srage beraten zu lassen. Davon hat ungefähr die Hälfte von dem Opttonsrechi Gebrauch gemacht. Im Huldschiner Ländchen haben über 4500 Personen für Deutschland optiert. Frankreich. X Das neue Kabinett Poincarö besteht mit Ausnahme seines Führers und des Kriegsministers Barthou im all gemeinen aus wenig bekannten Persönlichkeiten zweiten Ranges. Man glaubt, daß es Frankreich in eine Politik der Isolierung hineinführen wird, obwohl die erste Zu sammenkunft Poincarös mit Lloyd George „fehr herzlich" verlief, und Poincarö die Notwendigkeit einer engen Zu sammenarbeit mit England stark betonte. Er wünscht vor allem, daß das Garanttebündnis nach Ablauf von 10 Jahren erneuert und auf den Fall ausgedehnt werde, daß eine gemeinsame Jutenvenrion erfolgt, wenn Deutsch land einen Angriff gegen Polen unternehmen sollte. — Poincarö will nicht selbst nach Genua gehen, sondern Vi viani dorthin schicken. Keme CmLgung mit den Beamten. Sozialere Gestaltung der Gehälter gefordert. Die Verhandlungen zwischen Regierung und Beamten haben bisher zu keiner Verständigung geführt, wie die nachstehende Veröffentlichung des Deutschen Be amtenbundes zeigt. Die Veröffentlichung lautet: Der Vorstand des Deutschen Beamtenbundes hat den Be richt seiner Vertreter über die Besoldungsverhandlungen mit der Regierung entgegengenommen und erkennt deren Haltung an. Obwohl sestzüstcllen ist, daß die vom Deutschen Beamten bund aufgestellte Forderung nach sozialerer Gestaltung des Teuerungszuschlages im Prinzip verwirklicht werden soll, kann er nach Prüfung aller Verhältnisse dem Vorschläge seiner Ver treter auf Annähme der von der Regierung angebotenen Rege lung nicht bettreten. Er lehnt sie deshalb in ihrem Endergeb nis ab. Der Vorstand des Deutschen Beamtenbundes wird seine Forderung auf Erhöhung und sozialere Gestaltung der Grundgehälter Wetter vertreten und behält sich die zur Durch setzung seiner Forderung.notwendigen Maßnahmen vor. Ferner Hai der dem Deutschen, Gewerkschaftsbund (Spitzenorganisation der christlichen Gewerkschaften) an gehörende „Gesamtverband deutscher Beamten- und Staatsangestelltengewerkschasten" an den Reichstag eine Eingabe gerichtet, in der hervorgehoben wird, daß schon mit Rücksicht auf die Neustaffelung der Einkommen steuer eine Neuregelung der Grundgehälter unbedingt er forderlich sei. Die von der Regierung vorgeschlagene Auf besserung durch Erhöhung der Teuerungszuschläge (1875 Mark sür die Arbeiter, 2000 Mark für die Beamten pro Jahr) sei unzureichend. Als Mindestbetrag einer erträg lichen Aufbesserung werden 3600 Mark genannt und vor geschlagen, daß für einen Anfangsbettag von 12 000 Mark au Grundgehalt plus Ortszuschlag (statt 10 000 Mark) ein weiterer Teuerungszuschlag von 30 (statt 20) Prozent eingeräumt wird. Für die Arbeiter wäre dieser Bettag in Lohnstuudeu entsprechend umzurechuen. Für be sonders teure Orte müßten besondere Zulagen vereinbart werden ZweiierReichsparteiiag des Zentrums ».Berlin, 16. Januar. Dem zweiten Zentrumsparteitag, der nach zweijährige Pause wieder im Berliner Reichstagsgebäude stattfand, kam insofern erhöhte Bedeutung zu, als er durch einige gerade in der augenblicklichen innen wie außen gespannten politischen Lage besonders aufschlußreiche Ministerreden ausgezeich net war. So wurde z. B. Las große politische Referat vom Reichsarbeitsminisier Brauns erstattet. Er betonte zunächst, daß die Konferenz in Cannes als Lichtblick gelten dürfe und daß ein Garantievertrag zwischen Frankreich und England Deutschland nicht zu beunruhi gen brauche. Er könne vielmehr als Entspannung der politi schen Nachkriegsattnosphäre' in Europa angesehen werden. Deutschland sei nicht zur außenpolitischen Untätigkeit verur teilt. Es könne wirtschaftlich