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schieden, so lange nicht über die von den bürgerlichen Par teien mit großer Vorsicht behandelten Besitzstenern keine Sicherheit geschaffen ist. Der Kanzler bemüht sich nun augenblicklich, Mischen diesen drei Parteien eine Eini- g-uny, ein sogenanntes Steuerkompromiß, zu- starrdezubringen. An diesem an sich ganz selbstverständlichen Vorgang ist vor allem der Umstand auffällig, daß diese Beratungen in einem so überaus engen Kreise gepflogen werden, wäh rend man vor Weihnachten noch annehmen konnte, daß mit der Steuerfrage zugleich die Frage der Regie- rungser Weiterung, der „großen Koalition", in Angriff genommen werden müsse, besonders, da außen politische Gründe genug vorhanden sind, die eine solche Festigung der Negierungsautorität dringend wünschens wert erscheinen lassen. Jetzt aber ist aus der Haltung der mehrheitssozialdemokratischen Presse festzustellen, daß man bei dieser Partei einer Koalitionserweiterung nach rechts wieder einmal sehr ablehnend gegenübersteht und viel eher — besonders im Hinblick auf den bevorstehenden. Leipziger Parteitag der Unabhängigen — einer Ar beitsgemeinschaft mit dieser Partei zustrebt. Wenn der Vorwärts jetzt erklärt, Verhandlungen in der Steuer frage, in denen sich auch nur ein Weg gezeigt hätte, das angestrebte Ziel zu erreichen, hätten nicht stattgefunden. Man könne eher sagen, daß in diesem Augenblick die Schwierigkeiten größer scheinen denn je, so ist das in Ver bindung mit dem von einem rechtsstehenden Blatte fest- gestellten Umstand, daß außerhalb des Zentrums und der Sozialdemokratie kein führender Parlamentarier über die gegenwärtige Stellung der Regierung zur Reparations- frag« und über die mit ihnen zusammenhängenden außen- und innenpolitischen Aktionspläne näher unterrichtet ist, ein Zeichen dafür, daß die Regierung im Augenblick nicht daran denkt, die Frage der Koalitionserweiterung in An griff zu nehmen. Man mutz demgegenüber aber damit rechnen, datz gerade Lurch die Konferenz von Cannes außenpolitische Notwendigkeiten eintreten können, die zu eine Änderung dieses auf die Dauer kaum haltbaren Kurses zwingen. Sonst bleibt nur die Möglichkeit, daß die Regierung in der Steuerfrage ohne feste Koalition, sondern mit wechselnden Mehrheiten arbeitet, ein System, bei dem große Schwierigkeiten entstehen und der Erfolg ständig tu Frage gestellt bleibt. Veto., SSreiirgkeiien rm Hohenzollernhause. Neuer Prozeß der Prinzessin Joachim. Erst kürzlich wurde der Prozeß der Prinzessin Jo achim von Preußen gegen den Prinzen Eitel Friedrich von Preußen entschieden. Der zurzeit als Familien haupt der im Inlands weilenden Glieder des Hohen- zoklernhauses geltende Prinz Eitel Friedrich beanspruchte die Erziehungsobhut über den im Jahre 1916 geborenen Sohn Karl Franz Joseph seines verstorbenen Bruders Prinz Joachim von Preußen, dessen Witwe die geborene Prinzessin Marie Auguste von Anhalt ist. Der Prozeß wurde zugunsten der Prinzessin Joachim entschieden, der Prinzessin Joachim von Preußen mit ihrem Sohne. ihr Sohn zugesprochen wurde und der jetzt wieder unter ryrer surwrge peyr. Mittwoch stand nun in Berlin Ter min an in einer neuen Klage der Prinzessin Joachim, die sich gegen Len in Holland weilenden ehemaligen Kaiser Wilhelm II. richtete. Prinzessin Joachim klagte gegen den früheren König von Preußen auf Zahlung von Unterhalts geldern. Die Verpflichtung des Königs von Preußen wird von der Prinzessin auf Grund der Ehepakten, die nach dem Hohenzollernschen Hausgesetz geschlossen wurden, hergeleitet. Die