Volltext Seite (XML)
««schnappte. Den Kopf zurückgeworfen, trat er ans Fenster. Der WinL kam ostwärts und ließ ihm das Haar um die Schläfen flattern. Das Zimmer lag mit den Wipfeln der Bäume fast in gleicher Höhe. Ihre dunklen Häupter wirk ten wie gebeugte Rücken. Und über ihnen standen am dunk len Himmel der Nacht die Sterne zu Tausenden verstreut. Aber ihr Glanz hatte nichts Mildes, Friedenbringendes. Kalt und mitleidslos dünkten sie Markus Leute, als er jetzt den Blick zu ihnen emporhob. Durch die Stille kam ein leises Weinen. Dann eins Stimme, die zu trösten versuchte. Seine Hände griffen nach dem Fenster und drückten es zu. Nun war kein Ton mehr vernehmbar. Nur der Schlag des eignen Herzens und das Hämmern eines Holzwurmes, der im Gebälke saß, trugen einen Laut in das lastende Schweigen. Rosmaries kleine Mädchen spielten „Blinde Kuh", als sie bei ihnen eintrat. Die fünfjährige Gertraud hüpfte vom Diwan herab, auf den sie sich im Eifer geflüchtet hatte und umkreiste die Mutter. „Wo gehst du hin? Warum hast du einen Hut auf und solch schönes Kleid? Sag doch, Rama?" Wenn Rosmarie nur zu den Müttern in die Stadt ging, war sie immer hutlos und in einfachem Gewände. Eie streichelte über den dunklen Kopf der Kleinen und Neigte sich über das rote Mündchen ihrer Aeltesten. „Ich mutz verreisen, Traude." Lhl Wett?" Das Mäulchen stand zur Halste offen und schkch sich nicht wieder. Sonja, die um ein Jahr jüngere, sah mit großen klugen Augen zu der Mutter auf: „Bleibst du über Nacht?" Ha — über Nacht, mein Liebling." Die Kleinen waren sprachlos. Ueber Nacht war die Rutter noch nie von ihnen fort gewesen. „Dann nochmal über Nacht?" Traudes sanfter Kirschen mund zuckte hilflos. „Vielleicht, mein Engel. Wer du mußt nicht weinen. Du byt doch schon mein großes, kluges Mädchen. Jede Mama verreist einmal. „Warum nimmst du uns nicht mit?" forschte Sonja. „Ich packe gleich." Sie wollte eiligst zur Tur. Wer Rosmarie hielt sie zurück. „Der Papa braucht euch doch! Er ist sonst so emsam. - Nicht, Traude?" Die Fünfjährige fuhr mü dem Rücken der beiden Hände Wer die Backen und wischte die Tränen fort. Dazu nickte sie ernsthaft. Die Mutter hatte recht. Den Papa konnte »an nicht allein lasten. Wenn er des Abends nach Hause kam, mutzte er jemand haben, der ihm die Stiefelbänder auf hotte, di« Hausschuhe brachte und eine Zigarre, die man erst ms dem Behälter am Rauchtisch holen mußte, in Brand st«kte. Das lange schwarze Ding zum Glühen bringen, das konnte nur Traude. Man konnte also unmöglich mit der Mama reisen. — Sonia schon eher, ja! Aber die Schwester tonnte so zmtt und behutsam über Vatis Haar streichen, wen» er einmal sehr wüde war. Sie saß dann hinter seinem Rücken auf der Lehne des Stuhles, hielt die roten Bäckchen m seine Wange geschmiegt und wartete, bis er ein Blatt der Zeitung herumschlug. Das gab jedesmal so ein spaßiges Rascheln. Sonja machte dann gsch — gsch und dann lachten sie beide; der Papa und das Schwesterchen. Traude sah jetzt mit dem Blick einer Erwachsenen zu der Mutter auf. „Wir werden sehr brav sein, bis du wieder- tommst, Mama. Bringst du uns dann etwas mit?" „Gewiß, mein Kind! Rosmarie setzte sich auf den Diwan und nahm ihre Kinder noch einmal auf den Schoß. Die weichen warmen Körperchen drängten sich eng an sie, und die beDeu dunklen Köpfe schmiegten sich fest an ihre Schul tern. Traude blickte auf, sah das Gesicht der Mutter von Tränen überrieselt und fühlte das schüttelnde Zucken, das deren Leib -urchrann. Sonja verzog das Mäulchen Aber Traude, nein, Traude tat so etwas nicht. Wenn die Mama weinte, mußte man eben einen Trost für sie suchen. Sie begann mit ihrem feinen Stimmchen den Bers zu singen, den Rosmarie ihren Kindern zu singen pflegte, wenn sie ein kleiner Schmerz traf: „Heile, heile Segen! Drei Tag Regen! !' Drei Tage Schnee. Nun tut es nicht mehr weh!" „Tuts noch weh, Mutti?" fragte sie und tupfte mit ihrem gemusterten Taschentuch über die verhärmten Wangen hin. ! Christine öffnete die Türe und hatte den reisefertigen Jun gen auf dem Arm. „Der Wagen steht bereits am Tor, Frau Doktor!" ' Darm schnappte die Klinke wieder ein. — Weiß Gott, da fand sich ein anderer zurecht. Daß es zum Bruch zwischen o« jungen Leuten gekommen war, das sah ein jeder. Nur es sich um Untreue handelte dann höchstens