durch Anknüpfung neuer Be ziehungen praktische Arbeit leisten. Der A ch tstün d e n - A r - beitstag dürfe nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zur achtstündigen intensiven Arbeit bedeuten. Zur Regelung der Reichsfinanzen sei cs notwendig, die vorhandenen Steu ern rasch einuttreiben und eine weitere Ausgestaltuna der Be- sttzstouern vorzuneymen, vet der ein zeitlich beschränkter Eingriff in die Substanz des Vermögens nicht ausgeschlossen sei. Dieser Eingriff sei aber nur zulässig, wenn die Neuregelung der Reparationsfrage Deutschlands Wirtschaft auf eine feste Grundlage gestellt habe. Nur zur endgültigen Sanierung, nicht aber für ein Faß ohne Boden dürfe der Eingriff in die Substanz erfolgen. In der Koalitionsfrage trat er sür eine breite Basis unter Ausschaltung der Radikalen von rechts nach links ein. — Wer dieses Thema fand besonders der frühere Reichskanzler Fehrenbach teilweise sehr scharfe Worte. Er erklärte, die Koalition Wedde vom Zentrum nicht unter allen Umständen erstrebt. Sie dürfe keine Element« in die Regierung binein- bringen, die nur Sabotage bei der RegierungstätigkIt trei ben wollen. Au feinem Bedauern müsse er bemerken, daß nach seiner Auffassung in der Deutschen Volks Part ei ge nügend derartige Elemente seien. Eine Verbreiterung nach dieser Sette fei daher nur möglich mit Persönlichkeiten, die auf dem Boden der Verfassung stehen. Fehrenbach wandte sich dann aber auch gegen die Demokraten, die nur Geßler in der Regierung gelassen, den übrigen Ministern aber die Mit arbeit verweigert hätten. — Besonders beachtlich waren die Äußerungen des Finanzministers Dr. Hermes Wer die Stouerfragen. Er erklärte rund heraus, daß der Steuerapparat nicht funktioniere, und daß die Beamtenschaft, die teilweise nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe stände, qualitativ erheblich verbessert werden müsse. Weil man mit der Steuererhebung noch stark im Rück stände sei, habe es leinen Zweck, neue Steuern zu bewilligen. Dadurch würde der „Steuersumpf" nur noch tiefer werden. Er werde dazu beitragen, daß wir möglichst bald zu einer Verabschiedung Ler Steuervorlagen kommen in einer Form, die für die großen Parteien des Reichstages erträglich ist, denn man müsse eine möglichst große Mehrheit für die Annahme dd-ser Steuervorlage zu gewinnen suchen. — Zum Schluß des ersten Sitzungstages, dem sich gesellschaftliche Veranstaltungen anschlossen, denen ebenfalls der Reichskanzler und mehrere Minister beiwohnten, wurde ein Vertrauensvotum für PatteUeituna und Reichstagsfraktion angenommen, in dem es u. a. heißt: „In Anbetracht der schwierigen außenpolitischen Lage erklärt sich der Reichsparteitag rückhaltlos einverstanden mit der von der Regierung geführten Politik der Klugheit und Mäßigung, die der wirtschaftlichen Gesundung der gesamten Welt und der Zusammenarbeit der Völker die Wege ebnen werde." Wett- und Volkswirtschaft. Was kosten fremde Werte? Die nachstehende Tabelle besagt, wieviel Mark für 160 Gulden 160 dänische, schwedische, norwegische, österreichische, ungarische oder tschechische Kronen, 100 schweizerische, belgische und französische Frank, 100 italienische Lire, sowie für 1 Dollar und 1 Pfund Sterling gezahlt wurden. („Bries" -- angeboten; „Geld" --- gesucht.) Börsenplätze 16. Geld 1. Brief 14. Geld j 1. Brief Stand 1.8. 14 Lolland. . Dänemark. Schweden. Norwegen Schweiz . . Amerika. . England. . Frankreich. Belgien . . Italien .. Dt.-Osterr. Ungarn .. Tschechien . . Guld. . Kron. . Kron. . Kron. . Frank . Doll. . Vsd. . Frank . Frank . Lire . Kron. . Kron. . Kron. 6768,29 3671,30 4585,40 2877,10 3566,40 181,06 779,20 1510,95 1448,55 804,15 6,18 28,87 305,65 6781,80 3678,50 4594,60 2882,90 3573,60 184,44 780,80 1514,05 1451,45 805,85 6,22 29,03 306,35 6653,30 3611,35 4485,50 2822,15 3511,45 180,56 761,70 1498,50 1426,05 786,70 6,48 29,37 297,70 6666,70 3618,65 4494,50 2827,85 3518,55 180,94 7b3,30 1501,56 1428,95 788,30 6,52 29,43 298,30 170 Mk. 112 . 