Gegenseite vertritt die Ansicht, daß das Hausgesetz nicht mehr Geltung habe. Im Termin wurde alsbald Vertagung beschlossen, da zwischen den beiden Parteien Vergleichsverhandlungen schweben, die dMl'ÄA> schlutz nahe sein sollen. Weli- und Volkswirischaft. Was kosten fremde Werte? Die nackstehende Tabelle besagt, wieviel Mark für 101 Gulden 100 bänifcke, schwedische, norwegische, österreichische, ungarische oder tschechische Kronen, 100 schweizerische, belgische und französische Frank, 100 italienische Lire, sowie für 1 Dollar und 1 Pfund Sterling gezahlt wurden. („Brief" ----- angeboten,- „Geld" --- gesucht.) Börsenplätze 5. 1. 4. 1. Geld I Brief Stand L.8. »4 Geld Brief Dollond. . . Guld. 7417,55 7432,45 7042,95 7057,05 170 Mk. Dänemark. . Kron. 4005,95 4014,05 3816,15 3823,85 112 . Schweden. . Kron. 4955,00 4995,00 4755,2) 4764,80 112 . Norwegen . Kron. 3136,85 3143,45 3001,95 3008,05 112 . Schweiz . . . Frank —— — 3726,25 3733,75 72 „ Amerika. . . Doll. 201,71 201,71 193,3» 193,70 4,40. England. . . Vfd. 846,65 809,15 810,85 20,20. Frankreich. . Frank — 1543,45 1546,55 80 . Belgien . . . Frank 1528,45 — 1478,50 1481,50 80 . Italien . . . Lire 851,60 853,40 809,15 810,85 80 . Dt.-Osterr. . Kron. 5,88 5,88 6,68 6,72 85 . Ungarn . .. Kron. 31,96 32,04 31,56 31,64 85 . Tschechien .. Kron. 323,15 323,85 306,65 307,35 Berlin, 8. Januar. (Stand der polnischen Mark.) Polenmark an der heutigen Börse mtt 7,05 Pf. bewertet. * Der Reichslandbund hat an die deutschen Landwirte einen A ufrus gerichtet, daß die Landwirte alles tun sollen, die Land wirtschaft zu Höchstleistungen zu bringen, um die Versorgung der deutschen Bevölkerung mehr als bisher durch die JnlanLs- produktion zu decken. Die Landwirte werden aufgefordert, sich die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik mehr als bisher zunutzezumachen und von den veralteten Wirtschasts- Methoden abzugehen. Der Aufruf fordert ferner eine den Not wendigkeiten der Landwirtschaft angepaßte Steuergesetzgebung urch die Befreiung der Landwirtschaft von den letzten Fesseln der Zwangswirtschaft. » rucinhandetspreise der Berliner Zentralmarkthalle. Schell fisch 8,58—9,50 M., Kabeljau 8^0—9,50 M., Seelachs 7,50—3M Mark, Merlan 7,50-8,50 M., Flundern 6,50—7,50 M., Rot zungen 6—7 M. das Pfund; in Eis: Hechte 13—15 M., Zander 14—16 M., Karpfen 15-16 M., Quappen 11—12 M., Barse 11 bis 12 M., Plötzen 7—8 M., Aale 18—20 M. das Pfund; lebend: Hechte 17—18 M., Schleie 17—19 M., Karpfen 19—28 Mark, Aale 30—35 M., Bleie 13-14 M. Margarine 28-28 Mark, Butter 40—42 M. das Pfund. * Unerhörter Tiefstand der österreichischen Krone. Nach dem jetzigen Kurs kostet eine tschechische Krone ungefähr 109 deutsch- österreichische Kronen. Da Kohle, Zucker, Wrotkorn, Kattoffeln, Papier zum weitaus größten Teil aus der Tschechoslowakei be zogen werden müssen, bweutet dieser noch nicht dagewesene Kurs eine Kataltrovbe Toi) des Hauptmanns von Köpenick. Das Ende eines „berühmten* Mannes. Berlin, 5. Januar. Noch einmal taucht jene lustige Geschichte aus der Vergangenheit auf, aus einer Vergangenheit, zu der man noch nicht an Weltkrieg und die Niederlage Deutschlands mit ihren vernichtenden Folgen dachte. Der Mann ist gestorben, der im Jahre 1906 jenen unerhörten Streich vollsührte, der die Welt mit Gelächter und teilweise auch mit Erstaunen erfüllte. Am 16. Oktober 1906 erschien vor dem Rathause der unmittelbar vor den Toren Berlins gelegenen Stadt Kö penick ein preußischer Hauptmann, begleitet von zwölf Soldaten des 4. Gardereaimeuts, ließ sämtliche Ausgänge Die Grafen von Freydeck. 