der Doktor selbst. Die Frau? Nein! Die hatte nur an Mann und ginoer gedacht und an sonst nichts. Schade um das Mua, das da in Scherben ging, wenn die beiden sich nicht wieder zusammenfanden. Was war das für eine schreckliche Nacht gewesen! Die ! Frau auf dem Diwan im Fremdenzimmer und der Doktor in der Giebelstube eingeriegelt. Zuweilen hatte sie ein Wimmern gehört. Das war aus Rosmaries Zimmer ge- i kommen. Mehr als ein dutzendmal hatte sie die Hand auf ! die Klinke gelegt gehickst und sie wieder fallen lassen. Zwischen Eheleute gehörte kein Drittes und mochte man's noch so gut meinen. Vielleicht hätte sie es doch versuchen sollen. Aber nun , war's zu spät. Der Wagen stand schon seit einer Viertel- stunde unten vor der Gartentür, und noch immer war Ros marie nicht mit dem Abschiednehmen von ihren beiden Töch terchen fertig. Ler Doktor war gleich nach der Sprechstunde über Land gefahren. Unglaublich war es, was die Menschen sich gegen seitig für Nöte schufen. Und war so kurz, das bißchen Leben. Keine Stunde konnte man zurückholen, wenn eine abgelaufen war. Die Pferde wurden unruhig. Man mußte die junge Frau noch einmal mahnen. Auch der Kleine begann jetzt zu weinen und wollte nicht mehr auf dem Arm gehalten sein. Christine steckte den Kops durch die Tür, unterließ aber jedes Wort. Da mußte em anderer kommen und das zu wege bringen, die drei auseinanderzureißen. — Sie nicht, j Endlich ging die Tür. Rosmarie kam allein über den gepflasterten Gang und schritt der Treppe zu. Ihre Arme streckten sich nach dem Jungen aus, den ihr Christine ohne i Zögern entgegenreichte. Wenigstens eines, das sie mitnehmen durfte. „Ich werde Ihnen alles behüten, bis Sie zurückkommen, Frau Doktor!" Die Stimme Christines versagte fast. „Ja, bitte, Christine! Um Gottes Barmherzigkeit willen, bitte ich Sie darum! Und Christine mein Mann trägt keine Schuld, daß es so gekommen ist. Nur ich allein." Das glaub ein anderer, dachte die Alte. Das wäre nicht das erstemal in einer Arztensehe, daß lo eine verrückte Patientin sich in den Mann vernarrt hatte, der einer anderen gehörte. Und nicht mehr locker ließ, bis es zum Bruche kam. Nun. sie würde ihre Augen jetzt schon etwas besser auf machen. Das Uebel war nur, man sah dem Doktor nicht zu. Alles ging in dem Hause in der Stadt vor sich, wo er seine Sprechstunden hielt. Hier saß man wie am Ufer einer Insel, die weit ab von jedem Geschehen war. Darum hatte sie auch nichts gehört und gesehen. „Bitte, Christine, bleiben Sie jetzt bei den Kindern. Sie sind so trostlos. Ich habe es ihnen zu schwer gemacht! Ach, Christine " Das blonde Haupt lehnte sich verzweifelt gegen die Schultern der Alten. „Sie sollten's nicht so hart nehmen, Frau Doktor. Er fin det sich schon wieder zu sich selber zurück. Sie müssen nur verzeihen können, wenn er's eingesehen hat, daß " „Ich habe nichts zu verzeihen, Christine. Nur er " _ Die Alte schüttelte den Kopf. Es war zuviel für den Augenblick. Zum Nachdenken mußte man Zeit haben. Dann kam man vielleicht auf eine Spur, die zu der Wahrheit führte. Gertraud und Sonja standen, von Christine sorglich ge halten, oben am Fenster, als die junge Frau den Weg zur Gartentüre hinabging. Immer und immer warfen sie Kuß hände, und die Mutter wandte sich immer und immer wieder zurück und umschlang sie mit den Blicken. Auch der Kleine winkte und jauchzte hellauf, als er die Pferde iah. Und dann stieg Rosmarie ein. Aber ihr todbleiche^ Gesicht war uno-r- wandt nach den beiden kleinen Mädchen gerichtet, die mit ihren Taschentüchern winkten, bis der Wagen um die Kurve der Straße gebogen war. Traude wüchte sich als erste die Tränen ab. „Der Papa wird schauen, wenn er heimkommt," 'agte sie, noch etwas vom Schluchzen gestoßen. „Wer schöpft ihm jetzt zu Mittag die Suppe aus den Teller? Du mußt mir noch ein Buch mehr auf den Stuhl legen, Christine, dann sitz ich höher. Vielleicht kann ich es jetzt stat» der Mama tun. Ich glaube. Ler Papa bekommt immer zwei Löffel voll " Christine hob die Kinder vom Fenster stellte sie zu Boden und begann ein Spie! mit ihnen Im Zimmer nebenan schrillte das Telephon. Sie ließ die Türe offen, um die Kinder im Auge zu behalten und nahm den Hörer ans Ohr." „Ist meine Frau zu Hause?" fragte Leute aus dem Appa rat. „Nein, Herr Doktor!" „Schon weggefahren?" „Ja!"