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Me«n. Zweimal wiederholte sich das, bis ihre Finger endlich über den weißen Bogen glitten, den sie einem Schub- - fach entnommen hatte. Nach einer halben Stunde erhob sie sich steif vor Frost. Sie wäre nicht mehr fähig-gewesen, auch nur eine Zeile noch Anzuzusetzen. Aber es genügte, was sie da alles als Beichte niedergeschrieben hatte. Den Rest der Nacht benützte sie, das Notwendigste an Garderobe einzupacken. Der Morgen lag noch grau vor den vereisten Fenstern. Mit behutsamem Schritt ging Rosmarie nach dem Zimmer der beiden Töchter und sah noch einmal in deren junge, schlafgerötete Gesichter. Sie zu küssen, wagte sie nicht. Nur auf jede der Hände neigte sie die Lippen und legte ihre Wange > dagegen. Vor Frau Sabines Tür blieb sie eine Weile stehen. Die Gute würde sicher ihren Kindern Mutter sein, wie sie es schon einmal gewesen. Im Erdgeschoß klappte eben die Haustüre vorsichtig leise- ins Schloß. Lente war zurückgekehrt und achtete behutsam, daß nichts die Seinen wecke. Auf den Zehenspitzen schlich er nach dem Schlafzimmer und fand Rosmaries Kissen leer. Schreckerfüllt lief er nach den anderen Räumen. Auch dort nichts von ihr. Nur in seinem Arbeitszimmer lag in der Mitte der grünen Platte ein an ihn adressierter Brief. Mit fliegenden Fingern schlitzte er ihn auf. Die Eisblumen am Fenster begannen rosafarben zu er- glühen. Markus sah es nicht. Der Kachelofen hatte die letzte Wärme von sich gegeben, dem einsamen Manne kam die Kälte nicht zum Bewußtsein. Jetzt ging ein Schritt auf der Treppe, der ihn aufhorchen ließ. Dann war er auf dem krachenden Schnee im Garten zu vernehmen. Mit einem Sprung war Markus am Fenster. „Ros marie!" Einer der beiden Koffer, die sie trug, fiel in den Schnee. Markus nahm sich gar nicht Zeit, das Fenster zu schließen, er lief nach dem Gang, die Treppe hinab, fand die Haustür offen und stand gleich darauf vor seiner Frau. „Was woll test du tunt" Sie zitterte vor Kälte und wehrte sich, als er den Arm um sie schlang. »Ich habe dir einen Brief auf den Schreib tisch gelegt!" „Ja! Ich habe ihn gelesen, Rosmarie! — Alles habe ich gelesen. Komm jetzt!" Er nahm den Koffer vom Boden auf und entwand ihr den zweiten aus den steifen Fingern. „Es braucht dich keiner zu sehen, sie schlafen alle noch! " So, mit beiden Gepäckstücken belastet, schob er sie vor sich her, dem Hause zu. An der Treppe wartete er. bis sie vorangegangen war. „In mein Sprechzimmer," sagte er leise, und als sie zögerte, stellte er die Koffer auf die Bretter des Ganges und zog sie mit sich hinein. Aber sie kam nur bis zu dem Stuhle, in dem sonst seine Pattenten zu sitzen pflegten. Weiter trugen sie die Füße nicht mehr. „Der Brief," lallte sie. „Ich glaube," sagte er gütig, „daß alles so ist, wie du es darin niedergeschrieben hast." „Ja, Markus!" Ihre Zähne schlugen aufeinander. „Demnach haben wir jetzt nicht meA einen — sondern zwei Söhne, Rosmariel" Ihr Kopf sank gegen die Lehne des Stuhles. „Den — du verstößt, werde ich mit nach Holland nehmen!" „Ich erhebe selbstverständlich Anspruch auf meinen recht mäßigen Sohn!" Sie nickte. Ihr Gesicht vergilbte ins wachsfarbene. „Wirst du dann auch auf die anderen Kinder deine Rechte geltend machen?" „Auf alle, ja, Rosmarie!" Und ehe sie noch wußte wie ihr geschah, lag er vor ihr in den Knien und legte den Kopf gegen ihre Brust, während seine Hände nach den ihren suchten. „Daß du mich liebst, das wußte ich. Aber daß du mich so liebst, daß du um meines Glückes und um den Frieden meines Lebens willen dein Muttersein zum Opfer bringen könntest, das hätte ich nie zu glauben gewagt. Aber du hast selbst dieses Unmögliche wahr gemacht." Totensttlle herrschte im Raum. Wie damals, als er aus Island zurückkam, barg er den nun ergrauten Kopf in ihrem Schoß- Wie damals zuckten seine Schultern im stummen Weinen, während ihre Hände wie zarter Hauch über ihn wegstrichen. „O, du mein armer Markus! Mein armer Mann!