34f Roman von A. Osttand. „Nein, wie sollte ich? Niemand weiß es. Früher wa: eine dienende Schwester hier bei der Toten. Ich weiß, daß diese dienenden Schwestern kein so strenges Gelübde abgelegt haben, und daß sie mit Frauen sprechen dürfen. Aber sie weiß auch nichts, als daß die Frau dort vorgestern abend, als die Karmeliterinnen hier einzogen, die Oberin um eine Freistatt bat. . , . Dieser Teil des Klosters ist als Unterkunft für solche Obdachlose bestimmt. Gesehen hat sie die Frau nicht mehr bis gestern früh, wo sie dieselbe tot hier im Zimmer auf ihrem Bett fand. Mehr weih die Schwester nicht. Sie ist jetzt fortgegangen, denn der Doktor ist be nachrichtigt worden, und wenn ein Mann das Haus be tritt, darf keine der Nonnen ihre Zelle verlassen außer der Oberin oder der Priorin. Morgen soll die Tote begraben werden!" „Und du hast gar keine Idee, Hilda; du findest keinen Anhaltspunkt, der uns zu dieser Toten hinführen könnte?" fragte Erich eindringlich. „Denke doch an die Gestalt, welche Georg sahi Könnte nicht sie — sie es ge wesen sein?" Die Augen des jungen Mädchens wurden wieder un ruhiger, in ihre Wangen stieg eine tiefe Fieberröte. „Ja, ja," flüsterte sie, und ihr Atem schlug Erich heiß ins Gesicht, „ich dachte gleich daran! Muß sie es nicht sein? Georg sagt, sie hätte auch blondes Haar; er hat es unter dem Tuch gesehen. Und in Julies Hand war auch ein blondes Haar!" „Aber dreimal so lang," schaltete Erich ein; „die Tote dort hat kurzes Haar!" Hilda umklammerte mit beiden Händen seinen Arm. „Und sie ist es doch! Sie muß es sein!" ries sie, plötzlich in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend; „aber sie selbst kann es nicht mehr sagen, und niemand weiß, wer sie ist. Die Schwester sagte, es ist gar nichts bei ihr gefunden worden, kein Papier, kein Dokument. Und sie wollen sie dort begraben — dort im Klosterhof, als eine Namen lose —" , Doktor Gerlach faßte besorgt nachHildasHand. Glühend heiß und trocken lag sie zwischen seinen kühlen Fingern. ..Kind, Kind." sagte er herzlich, „Sie müssen beim, so fort, es war ein Wahnsinn von Ihnen, fortzügehen!" „O nein, es war gut! Und ich gehe nicht! Ich mutz nach da hinein! Ich will das Gesicht, der toten Frau noch einmal sehen, die Schwester hat es verdeckt — jetzt ist sie fort! Lassen Sie mich! Es ist ja für Georg! Wenn die Schwester kommt, nimmt sie das Tuch wieder weg!" „Nein! Das Weitere hier übernehme ich," unterbrach sie Gerlach. „Der Arzt wird kommen, sagen Sie? Gut. Ich will ihn erwarten. Und du, Erich, führst Hilda zum Schloß. Allein kann und darf sie nicht gehen!" Hilda Wentbeim sah es selbst ein; er hatte recht. Die Sicherheit und Ruhe dieses Mannes imponierte ihr sehr und flößte ihr zugleich ein unbegrenztes Vertrauen ein. So wandte sie sich auch jetzt folgsam wie ein Kind zum Gehen. Aber da fiel ihr noch etwas ein, ein wirrer Fieberge danke kreuzte ihren Kopf. Sie bückte sich und riß eine lange Ranke wilden Weines ab, welcher gleich lustigen Standarten das ur alte, dunkle Gemäuer umflatterte. Mit einer raschen Bewegung warf sie den Zweig voll hochroter und goldgelber Blätter durch das offene Fenster. Er fiel mit leisem Rauschen nieder auf die verhüllte Gestalt der toten Frau und lag nun dort, quer über ihren schmalen, leicht gefalteten Händen wie ein letzter Liebesgruß aus unserer Welt, aus welcher die Namenlose sich so still fort- geitohlen hatte. Erich Günther faßte nach Hildas Hand. „Komm", sagte er überredend, „komm rasch, das Fieber schüttelt dich, und die Dämmerung bricht schon so früh her ein. Dann