112 . 112 „ 72 . 4,40. 20,20. 80 . 80 . 80 . 85 . 85 . Berlin, 16. Januar. (Stand der polnischen Mark.) Polenmark an der heutigen Vörie mit 6,40 Pf. bewertet. Krupp und die südamerikanischen Eisenlager. Gin fran zösisches Blatt ist fehr beunruhigt Über den angeblichen Erwerb von Konzessionen durch die Firma Krupp in Südamerika, namentlich in Chile. Im Jahre 1921 Habs die chilenische Re gierung der Firma Krupp die Konzession zur Ausbeutung der Eisenerzlager in>der Provinz Coquimbo erteilt. Ferner habe Krupp auch die amerikanischen Interessen an den Cofo-Mincn in seinen Besitz zu bringen gewußt. Damit hätten die Deut schen die Kontrolle über die reichsten Eisenerzlager in Süd amerika erlangt und alle Einrichtungen übernommen, die vor 15 Jahren von Franzosen geschahen worden feien. Die Grafen von Freydeck. 43) Roman von A. Ostland. „Helft!" rief sie völlig erschöpft. Hatte sie es wirklich gerufen? Niemals hätte Hilda Wentheim es sagen können, was sich in den nächsten Minuten ereignete. Wie durch einen Nebel sah sie aus dem Gebüsch eine dunkle Gestalt hervorstürzen; sie hörte, während sie vergebens sich aufzurichten versuchte, daß jemand an ihr vorbeistürmte. Dann einen Aufschrei Hugos: „Fritz!" Dann sah sie, die halb mechanisch zurückblickte, wie sich ein Mann gegen ihren Verfolger warf, sie sah, daß dieser taumelnd, mit vorgestreckten Händen zurückwich. Und nun nichts mehr. Halb ohnmächtig, vollkommen erschöpft brach sie zusammen. Hatte sie wirklich jemand mit starken Armen aufgehoben und in das Birkenhäuschen getragen? Und war es nur ein Traum oder Wirklichkeit, daß sie nun hier lag auf dem kleinen Sofa, daß jemand sich über sie neigte, sanft über ihre Haare, über ihre Wangen, ihre schweren Augen strich, daß ein dunkles Antlitz sich über sie beugte, und daß ein heißer, zuckender Mund auf dem ihren lag? Hilda Wentheim machte eine gewaltsame Anstren gung und schlug die Augen auf. All das konnte ja nicht wahr sein. Sie träumte! „Hilda, Hilda!" rief es wie aus weiter Ferne, und doch wußte sie es sofort: diese weiche, schöne Männer stimme hatte sie schon einmal gehört vor langer, langer Zeit. So, gerade so hatte sie schon früher jemand gerufen. Aber wer? Wer? Sie suchte sich zu besinnen, sie dachte nach, während sehr langsam ihre Kräfte wiederkehrten. Und noch einmal schlug an ihr Ohr dieser Klang aus einer längstoergan- genen Zeit: „Hilda! Liebling!" Sie träumte wohl noch immer! Oder war alles, was sie zu erleben geglaubt, bloß ein Fiebertraum? War sie noch das kleine Mädchen von einst, das in dem Hellen Zimmer lag in dem kleinen weißen Bettchen, und das nun sacht geweckt wurde von dem dunkel haarigen Mann mit den großen, schönen Augen? „Vater —" Hatte ihr Mund wirklich das Wort gesprochen ? Scheu flog es durch den dämmerigen Raum, ganz^ ungewohnt kam es über ihre zitternden Livven. Aber batte sie nicht aucy einst jo geantwortet, wenn er sie rief? „Vater!" wiederholte sie noch einmal, als müsse sie sich erst an den Klang gewöhnen. Aber da fühlte sie, daß zwei starke Arme sie umfingen, daß ein»Kopf an ihrer Brust lag, daß schwere Tränen niedrrfielen auf ihre Hände. Mit einer gewaltsamen Anstrengung schüttelte sie dis Betäubung ab, welche auf ihr lastete. Wer war das? Sie richtete sich halb empor und machte sich mit einer jähen Bewegung frei; «dann strich sie mit zitternden Händen über ihre brennenden Lider, über ihr Haar, das wirr um ihr blasses, süßes Gesicht hing. Und endlich sah sie wieder