^ Es waren die gleichen Worte, die sie einst für ihn gehabt hatte. . Ms er das Gesicht hob. sah er in chr leuchtend mütter liches, ihre Lippen zitterten ihm entgegen. Er küßte sie, wie er sie einmol kn Mai ihrer achtzehn Jahre geküßt hatte. Immer wieder küßte er sie, fühlte, wie ihr ganzes Sein ihm «tgegendrängte und wußte nun, daß endlich, endlich alles wi«er so werden würde wie einst. Als sie beide ruhiger geworden waren, führte er sie zu dem VVe von GroßMttter..LMte,^dgs ^». iM KLwaiWA- des Zimmers hing: „Ihr Opfer, Rosmarie und das deine« hat dem Himmel Gewalt angetan. Ich glaube nun auch, wie sie geglaubt hat, daß keines der Lente mehr von dem schrecklichen Erb« befallen wird, das so viel Unglück in unsere Familie brachte." „Darf ich meinem Vater wissen lassen, daß ich dir alles gesagt habe?" fragte sie zögernd. Er antwortete nicht gleich und drückte mit einer raschen Bewegung 'die Schultern zurück, ehe er zu sprechen anhob: „Ich habe noch gar nichts getan, das einem Opfer gleich kommt. Dein großes, übermenschliches hat mich besiegt. Wir wollen zusammen nach Holland fahren. Er soll alle seine Enkel sehen. Ich denke, es wird ihn freuen." Sie fand kein Wort, nur Träne um Träne rollte über ihre Wangen. Und als sie fragte, wie er es zu machen gedenke, -aß Ottmar wüßte, daß er ihr Kind sei, sagte er nach kurzem Ueberlegen: „Das ist vorläufig gar nicht nötig. Ich adoptiere ihn. Dann bist du seine Mutter und kannst ihn lieben und umsorgen, wie es dir ums Herz ist, und ich auch. Ich möchte weder ihn. noch unsere anderen Kinder mit diesen Dingen belasten. Später dann, wenn sie vernünf tig genug sind und selbst die Schicksale des Lebens begreifen lernen, wird sich dann schon eine Gelegenheit bieten, mit ihnen davon zu sprechen. Jetzt würde es nur Verwirrung in ihren Köpfen anrichten. Vorläufig genügt es, ihnen von ihrem Großvater zu erzählen und daß wir ihn besuchen wollen. So bekam der einsame Mann Mei Tage später einen Brief, der ihm an der Grenze seines Lebens noch mit all der Sonne überschüttete, die ihm das Schicksal vorenthalten hatte. Ueber Rosmaries Zeilen geneigt, weinte er mit -er Fassungslosigkit eines Kindes. Das Antje, das ihn noch immer betreute, bekam endlich so viel heraus, daß Tochter, Schwiegersohn und Enkel ihn besuchen und einige Wochen bei ihm bleiben würden. Dieter von Wolfshagen aber nahm ein Dutzend Hyazin then mit weißen und sützblauen Dolden aus seinen Blumen hausern und verpackte sie frostsicher, damit sie in all ihrer Schönheit in Deutschland ankamen Sonja stellte sie mit behutsamen Händen auf den Sims im Erker und betreute sie mit aller Sorgfalt. Markus Lente aber nahm jenen Brief, den Wolfshagens ehemaliger Kame rad und Waffengenosse ihm einst geschrieben, aus der Schublade, worin er die vielen Jahre verwahrt gewesen war und ließ ihn in der Glut des Kamins verbrennen. Nichts sollte mehr an all das Unselige der Vergangenheit erinnern. Die Kette der Ahnen, an der er und alle vor ihn so schwer getragen hatten, war abgestreift. Sein kleines, seines Weibes und der toten Großmutter Lente großes Opfer hatten die Glieder derselben zerrissen und den nach folgenden Generationen die Freiheit gegeben, nach der sie so lange sich gelehnt hatten. Denn irgendwo heißt es schon in der Schrift: „Das Himmelreich leidet Gewalt. Und nur die, die Gewalt ge brauchen, werden es an sich reißen." — Ende. — Das Reich -er Frau. Wolle regiert. Als man gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu . den Fragen der Erziehung, wie der der Hygiene, eine ganz andere, völlig neue Einstellung zu nehmen begann, tauchte das Wort „vom Jahrhundert des Kindes" aus, zu welchem das 20. Jahrhundert werden sollte. Man hatte sich vor genommen, für das seelische und körperliche Fortkommen der Kinder, für ihre geistige und gesundheitliche Entwick lung viel mehr zu tun als bisher, und sich hierzu aller Errungenschaften der modernen Technik, der Pädagogik, der Seelenkunde, vor allem aber der Hygiene zu bedienen. Leider ist in diesem Programm eine kleine Unter brechung eingetreten, bedingt durch die Ereignisse der Jahre 1914 bis 1918, noch mehr bedingt aber vielleicht durch jene Umstände, welche sich erst so recht nach Beendi gung des Krieges herausgestellt haben. Die Hygiene hat aber trotzdem ihren Siegeszug aus allen Gebieten des menschlichen Lebens fortgesetzt; Krankheiten, die bisher als unabwendbares Schicksal des Menschengeschlechtes hin genommen wurden, wie z. B. die Tuberkulose, sind dank den hygienischen Abwehrmaßnahmen in stetem Rückgang begriffen. Auf dem Gebiete der Ernährung hat sich Ane Entwicklung herausgebildet, die gegen das lästige Fett austritt und einen schlanken, jugendlichen Körper zu -viMr versucht.