wird es kühl. Hier! Wir nehmen den kürzesten Weg: da, den schmalen Pfad an der Buche vorbei, dann rechts durch den Wald —" Er sprach gütig, überredend, wie man mit einem kranken Kinde redet. Und sie folgte ihm beinahe willenlos. „Geh nicht den Weg an der Buche vorbei!" sagte Doktor Gerlach leise. Aber Erich Günther schüttelte den Kopf. „Es zieht mich hin — ich muß!" Eine Minute später waren die beiden schlanken, jungen Gestalten zwischen dem Buschwerk untergetaucht. Hilda Wentheim sprach kein Wort. Ein Frösteln über- lief sie plötzlich. Enger drückte sie sich an ihren Begleiter, als suche sie bei ihm Schutz vor einer d.rohenden Gefahr. Der ängstliche Ausdruck in ihren Zügen verstärkte sich, je näher sie der Buche kamen. „.Weißt du, was die Leute sagen ?" flüsterte sie so leiie. des Rathauses besetzen und sodann den Oberbürgermeister Langerhans zu sich rufen. Er wies ihm eine angebliche „Kabinettsorder des Kaisers" vor, auf Grund deren der Bürgermeister und der Rendant der Stadt als verhaftet erklärt wurden. Außerdem wurde der Kassenbestand, Bücher usw. beschlagnahmt. In der Kasse befanden sich 4000 Mark. Diese steckte der Hauptmann zu sich. Dann schickte er das aufgebotene Militär mit dem Bürgermeister und dem Ren danten zur Berliner Hauptwache, wo sie von den Sol daten abgeliefert wurden. In Berlin natürlich großes Staunen bei der Ab lieferung der beiden kommunalen Würdenträger. Die Untersuchung ergab, daß ein einzigartiger Schwindel ver übt worden war. Der damals etwa 60 jährige Schuster Wilhelm Voigt hatte bei einem Trödler am Tage seiner Tat eine alte Hauptmannsuniform erstanden, sich in diese gesteckt, auf der Landstraße eine von Übungen Heimkehrende Soldatentruppe aufgehalten, unter sein .Kommando gestellt und war mit ihr zur Eroberung Kö penicks marschiert. Sein Plan gelang in allen Einzel- betten, weder die Soldaten noch die Beamten in Köpenick nahmen Anstoß an der vollständig unvorschriftsmäßigen militärischen Ausrüstung des alten Schusters, unterwarfen sich vielmehr blindlings seinen Befehlen. Voigt hatte nie gedient, kannte kein einziges Kommando, hatte einen Teil seines 60jährigen Lebens im Zuchthause verbracht. So wuchs sich sein unerhörtes Abenteuer zu einer der komisch sten Episoden aus, die eine Flut von Kommentaren er zeugte. Einige Monate später wurde Voigt von der Straf kammer wegen widerrechtlicher Freiheitsberaubung, Be- irugs, Urkundenfälschung und verbotenen Unisormtragens zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, aber schon nach zwei Jahren begnadigt. Es ergab sich, daß er als bestrafter Zuchthäusler wiederholt vergeblich versucht hatte, wieder in einem bürgerlichen Beruf unterzukommen, daß er auch mehreremale tatsächlich fleißig gearbeitet hatte, aber durch die über dem ehemaligen Zuchthäusler schwebende Polizei aufsicht immer wieder auf die Landstraße getrieben worden war. Bei seiner Verteidigung führte er aus, er sei sozu sagen durch Verzweiflung zu seinem Unternehmen gegen Köpenick veranlaßt worden. Nach Verbüßung der zweijährigen Gefängnisstrafe zeigte sich Voigt einige Zeit lang in Varietees und Schau stellungen als Anziehungspunkt, zuerst in Deutschland, dann auch im Auslande. Schließlich ließ er sich in Luxem burg nieder und verheiratete sich dort mit einer Eingebore nen. Wie alle berühmten Männer wurde er schon einige mal totgesagt, ist aber nun wirklich im Mter von 71 Jah ren verstorben. U. Nah und Fern. O Ein Denkmal für das verlorene Oberschlesien. Der Bürgerrat in Breslau will für das verlorene Oberschlesien ein Denkmal errichten. Der