klar. Aber es dauerte nur eine einzige kurze Sekunde, wäh rend der sie wortlos in das Gesicht des Mannes starrte, der vor ihr kniete. Dann sprang sie in einem jähen Schreckgefühl auf. — „Um Gottes willen!" rief Hilda „wer sind Sie? Wo kommen Sie her? Ich habe Sie schon einmal gesehen — nein, öfters —" Sie konnte kaum sprechen; eine ungeheure Aufregung schnürte ihr fast die Kehle zusammen. Der Mann hatte sich langsam von den Knien erhoben, lieber sein scharfes, vom Leben so hart gezeichnetes Ge sicht lief ein Zucken. Halb abgewendet stand er da, stumm, als kämpfe er einen schweren Kamps mit sich selbst. Hilda wartete auf ein Wort von ihm, auf ein er» lösendes, erklärendes. Aber er sprach nicht. Langsam glitten ihre Füße herab von dem Diwan; sie versuchte zu stehen. Es ging über Erwarten gut. Die Iugendkraft hatte wieder gesiegt, und sie fühlte sich auch fähig, klar zu denken. > Prüfend sah sie hinüber zu dem Fremden, welcher still dastand in dein dämmernden Lichte, das diesen welt abgeschiedenen, kleinen Raum ganz erfüllte. Sie sah, wie es zuckte in seinem tieferblaßten Gesicht, wie seine Hände zitterten, wie die schmale Brust sich hob und senkte. Und sie sah auch die Tränen, welche über die Hagern Wangen liefen. Ein Mitleid quoll in ihr auf, das alle Furcht, alle Scheu besiegte. Mit ein paar Schritten war sie neben ihm und legte leicht ibre Hand auf seinen Arm. „Hilda!" Wieder rang sich nur dies eine Wort aus feinem Munde. Aber dann, ganz unvermittelt warf er die Arme um sie uno prepte sie an siw rn seiner wuo ausflammenden Zärtlichkeit. „Endlich! Endlich! Mein Kind! O, mein liebes, mein liebes Kindl" Er schrie die Worte fast hinaus, er wiederholte sie immer, immer wieder, als vermöge er sich nicht satt zuhören an ihrem langentbehrten Klang. Und Hilda Wentheim empfand keinen Schreck mehr und keine Furcht, denn sie hörte die Liebe, die durch jedes seiner Worte zitterte. Und sie hatte so wenig Liebe ge nossen in ihrem jungen Leben! Aber er sagte immer: „Mein Kind!" Und ihr Vater war doch längst tot! Sie sagte ihm dies leise, wie um ihn zu schonen. Aber während sie sprach, dachte sie selbst immer wieder: .„Ich habe schon.Vater' zu ihm gesagt! Ich habe es bestimmt gesagt!" Eine Verwirrung überkam sie, der sie fast nicht Herr werden konnte. Es war alles so unklar, so merkwürdig verworren; alle die Erinnerungen, Vermutungen und Gedanken stürzten über sie her wie eine wilde Flut. Und aus alledem löste sich klar nur die eine Idee: „Wenn es wahr sein könnte! Wenn ich nicht mehr allein, verlassen wäre!" Nie in ihrem Leben hatte sie eine solche wahnsinnige Sehnsucht gehabt nach jemand, der ganz zu ihr gehörte, als in diesen letzten Tagen; nie hatte sie so bitter ihr« Einsamkeit empfunden. „Hilda! Kind!" sagte der Mann erschüttert. „Ich hätte es nie sagen sollen! Weiß Gott, ich wollte es ja auch nicht! Aber da sah ich dich flüchten vor dem Irren, da hörte ich ihn schon ganz nahe bei dir, sah dich zusammen brechen, und dann warf ich ihn zurück und trug dich hier herein, und du — du sagtest: .Vater!' Das Wort war schuld, Hilda — das eine Wort!" „Aber mein Vater ist tot," sagte das Mädchen leise. „Er ist lange, lange gestorben. Er hat Wentheim ge heißen — Fritz Wentheim!" Der Mann griff in die Vrusttasche. Er mußte es vorsichtig tun, denn die Hand, welche Käthe Gerlach ver bunden, schmerzte noch stark. Dann zog er ein Papier hervor und legte es mit unsicheren Fingern auf den niedlichen Rokokotisch, der mitten in dem kleinen Gartenhäuschen stand. „Hier," sagte er, „das ist mein Paß, hier steht mein Name: Frederik Wentheym — siehst du es? Ich habe nur in Amerika die Schreibart geändert, verstehst du das. Kind?
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