Oberpräsident von Schlesien hat bereits eine Geldsammlung zur Unterstützung des Denkmalbaues genehmigt. Das Denkmal wird die Trauer der Heimatprovinz Schlesien und des deutschen Volkes um die abgerissenen Teile Oberschlesiens und die Hoffnung auf die Wiedervereinigung in künstlerischer Form darstellen. O Größe und Gewicht der Postkarten. Es wird darauf hingewiesen, daß Postkarten im Inlands-Verkehr die Größe von 15,7:10,7 Zentimetern nicht überschreiten und nicht mehr als 8 Gramm wiegen dürfen. Größere oder schwe rere Postkarten unterKeMi der Briefgebühr und werden mit einer Nachgebühr in Höhe des an der Freigebühr für einen einfachen Brief fehlenden Betrages belegt. Diese Nachgebühr beträgt vom 1. Farmar an z. B. im Fernver kehr 1,50 Mark. Postkarten im Auslandsverkehr dürfen nur 14 :9 Zentimeter groß sein. O Deutsche Heimkehrer. Der Dampfer „Brillant" trifft am 6. Januar mit 26 Reichsdeutschen, aus dem Schwarzen Meer kommend, in Triest ein. Diese Heimkehrer werden wie üblich dem Lager Lechseld zwecks Entlassung zuge leitet. Damit ist die Heimschaffungsaktton ans dem Schwarzen-Meer-Gebiet auf dem Seewege endgültig be endet. Es befinden sich nur noch vereinzelt einige Reichs- veutsche im Schwarzen-Meer-Gebiet, die durch die Deutsche Fürsorgestelle Odessa resp. Noworossisk aus dem Landwege über Moskau heimtransportiert werden. ars scheue pe lewst oen Laut ihrer eigenen Stimme. „Sie sagen, dieser Weg sei verhext, verzaubert. Hier ist die schöne Ulrike gegangen und hat dort auf dem alten Klostersriedhof" — sie deutete nach rückwärts — „ihren Geliebten heimlich getroffen, bis Wolf von Freydeck die beiden einmal fand. Und noch eine ist hierher geflüchtet — dort — zu der Bank bei der Buche, wenn sie den treffen wollte, den sie liebhatte über alles —" „Wer?" fragte Erich Günther seltsam berührt. Die Worte des fieberkranken Mädchen klangen so eigentümlich, sie weckten irgendeinen unklaren Gedanken in ihm. Hilda sah mit einem verlorenen Blick vor sich hin, als sie dann leiser sagte: „Sie soll dort gesessen haben mit dem jungen Fritz Wentheim, meinem Vater, und er soll sie geküßt haben unter der alten Buche, und hat ein Herz in den Baum eingeschnitten und dann ihren Namen. Ich habe es selbst ost gesehen, bin oft hingeflüchtet, wenn meine Seele schwer war von Sehnsucht nach der Mutter, und ich hab' mit ihr geredet, als wäre sie neben mir. Und immer hab' ich gedacht, warum soll es eine Sünde gewesen sein, daß sie den fremden Mann so lieb gehabt hat? Kann man dafür? , Kommt die Liebe nicht zu uns Menschen, wie der Sonnenstrahl, wie das Licht, wie die Wärme? Und ist sie nicht etwas Hohes und Heiliges, wenn sie imstande ist, alles, alles zu überwinden?" Hilda hatte zuletzt lauter gesprochen. Seltsam klang die weiche, liebliche Mädchenstimme zusammen mit dem Flüstern des Riedgrases und dem Rauschen, das allmählich in den Baumkronen wach wurde. Hildas Wangen brannten, in ihren sonst so sanften Augen lohte ein starkes Licht. Sie war in diesem Augenblick schöner als je, reifer, leidenschaftlicher. Das noch halb kindliche Mädchen war zum Weib emporgewachsen in diesen Tagen voll Sorge. Angst und Grauen. Unweit von den beiden raschelte etwas. Es klang, als ob dort auf dem schmalen Wege jemand ginge. Im selben Moment tauchte auch schon über dem Busch werk, das die Wege trennte, ein blasses Mäunergefichi auf, zwei dunkle Äugen hafteten eindringlich auf dem Antlitz Hilda Wentheims. Sie hob den Blick und iah gerade in diese zwingenden Augen. Mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie zurück. Drüben